• Keine Ergebnisse gefunden

Das Verbundmodell als neue Form der beruflichen

2 Lehrbetriebsverbünde – ein neues Modell der Berufsbildung

2.4 Das Verbundmodell als neue Form der beruflichen

Das Schweizer Berufsbildungsgesetz definiert Lehrbetriebsverbünde als einen

„Zusammenschluss von mehreren Betrieben zum Zweck, Lernenden in ver-schiedenen spezialisierten Betrieben eine umfassende Bildung in beruflicher Praxis zu gewährleisten“ (Bundesrat, 2003, Artikel 6). Dadurch, dass sich einzelne Betriebe zu einem Lehrbetriebsverbund zusammenschließen, können betriebliche Ressourcen zur Ausbildung Berufslernender gemeinsam genutzt werden. Auf diese Weise können Lernende auch in spezialisierten Betrieben oder Klein- und Kleinstbetrieben ausgebildet werden, die zum Beispiel keine Bildungsbewilligung haben, nicht das ganze Berufsprofil abdecken oder die zeitlichen und personellen Ressourcen für die Rekrutierung und die Betreuung der Lernenden nicht aufwenden können (BBT, 2008, S. 3).

Im Gegensatz zur traditionellen Lehre verbringen Verbundlernende ihre Berufslehre nicht in einem Lehrbetrieb, sondern in mehreren. Sie lernen also nicht – wie dies in Großbetrieben üblich ist – verschiedene Abteilungen ein und desselben Betriebes kennen, sondern wechseln während ihrer Lehrzeit mehrfach den Lehrbetrieb (vgl. Abbildung 2). In den meisten Schweizer Lehr-betriebsverbünden wechseln die Lernenden ihren Ausbildungsplatz im Jahres-rhythmus, jeweils zum Beginn des neuen Lehrjahres. In einigen der größten Schweizer Lehrvertriebsverbünde ist eine Rotation hingegen alle sechs Monate üblich (BBT, 2008, S. 14; eigene Recherche).

Die Koordination der Ausbildung wird in der Regel durch eine überbetrieb-liche Trägerschaft, die sogenannte Leitorganisation, übernommen.4 Diese Leitorganisation hat die formale Verantwortung für die Lernenden; sie verfügt über die Ausbildungsbewilligung, schließt mit den Lernenden den Lehrvertrag ab und vertritt den Verbund nach außen. Die Leitorganisation rekrutiert und selektioniert die Lernenden, teilt ihnen die Ausbildungsplätze zu und betreut sie während der Lehre. Dabei muss sie darauf achten, dass im Laufe der Aus-bildungszeit das gesamte Berufsprofil abgedeckt wird. Die Zuteilung der Lehr-plätze ist eine sehr komplexe Aufgabe: Es müssen nicht nur die formalen An-forderungen der Berufsausbildung und die tatsächlich vorhandenen Ausbil-dungsplätze aufeinander abgestimmt werden, sondern auch die Wünsche der beteiligten Betriebe (und im Idealfall die Interessen der Lernenden) müssen berücksichtigt werden.

Ebenfalls zuständig ist die Leitorganisation für die Akquise und die Betreu-ung der beteiligten AusbildBetreu-ungsbetriebe. Sie unterstützt die AusbildBetreu-ungsbe- Ausbildungsbe-triebe in administrativen Angelegenheiten, Ausbildungsfragen (z.B.

4 In wenigen Verbünden wird diese Funktion nicht von einer überbetrieblichen Träger-schaft, sondern von einem der Verbundbetriebe, dem Leitbetrieb, übernommen.

lehrplänen, Ausbildungszielen) sowie bei schwierigen Situationen mit Lernen-den. In der Regel bietet die Leitorganisation spezifische Ausbildungselemente an, wie zum Beispiele Schulungen und Kurse, aber auch Nachhilfe und syste-matische Prüfungsvorbereitungen. Für sämtliche dieser Dienstleistungen wird die Leitorganisation von den Ausbildungsbetrieben bezahlt.

Die Lernenden werden während ihrer Lehrzeit von der Ausbildungsleiterin oder vom Ausbildungsleiter in der Leitorganisation sowie von den wechseln-den Berufsbildnerinnen und Berufsbildnern in wechseln-den Ausbildungsbetrieben be-treut (geteilte Betreuung). Die Ausbildungsleiterin oder der Ausbildungsleiter hat dabei die offizielle Funktion der Lehrmeisterin bzw. des Lehrmeisters inne.

Abbildung 2: Struktur eines Lehrbetriebsverbunds und Rotation der Lernenden (eigene Darstellung)

Das 1998 von der Deutschschweizerischen Berufsbildungsämter-Konferenz (DBK) herausgegebene „Handbuch Lehrbetriebsverbund“ unterscheidet fol-gende Grundformen von Lehrbetriebsverbünden (zitiert nach Gertsch, 1999, S. 2):

Modell 1a: Ergänzungsausbildung mit Partnerbetrieb(en): Ein Lehrbetrieb lagert einzelne Ausbildungsteile, die er selbst nicht vermittelt kann, in einen anderen Be-trieb (bzw. andere BeBe-triebe) aus.

Modell 1b: Ergänzungsausbildung mit Ausbildungszentrum: Ein Lehrbetrieb lagert einzelne Ausbildungsteile oder die gesamte Grundausbildung der Lernenden an ein externes Ausbildungszentrum (Lehrwerkstätte) aus.

Modell 2: Kleinverbund: Mehrere Firmen mit komplementärem Tätigkeitsbereich schließen sich zu einem Verbund zusammen und gewährleisten die gesamte Ausbil-dung im Austausch. Dabei ist jede Firma für ihren jeweiligen Lehrling allein verant-wortlich oder aber ein Betrieb (Leitbetrieb) kann die Leitfunktion, inklusive aller gesetzlichen Rechte und Pflichten als Lehrmeisterin/Lehrmeister, übernehmen.

Modell 3: Großverbund: Bildung einer rechtsverbindlichen Trägerschaft (Leitorga-nisation), die im Auftrag einer größeren Anzahl Firmen die gesamte Lehrlingsaus-bildung organisiert und verantwortet. Sämtliche Rechte und Pflichten des Lehrmeis-ters inklusive der Lehrverträge werden durch die Leitorganisation wahrgenommen bzw. abgeschlossen. Die an der Ausbildungsgemeinschaft beteiligten Firmen

ver-pflichten sich in einem Verbundvertrag zur Übernahme bestimmter Ausbil-dungsteile. Modell 3 wird heute weiter differenziert in Modell 3a, Großverbund ohne Ausbildungszentrum, und Modell 3b, Großverbund mit Ausbildungszentrum.

In der vorliegenden Forschungsarbeit wird die komplexeste Form von Lehrbe-triebsverbünden, Modell 3, fokussiert. Bei diesem Modell handelt es sich um den Lehrbetriebsverbund im engeren Sinn, bei welchem eine zwischenbetrieb-liche Rotation stattfindet und der Lehrvertrag mit einer überbetriebzwischenbetrieb-lichen Leit-organisation abgeschlossen wird. Die Modelle 1a und 1b werden demgegen-über als zwischenbetriebliche Ausbildungskooperationen bezeichnet und nicht als Lehrbetriebsverbünde. Die Grenzen zwischen diesen beiden Organisations-formen sind jedoch nicht so klar, wie es auf den ersten Blick aussehen mag:

Beispielsweise existieren Großverbünde, bei denen die Lernenden nach der Basisausbildung in der verbundinternen Lehrwerkstätte nur in einem Lehrbe-trieb ausgebildet werden (z.B. libs5). Bei manchen dieser Verbünde wird auch der Lehrvertrag direkt mit dem Lehrbetrieb abgeschlossen (z.B. aprentas6). Bei dieser Verbundform übernimmt die Leitorganisation „nur“ die Rekrutierung, die Selektion und die Grundausbildung der Lernenden.

Zwischenbetriebliche Kooperationen in der Ausbildung Lernender existie-ren in der Schweiz bereits seit Längerem. Laut Gertsch (1999, S. 5) werden Ausbildungskooperationen des Modells 1a, d.h. Ergänzungsausbildung mit Partnerbetrieb(en), „vielerorts seit Jahren praktiziert“. Auch überbetriebliche Lehrwerkstätten (Modell 1b) gehen vereinzelt bis in die 1980er-Jahre zurück.

In der Lehrwerkstätte der Zellulose Attisholz AG, der ersten Ausbildungsko-operation dieses Typs, wurden neben den eigenen Lernenden ab 1985 auch Lernende externer Betriebe ausgebildet (Gertsch, 1999, S. 5).

Lehrbetriebsverbünde im engeren Sinn, bei welchen Lernende ihren Lehr-vertrag nicht mit einem Lehrbetrieb, sondern mit einer überbetrieblichen Leit-organisation abschließen (Modell 3), tauchten in der Schweiz erstmals Mitte der 1990er-Jahre auf. Eine Pionierrolle bei der Entstehung von Lehrbetriebs-verbünden dieses Typs übernahm ABB Schweiz, welche 1996 zwei der ersten privatwirtschaftlichen Lehrbetriebsverbünde, die sogenannten „ABB Lernzen-tren“ (heute libs) und AVIL, gründete. Die Auslagerung der Lernendenausbil-dung an einen eigenständigen Verein und die Öffnung dieses Vereins für an-dere Firmen wurden u.a. forciert durch die zunehmende Spezialisierung der Firma, welche eine alleinige Ausbildungstätigkeit erschwerte, die schwierige Planbarkeit der Lernendenausbildung aufgrund der Abhängigkeit der ABB von konjunkturellen Schwankungen sowie den generellen Trend in Richtung Out-sourcing. „Ziel war es, die Berufsbildung von konjunkturellen Schwankungen zu entkoppeln und damit die Lehrstellen sicherzustellen; die Kosten sollten

re-5 Vgl. www.libs.ch/deine-lehre/lehrablauf; new.abb.com/ch/karriere/einstiegsmoeglich-keiten/schueler.

6 www.aprentas.ch/berufsausbildung.cfm.

duziert und gleichzeitig das hohe Niveau der Ausbildung gehalten und weiter-entwickelt werden“ (ABB, 2011, S. 20). Das von ABB initiierte Modell stieß auf reges Interesse, sowohl vonseiten anderer Unternehmen als auch vonseiten der Berufsbildungspolitik (ebd., S. 21), und wurde schließlich im Rahmen des Lehrstellenbeschlusses als zukunftsweisendes Ausbildungsmodell aufgegrif-fen. Gemäß Angaben des Bundesamtes für Statistik werden gegenwärtig rund drei Prozent aller Lehrverhältnisse in Lehrbetriebsverbünden ausgebildet (Minder, 2017, S. 34).

2.5 Lehrbetriebsverbünde als Lösung für die Probleme der