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Teil I: Organisatorische Ebene

5 Lehrbetriebsverbünde: Flexibilisierte Berufsbildung im

5.1 Lehrbetriebsverbünde als dezentrale und flexible Form der

5.1.1 Transportnet

Transportnet ist ein Lehrbetriebsverbund in der Branche des öffentlichen Ver-kehrs. Er wurde um die Jahrtausendwende von zwei großen Schweizer Bahn-unternehmen gegründet und umfasst mittlerweile rund sechzig Mitgliedsfir-men aus dem gesamten Bereich des öffentlichen Verkehrs (Bahn, Nahverkehr, Flugverkehr, Schifffahrt u.a.). Mit knapp zweitausend Lernenden ist Trans-portnet der größte Lehrbetriebsverbund und der viertgrößte Arbeitgeber für Lernende in der Schweiz. Viele der Mitgliedsfirmen sind Großbetriebe mit mehreren Tausend Angestellten. Transportnet bildet Lernende in gut zwanzig verschiedenen Berufen aus. Rund die Hälfte der Lernenden absolviert eine Ausbildung im kaufmännischen Bereich, schwerpunktmäßig im Beruf „Kauf-mann/Kauffrau öffentlicher Verkehr“. Daneben werden Lernende in den Be-reichen Technik, Logistik und Gleisbau ausgebildet.

Gründungsmotiv: Steigerung von Effizienz und Qualität dank Outsourcing Ausgelöst wurde die Gründung von Transportnet durch die Umwandlung eines großen Verkehrsbetriebs von einem Staatsbetrieb in eine Aktiengesellschaft.

Das Unternehmen wurde dezentralisiert und verstärkt an marktwirtschaftli-chen Prinzipien ausgerichtet; Unternehmenseinheiten, welche nicht zum Kern-geschäft gehörten, wurden ausgelagert. Im Rahmen dieser Restrukturierung wurde auch die Lehrlingsausbildung ausgegliedert:

Früher [haben wir] alles selbst gemacht. (…) Und dann hat es ein Outsourcing gegeben.

(…) Damals, also vor [fünfzehn] Jahren, war das so eine Mode, dass man möglichst out-sourct, gewisse Sachen, die nicht zum Kerngeschäft gehören. Und weil wir ja mehr eine Eisenbahn sind und keine Schule, hat man dann offenbar gesagt, dann lagert man diese Berufsbildung aus. (Vertretung Gründungsbetrieb; P62: 44)

Die Motive für die Auslagerung der Berufsbildung waren komplex und werden je nach Quelle etwas unterschiedlich akzentuiert. Gemäß der Selbstdarstellung des Verbundes im Geschäftsbericht, auf der Website sowie in Aussagen von Vertreterinnen und Vertretern der Leitorganisation in den Interviews waren es die klassischen Motive für Outsourcing, die den Ausschlag für diesen Schritt gegeben hatten. Das Verkehrsunternehmen wollte sich auf seinen Kernbereich, den Bahnbetrieb, fokussieren und die Ausbildung sollte „professioneller“, „ef-fizienter“, „marktorientierter“ und „kostentransparenter“ gestaltet werden (Selbstpräsentation von Transportnet; vgl. auch P58: 118). Mit der Auslage-rung der Berufsbildung zielte man in erster Linie auf eine Kostensenkung und eine Qualitätssteigerung ab – die beiden zentralen Motive, die in der Literatur für Outsourcing-Prozesse generell genannt werden (Irle, 2011, S. 34). Diese Perspektive wird auch von anderen Mitgliedsbetrieben geteilt:

Es ist nicht unser Kerngeschäft. (…) Damals waren wir auch noch kleiner, das heißt, wir hatten weniger Lernende. Und dadurch hatte man das Gefühl, konnte man alleine auch nicht eine ganz so professionelle Lehre anbieten, als wenn man es outsourct. (…) Und man hat dort halt einfach auch Synergien gesehen mit [anderen Verkehrsbetrieben], wel-che man nutzen kann, um es dadurch schlussendlich eben professioneller zu mawel-chen und auch kostengünstiger. Dadurch, dass die ganze Administration oder so nachher von einer Stelle gemacht wird. (Vertretung Ausbildungsbetrieb; P58: 82 ff.)

Eine der wichtigsten Handlungsmaximen moderner Unternehmensführung ist der Fokus auf das Kerngeschäft (vgl. Kapitel 3.1). Der Prototyp dieses Grund-satzes ist das „schlanke Unternehmen“ – ein Unternehmen mit geringer Ferti-gungstiefe, welches in einem Netzwerk von Zulieferern operiert. Funktionen und Aufgabenfelder, welche nicht zu den eigentlichen Kerngeschäftsfeldern gehören, werden abgestoßen (Boltanski & Chiapello, 2006, S. 112). In den Ge-sprächen mit den Ausbildungsbetrieben wird diese Handlungslogik auch auf den Bereich der Berufsbildung angewandt („Wir [sind] ja mehr eine Eisen-bahn, und keine Schule“). Die Orientierung an der Handlungslogik der strate-gischen Dezentralisierung kommt im folgenden Zitat eines der Ausbildungs-betriebe besonders deutlich zum Ausdruck:

Wir haben eine riesige Erfahrung mit dem Auslagern von Leistung. (…) Und wir haben eine sehr große Erfahrung mit dem Einkaufen von solchen Leistungen, und auch eine

sind auch selbst nicht unbedingt bekannt dafür, besonders großzügig zu sein mit unseren Lieferanten, und das ist auch bei [Transportnet] so. Also [Transportnet] wird sehr wohl sehr genau angeschaut bei seiner Preisgestaltung. Und da werden wir uns diese Freiheit nehmen, diesen Make-or-buy-Entscheid wieder zu fällen, irgendwann mal. (Vertretung Ausbildungsbetrieb; P60: 152)

Die Vision des „schlanken Unternehmens“ beruht auf einem Kompromiss zwi-schen den Rechtfertigungsordnungen von Markt, Netzwerk und Industrie. Das Unternehmen steigert seinen Profit, indem es diejenigen Unternehmensberei-che, die nicht zum Kerngeschäft gehören, an ein Netzwerk hoch spezialisierter Expertinnen und Experten auslagert (vgl. Kapitel 3.4.1). Die in Wirtschafts-diskursen vorherrschende Annahme, dass durch die Auslagerung von Neben-geschäftsbereichen Kosten eingespart werden können und die Qualität gestei-gert werden kann, führte ab den späten 1990er-Jahren zu einer regelrechten

„Outsourcing-Welle“, von der auch die Berufsbildung betroffen war (Wett-stein, 2010).

Die tieferen Kosten der Fremderstellung beruhen, so der Diskurs, unter an-derem auf der Spezialisierung und der größeren Erfahrung des Zulieferers so-wie auf dessen Größenvorteil in Bezug auf das betreffende Produkt. Durch die Auslagerung würden zudem Ressourcen freigesetzt, die der Betrieb in den Ausbau seiner (profitableren) Kernbereiche investieren könne (Kammerloch, 2014, S. 51 ff.). Der Diskurs geht weiter davon aus, dass von externen Anbie-tern erbrachte Leistungen auch eine potenziell höhere Qualität aufweisen als die Eigenerstellung. Outsourcing ermögliche es, die benötigten Leistungen durch qualifizierte Expertinnen und Experten erstellen zu lassen, deren Ein-stellung für das Unternehmen aus Kostengründen nicht möglich oder aus wirt-schaftlichen Aspekten nicht sinnvoll sei. Es müsse demzufolge ein Zulieferer gefunden werden, für den die auszulagernden Leistungen, die für den Nachfra-ger nur ein Nebengeschäft bilden, als Kernkompetenz gelten (Kammerloch, 2014, S. 51 ff.).

In ihrer Begründung, wieso sie sich an Transportnet beteiligen, beziehen sich fast alle der befragten Mitgliedsfirmen auf diesen im vorherigen Abschnitt skizzierten Dezentralisierungsdiskurs. In den Interviews betonen fünf von sie-ben befragten Betriesie-ben, dass die Verbundausbildung kostengünstiger sei als die selbstständige Ausbildung von Lernenden bzw. dass sie bei gleichen Kos-ten eine bessere Qualität biete (vgl. P52: 68; P58: 118; P60: 54; P66: 109; P64:

227, 570, 760). Ein Interviewpartner erklärt beispielsweise, dass im Verbund aufgrund der größeren Anzahl der Lernenden und der Rationalisierung der Ausbildungsadministration („dass die ganze Administration von einer Stelle gemacht wird“, P58: 118) die Ausbildung jeder und jedes einzelnen Lernenden kostengünstiger ausfalle. Zwei der befragten Mitgliedsfirmen kritisieren hin-gegen, dass eine selbstständige Lernendenausbildung günstiger wäre. Die Be-ziehung dieser beiden Unternehmen zur Leitorganisation ist im Vergleich zu den anderen brüchiger und von größeren Konflikten geprägt. Dies verdeutlicht

die große Relevanz der Marktkonvention hinsichtlich der Frage der Beteili-gung an einem Lehrbetriebsverbund.

Auch die hohen Kosten technischer Infrastruktur sind ein Motiv für die Auslagerung von Aufgabenbereichen. Manchen Ausbildungsbetrieben ermög-licht die Beteiligung bei Transportnet den Zugang zu moderner Infrastruktur, deren Anschaffung sich für den Betrieb selbst nicht lohnen würde:

Ein nächster Aspekt war, dass wir in den technischen Berufen (…) von der Infrastruktur her hätten aufrüsten müssen. Es war schlichtweg auch ein bisschen eine Kostenfrage, wo wir gesagt haben, „nur“ in Anführungszeichen wegen der Lehrlingsausbildung können wir keine neue Drehmaschine kaufen, weil die alte „verhebbt“ eigentlich noch, entspricht aber eigentlich nicht dem neusten Standard. (Vertretung Ausbildungsbetrieb; P52: 68)

„Nur wegen der Lehrlingsausbildung“ ergebe die Investition in teure Techno-logien keinen Sinn. Gleichzeitig wird heute aber je nach Ausbildungsberuf eine gewisse Standardausstattung an Infrastruktur vorausgesetzt. Die im Zitat er-wähnte „neue Drehmaschine“ ist ein solches Beispiel aus der technischen Be-rufsausbildung. Die Fähigkeit, eine solche Maschine bedienen zu können, ist integraler Teil des Qualifikationsprofils. Ein Ausbildungsbetrieb ist deshalb dazu verpflichtet, Lernenden die Möglichkeit zu bieten, diese Fähigkeit zu er-werben – auch dann, wenn er für die betriebseigene Produktion eine solche Maschine nicht benötigt. Diesem „Investitionsdilemma“ schafft der Lehrbe-triebsverbund Abhilfe: Dank der vergleichsweise größeren Anzahl Lernender, welche im Verbund ausgebildet werden, „lohnt“ sich die Beschaffung solcher Technologien für den Verbund eher. Die Anschaffungskosten werden zwar auch hier auf die Ausbildungsbetriebe übertragen, jedoch muss jeder Ausbil-dungsbetrieb dank der kollektiven Nutzung im Endeffekt nur einen kleinen Anteil der Gesamtkosten bezahlen.

Auch die Leitorganisation von Transportnet orientiert sich an der Hand-lungslogik der Dezentralisierung: Da die Ausbildung von Lernenden ihr Kern-geschäft sei, könne sie die Lernenden professioneller ausbilden, als dies ande-ren Unternehmen der Branche möglich wäre:

Das ist im Vergleich zu anderen Lehrbetrieben unser Vorteil. Das ist unser Kerngeschäft.

Wir können uns voll auf das auch konzentrieren. (Vertretung Leitorganisation; P31: 939).

Die Leitorganisation geht davon aus, dass die Ausbildung von Lernenden in einer Organisation, die rein zu diesem Zweck gegründet wurde, sich auf „pro-fessionelles Bildungsmanagement“ spezialisiert hat und entsprechendes Ex-pertenwissen besitzt, besser und effizienter sei. Diese Meinung vertritt auch ein Großteil der Mitgliedsbetriebe. Die Mitarbeitenden von Transportnet seien

„Spezialisten“ (P56: 82) in der Berufsbildung und deshalb in der Lage, die Ausbildung der Lernenden professioneller zu gestalten, als wenn sich jeder Betrieb, jede Abteilung, jede Berufsbildnerin und jeder Berufsbildner selbst neben den Alltagsgeschäften das notwendige Know-how bezüglich Bildungs-verordnung, Prüfungsinhalten etc. aneignen müsse:

[Transportnet] macht einen sehr guten Job. Sie haben ein sehr großes Know-how, was uns wiederum hilft. Also sie sind dort Spezialisten. (…) Wir können gewisse Aufgaben an Vollprofis abgeben und müssen uns nicht um gewisse Dinge kümmern. Dafür wird es dort, anstatt dass wir das halbprofi- oder nicht mal halbprofimäßig machen, wird es dort sehr professionell gemacht mit den nötigen Instrumenten. Beim Rekrutieren, beim Aus-bilden und so weiter. (Vertretung Ausbildungsbetrieb; P56: 82)

Steuerung und Koordination der Ausbildung im öffentlichen Verkehr

Der große Ausbildungsbetrieb, welcher Transportnet initiiert hatte und einen Großteil der Lernenden bezieht, stellt die Gründungsgeschichte von Trans-portnet in einen etwas anderen Kontext. So hätten nicht nur Effizienzkriterien im Vordergrund gestanden, sondern auch ein an der staatsbürgerlichen Ratio-nalität orientiertes Verantwortungsgefühl, das Gemeinwohl der gesamten Branche zu unterstützen:

Der Grund, warum wir damals [Transportnet gegründet haben] (…), war nicht, weil wir gesagt haben, das macht jetzt aus unternehmerischer Sicht alles viel günstiger und lässt uns das wahnsinnig effizient machen und rein auf unseren Eigenbedarf diese Geschichte steuern, sondern, weil wir dort gesagt haben, nein, wir wollen eigentlich zugunsten des ÖV-Systems das öffnen. (Vertretung Gründungsbetrieb; P62: 69)

In diesem Narrativ steht die gesellschaftliche Verantwortung des Betriebs im Vordergrund, die über ein rein betriebswirtschaftliches Interesse hinausreicht.

Bei der Gründung des Verbundes stand zum einen (wie oben beschrieben) die Idee im Zentrum, durch Dezentralisierung und Kooperation mit anderen Ei-senbahnbetrieben die Qualität und die Effizienz der Berufsbildung zu verbes-sern. In einer weiteren Phase entschied man sich dazu, den Verbund auch für kleinere Verkehrsbetriebe zu öffnen. Dabei waren weniger marktwirtschaftli-che Kalküle ausschlaggebend, sondern die Idee, den öffentlimarktwirtschaftli-chen Verkehr ins-gesamt zu fördern und auch kleinere Betriebe von der hohen Qualität der Ver-bundausbildung profitieren zu lassen. Als staatlich subventionierter Betrieb fühlt sich das Unternehmen verpflichtet, sich auch staatsbürgerlichen Anfor-derungen zu unterwerfen. Das Verantwortungsgefühl gegenüber der Branche und der Gesellschaft habe es dazu motiviert, seine Ressourcen und Expertise in der Lernendenausbildung den kleineren Betrieben der Branche zur Verfü-gung zu stellen:

Und da haben wir eigentlich vor zehn Jahren bewusst gesagt, wir wollen gerne, dass die anderen eigentlich überdimensioniert profitieren können, weil wir einfach diese ÖV-Sys-tem-Führerschaft in der Bildung übernehmen wollen, bewusst, ohne dass wir eine zu stark betriebswirtschaftlich orientierte Kosten-Nutzen-Analyse dahinterlegen. Also das heißt, man hat einfach aus sehr viel Goodwill, hat man dann eigentlich gesagt, man trägt diesen Ausbildungsverbund13 so und eigentlich das Outsourcen in diesen Verbund. (Ver-tretung Gründungsbetrieb; P62: 49)

13 Ausbildungsverbund wird synonym zu Lehrbetriebsverbund verwendet.

Transportnet, nach der Ausgliederung aus der Mutterfirma nun weitgehend au-tonom, expandierte stark und vergrößerte sein Angebot von Eisenbahnbetrie-ben auf sämtliche Bereiche des öffentlichen Verkehrs (u.a. Bus-, Schiffs- und Flugverkehr). Das schnelle Wachstum hatte jedoch zur Folge, dass der Grün-dungsbetrieb zunehmend an Steuerungsmacht einbüßte. Die damalige Ausglie-derung der Lernendenausbildung wird deshalb aus heutiger Sicht kritisch be-trachtet und in den letzten Jahren war eine Tendenz zur Rezentralisierung zu beobachten.

Der Gründungsbetrieb befürchtet insbesondere, dass der eigene Bedarf an Nachwuchskräften nicht gesichert ist, da die Verbundausbildung zu wenig strategisch auf seine spezifischen Personalbedürfnisse ausgerichtet ist. Die verstärkte Konkurrenz um Lehrabgängerinnen und Lehrabgänger zwischen den Mitgliedsfirmen verstärkt diese Problematik zusätzlich. In den Augen des Gründungsbetriebs ist die Verbundausbildung aufgrund des großen Wachs-tums von Transportnet zudem nicht (mehr) kosteneffizient. Dies liege daran, dass der Verbund mittlerweile eine große Diversität an Mitgliedsfirmen mit je spezifischen Bedürfnissen und Interessen habe, welche abgedeckt würden – zum Beispiel spezifische Fachausbildungen und Zusatzmodule, welche nicht den Eigeninteressen des Gründungsbetriebs entsprechen. Im Kontext des zu-nehmenden Kostendrucks, dem dieser Betrieb ausgesetzt ist, wird die Autono-mie von Transportnet deshalb mittlerweile sehr kritisch gesehen und eine Rein-tegration des Verbunds in die Mutterfirma wurde eine Zeit lang in Erwägung gezogen.

Solche Steuerungsprobleme und darauf folgende Rezentralisierungspro-zesse bzw. stärkere zentralistische Kontrolleingriffe sind laut Minssen (2012, S. 56 f.) in vielen dezentralisierten Unternehmensstrukturen zu beobachten.

Die Steuerungsprobleme liegen in den Widersprüchen zwischen Kontrolle und Autonomie einerseits sowie Konkurrenz und Kooperation andererseits begrün-det. Strategische Dezentralisierung sei „kein linearer, sondern ein komplexer Prozess von Dezentralisierung und Re-Zentralisierung“, welcher „teilweise recht hilflose Suchprozesse“ wiederspiegle und sich in „eigentümlichen Pen-delbewegungen“ vollziehe (Minssen, 2012, S. 56).

Während die Entscheidung für die Ausgliederung der Berufsbildung zum Gründungszeitpunkt auf einem Kompromiss zwischen Markt-, Industrie-, Netzwerk- und staatsbürgerlicher Rechtfertigungsordnung beruhte, haben die Folgeprobleme der Dezentralisierung (Steuerungsthematik, zunehmende Ver-folgung von Eigeninteressen durch Transportnet, Konkurrenz um Lehrabsol-ventinnen und Lehrabsolventen) sowie die veränderten Rahmenbedingungen, unter denen der Großbetrieb operiert (größerer Kostendruck, größerer Perso-nalbedarf) dazu geführt, dass die Marktkonvention mittlerweile als Argument gegen die dezentrale Organisation von Transportnet aufgeführt wird. Da mitt-lerweile jedoch diverse Verkehrsbetriebe ihre Lernendenausbildung an den

Lehrbetriebsverbund ausgelagert haben, würde eine Reintegration in die Mut-terfirma vermutlich zu größeren Konflikten innerhalb der Branche führen.

Vom Gründungsbetrieb selbst wird deshalb auch der Imagegewinn, der sich daraus ergibt, in der Bevölkerung als sozialverantwortliche Firma wahrgenom-men zu werden, mittlerweile als größter Vorteil der dezentralen Ausbildungs-organisation gesehen:

Die Chancen für [die Firma sind], dass sie sich beim Bund optimal profilieren kann, dass sie bei der Bevölkerung natürlich sehr gut ankommt und vor allem in der Bildungspolitik sehr gut ankommt, weil sie natürlich einfach sehr viel über das hinaus finanziert, von dem sie selbst einen Nutzen hat, sehr gut ankommt bei all diesen kleinen ÖV-Unternehmen, weil sie ohne [uns] keine Lernenden betreuen könnten, weil sie keine Rekrutierung ma-chen könnten und keine Inserat schalten könnten etc. (Vertretung Gründungsbetrieb; P62:

69)

Der Maßstab für die Qualität des Lehrbetriebsverbundes hat sich mit dem Auf-treten der oben beschriebenen Folgeprobleme der Dezentralisierung von der Marktkonvention zur Konvention der Meinung verschoben. Diese baut auf dem ursprünglichen staatsbürgerlichen Motiv auf, mit dem Lehrbetriebsverbund auch einen Beitrag zugunsten des öffentlichen Verkehrs zu leisten, da das Image der Firma durch ihr staatsbürgerliches Engagement aufgewertet wird.

Statt einer kompletten Reintegration entschied sich der Gründungsbetrieb schließlich dazu, den Lehrbetriebsverbund von einem Verein in eine Aktien-gesellschaft umzuwandeln, an welcher er als Mehrheitsaktionär beteiligt ist.

Von dieser neuen Organisationsform erhofft er sich mehr Steuerungsmacht und eine stärkere Fokussierung der betriebseigenen Bedürfnisse. Der Lehrbe-triebsverbund bleibt jedoch nominell bestehen und kann von sämtlichen Ver-kehrsbetrieben weiterhin genutzt werden. Diese Reorganisation des Verbundes zu einer Aktiengesellschaft stellt einen Kompromiss dar zwischen dezentraler Organisation und zentralistischer Kontrolle sowie zwischen den Rechtferti-gungsordnungen von Markt, Netzwerk, Meinung und staatsbürgerlicher Welt.

Weitere Beteiligungsmotive

Wie weiter oben beschrieben wurde, orientieren sich die meisten der Ausbil-dungsbetriebe bei der Entscheidung, dem Lehrbetriebsverbund beizutreten, an den Maximen moderner Managementdiskurse (schlankes Unternehmen, ver-netzte Organisation, Auslagerung an Expertinnen und Experten). In den Nar-rativen einzelner Ausbildungsbetriebe tauchen daneben oft zusätzliche Fakto-ren auf, welche den Ausschlag für die Beteiligung an der Verbundausbildung gaben. Drei dieser Kontextfaktoren werden im Folgenden kurz thematisiert.

Rekrutierungsschwierigkeiten

Um den betrieblichen Nachwuchs sicherzustellen, müssen in einem ersten Schritt genügend qualifizierte Interessentinnen und Interessenten für die jewei-lige Berufslehre gefunden werden. Die zurzeit für die Schweiz bekannten Problemstellungen in der Rekrutierung von Lernenden werden auch von den Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern erwähnt.14 Die Schwierigkeit, in gewissen Berufen genügend qualifizierte Lernende zu finden, beruht auf dem demografischen Wandel und dem damit verbundenen Rückgang der Anzahl Schülerinnen und Schüler sowie auf der zunehmenden gesellschaftlichen Hö-hergewichtung des schulisch-akademischen Weges im Vergleich zum berufli-chen Weg, welche sich auf die individuelle Ausbildungswahl auswirkt. Zudem sind die Leistungsanforderungen in vielen Berufen gestiegen, was schulisch schwächere Jugendliche aus dem Rekrutierungspool ausschließt. Des Weiteren stehen die Branche des öffentlichen Verkehrs wie auch gewisse Ausbildungs-berufe der Branche (u.a. technische Berufe, Gleisbau und Gebäudereinigung) innerhalb der Berufsbildung in Konkurrenz mit gesellschaftlich prestigeträch-tigeren Branchen und Berufen. So wird im kaufmännischen Bereich häufiger die Konkurrenz mit den Banken und Versicherungen thematisiert, bei den tech-nischen Berufen die Konkurrenz mit den prestigeträchtigeren White-Collar-Berufen (Leemann u.a., 2013, S. 7 f.).

Für einige der befragten Ausbildungsbetriebe bietet die Beteiligung im Verbund das größere Potenzial, den dringend benötigten Nachwuchs zu ge-winnen, als wenn sie die Lernenden im Alleingang ausbilden würden:

Ein Grund, dass wir zu [Transportnet] gingen, war die Schwierigkeit, in den technischen Berufen geeignete Bewerber zu finden. Wo wir den Eindruck hatten, eine größere Orga-nisation hat andere finanzielle Mittel auch Bewerber anzusprechen, und dass wir dort davon profitieren könnten. (Vertretung Ausbildungsbetrieb; P52: 68)

Neben den größeren Ressourcen in der Rekrutierung werden von den Ausbil-dungsbetrieben insbesondere das gute Image von Transportnet sowie die At-traktivität der Verbundausbildung thematisiert. Im gegenwärtigen „Kampf um alle Talente“ sei es wichtig, dass man „von außen wahrgenommen“ werde (P56: 72). Transportnet vermarktet sich selbst und die Verbundausbildung sehr geschickt. Im Gegensatz zu den traditionsträchtigen, je nachdem etwas „ver-staubt“ wirkenden Verkehrsbetrieben werde Transportnet als „cool“ (P60:

457), „trendig“ und „frisch“ (P58: 98) wahrgenommen. Dieses gute Image von Transportnet beruhe einerseits auf dem erfolgreichen Marketing, anderer-seits auf den großen und bekannten Mitgliedsfirmen: „Die großen Namen, die ziehen ja schon“ (P56: 56).

14 Der „Kampf um Lehrlinge“ ist seit etwa 2010 ein wiederkehrendes Thema in Schweizer Medien, so etwa im „Tagesanzeiger“ (Lanner, 2010), in der „Berner Zeitung“ (Widmer, 2010), im „Blick“ (Rotzinger, 2015) oder in der TV-Sendung „Schweiz aktuell“

Einerseits hat man die Firmen, und wenn man gute Markenfirmen hat, dann ist es sowieso gut, dann hilft einem das natürlich. Und andererseits hat man aber auch die Attraktivität einer Branche. Und ja, vorher haben wir immer, gegen Banken und so hatten wir große Mühe, und mittlerweile muss ich sagen, wir haben viele Junge, die sich für das begeistern.

(Vertretung Ausbildungsbetrieb; P64: 288)

Auch die Verbundausbildung selbst komme bei den Jugendlichen gut an. Die unterschiedlichen Firmen, Fachbereiche und Laufbahnen, die in der Ausbil-dung kennengelernt werden, versprechen eine große Abwechslung, individu-elle Entwicklungsmöglichkeiten sowie eine zeitgemäße Berufslehre. Es seien diese Vielfalt und diese Offenheit der Verbundausbildung, welche die Schul-abgängerinnen und Schulabgänger von heute ansprächen:

Die Lehre ist natürlich sehr attraktiv geworden [durch den Verbund]. Also ja, wenn man innerhalb der Lehre so viele Möglichkeiten hat und in so viele Sachen reinschauen darf, das ist natürlich unwahrscheinlich attraktiv. Auch für die Jungen, weil gerade heutzutage wissen sie ja manchmal nicht so genau, ja, mache ich mal KV, aber was sie wirklich gerne machen, wissen sie manchmal noch gar nicht so. (Vertretung Ausbildungsbetrieb; P64:

Die Lehre ist natürlich sehr attraktiv geworden [durch den Verbund]. Also ja, wenn man innerhalb der Lehre so viele Möglichkeiten hat und in so viele Sachen reinschauen darf, das ist natürlich unwahrscheinlich attraktiv. Auch für die Jungen, weil gerade heutzutage wissen sie ja manchmal nicht so genau, ja, mache ich mal KV, aber was sie wirklich gerne machen, wissen sie manchmal noch gar nicht so. (Vertretung Ausbildungsbetrieb; P64: