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4. F ORSCHUNGSERGEBNISSE

4.1. Belastungen

4.1.1. Emotionale Belastungen

Psychische Erkrankungen gehen mit erheblichen emotionalen Belastungen für die Ange-hörigen einher.

4.1.1.1. Hilflosigkeit, Ohnmacht, Schock und Angst

Besonders der Beginn der Erkrankung stellt eine enorme psychische Belastung dar. Ins-besondere bei der Schizophrenie können Symptome und belastende Verhaltensweisen auftreten, die die Angehörigen sehr erschrecken, zum Beispiel Halluzinationen, Stim-menhören oder Wahnideen. Der/die Erkrankte wird als verändert oder gar als unheimlich wahrgenommen:

„Und dann bin ich draufgekommen, dass irgendetwas nicht stimmen kann mit ihm. […] und da kommt er auf einmal: In seinem Zimmer beginnt alles zu schweben. Ein schwebender Teller ist gekommen, eine schwebende Schüs-sel, […] Und dann hat er angefangen, sein Vater sei vergiftet worden von sei-ner Stiefmutter, und vorher, hat er dann gesagt, habe ich ihn schon einmal zu vergiften begonnen. […] Meistens war etwas vergiftet. Wo ich die Sachen ge-kauft habe? ‚Geh zurück, gib das zurück.‘ Im Regal hätten sie etwas hinein-gegeben, in die frischen Verpackungen.“ (T1: 34-35; 57-59, 94-96, 280-282)

Hilflosigkeit gehört zu den Belastungen, die am häufigsten genannt wurden. Sie kommt besonders dann auf, wenn kein Ansatzpunkt gefunden werden kann, um etwas an der Situation zu ändern, zum Beispiel weil der/die Kranke keine Krankheitseinsicht zeigt:

„Habe ihm zugeredet, wir gehen zum Arzt. […] Wenn es soweit war, ist er vor der Tür davongerannt. Er ist nicht geblieben. Es waren zwei, drei Ärzte.“ (T1:

200-202)

In dieser Anfangsphase fühlte sich diese Mutter eines Schizophreniekranken „total alleine gelassen. Total alleine gelassen. […] Hilflos. Total hilflos.“ (T1: 156, 160)

Besonders groß ist die Hilflosigkeit der Angehörigen am Beginn der Krankheitsgeschich-te. Das ist verständlich, da sie zu diesem Zeitpunkt typischerweise noch kein Wissen über psychische Krankheiten haben:

„Ich fühle mich oft so hilflos. Diese Hilflosigkeit, weil ich ihm nicht helfen kann, wenn es ihm dreckig geht. Wenn ich nicht weiß, was ich tun soll.“ (T3: 50-52)

Zu den größten Ängsten der Angehörigen zählt die Angst vor dem Suizid. Sowohl bei Depressiven als auch Schizophreniekranken kommt es oftmals zu Selbstmordgedanken.

Dies stellt für die Angehörigen eine enorme Belastung dar:

„Es hat sich bei der Reha gleich nach zwei Wochen ihr Zustand sehr stark verschlechtert, bis hin zu Selbstmordgedanken, sodass sie [die ÄrztInnen] sie dann irgendwann mit der Rettung [in eine psychiatrische Klinik] geführt ha-ben, auf die Geschlossene. Das war natürlich ... eine ziemliche ... eine extre-me Belastung für mich, wo ich nicht gewusst habe, was ist da jetzt wirklich passiert.“ (T2: 95-99)

Bei einigen psychisch Erkrankten kommt es in der Folge auch zu tatsächlichen suizidalen Handlungen:

„Er [der kranke Partner] hat dann auch Suizidversuche hinter sich. […] kommt am Nachmittag von der Arbeit heim, legt sich hin und sagt, er legt sich hin, er hat Kopfweh. Mir ist er irgendwie komisch vorgekommen. Geh ich hin und sa-ge, was ist los? Sagt er, ich habe so viele Kopfwehtabletten genommen. Sag ich, wieviel? […] Und dann hat er sich eingestanden, hat er das zugegeben, dass er über 20 Tabletten genommen hat.“ (T3: 251, 257-262)

Angehörige sind in einer solchen Situation sehr gefordert und leben mit einer dauerhaften Angst:

„Wie er dann vom Spital heimgekommen ist, […] wir haben seinerzeit im 6.

Stock in […] gewohnt, da habe ich müssen die Fenster — die habe ich zuge-nagelt. Und eines habe ich mit einem Schloss gemacht, da habe ich den Schlüssel eingesteckt, dass ich etwas zum Lüften habe. […] Denn wenn er so eine Attacke oder so kriegt, dass er einen Blödsinn macht, und wenn ich heu-te so nachdenke, ich weiß gar nicht, wie das alles so funktioniert hat.“ (T3: 54-65)

Darüberhinaus kann die Unterbringung des/der psychisch Kranken in einer psychiatri-schen Klinik Ohnmachtsgefühle bzw. sogar einen sogenannten Klinikschock auslösen, was mit gesellschaftlichen Vorurteilen zusammenhängt:

„Er ist dann stationär geblieben, und ist nach zwei oder drei Tagen in die Ge-schlossene gegangen, freiwillig. Und ich muss ehrlich sagen, wie ich das ge-hört habe, ist für mich momentan eine Welt zusammengebrochen. Mein erster Gedanke war, jetzt ist er deppert. Wir sind eigentlich so erzogen worden, oder bei uns ist so geredet worden, alles was mit […] Psychiatrie [zusammen-hängt], das sind ja alles Depperte. […] die Dodeln, die Gestörten. […] War für mich natürlich schon ein Schock..“ (T3: 39-44, 377-378)

Die geschlossene Abteilung der Klinik hat diese Ehefrau eines depressiv Erkrankten in äußerst unangenehmer Erinnerung. Sie spricht von einer gruseligen, unheimlichen Atmo-sphäre:

„Ich werde das nie vergessen. Finster war's, dann sind wir hinein in das Ge-bäude, düster. Eine jede Tür aufgesperrt, zugesperrt, aufgesperrt, zugesperrt.

Schrecklich. […] Das hat für mich so eine negative Abstrahlung gehabt. […]

Sehr unheimlich.“ (T3: 266-267, 281, 296)

Auch die Diagnose einer psychischen Erkrankung, ganz besonders der Schizophrenie, kann erhebliche Ängste hervorrufen:

„Ich habe gewusst, das ist psychisch, aber Schizophrenie, dieses Wort habe ich gar nicht getraut zu denken“ (T1: 193-194)

4.1.1.2. Auswirkungen auf den Familienalltag

Eine psychische Krankheit verändert das familiäre Zusammenleben gravierend. Der/die Erkrankte wird in verschiedensten Bereichen als deutlich verändert wahrgenommen. Ver-halten, Temperament und Persönlichkeit sind betroffen.

Bei depressiv Erkrankten beschreiben Angehörige Energielosigkeit, Überforderung auch mit einfachen alltäglichen Aufgaben, Interessensverlust, Teilnahmslosigkeit und Ver-schlossenheit als belastend:

„Es ist auf jeden Fall die Belastbarkeit, dass Ereignisse oder Aufgaben, die sonst nicht der Rede wert sind, auf einmal extrem anstrengend sind. Eben Einkaufen ist so eine Sache, […] wenn man gesund ist, […] wo man jetzt dann nicht nachher sich hinlegen muss.“ (T2: 162-166)

„Er ist eigentlich immer verschlossener geworden. […] Er hat damals auch sehr viel geschlafen. Es hat sein können, dass, wenn er um zehn aufgestan-den ist, dass er um zwölf wieder gelegen ist.“ (T3: 434, 70-71)

Eine junge Erwachsene erlebt ihre an Depression erkrankte Schwester als sensibel, labil und reizbar und beschreibt, dass kleinste Anlässe zu starken Emotionsausbrüchen führen können. Das Zusammenleben wurde dadurch als sehr angespannt empfunden, oft seien bei ihr „selber die Nerven blank gelegen.“ (T4: 64-65)

„[Sie ist] ziemlich belastet und überreizt, […] hat oft Emotionsausbrüche und weint sehr oft, wo ich persönlich auch gar nicht weiß, was der Auslöser war.

Es scheint sehr plötzlich zu kommen. [… Es war so,] dass ich sehr aufpassen habe müssen, wann ich etwas sage, oder zum Beispiel auch, dass man die Tür ganz leise zumacht, weil sie sehr empfindlich war und alles sehr stark wahrgenommen hat. Das heißt, man hat immer aufpassen müssen, wie man mit ihr redet, was man sagt, dass man nicht zu laut ist, nicht plötzlich irgend-wie neben ihr auftaucht, oder so, oder plötzlich laute Geräusche macht, weil sie dann einfach oft auch losgeschrien hat, und man selber aber gar nicht das Gefühl hat, dass man etwas falsch gemacht hat.“ (T4: 16-18, 23-29)

Und weiter:

„Eine kurze Zeit lang habe ich ein bisschen Angst gehabt, weil es auch vor-gekommen ist, dass sie durch ihren Emotionsausbruch Dinge genommen und durch die Gegend geschmissen hat.“ (T4: 36-38)

„Zum Beispiel im Badezimmer wollte ich dann nicht mit ihr gemeinsam Zähne putzen, weil es mich sehr angestrengt hat, weil ich immer angespannt war, dass ich irgendetwas falsch mache.“ (T4: 54-56)

Aggressivität ist ein Symptom, dass vor allem bei Schizophreniekranken in den Vorder-grund treten kann. Besonders belastend ist es für Angehörige, wenn es dabei zu Gewalt-ausbrüchen kommt. Die Begegnungen mit dem/der Erkrankten sind dann von Angst ge-prägt:

„Das ist dann jahrelang so fort gegangen bei uns daheim. Streitereien, Strei-tereien. […] Er war schon sehr aggressiv auch, sehr. […]. Am Heiligen Abend [hat er] den Esszimmerstuhl gegen die Tür geschleudert, dass dort so ein großes Loch war.“ — (Interviewerin: „Da hat man Angst, nicht?“) — „Ja natür-lich, aber wie!“ (T1: 275-280, 297-298)

Das kann so weit gehen, dass die Begegnungen als regelrechter Terror erlebt werden und die Angehörigen an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gelangen:

„Wenn er Terror macht, er läutet ja zwanzig Mal am Tag. […] Mir ist alles zu-viel geworden, ich habe schon fast gebetet, dass er einmal nicht kommt.“ (T1:

214-215, 311-312)

Auch wenn Aggressivität nicht im Vordergrund steht, hat die psychische Erkrankung ei-nes Familienmitgliedes Auswirkungen auf das Klima in der Familie. Auf Dauer kann die Zentriertheit auf die Krankheit das gesamte Familienleben zermürben. Es herrscht eine grundsätzlich angespannte Stimmung, alle Familienmitglieder sind gereizt, es kommt sehr leicht zu Streit. Die Schwester der weiter oben genannten depressiv Erkrankten be-schreibt eine typische Situation:

„Meine Eltern haben dadurch auch mehr gestritten. […] Wenn mein Vater zum Beispiel lauter geredet hat oder irgendein Kastl lauter zugemacht hat, und dann war meine Schwester fertig, weil es eben zu laut war, und dann hat meine Mutter meinen Vater beschuldigt, obwohl es eigentlich nur eine norma-le Situation war, und dann ist das wieder ausgeartet, und meine Eltern haben mehr angefangen zu streiten aus diesem Grund. Und sonst […] waren wir auch angespannter und haben vielleicht mehr gestritten, weil einfach in der ganzen Familie alle aufgerieben waren.“ (T4: 88-95)

Eine Mutter, deren ältester Sohn an Schizophrenie leidet, schildert, dass für die Ge-schwister des Erkrankten der Kontakt äußerst schwierig bis unmöglich ist:

„Der Kleine [der Bruder] will nichts wissen von ihm. Er kommt mit ihm über-haupt nicht zurecht. […] er will ihn momentan gar nicht sehen. Er hat gesagt, er hat mit ihm so schreckliche Erlebnisse, wie er damals mit dem Stuhl die Tür eingeschlagen hat. Damals muss irgendwas einen Knack gemacht ha-ben, ich bin ihm da gar nicht böse. Es ist wirklich ein Zustand. Wenn meine Tochter da ist, seine Schwester, sie sagt: ‚Du Mama, mir tut er so leid auf der einen Seite, auf der anderen Seite, ich kann mit ihm nicht, ich könnte immer nur weinen.‘“ (T1: 597-603)

4.1.1.3. Rollenübernahme und mit familiären Aufgaben alleine sein

Ist einer von zwei LebenspartnerInnen erkrankt, ist diese/r gewöhnlich nicht mehr in der Lage, die bisher in der Partnerschaft bzw. Familie und Haushalt übernommenen Aufga-ben weiterhin in gewohntem Ausmaß zu erfüllen. Zwangsläufig fallen dadurch dem/der anderen diese Aufgaben zusätzlich zu — das kann auch eine Verschiebung des innerfa-miliären Rollengefüges zur Folge haben:

„Vor allem beim [Sohn], habe ich Mutter- und Vaterrollen gehabt. Da habe ich am Anfang ihm [dem erkrankten Partner] alles abgenommen, […] ich habe ihn nie einkaufen geschickt.“ (T3: 387-388, 394)

Gewöhnlich funktioniert das eine Zeit lang gut, auf Dauer ist es jedoch eine Überforde-rung. Die Angehörigen fühlen sich häufig allein gelassen und überlastet:

„Wenn alles auf einem hängt — [Unser Sohn] war so ein quirliges, lebendiges Kind. […] Und daneben hast du noch den kranken Mann liegen, das hältst du auf die Dauer nicht aus, da musst du irgendwie handeln, bevor du selber ir-gendeinen Aussetzer oder so hast.“ (T3: 407-410).

Eine besondere Herausforderung ist es, wenn der/die übernehmende PartnerIn gleichzei-tig berufstägleichzei-tig ist. Der Ehemann einer an Depression erkrankten Frau schildert, dass er viele Aufgaben im Haushalt zusätzlich übernehmen musste:

„Also, dass ich dann um acht, wenn ich heimgekommen bin am Abend, alles in der Küche gemacht habe, also da weitergetan habe, wo ich am Abend vor-her aufgehört habe.“ (T2: 172-174)

Dieser Ehemann beschreibt die eigene Berufstätigkeit dann als weiteren belastenden Faktor, weil er sich nicht mehr so auf die Arbeit, die viel Kreativität erfordert, konzentrie-ren konnte:

„Eine sehr wichtige Belastung habe ich noch vergessen: In der Arbeit. Dass eben diese Belastung daheim, bei mir zumindest, schon auch die Produktivi-tät in der Arbeit stark reduziert hat. Gerade so in den Akutphasen, da ist zwi-schendurch gar nicht viel gegangen.“ (T2: 395-397)

Die Dreifachbelastung Kinder – Haushalt – Beruf ließ das Gefühl entstehen, den Ansprü-chen nicht mehr genügen zu können:

„Ja, und dieses zerrissen sein, so quasi zwischen meinem Leben [zu Hause], und die Arbeit — die kann ich jetzt auch nicht einfach schleifen lassen. Und das Gefühl, eigentlich sollte ich daheim sein [bei den Kindern] und da unter-stützen, also das ist schon eine gewisse, große Belastung.“ (T2: 443-445)

Kommt es dann zu einem Klinikaufenthalt, bedeutet das für die Familien eine Kumulation von emotionalen und praktischen Herausforderungen. Plötzlich ist man alleine — Berufs-tätigkeit, Haushalt, Kinderbetreuung und noch die Besuche im Krankenhaus — alles muss unter einen Hut gebracht werden. Für oben genannten Ehemann kam der Klinikau-fenthalt so plötzlich, dass die Betreuung der drei kleinen Kinder neben der Erwerbsarbeit in der Luft hing:

„Von heute auf morgen ist, ist das einfach ganz schwierig für mich zu planen.

[…] Es ist ein Anruf gekommen von der Klinik: Es ist ein Bett frei, sie soll dann kommen. […] Die Jüngste war da gerade ein Jahr alt, und ich allein auf ein-mal habe schauen müssen, [… wo ich] die ganzen Kinder unterbringe.“ (T2:

63-64, 31-34, 38)

Auch die Kinder leiden unter der mit der Klinikeinweisung verbundenen Trennung sehr, was für den Vater emotional belastend war:

„Und die Kinder waren auch sehr verunsichert. Also ich kann mich da noch erinnern, […, dass] die Kinder nur geweint haben, alle zusammen im Bett.“

(T2: 87-90)

4.1.1.4. Persönlichkeitsveränderungen beeinflussen den Beziehungsalltag

Oftmals kommt es im Zuge einer psychischen Erkrankung zu Persönlichkeitsveränderun-gen, die insbesondere auf eine Paarbeziehung gravierende Auswirkungen haben kön-nen. Auf einmal ist man mit einem Menschen zusammen, der nicht mehr so ist, wie man ihn geheiratet hat:

„Das ist schon etwas, mit dem ich irgendwie auch kämpfe, weil sie schon von der Persönlichkeit irgendwie anders geworden ist. […] Dass sie, die eigent-lich sehr aktiv war, sehr viel initiativ unternommen hat, organisiert hat und so weiter […] Eben so statt diesem Aktivem: Das machen wir schon auch, das schaffen wir, und das machen wir noch […] dass das halt ziemlich weg ist.“

(T2: 379-383, 18)

Persönlichkeitsveränderungen führen unweigerlich zu Beziehungsveränderungen. Ganz besonders belastend ist es, wenn mit der Beziehungsveränderung eine emotionale Ent-fremdung einhergeht, wenn der/die kranke PartnerIn wie ‚durch eine Wand getrennt‘

wahrgenommen wird. Für den Ehemann einer depressiv Erkrankten, von dem auch das vorige Zitat stammt, ist diese emotionale Trennung schwer auszuhalten:

„Eine Belastung, die für mich sehr stark war und immer noch ist, […] dass so eine innere Distanz von ihrer Seite da ist. [… man merkt] die ist [emotional]

weit weg.“ (T2: 199, 202, 215)

4.1.1.5. Sorgen, Ängste

Der Alltag von Angehörigen psychischer Erkrankter ist geprägt von vielfältigen Sorgen.

Die Angst wird zur ständigen Begleiterin. Fragen, die einen nicht mehr loslassen, sind:

Wie gehe ich mit der Krankheit um? Wie geht es weiter? Was wird aus unserem Kind/unserer Ehe? Was bringt die Zukunft?

Angst vor Rückfällen

Eine Mutter drückt ihre Angst vor einem chronisch-schubhaften Verlauf der Schizophrenie ihres Sohnes folgendermaßen aus:

„Also es gibt schon große Ängste […] Und dadurch ja die Krankheiten unter-schiedliche Verläufe haben und das auch durchaus einen chronischen Verlauf annehmen kann, dass das jetzt bleibt bis ans Lebensende mit diesen Schü-ben, das wäre ein Drittel der Betroffenen, die diesen Verlauf hätten. Meine Mutter selber hat den besten Verlauf gehabt indem es sich ausgewachsen hat, sozusagen, nach dem Erkrankungsgipfel. Das wäre natürlich Wunsch-denken.“ (T5: 55, 62-67)

„Und diesbezüglich gibt es schon Angst, dass es so bleiben könnte. Was ist, wenn wir einmal nicht mehr sind? Was ist, wenn sich die Erkrankung in eine Schiene entwickelt, dass wir das nicht mehr händeln können?“ (T5: 71-73)

Der Ehepartner einer depressiven Frau spricht von stets präsenten Ängsten vor einem erneuten Krankheitsschub:

„Die Sensibilität, wenn ich merke, ihr geht es wieder schlechter, so die Angst, wo geht das hin, das ist immer präsent. Bis hin, dass sie wieder auf die Klinik muss, wie händelt man das. […] Diese Panik, wenn wieder sie grantig war.“

(T2: 347-349, 353)

Zukunftssorgen

Der oben genannte Ehepartner spricht davon, dass seine einstige Unbeschwertheit verlo-ren gegangen sei und der Blick in die Zukunft sorgenvoll, sowohl im Hinblick auf die Part-nerschaft als auch auf die Entwicklung der Kinder:

„Wie ist die Beziehung, wie geht es da weiter? Mit den Kindern — kommen da irgendwelche Schäden noch ans Tageslicht? Werden die selber depressiv?“

(T2: 472-473)

Vor allem Eltern sorgen sich um die Zukunft ihrer erkrankten Kinder. Gewöhnlich sind die Erkrankten nicht zur Erwerbsarbeit fähig, sodass sich die Frage nach dem Lebensunter-halt bzw. nach finanzieller Absicherung stellt. Die Mutter eines an Schizophrenie erkrank-ten, nicht arbeitsfähigen Sohnes erzählt:

„Ich fühle mich grundsätzlich oft überlastet, auf Grund dessen, weil wir finan-ziell noch nicht abgesichert sind. […] Mein Ziel wäre, wenn sich diese Situati-on so ändert, dass mein Sohn irgendwie finanziell abgesichert ist, in irgendei-ner Form.“ (T5: 121-125)

Eine andere Mutter mit depressiver Tochter berichtet von ähnlichen Sorgen:

„Es kann passieren, dass sie nie arbeitet. Ich meine, wovon wird sie leben?

[…] Wir machen den Plan: […] dass wir ihr was hinterlassen können. […]

Wohnungen oder halt ein Haus […], dass wir das vermieten, dass sie davon leben kann.“ (T6: 302, 306, 324-326)

Die Frage: ‚Was wird aus meinem Kind, wenn ich nicht mehr bin?‘, ist für Eltern sehr be-deutend. Sie bezieht sich aber nicht nur auf den finanziellen Lebensunterhalt, sondern vor allem auch auf die notwendige Betreuung und Lebensbegleitung:

„Wenn ich einmal sterbe, es weiß ja kein Mensch, was macht er [der Sohn]

dann? Na fürchterlich. […] Natürlich mache ich mir Zukunftssorgen.“ (T1: 619-620)

Eine Mutter, die mit ihrem an Schizophrenie erkrankten Sohn zusammenwohnt und für diesen kocht und die Wohnung sauber hält, macht sich Sorgen, vor allem auch im Hin-blick auf ihre eigenen gesundheitlichen Probleme:

„Dadurch, dass ich auch eine Krankheit entwickelt habe, ist das natürlich dann so, dass man sich denkt, was ist, wenn wir ausfallen als Betreuungsper-sonen?“ (T5: 154-155)

Gedanken um die Zukunft machen sich aber nicht nur Eltern, sondern auch Geschwister.

Auf die Frage der Interviewerin, ob sie sich Sorgen mache, meinte die Schwester einer an Depression erkrankten Patientin:

„Ja, vor allem wenn meine Eltern nicht mehr da sind, haben wir dann ja […]

als Geschwister […] schon eine Verpflichtung, dass es ihr gut geht.“ (T4: 199-200)

Anspannung

Die Ängste und Sorgen werden von den Angehörigen als ein Zustand einer permanenten Anspannung erlebt, der auf Dauer sehr energieraubend ist.

Die folgenden Zitate illustrieren Anspannung und Angst der Mutter eines zeitweilig ob-dachlosen schizophrenen Sohnes:

„Aus der Gemeindewohnung ist er delogiert worden. […] Er wohnt nirgends jetzt. Er will nirgends wohnen. […] Er ist in großer Gefahr, wenn er irgendwo in der Stadt auf einer Bank einschläft und erfriert.“ (T1: 563, 569, 140-141)

„Und irgendwann ist einmal die Zeit gekommen: Ich bin in der Nacht aufge-wacht. Ich habe die ganze Zeit gedacht, oft nicht einschlafen können, wo ist er jetzt? Ich meine, auch wenn er nicht mehr jung war, aber trotzdem. Kind ist Kind.“ (T1: 160-162)

„Ich lebe nur in Angst und Angespanntheit, das geht nicht mehr.“ (T1: 579)

Das beständige Gedankenkreisen der Angehörigen um die Krankheit und damit zusam-menhängende Probleme wird als innere Anspannung erlebt. Aus Angst, dass es der/dem Kranken schlechter gehen oder diese/r in eine Notsituation geraten könnte, sind sie in dauernder Alarm- bzw. Rufbereitschaft. Sie haben das Gefühl, ständig erreichbar sein zu müssen, selbst in der Nacht. Das ist als zusätzlicher Stress kräftezehrend:

„Wenn ich zu Hause war und er [der Sohn] länger nicht anruft, habe ich schon gewartet, dass ich weiß wo er ist, wie es ihm geht. Ich wollte gar nicht mehr fortgehen oft, oder nur mehr mit Handy, damit ich gesehen habe, dass er anruft.“ (T1: 807-809)

„Sie [die Tochter] hat mich mitten in der Nacht angerufen, […] hat geweint und gesagt: Ich kann nicht zur Schule gehen, und ich habe mit ihr geredet.

„Sie [die Tochter] hat mich mitten in der Nacht angerufen, […] hat geweint und gesagt: Ich kann nicht zur Schule gehen, und ich habe mit ihr geredet.