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4. F ORSCHUNGSERGEBNISSE

4.1. Belastungen

4.1.3. Soziale Belastungen

Durchgängig bedeutet die psychische Krankheit für die Angehörigen einen großen Zeit-aufwand, der für die Betreuung der Erkrankten und die zusätzlichen Aufgaben nötig ist.

Damit bleibt kaum Zeit, soziale Kontakte zu pflegen, eigenständige Unternehmungen zu machen oder Freunde zu treffen:

„[Die zweite große Belastung] war, dass mein Sozialleben sehr darunter gelit-ten hat. Das hat sich fast gegen null reduziert.“ (T2: 219-220)

Die Mutter eines an Schizophrenie Erkrankten beschreibt, dass sie für Hobbies und eige-ne Interessen keieige-ne Zeit mehr hatte, praktisch nur mehr für den Erkrankten da war, und auch, dass sie das Haus nicht mehr verlassen wollte aus Sorge, der Sohn könnte ihre Unterstützung benötigen. Sogar für den eigenen Partner war zu wenig Zeit da, sodass dieser sich vernachlässigt fühlte. Jene Mutter erzählt:

„Mein Lebensgefährte, der hat mir schon vorgeworfen, ich habe immer nur Zeit für ihn [den kranken Sohn] […]. Dadurch ist es schon sehr oft eigentlich zu Streitereien gekommen.“ (T1: 747-749)

Die Zeit, die dann nach einem anstrengenden Tag noch frei verfügbar ist, kann womög-lich nicht wie gewünscht genutzt werden, wenn man zu erschöpft dazu ist. Ein Angehöri-ger berichtet, dass er tagsüber so gefordert ist, dass er auch in seiner freien Zeit zu kraft-los ist, um noch persönlichen Interessen nachzugehen:

„[Wenn Frau und Kinder im Bett sind] und ich meine Abende daheim verbrin-ge, [bin ich] aber trotzdem zu müde, um noch irgendetwas zu machen.“ (T2:

388-390)

Ein weiterer Aspekt ist die Selbstbeschränkung Angehöriger aus Solidarität mit dem/der Kranken. Psychisch Kranke ziehen sich oft zurück und verlassen das Haus nur noch sel-ten, gemeinsame Freizeitgestaltung außer Haus ist kaum mehr möglich. Aus Rücksicht-nahme auf die geringe Belastbarkeit des/der Erkrankten bzw. weil sie den Kranken/die Kranke nicht alleine zurücklassen wollen, werden die eigenen Wünsche und Bedürfnisse oft zurückgestellt. Das kann dazu führen, dass soziale Aktivitäten drastisch reduziert wer-den, auf Abwechslung und Unternehmungen verzichtet und in der Freizeit ebenfalls das Haus kaum noch verlassen wird. Der monotone ereignisarme Alltag wird dann für die Angehörigen zur Belastung.

Eine betroffene Ehefrau eines depressiv Erkrankten berichtet:

„[Es ist] insofern schwierig, [da] ich ja eigentlich ein sehr lebenslustiger Mensch […] bin. Das hat mich zwischendurch schon verdrossen. Wenn du die ganze Woche arbeiten gehst und am Wochenende wieder daheim hockst

— irgendwann fällt dir die Decke auf den Schädel.“ (T3: 613-616) Sie schildert, dass sie sich dadurch komplett eingeschränkt fühlte:

„Komplett. Das einzige war zwischendurch ab und zu einmal ein Besuch bei meinen Eltern. Da war er aber auch nicht lange, weil er sich nicht wohlgefühlt hat. Sonst eigentlich gar nichts.“ (T3: 633-634)

4.1.3.2. Schuld, Stigma und Scham Schuld

Angehörige berichten, dass sie im Zusammenhang mit vermuteten Krankheitsursachen immer wieder mit Schuldzuweisungen, besonders von der eigenen Familie, zu kämpfen haben.

Auf die Frage, ob es in der Familie Schuldzuweisungen, etwa im Zusammenhang mit einer falschen Erziehung, gegeben habe, berichtet die Mutter eines schizophrenen Soh-nes von den Vorwürfen ihres Bruders:

„[Schuldvorwürfe,] ja, das hat es massiv gegeben. Und jetzt ist es aber so, dass der Sohn meines Bruders, der ganz anders erzogen wird, auch Auffäl-ligkeiten zeigt, und jetzt haben sich diese Schuldzuweisungen reduziert.“ (T5:

190-192)

Eine andere Mutter schildert in ähnlicher Weise:

„Das habe ich auch schon einmal gehört: ‚Du hast ihn viel zuviel verwöhnt!‘

Das lasse ich nicht gelten, das hat mit der Krankheit überhaupt nichts zu tun.“

(T1: 709-710)

Auch wenn keine der interviewten Mütter sich selbst verantwortlich für die psychische Krankheit ihres Kindes fühlt oder über dezidierte Schuldgefühle berichtet, bleiben doch diffuse Zweifel, ob in der Erziehung nicht etwas falsch gemacht oder verabsäumt wurde:

„Natürlich [fragt man sich], was habe ich jetzt schlecht gemacht, was habe ich falsch gemacht. Natürlich weiß man — ich meine jede [Mutter] hat viel falsch gemacht. […] Ich meine im Nachhinein, wer weiß, ob unser Druck irgendwie die Schule zu machen auch zu groß war.“ (T6: 1043-1044, 65-66)

Das Thema Schuld betrifft aber nicht nur Eltern, auch PartnerInnen können vom sozialen Umfeld mit der Schuldfrage konfrontiert werden — beispielsweise mit der Vermutung, es müsse Fehler im partnerschaftlichen Umgang gegeben haben, wenn eine/r der Partne-rInnen an Depression erkrankt.

Stigma und Vorurteile

Vorurteile gegenüber psychisch Kranken sind weit verbreitet. Angehörige berichten von belastenden Erlebnissen — auch innerhalb der eigenen Familie. Weil eine Depression von außen nicht einfach sichtbar ist, sehen sich Betroffene und mitbetroffene Angehörige mit Unverständnis und Ablehnung konfrontiert. Außenstehende können oft ein Nicht-Wollen nicht von einem Nicht-Können unterscheiden. Die Symptome der Krankheit wer-den als Faulheit, Willensschwäche oder Mangel an Charakter interpretiert. Die Mutter eines schizophren Erkrankten berichtet über die ursprüngliche Einstellung der Großmut-ter zur Krankheit:

„Meine Mutter hat zuerst […] sich gedacht, er ist faul, weil er nicht arbeiten geht. Dabei hat er nicht können. Er hat ja nicht können.“ (T1: 183-185)

Eine Ehefrau berichtet über das verletzende Verhalten ihrer Eltern dem kranken Ehe-mann gegenüber:

„Wie er die Berufsunfähigkeit gekriegt hat, die befristete, dann hat sich mein Vater aufgeregt. ‚Ich verstehe das sowieso nicht! Der kann hackeln gehen!

[…] Der hat ja nichts!‘“ (T3: 173-175)

Psychisch kranke Menschen werden leider immer wieder abwertend behandelt und nicht ernst genommen. Besonders kränkend empfindet jene Frau, dass ihr Mann aufgrund sei-ner Krankheit bei den Eltern nichts galt – er fühlte sich „unterste Schublade“ (T3: 159):

„Er [der Ehemann] hat ja nie bei irgendetwas recht […] so abwertend ist das.

Quasi, du wirst ja nicht für voll genommen. Und dabei verstehe ich es insofern nicht, weil meine Mutter hat eine Tante gehabt, die auch Depressionen hatte, die Selbstmord verübt hat, ja, und da hat sie das sehr wohl verstanden. Und wenn es mit ihrer Tante damals, der Tante [...], wenn es ihr schlecht gegan-gen ist, dann hat sie alle Vorhänge zugemacht und ist im Finstern im Zimmer gelegen. Dann hat sie sich wieder für ein paar Wochen ins Spital gelegt, dann ist es gegangen. Und das hat die Mutter alles verstanden, aber bei ihm nicht.

Und das sind Sachen, mit denen ich dann nicht klar komme.“ (T3: 714-723)

Für sie ist es sehr traurig, dass sie mit ihren Eltern trotz zahlreicher Versuche nicht über die Krankheit des Mannes sprechen kann:

„Darum habe ich auch gesagt, ich erzähle nichts mehr. Ich sage auch nichts.

Es fragt auch keiner, ist wurscht. […] Aber es tut weh. Es tut schon weh.“ (T3:

727-728, 150)

Stigmatisierungen und nach wie vor verbreitete Vorurteile über psychisch Kranke sind ein Grund, warum diese Krankheiten bis heute oft ein Tabu sind. Angehörige fragen sich, ob sie sich trauen können, zu FreundInnen und Bekannten offen über die Krankheit ihres Familienmitgliedes zu sprechen.

Die Interviewten berichten, dass sie vor allem am Beginn der Erkrankung Bedenken ge-habt haben, da sie nicht gewusst haben, wie die Leute reagieren würden:

„Ich muss sagen, ich habe mich gefürchtet vor — nein, ich habe lang über-legt, wie wir tun sollen, […] Bis zum Erkrankungszeitpunkt meines Sohnes haben wir nie darüber gesprochen, nach außen hin auch nicht. […] Und wie mein Sohn aber dann selber gesagt hat, er möchte darüber sprechen, wie er dann auch seinen Studenten[kollegen] das erzählt hat, habe ich auch ange-fangen darüber zu sprechen. Vorher wollte ich das nicht ohne seine Zustim-mung, weil ja indirekt dann bei den anderen der Verdacht aufkommt, man ist nicht mehr ernst zu nehmen mit einer psychischen Erkrankung.“ (T5: 244-245, 250-255)

Einerseits besteht der Wunsch, über belastende Situationen und Erlebnisse zu erzählen, zugleich gibt es aber auch Bedenken, ob man sich ohne Nachteil offenbaren kann:

„Manchmal habe ich schon das Gefühl, darüber jetzt reden zu wollen mit mei-nen Freunden, aber irgendwie hält mich etwas zurück, obwohl ich glaube, dass es mich manchmal schon sehr erleichtern würde.“ (T4: 159-161)

Es ist notwendig sich zu überlegen, wem man wieviel anvertraut. Ein Ehemann erzählt, dass er über die Depression seiner Frau schon eher offen gesprochen hat, äußert sich aber auch enttäuscht über einzelne stigmatisierende Erfahrungen:

„So einzelne Personen, wo ich mir gedacht habe, das wäre jetzt gescheiter gewesen, ich hätte nichts gesagt. Aber so grundsätzlich habe ich da jetzt kei-ne schlechten Erfahrungen gemacht.“ (T2: 306-308)

Unverständnis

Belastend ist, wenn Angehörige mit niemandem im sozialen Umfeld über die Krankheit sprechen können, weil dieses von Unverständnis geprägt ist. Gut gemeinte Ratschläge sind im besten Fall nicht hilfreich, im schlechteren eine zusätzliche Belastung. Eine Mut-ter erzählt über ein Gespräch mit ihrem Cousin in der Zeit, als sie versuchte, ihren krank-heitsuneinsichtigen Sohn, der auf der Straße lebte, zu einer Behandlung zu bringen:

„Und sagt der Cousin zu mir: ‚Du musst ihn [den kranken Sohn] ganz einfach [lassen], er muss da selber an die Wand rennen.‘ ‚Du‘, habe ich gesagt, ‚der merkt das nicht, er ist krank.‘“ (T1: 162-164)

„Und dann die blöde Ansage von den Verwandten: ‚Kümmere dich nicht um ihn [den kranken Sohn], schau auf dein Leben‘ — Das ist ja auch mein Leben!

Das ist ja der Sohn!“ (T1: 409-410)

Scham

Das Verhalten von psychisch Erkrankten kann auch auffällig sein, was für Angehörige unangenehm oder peinlich sein kann, zum Beispiel wenn das kranke Familienmitglied in einem Lokal zu schreien und schimpfen beginnt, worüber eine der Interviewpartnerinnen berichtet.

Auch eine Schwester einer Erkrankten schildert Schamgefühle im Zusammenhang mit emotionalen Ausbrüchen:

„Früher war es mir auch manchmal peinlich meine Freunde mit nach Hause zu nehmen, einfach weil dann plötzlich losgeschrien wird, oder so, ohne Grund, dann ist das schon sehr unangenehm vor den Freunden.“ (T4: 110-113)

4.1.3.3. Fehlende soziale Unterstützung

Alle Angehörigen berichten darüber, dass sie sich in ihrer schwierigen, belastenden Lage eine soziale Unterstützung wünschen — vor allem von den näheren Verwandten, den Eltern und Geschwistern. Angehörige leiden darunter, wenn sie keine solche Unterstüt-zung erfahren, wenn sie weder eine emotionale Entlastung noch praktische Hilfe erwar-ten können.

Eine Ehefrau, die in Bezug auf die Krankheit ihres Mannes keinerlei Unterstützung sei-tens ihrer Verwandtschaft erhielt, da diese völliges Unverständnis und Ablehnung zeigte, fühlte sich mit den täglichen Anforderungen alleine gelassen. Sie beklagt, dass ihre Fami-lie ihr nie zur Seite stand, sie fühlte sich im Stich gelassen:

„Ich muss ganz ehrlich sagen, ich war das ganze Leben lang, was die Krank-heit von meinem Mann betrifft, auf mich allein gestellt. Ich habe seitens mei-ner Familie nie eine Unterstützung gehabt. […] Wenn man das im Nachhinein so Revue passieren lässt, tut es schon weh. […] Und jetzt sind wir komplett auf Distanz [zu den Eltern]. […] Es ist traurig, wenn du keine Unterstützung hast auf der einen Seite, wichtig gewesen wäre es schon.“ (T3: 101-103, 117, 164, 552-553)

Eine Mutter berichtet, dass die Verwandten zwar erst schon Verständnis und Bereitschaft zur Unterstützung gezeigt hätten, aber dann tatsächlich vor dem schwierigen Umgang mit dem schizophrenen Sohn zurückgeschreckt sind. Sie hätte sich vor allem praktische Un-terstützung gewünscht, um zeitlich entlastet zu sein. Letztlich blieb sie, überlastet und erschöpft, mit den konkreten Aufgaben alleine:

„In der Zwischenzeit haben sich alle aus Überforderung zurückgezogen, da bin wirklich ich alleine übriggeblieben. Sie haben zwar mit mir telefonisch Kontakt gehalten, aber das war für mich oft noch eine Zusatzbelastung. Mir wäre es eigentlich lieber gewesen, sie hätten die Zeit mit ihm verbracht und mich zeitlich abgepuffert. Das möchte aber auch keiner.“ (T5: 172-176)

Vor allem hätte sie sich erwartet, dass die Verwandten ihren Sohn zumindest während dessen langer Krankenhausaufenthalte besuchten:

„Und das ist halt mittlerweile, wo er jetzt im Spital ist, […] war 99,9% ich als Besucherin übrig. Meine Mutter geht kategorisch nicht. […] Der Vater [des Er-krankten] ist in Vorarlberg, mag das auch nicht besonders, und mein Bruder war noch nie dort.“ (T5: 176-180)

Diese Erwartung, dass die Verwandten wenigsten Krankenhausbesuche machen würden, wurde auch bei der oben zitierten Ehefrau enttäuscht:

„Aufgrund dessen ist er [der kranke Ehemann] damals auch wieder im Spital gewesen, in Summe war er, glaube ich, 26 Wochen dort. Wobei, von meinen Eltern [wurde er] nicht einmal besucht, von meinen Geschwistern nicht einmal besucht.“ (T3: 141-143)

Sogar als dann diese Ehefrau noch selbst schwer erkrankte, blieb Unterstützung aus:

„Ich muss ganz ehrlich sagen, in der Zeit jetzt, wo ich krank war, hat uns nicht einmal einer gefragt, können wir euch helfen?“ (T3: 147-148)