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2. T HEORETISCHER T EIL

2.8. Resilienz

2.8.1. Was versteht man unter Resilienz?

Das Leben hat Höhen und Tiefen. Wie kommt es, dass es manchen Menschen gelingt, belastende Situationen und Lebenskrisen besser durchzustehen als anderen? Wir kön-nen kaum beeinflussen, was in unserem Leben auf uns zukommt, aber sehr wohl, wie wir auf diese Ereignisse reagieren und wie wir darüber hinwegkommen. Um Krisen und Her-ausforderungen im Leben gut zu meistern, braucht man Resilienz.

Der Begriff Resilienz stammt ursprünglich aus dem technischen Bereich und bezeichnet Schlagfestigkeit, Widerstandskraft und Stabilität gegenüber Schlag, Druck und anderen störend einwirkenden Kräften. Resilienz bedeutet auch Nachgiebigkeit, Flexibilität, Rück-federung und Spannkraft. In der klinischen Psychologie bedeutet Resilienz psychische Widerstandskraft und Wiedergewinnung der ursprünglichen seelischen Stabilität nach einer Belastung (vgl. Amering/Schmolke 2012: 53).

Resilienz bezeichnet die Fähigkeit, „Krisen im Lebenszyklus unter Rückgriff auf persönli-che und sozial vermittelte Ressourcen zu meistern und als Anlass für Entwicklungen zu nutzen.“ (Welter-Enderlin 2006: 13)

Das bedeutet, dass sich Resilienz erst in einer Krisensituation zeigt. „Resilienz ist eine dynamische Fähigkeit, die auf der erfolgreichen Bewältigung von Herausforderungen beruht.“ (Fröhlich-Gildhoff 2014) Beispielsweise ist eine psychische Erkrankung so eine Herausforderung, sowohl für die Betroffenen als auch für die Angehörigen.

Menschen können einen krisenhaften Prozess nicht nur einfach überstehen, sondern aus ihm sogar gestärkt hervorgehen und ihre Resilienz gesteigert haben. Michaela Amering und Margit Schmolke heben hervor, dass ein Mensch nicht trotz widriger Verhältnisse sondern wegen dieser resilientes Verhalten zeigt. Durch extreme Erfahrungen können Menschen Stärken entwickeln, die sie bis dahin selbst nicht für möglich gehalten hätten (vgl. Amering/Schmolke 2012: 54).

Resilienz darf nicht als angeborene, starre und unveränderliche Persönlichkeitseigen-schaft verstanden werden, sondern ist eine dynamische Kraft, die sich prozesshaft im individuellen Entwicklungsverlauf durch Auseinandersetzung des Menschen mit der Um-welt entwickelt (vgl. Bengel et al. 2009: 20).

Personen können sich zu einem bestimmten Zeitpunkt einer belastenden Situation genüber resilient zeigen und sich zu einem anderen Zeitpunkt anderen Belastungen ge-genüber vulnerabel (vgl. Bengel et al. 2009: 21). Die Vulnerabilität ist das Gegenstück zur Resilienz. Unter Vulnerabilität versteht man, dass jemand besonders leicht durch äußere ungünstige Einflüsse körperlich oder seelisch zu verletzen ist (vgl. Bengel et al. 2009: 20, Bonnes 2016: 15). Diese negativen Einflüsse können biologischen, psychologischen oder sozialen Ursprungs sein. Treffen mehrere Belastungen zusammen, können die Auswir-kungen gravierend sein (vgl. Bengel et al. 2009: 23).

„Menschen, die besonders verwundbar (vulnerabel) sind, nicht über ange-messene Kompetenzen zur Belastungsbewältigung und/oder über zu wenig protektive Ressourcen (helfende, schützende psychische, soziale und materi-elle Unterstützungsqumateri-ellen) verfügen, können bereits bei geringeren Belas-tungen überfordert bzw. überbeansprucht sein, in Krisen geraten und erkran-ken.“ (Pauls 2013: 73)

2.8.2. Resilienzforschung

Es gibt Menschen, die nichts aus der Bahn zu werfen scheint. Die Resilienzforschung befasst sich mit den Lebensgeschichten von Menschen, die große Belastungen erfolg-reich bewältigt haben (vgl. Amering/Schmolke 2012: 53). Es geht darum nachzuvollzie-hen, wie sie die Schwierigkeiten überwunden haben und was sie von Menschen unter-scheidet, die an Schicksalsschlägen zerbrochen oder durch große Belastungen erkrankt sind.

Die Resilienzforschung wird häufig mit der amerikanischen Forscherin Emmy Werner verbunden. Die Wissenschafterin beobachtete in ihrer Längsschnittstudie die körperliche und psychische Entwicklung von 698 Kindern, die im Jahr 1955 auf der hawaiianischen Insel Kauai geboren wurden, über 40 Jahre. Von diesen Kindern wuchsen 30% unter sehr schwierigen Bedingungen auf. Werner interessierte sich besonders für die Entwick-lung dieser Risikokinder: Zwei Drittel zeigten EntwickEntwick-lungs- und Verhaltensstörungen oder wurden delinquent, ein Drittel dieser Kinder jedoch entwickelte sich zu selbst- und verantwortungsbewussten Erwachsenen, die sozial integriert ein erfolgreiches Leben führten. Ihr Fazit: Es gibt mehrere Faktoren, die Kinder trotz schlechter Startbedingungen zu lebenstüchtigen, leistungsfähigen und zuversichtlichen Persönlichkeiten heranwach-sen lasheranwach-sen (vgl. Amering/Schmolke 2012: 58 f.).

Als schützende Resilienzfaktoren identifizierte Werner einerseits persönliche Faktoren wie ein gutmütiges, aktives und ausgeglichenes Temperament sowie hohe Kommunikati-ons- und praktische Problemlösungsfähigkeiten. Andererseits spielen soziale Faktoren eine schützende Rolle, wie zum Beispiel eine stabile emotionale Beziehung zu ei-nem/einer Erwachsenen in der Kindheit oder Bezugspersonen, die Selbstwirksamkeit fördern und eine bejahende Lebenseinstellung haben. Weitere positive Faktoren sind die Stellung unter den Kindern als Erstgeborenes und eine eher kleine Familie (vgl.

Amering/Schmolke 2012: 58 f.).

Weiters steht in der Resilienzforschung die Frage ‚Was hält uns gesund?‘ im Vorder-grund. In den 1970er Jahren erforschte der Medizinsoziologe Aaron Antonovsky, welche Grundbedingungen der Mensch braucht, um ein psychisch gesundes Leben führen zu können. Ausgangspunkt ist der Ansatz, dass die Menschen Ressourcen und Fähigkeiten besitzen, die hilfreich bei der Bewältigung von belastenden Situationen sind. Damit hat Antonovsky der bisher vorherrschenden pathogenetischen, defizitorientierten Sichtweise (die sich auf die Entstehung der Krankheiten konzentriert) ein positives Konzept gegen-übergestellt — die Salutogenese (die auf die Entstehung von Gesundheit fokussiert) (vgl.

Pauls 2013: 102 ff.).

Der Medizinsoziologe spricht von einem mehrdimensionalen Gesundheits-Krankheits-Kontinuum mit den beiden Polen Gesundheit und Krankheit. Kein Mensch kann völlige Gesundheit oder völlige Krankheit erleben. Wo ein Mensch auf diesem Kontinuum steht, ergibt sich aus einem Prozess zwischen belastenden und schützenden Faktoren (vgl.

Pauls 2013: 105).

Antonovsky geht davon aus, dass Stressoren zum Leben gehören, nicht per se schädlich sind und es von den generalisierten Widerstandsressourcen einer Person abhängt, ob sie die Anforderungen des Lebens bewältigt und gesund bleibt. Generalisierte Widerstands-ressourcen können kognitive, körperliche, materielle oder psychosoziale Faktoren sein (vgl. Pauls 2013: 104 f.).

In seinem salutogenetischen Konzept stieß er auf einen besonders wichtigen Resilienz-faktor — das Koheränzgefühl. Dieses ist ein grundlegendes Gefühl des Vertrauens, dass die Herausforderungen des Lebens bewältigbar sind. Ein starkes Koheränzgefühl befä-higt eine Person, angemessen auf belastende Lebenssituationen zu reagieren. Antono-vsky definiert drei Komponenten des Koheränzgefühls:

1. Gefühl von Verstehbarkeit: Die persönliche Lebenssituation wird als erklärbar wahrgenommen.

2. Gefühl von Beherrschbarkeit und Bewältigbarkeit: Das ist die Zuversicht, genü-gend Ressourcen zur Verfügung zu haben, um die Herausforderungen und Hin-dernisse aus eigener Kraft oder mit verfügbarer Unterstützung zu bewältigen.

3. Gefühl der Sinnhaftigkeit: Wer einen Sinn im Leben sieht, erhöht die innere Wi-derstandskraft und fasst selbst in tiefen Krisen wieder Mut (vgl. Pauls 2013: 105 f.).

Persönliche Stärken und protektive psychosoziale Faktoren eines Menschen stehen so-wohl bei der Salutogenese als auch bei der Resilienz im Vordergrund. Klaus Fröhlich-Gildhoff und Meike Rönnau-Böse sehen den Salutogenese-Ansatz als sinnvolle Ergän-zung zum Resilienzkonzept an, wobei die Resilienz stärker „auf den Prozess der positi-ven Anpassung und Bewältigung“ (Fröhlich-Gildhoff/Rönnau-Böse 2019: 14) fokussiert.

Resilient sein heißt somit, sich von Lebenskrisen nicht aus der Bahn werfen lassen, von ihnen nicht dauerhaft beeinträchtigt zu sein oder sich als Opfer zu fühlen, sondern diese erfolgreich zu durchstehen und unerschütterliches Vertrauen in die eigene Handlungsfä-higkeit zu haben (vgl. Haring et al. 2008: 2).

Einflussfaktoren: Was macht eine resiliente Persönlichkeit aus?

Resilienz bedeutet, über vielfache Ressourcen bzw. Schutzfaktoren zu verfügen, um psy-chische oder körperliche Stresssituationen zu bewältigen (vgl. Deutsches Resilienz Zentrum 2018). Ausgehend von der Resilienzforschung bei Kindern wurden unterschied-lichste soziale und persönliche Faktoren identifiziert, die Resilienz auch bei Erwachsenen ausmachen, Knuf spricht dabei von äußeren und inneren Ressourcen (vgl. Knuf 2006:

22).

Äußere Ressourcen sind soziale Kontakte und materielle Ressourcen. Wer ein gutes soziales Netz (Angehörige, FreundInnen und andere Vertrauenspersonen) hat, findet bei Schicksalsschlägen oder in schweren Lebensphasen Unterstützung, die einsame Men-schen entbehren müssen. Unter materiellen Ressourcen versteht Knuf Wohnung, Bil-dung, Einkommen, usw. (vgl. Knuf 2006: 22 f.).

Mit inneren Ressourcen meint Knuf persönliche Faktoren und Eigenschaften wie Sprach-kenntnisse, Humor und Hobbies (vgl. Knuf 2006: 22 f.). Thomas Bock und Andreas Heinz führen an inneren Faktoren Hoffnung, Zuversicht, Beziehungsfähigkeit, Kohärenzempfin-den, Reflexion, Copingstrategien und Selbstwirksamkeitserwartung an. Eine Person er-lebt Selbstwirksamkeit, wenn sie erfährt, dass sie durch ihr Handeln etwas bewirken bzw.

verändern kann (vgl. Bock/Heinz 2016: 62).

Das Resilienzkonzept bei Christian Haring et al. umfasst sechs wichtige Säulen:

 Optimismus

 Akzeptanz

 Lösungsorientierung

 Übernahme von Verantwortung

 Netzwerkorientierung

 Zukunftsplanung (vgl. Haring et al. 2008: 2).

Die Forscher Jörg Fegert und Franz Resch nennen drei Merkmale, die resiliente Perso-nen aufweisen:

1. Auseinandersetzung mit der belastenden Situation anstelle von Vermeidung und Verleugnung,

2. hoher Grad persönlicher Kontrolle über die schwierige Lebenssituation, statt sich machtlos und von den Umständen überwältigt zu fühlen,

3. Belastung als Herausforderung sehen, die durch neue Erfahrungen zu persönli-chem Wachstum führen kann (vgl. Fegert/Resch 2012: 134).

Das Konzept der Resilienz ist unter sozial- und psychotherapeutischen Gesichtspunkten von praktischer Bedeutung, weil dadurch bestehende Ressourcen und Resilienzfaktoren ausfindig gemacht und weiter gefördert werden können.

2.8.3. Implikationen für die Klinische Soziale Arbeit in der Angehörigenarbeit Angehörige als KlientInnen der Klinischen Sozialen Arbeit sind von unterschiedlichsten Belastungen betroffen. Bedeutend für die Bewältigung dieser Belastungen ist, die Resili-enz der Angehörigen zu stärken bzw. gezielt aufzubauen. Die Sammlung von Schutzfak-toren bietet dafür Ansatzpunkte.

Ein Diagnose- und Interventionsmodell, das die Stärken/Schutzfaktoren und Risikofakto-ren im persönlichen Bereich und im sozialen Umfeld der KlientInnen darstellt, sind die Koordinaten psychosozialer Diagnostik. Die in diesem Modell dargestellten anamnestisch gesammelten Informationen liefern zugleich die Grundlage für Interventionen. Wichtige Fragen sind hier: Welche Stärken bzw. Risikofaktoren liegen vor? Was ist wo, wann und wie zu tun? (vgl. Pauls 2013: 205 ff.)

Der Fokus der Klinischen Sozialen Arbeit liegt in der Stärkung der persönlichen und sozi-alen Ressourcen. Folgende Kernfragen sind im Zentrum:

 Die Frage nach dem gesunden und funktionsfähigen Bestand: Was ist gesund und muss erhalten werden?

 Welche Ressourcen/Möglichkeiten sind vorhanden, welche müssen erschlossen oder gefördert werden?

 Welche Ressourcen findet der/die KlientIn in seinem/ihrem sozialen Beziehungs-netz, in seiner/ihrer körperlichen Befindlichkeit, in seiner/ihrer psychischen Kom-petenz, in seinen/ihren Normen, Werten und Einstellungen?

 Welche konstruktiven Bewältigungsmuster konnten im bisherigen Leben entwi-ckelt werden?

 Welche positiven Erfahrungen gab es in der Lebensgeschichte (vgl. Pauls 2013:

212)?

Ein weiteres Diagnose- bzw. Interventionskonzept ist der biographische Zeitbalken.

Dadurch kann herausgearbeitet werden, welche Herausforderungen und schwierige

Situ-ationen der/die KlientIn in seinem/ihrem Leben bereits bewältigt hat. Die zentrale Frage ist: Was ist Ihnen schon alles gelungen? Dadurch können wichtige Resilienzfaktoren, nämlich die Erfahrung von Selbstwirksamkeit und die Zuversicht, gestärkt werden (vgl.

Pantuček 2012: 220 ff.).

Mit der Netzwerkarbeit (Netzwerkkarte) kann die Klinische Soziale Arbeit förderliche sozi-ale Beziehungen identifizieren und in der Folge stärken (vgl. Pantuček 2012: 186 ff.).

Im psychosozialen Beratungsgespräch können wichtige Themen für Angehörige bearbei-tet werden und damit die Fähigkeiten zur Bewältigung der belastenden Situation — be-sonders Problemlösefähigkeiten, die internale Kontrollüberzeugung und das Selbstver-trauen — entwickelt und gestärkt werden (vgl. Pauls 2013: 255).

Für die Praxis bedeutet das, dass die beiden Konzepte Recovery und Resilienz in der Klinischen Sozialen Arbeit gemeinsam angewandt werden können und sollen.

„Resilienz als psychische Widerstandskraft steht in unmittelbarer Wechselbe-ziehung zum Recovery-Prozess. Resilienz bringt Energie und kann ein Motor für Recovery sein. Im Laufe eines Recovery-Prozesses entwickeln sich zu-nehmend resiliente Kräfte.“ (Amering/Schmolke 2012: 50)