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Lehrbetriebsverbünde als neue Form der beruflichen

Teil I: Organisatorische Ebene

5 Lehrbetriebsverbünde: Flexibilisierte Berufsbildung im

5.1 Lehrbetriebsverbünde als dezentrale und flexible Form der

5.1.5 Lehrbetriebsverbünde als neue Form der beruflichen

Reorganisation von Arbeit

Die Analysen haben gezeigt, dass die Etablierung der vier Lehrbetriebsver-bünde in vielerlei Hinsicht Folge der postfordistischen Transformation von Ar-beit ist. Jedoch beruht nur einer der vier Verbünde, nämlich Transportnet, auf der konsequenten Umsetzung der neuen kapitalistischen Unternehmensstrate-gien der 1990er-Jahre auf betrieblicher Ebene. In der Restrukturierung des ehe-maligen Staatsbetriebs orientierte sich das Management am Leitbild des schlanken Unternehmens, einer der Schlüsselfiguren der neuen

kapitalisti-schen Rationalität (Boltanski & Chiapello, 2006, S. 112). Da die Berufsbil-dung nicht zum Kerngeschäft des Unternehmens gehört, wurde die für die Be-rufsbildung zuständige Unternehmenseinheit aus der Firma ausgegliedert, rechtlich verselbstständigt und für andere Firmen geöffnet. In der Logik post-fordistischer Unternehmensstrategien verspricht diese dezentrale, durch Markt- und Konkurrenzmechanismen gesteuerte Organisationsweise eine Stei-gerung von Effizienz und Qualität.19

Bei den anderen drei Lehrbetriebsverbünden, Spednet, Ruralnet und In-tegranet, ist der Entstehungskontext etwas komplexer. Die Initiative für den Verbund beruht hier nicht vorrangig auf einer Orientierung an postfordisti-schen Unternehmensstrategien, wie dies bei Transportnet der Fall ist. Vielmehr ist der Verbund in diesen drei Fällen eine pragmatische Reaktion auf die Her-ausforderungen, welche die Transformation des Kapitalismus an die traditio-nelle Berufslehre stellt. Dabei wurde mit dem Verbund eine Form gewählt, welche an den gegenwärtigen kapitalistischen Geist anknüpft und dessen Qua-litätskriterien entspricht (u.a. Vernetzung, Flexibilität, Professionalität, Effi-zienz und Rentabilität) – aus diesem Grund ist die Verbundausbildung für Aus-bildungsbetriebe attraktiv.

Der Wandel von wirtschaftlichen Produktions- und Organisationsmodellen hat dazu geführt, dass sich eine zunehmende Anzahl von Betrieben nicht mehr an der Ausbildung Lernender beteiligen kann oder will. Der Rückgang der An-zahl Lehrstellen in den 1990er-Jahren hatte weitreichende Konsequenzen – nicht nur für die direkt betroffenen Jugendlichen, denen es zunehmend schwer-fiel, eine passende Lehrstelle zu finden. Neben der Lehrstellenkrise wurde – zeitlich leicht verschoben – der Fachkräftemangel als zweite Folge der redu-zierten Ausbildungstätigkeit offensichtlich. In gewissen Branchen, Berufen und Regionen waren Betriebe mit der Tatsache konfrontiert, dass sie für offene Stellen keine qualifizierten Fachkräfte finden konnten.

Spednet, Ruralnet und Integranet wurden alle als Reaktion auf diese Prob-lematik gegründet. Im Gegensatz zu Transportnet ist der Bezugspunkt dieser Verbünde nicht die Effizienzsteigerung der betrieblichen Ausbildung im Ein-klang mit modernen Managementdiskursen, sondern die Schaffung von Aus-bildungsplätzen, welche ohne den Verbund nicht zustande kommen würden.

Allerdings haben diese drei Verbünde jeweils einen leicht unterschiedlichen Fokus: Während Spednet den Fachkräftemangel in der Speditionsbranche be-kämpft, ist Ruralnet darum bemüht, mittels Ausbildungsplätzen und qualifi-zierter Fachkräfte die Situation einer wirtschaftlichen Randregion zu verbes-sern. Integranet wiederum bezweckt mit dem Verbund die Integration sozial

19 Moderne Managementdiskurse begründen die größere Effizienz dezentraler Organisa-tion mit der Stärkung der Kundenorientierung und des Unternehmerdenkens sowie, im Fall des Outsourcings, zusätzlich mit einer effizienteren Ressourcenallokation, Skalen-effekten, Spezialisierung u.a. (Irle, 2011, S. 34; Minssen, 2012, S. 55 f.).

benachteiligter Jugendlicher in das Erwerbsleben. Tabelle 7 gibt zusammen-fassend einen Überblick über Entstehungskontext, Bezugsrahmen und Ver-bundzweck der vier Lehrbetriebsverbünde.

Tabelle 7: Entstehungskontext und operative Logik der vier Lehrbetriebsverbünde (eigene Darstel-lung)

Initiant Bezugsrahmen Verbundzweck Dominante Konventionen

Berufsbera-tungszentrum Integration Schaffung von Ausbil-dungsmöglichkeiten für

Aus der Sicht der Ausbildungsbetriebe lassen sich über alle vier Verbünde hin-weg drei zentrale Themen als Triebfedern für die Beteiligung herauskristalli-sieren: Die Orientierung an der Logik des Outsourcings, die Unfähigkeit allein das Berufsprofil abzudecken, sowie die Ablehnung der Verbindlichkeiten der traditionellen Berufslehre.

Orientierung an der Logik des Outsourcings

Danach gefragt, wieso sie dem Verbund beigetreten seien, beziehen sich rund zwei Drittel der befragten Ausbildungsbetriebe auf die Diskurslogik des Out-sourcings. Die Verbundausbildung ist für sie eine Make-or-Buy-Entscheidung.

Bezugspunkt für die Entscheidung, sich an der Verbundausbildung zu beteili-gen, ist die Frage danach, was effizienter sei – die eigenständige Ausbildung oder die Auslagerung der Berufsbildung in eine darauf spezialisierte Partner-firma. In den Interviews äußert sich diese Überlegung oft insofern, als die zeit-liche Belastung der Mitarbeitenden bei eigenständiger Ausbildung mit den Kosten der Verbundausbildung abgewogen wird. Während einige der großen Verbundbetriebe die Kostenvorteile der Verbundausbildung einer wissen-schaftlichen Evaluation unterzogen haben, traf ein Großteil der befragten

Be-triebe die Make-or-Buy-Entscheidung nicht auf der Grundlage einer tatsächli-chen Vollkostenrechnung. Vielmehr orientieren sie sich an als bewährt gelten-den Best-Practice-Verfahren und Wissensbestängelten-den aktueller Managementdis-kurse wie beispielsweise „Die Fokussierung auf das Kerngeschäft führt zu hö-heren Profitraten“, oder „Die Fremdvergabe von Nebentätigkeiten an darauf spezialisierte Zulieferer ist kosteneffizienter als die Eigenerstellung“ (vgl. z.B.

Irle, 2011; Kammerloch, 2014).

Laut Türk (1989, S. 131) agieren Wirtschaftsunternehmen in „hochgradig institutionalisierten Kontexten und Vorstellungen, (…) auf welche Weise be-stimmte Güter und Dienstleistungen ‚rational‘ zu produzieren sind“. Der aktu-elle (Management-)Diskurs legt fest, „welche Praktik – auch im Unterschied zu anderen denkbaren Praktiken – rational, effizient, modern etc. ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob diese Eigenschaften tatsächlich erfüllt sind (was ohnehin kaum zu beurteilen ist), sondern dass diese Eigenschaften der jeweili-gen Praktik von den Feldmitgliedern zugeschrieben werden“ (Minssen, 2012, S. 54).

Die Erwartung vieler Ausbildungsbetriebe, dass die Auslagerung der Be-rufsbildung effizienter, d.h. kostengünstiger sei als die eigenständige Ausbil-dung, wird jedoch in manchen Fällen enttäuscht. Auch die BBT-Studie zu Lehrbetriebsverbünden kommt zum Schluss, dass die berufliche Grundbildung im Lehrbetriebsverbund in der Regel die Ausbildungsqualität erhöhe, jedoch zugleich leicht höhere Kosten verursache als die traditionelle Berufslehre (BBT, 2008, S. 24, 26). Dies kann zu anhaltenden Spannungen zwischen Leit-organisation und einzelnen Verbundbetrieben führen:

Es ist immer wieder Thema, dass sie teuer sind. (…) Wobei ich nicht das Gefühl habe, dass man es günstiger machen könnte. (Ausbildungsbetrieb Transportnet; P58: 174) Wir haben jetzt angefangen, selbst auszubilden. Und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Ich kann den Ausbildungsverbund nicht mehr bezahlen. (…) Es ist günstiger, wenn man es selbst macht. (Ehemaliger Ausbildungsbetrieb Integranet; P69: 31)

Unfähigkeit, das Berufsprofil abzudecken

Die Hälfte der befragten Verbundbetriebe gibt an, dass sie den Beruf, welchen die Lernenden im Verbund erlernen, ohne den Verbund nicht ausbilden könn-ten. Hierbei handelt es sich schwerpunktmäßig um die KV-Ausbildungen (Kauffrau/Kaufmann Dienstleistung und Administration, Kauffrau/Kaufmann Internationale Speditionslogistik und Kauffrau/Kaufmann öffentlicher Ver-kehr). Daneben betrifft dies – wie in Kapitel 5.1.4 ausgeführt – in paradigma-tischer Weisen den Beruf Fachfrau/Fachmann Betreuung mit generalistischem Profil sowie den Beruf des Gleisbauers, welcher gemäß der Bildungsverord-nung sowohl auf Schotter als auch auf der Straße ausgebildet werden muss.

Dies kann für städtische Verkehrsbetriebe beispielsweise dann ein Problem darstellen, wenn sich ihre Schienen ausschließlich auf der Straße befinden (P54: 503):

[Gleisbauer] wollten wir eigentlich selbst ausbilden, haben dann aber zusammen mit dem BBT herausgefunden, dass wir nicht alles bieten können. (…) Unsere Schienen sind in der Straße. (Städtischer Verkehrsbetrieb, Ausbildungsbetrieb Transportnet; P52: 68)

Zum einen liegt das im Vergleich zum Berufsprofil eingeschränkte Tätig-keitsspektrum vieler Betriebe an der zunehmenden Dezentralisierung von Un-ternehmen. Outsourcing, internationale Standortverlagerung sowie die Spezi-alisierung auf immer enger gefasste Tätigkeitsbereiche haben zur Folge, dass Unternehmen vielfach nicht mehr in der Lage sind, das gesamte Tätig-keitsspektrum eines bestimmten Ausbildungsberufs abzudecken. Zum anderen haben Bildungsreformen dazu geführt, dass eine wachsende Anzahl von Be-trieben das in der Bildungsverordnung geforderte fachliche Spektrum nicht ab-decken kann. Denn parallel zur zunehmenden Ausdifferenzierung von Tätig-keitsbereichen auf der Ebene der Unternehmensorganisation lässt sich auf der Ebene der Regulation der Berufsbildung eine gegenläufige Tendenz zur Aus-weitung von Berufsprofilen feststellen. Im Kontext von diskontinuierlichen Er-werbsbiografien und zunehmender Arbeitsmarktunsicherheit zielen Bildungs-reformen seit 2004 darauf ab, berufliche Mobilität, Durchlässigkeit und An-schlussfähigkeit in einem relativ breit gefassten Berufsfeld zu befördern (Bun-desrat, 2010; Renold, Frey & Balzer, 2002, S. 53). Hierbei handelt es sich um eine bildungspolitische Reaktion auf die Transformation von Arbeit:

Das Berufsbildungsgesetz BBG trägt dem markanten Wandel in der Berufs- und Arbeits-welt Rechnung und passt sich an neue Bedürfnisse an. (…) Der Strukturwandel in der Wirtschaft stellt traditionelle Berufsbilder zum Teil in Frage und verlangt nach übergrei-fenden Lösungen. (SBFI, o.J., o.S.)

Ablehnung der Verbindlichkeit traditioneller Ausbildungsverhältnisse Ein kleiner Teil der befragten Betriebe, rund ein Fünftel, beteiligt sich am Ver-bund, weil die Verbundausbildung eine größere Flexibilität bezüglich der An-stellungsverhältnisse und der Ausbildungsbedingungen ermöglicht. Hierbei handelt es sich häufig um kleine Betriebe, welche kaum einen Bedarf an Nach-wuchskräften haben und Lernende als (günstigere) Alternative zu ausgelern-tem Personal beschäftigen (produktionsorientierte Ausbildungsstrategie, vgl.

Kapitel 3.3.2). Die Beteiligung an der Berufsbildung wird von diesen Betrie-ben nach den MaßstäBetrie-ben der Markt- und Projektwelt beurteilt. Auf dieser Grundlage ist ‚rational‘, was größtmöglichen Profit und maximale Flexibilität ermöglicht. Die Lernendenausbildung ist nicht eine langfristige Investition in die Personalplanung (investitionsorientierte Ausbildungsstrategie), sondern muss sich kurzfristig auszahlen.

Während die traditionelle Lehre Verantwortung, Verbindlichkeit und enge Vorgaben mit sich bringt, bietet die Verbundausbildung die Möglichkeit, mit der Leitorganisation Arrangements auszuhandeln, welche flexibel auf die spe-zifische Situation der Betriebe abgestimmt sind und sich darum rentieren. Oft ist das Ausbildungsjahr auf das betriebliche Spezialgebiet abgestimmt und bei

den beiden kleinen Verbünden kann die Anzahl der Lernenden relativ kurzfris-tig an die aktuelle Auftragslage angepasst werden. Das unverbindliche, oppor-tunistische Ausbildungsverhältnis impliziert, dass Probleme an die Leitorgani-sation delegiert und „schlechte“ Lernende retourniert werden können. Auf diese Weise gerahmt steht die Verbundbeziehung in perfektem Einklang mit den Maximen des neuen kapitalistischen Geistes: Effizienz, Funktionalität, Flexibilität, Kurzfristorientierung, Profitmaximierung, Autonomie und Eigen-verantwortung.

Weitere Beteiligungsmotive

Im Kontext des demografischen Wandels und der gesellschaftlichen Privile-gierung akademischer Laufbahnen hat die Konkurrenz um leistungsstarke Schulabgängerinnen und Schulabgänger spürbar zugenommen. In einigen der Interviews wurde thematisiert, dass die Rekrutierung von geeigneten Lernen-den zunehmend schwieriger werde. Aus diesem Grund seien das Image des Lehrbetriebs und die Attraktivität der Ausbildung von großer Bedeutung. Die Größe und die Bekanntheit des Verbunds wie auch die Anziehungskraft des Rotationsprinzips der Verbundausbildung erleichtern den betreffenden Inter-viewpartnerinnen und Interviewpartnern zufolge die Rekrutierung von leis-tungsstarken Lernenden.

Einige wenige der befragten Ausbildungsbetriebe beteiligen sich an der Verbundausbildung, weil sie dadurch Zugang zum Netzwerk erhalten, welches durch den Lehrbetriebsverbund konstituiert wird. Dieses Motiv ist in erster Li-nie für die beiden privatwirtschaftlich initiierten, branchenhomogenen Ver-bünde relevant.

Nur für drei der befragten Mitgliedsbetriebe der staatlich initiierten Ver-bünde ist die Unterstützung des staatsbürgerlichen Engagements des Ver-bunds ein zentraler Grund für ihre Beteiligung an der Verbundausbildung.

Auch in den staatlich initiierten Verbünden überwiegen Motive, welche auf betriebswirtschaftlichen Überlegungen oder gesetzlichen Bedingungen (Abde-ckung des Berufsprofils als Voraussetzung für Bildungsbewilligung) beruhen.

Neben diesen betriebs- und verbundübergreifenden Beteiligungsmotiven existiert eine Vielzahl von weiteren Motiven, welche auf der je spezifischen Situation einzelner Betriebe beruhen. Die folgende Tabelle 8 gibt einen Über-blick über die zentralen Beteiligungsmotive der Ausbildungsbetriebe.

Tabelle 8: Beteiligungsmotive der Ausbildungsbetriebe (eigene Darstellung)

Motiv Konvention(en) Transportnet Spednet Ruralnet Integranet Kostenreduktion dank

Outsourcing Markt, Netzwerk *** *** *** *

Qualitätssteigerung

dank Outsourcing Industrie, Netzwerk *** * * *

Unfähigkeit, das

Be-rufsprofil abzudecken Staatsbürgerlichkeit,

Industrie * ** ** **

Größere Flexibilität der

Ausbildung Netzwerk, Markt ** *

Besseres

Rekrutierungspotenzial

Meinung, Inspiration,

Markt * * *

Zugang zum Netzwerk Netzwerk * *

Unterstützung des

sozialen Engagements Staatsbürgerlichkeit * *

* Von einem Einzelnen bis zu einem Drittel der befragten Verbundbetriebe als Beteiligungsmotiv ge-nannt

** Von mehr als einem Drittel bis zu zwei Dritteln der befragten Verbundbetriebe als Beteiligungsmotiv genannt

*** Von mehr als zwei Dritteln der befragten Verbundbetriebe als Beteiligungsmotiv genannt

Dezentralisierung und Flexibilisierung, insbesondere Outsourcing, sowie eine flexible Personalpolitik gelten im Feld als weitgehend unhinterfragte Strate-gien, um Kosten zu senken. Aus der Sicht der Ausbildungsbetriebe ist die Ver-bundausbildung eine durch die neue kapitalistische Rationalität (den neuen Geist des Kapitalismus) nahegelegte Form der Berufsbildung. Im Licht „mo-derner“ Unternehmens- und Personalführung erscheint der Verbund als Lö-sung für tatsächliche oder als solche wahrgenommene Probleme: die Diver-genz von betrieblichem Tätigkeitsspektrum und Berufsprofil; die Bindung von Personal und Ressourcen an wenig profitable Nebengeschäftsbereiche; die In-flexibilität und Ineffizienz der traditionellen Berufslehre; die Schwierigkeiten, geeignete Lernende zu rekrutieren u.v.a.m.

Entgegen den vorgängigen Erwartungen spielen die veränderten Kompe-tenzanforderungen an Arbeitnehmende, insbesondere der Fokus auf Flexibili-tät und Selbstorganisation (bzw. das größere Potenzial von Lehrbetriebsver-bünden, diese Kompetenzen zu fördern), als Beteiligungsmotiv nur eine unter-geordnete Rolle. Die bessere Ausbildungsqualität der Verbundausbildung wird zwar von rund einem Drittel der befragen Betriebe als Beteiligungsmotiv ge-nannt. Jedoch beziehen die meisten der Interviewpartnerinnen und Interview-partner diese größere Qualität auf die Logik des „schlanken Unternehmens“

und nicht auf das Rotationsprinzip. Die Leitorganisationen sind Vollprofis, Ex-pertinnen und Experten bzw. Spezialistinnen und Spezialisten bezüglich der Berufsbildung, da diese ihr Kernbereich ist. Folgendes Zitat eines Verbundbe-triebs von Transportnet verdeutlicht diese Rationalität:

[Transportnet] macht einen sehr guten Job. Sie haben ein sehr großes Know-how. (…) Sie sind dort Spezialisten. (…) Wir können gewisse Aufgaben an Vollprofis abgeben und müssen uns nicht um gewisse Dinge kümmern. Dafür wird es dort, anstatt dass wir das halbprofi- oder nicht mal halbprofimäßig machen, wird es dort sehr professionell ge-macht mit den nötigen Instrumenten. (Vertretung Ausbildungsbetrieb; P56: 82)

Ungenügende Projektqualitäten der Lehrabgängerinnen und Lehrabgänger bzw. der Nachwuchskräfte sind in keinem der untersuchten Fälle das aus-schlaggebende Motiv für den Beitritt zum Lehrbetriebsverbund. Die Förderung dieser Kompetenzen wird aber (zumindest auf Nachfrage hin) durchaus als Vorteil der Verbundausbildung gesehen. Bei Spednet, Ruralnet und Integranet liegt dies zum einen daran, dass viele der befragten Ausbildungsbetriebe die Lernenden nach Lehrabschluss nicht übernehmen. Sie nehmen die Lernenden deshalb nicht als zukünftigen Nachwuchs wahr, sondern als temporäre Arbeits-kräfte, die im betrieblichen Alltag die weniger anspruchsvollen und routini-sierten Aufgaben erledigen (produktionsorientierte Ausbildungsstrategie).

Vor diesem Hintergrund ist die Förderung überfachlicher Kompetenzen aus betrieblicher Perspektive weniger relevant. Zum anderen wird ersichtlich, dass die Ausbildung von „breitem“ Fachwissen und überfachlichen Kompetenzen auf Kosten eines „tiefen“ fach- und betriebsspezifischen Spezialwissens geht, was aus betrieblicher Perspektive durchaus ambivalent beurteilt wird. Hierbei zeichnet sich ein Konflikt zwischen konkreten betrieblichen Verwertungsinte-ressen und einem diskursiv konstituierten Ausbildungsideal ab. Ein Inter-viewpartner beispielsweise berichtet, dass die Lernenden nach Lehrabschluss zwar eine breite Grundbildung hätten, im Unternehmen selbst aber nur bedingt einsetzbar seien:

Wir müssen die [Lehrabgängerinnen und Lehrabgänger] anschließend weiter ausbilden, damit sie dann wirklich fit sind, um hier eine Position zu besetzen, wo man sie wirklich voll einsetzen kann. Das hat mit der Erfahrung zu tun, mit der Ausbildung, aber auch mit dem Fachwissen, wo eben [ein Einsatz von einem Jahr] nicht reicht. (Vertretung Ausbil-dungsbetrieb Transportnet; P60: 393)

Etablierung des Verbundmodells aus konventionensoziologischer Perspektive Jeder kapitalistischen Produktionsphase liegt laut Boltanski und Chiapello (2001, S. 185 f.) ein spezifischer Kompromiss zwischen konkurrierenden Wer-tigkeitsordnungen (der „kapitalistische Geist“) zugrunde. Dieser setzt die Maßstäbe, mittels welcher die Qualität von Organisationsstrukturen, Personal-führung, Arbeitnehmenden etc. evaluiert wird, und hat entsprechend spezifi-sche Managementdiskurse und betriebswirtschaftliche Strategien zur Folge.

Die Transformation des kapitalistischen Geistes impliziert neue Qualitäts-maßstäbe und entsprechend neue Formen „guter“ Organisation und Personal-führung. Denn die Verschiebung von Maßstäben der Qualität und Anerken-nung führt dazu, dass Unternehmens- und Personalführung re-formiert werden mussten, um aus der Perspektive neuer Wertigkeitsvorstellungen „Größe“ zu haben.

Auch die berufliche Grundbildung ist von der Transformation des kapita-listischen Geistes betroffen. Im Licht der neuen Rationalität „guten“ Wirt-schaftshandelns wird die bisherige Form der Berufsbildung, Produkt des alten Kompromisses, kritisch evaluiert. Da sich die Maßstäbe der Evaluation ver-schoben haben, liegt es auf der Hand, dass die traditionelle Form der Berufs-lehre diesen neuen Qualitätsvorstellungen nicht entspricht. Zudem stellte die Transformation der kapitalistischen Produktionsweise, insbesondere die stra-tegische Dezentralisierung und die externe Flexibilisierung, die bisherige Or-ganisation der dualen Berufslehre vor grundlegende praktische Herausforde-rungen (keine Bildungsbewilligung wegen eingeschränkten Tätigkeitsspekt-rums, zu komplexe Arbeit für Erstlehrjahrlernende u.a.).

Die Notwendigkeit, in eine neue Form der Berufsbildung zu investieren, beruhte zum einen auf diesen konkreten, praktischen Schwierigkeiten, zum an-deren auf der Kritik an der traditionellen Berufslehre, insbesondere aus den Welten der Industrie, des Netzwerks und des Marktes – denjenigen Welten, welche den Kern des neuen kapitalistischen Geistes bilden. So hat die Analyse gezeigt, dass die traditionelle Berufsbildung in den Interviews als zu teuer, ineffizient und unprofessionell, als inflexibel und nicht marktfähig problemati-siert wurde. Kritiproblemati-siert wurden zudem auch die zu große Verantwortung für Ler-nende, ein Archaismus der häuslichen Welt, sowie die zu einseitige und spezi-alisierte Fachausbildung, ein Resultat der unhinterfragten Dominanz der in-dustriellen Rechtfertigungsordnung im kapitalistischen Geist der fordistischen Ära.

Die Analyse hat jedoch gezeigt, dass im Feld der Berufsbildung auch die staatsbürgerliche Konvention an Bedeutung gewonnen hat. So beruht die stär-kere Regulierung der Berufsbildung auf der staatsbürgerlichen Kritik an der traditionellen Lehre. Die Bildungsverordnung stellt einen Kompromiss zwi-schen marktlichen und industriellen Prinzipien einerseits (betriebliches Ver-wertungsinteresse in der Berufsbildung) und staatsbürgerlichen Prinzipien an-dererseits (Schutz der Lernenden, Vermittlungsfähigkeit nach Lehrabschluss) dar. Zudem wird im Kontext des demografischen Wandels auch die Meinung als Wertigkeitsordnung wieder wichtiger: Damit leistungsstarke Schulabgän-gerinnen und Schulabgänger rekrutiert werden können, müssen diese den Lehrbetrieb und die Berufsausbildung als attraktiv wahrnehmen.

Lehrbetriebsverbünde können als Re-Formierung der Berufsbildung im neuen Geist des Kapitalismus gesehen werden. Sie stellen eine Antwort dar auf

die Verschiebung der Qualitätsmaßstäbe für wirtschaftliches Handeln im All-gemeinen (neuer Kompromiss zwischen Industrie, Netzwerk und Markt) wie auch für die Berufsbildung im Speziellen (stärkere Gewichtung von staatsbür-gerlichen Prinzipien und Meinung).

5.2 Erweiterte Anforderungen an Flexibilität und