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4. F ORSCHUNGSERGEBNISSE

4.3. Erfahrungen mit dem professionellen Hilfesystem

4.3.4. Bedürfnisse und Wünsche an das professionelle Hilfesystem

Ein Wunsch der Angehörigen ist, dass das Thema psychische Krankheit von den Pro-fessionisten mehr in die Öffentlichkeit getragen wird, dass darüber informiert und auf-geklärt wird. Häufig kommen psychische Erkrankungen nur als Einzelfälle im Zusammen-hang mit Straftaten in die Medien, wodurch Ängste aufgebaut werden:

„Und da würde ich mir eben auch Wünschen, dass die Öffentlichkeit anders informiert wird darüber. Es werden dann immer so Einzelfälle herausgegriffen

— wenn irgendetwas passiert wie zum Beispiel jüngst da mit einem Schizo-phreniekranken — dann sind das trotzdem Gott sei Dank Einzelfälle, aber ich glaube, es wäre notwendig, dass man diese Ängste abbaut, und das auch von mehreren Seiten beleuchtet.“ (T5: 815-919)

„Ich hoffe, dass dieses Thema Psyche oder Schizophrenie, dass da mehr an die Öffentlichkeit gegangen wird. Das ist ja kein Tabuthema. Das muss heut-zutage viel mehr offen angesprochen werden. Es muss viel mehr von den Ärzten getan werden, dass das öffentlicher wird.“ (T1: 911-914)

Einbindung in die Behandlung

Die meisten Angehörigen wünschen sich, dass sie in die Behandlung ihres kranken Fami-lienmitgliedes miteinbezogen werden. Sie möchten von den ÄrztInnen als PartnerInnen betrachtet werden, mit denen zusammengearbeitet wird. Es ist wichtig für sie, ausführlich informiert und über den Krankheitsverlauf am Laufenden gehalten zu werden:

„[Ich wünsche mir,] dass es selbstverständlich ist, dass gefragt wird, hat er [der Patient] Angehörige, die ihn unterstützen bei der Krankheit, dass die Ärz-te dann mit dem Angehörigen ein ausführliches Gespräch führen. […] und dass den Angehörigen mehr mitgeteilt wird, dass sie [die ÄrztInnen] weiterge-ben, was mit dem [kranken] Angehörigen überhaupt ist, dass sie besser mit einem zusammenarbeiten.“ (T1: 930-932, 918, 923)

Eine Angehörige betont die Wichtigkeit der Einbeziehung in die Behandlung bzw. die Ko-operation mit den ÄrztInnen, da es ja die Angehörigen sind, die mit dem/der Kranken zu-sammenleben, ihn/sie betreuen und unterstützen:

„[Ich wünsche mir] mehr Einbindung für die Angehörigen überall. […] Wer kümmert sich um sie [die Kranken]? Immer die Angehörigen. […] Also das kann ich nicht verstehen, dass die Therapeuten die Angehörigen nie gesehen haben.“ (T6: 1189-1192, 1206)

Eine Ehefrau eines depressiv Erkrankten, die sich völlig alleine gelassen fühlte und kei-nerlei Ratschläge bekommen hatte, wie sie mit der Krankheit bzw. dem Verhalten des Kranken umgehen sollte, wünscht sich eine längerfristige, kontinuierliche und professio-nelle Begleitung. Vor allem wünscht sie sich, dass man Angehörige darauf vorbereitet, welche Schwierigkeiten im Umgang mit dem/der Erkrankten auf sie zukommen können und wie sie damit adäquat umgehen sollen:

„[Ich wünsche mir,] dass sie [die Angehörigen] eine Zeit lang wenigstens be-gleitet werden. Die Krankheit ist ja nicht — jetzt geht er drei Wochen ins Spi-tal, nach drei Wochen ist es vorbei. Dass man die Angehörigen schon darauf vorbereitet, was danach sein kann, das finde ich, wäre schon wichtig. Dass man dann wirklich, ja, nicht jeden Tag ein Gespräch, aber wenigstens einmal

in der Woche [führen kann]. Dass ich mich als betroffener Angehöriger an ir-gendjemanden wenden kann, wenn ich nicht weiter weiß. Das wäre für mich schon ganz wichtig, muss ich ehrlich sagen. (T3: 1075-1083)

Wie bereits im Kapitel 4.3.2 ‚Erfahrungen mit SozialarbeiterInnen‘ beschrieben, wird be-mängelt, dass es keine Ansprechperson für die Probleme der Angehörigen gibt. ÄrztIn-nen und SozialarbeiterInÄrztIn-nen in der Klinik fühlen sich nur für die Erkrankten zuständig.

Aus diesem Grund wird von Angehörigen der Wunsch geäußert, dass es eine An-sprechperson für soziale Fragen geben soll, die einerseits Auskunft gibt über Anlauf-stellen für Angehörige, über Hilfeangebote oder über Selbsthilfegruppen, aber anderer-seits auch jene Unterstützungsleistungen, die für die betroffene Familie notwendig sind, an einer Stelle gebündelt organisiert:

„[Ich würde mir wünschen] dass ich mich nicht um alles — eben was eine Hil-fe betrifft und so weiter —, dass ich mich da nicht so viel selbst darum küm-mern muss. Weil das schon eine zusätzliche Belastung ist. […] irgendwie, dass ich mir nicht selbst die Hilfe suchen muss. […] Das ist einfach ein zu-sätzlicher Aufwand, der im ganzen Wahnsinn halt dann nicht passiert, dann wurschtelt man so dahin, weil dieser Mehraufwand, sich dann noch die Hilfe zu suchen, dann nicht wirklich drinnen ist. [Ich wünsche mir,] dass ich eine Ansprechperson habe, die das organisiert. Das war so mein Wunschtraum.“

(T2: 822-825, 832-834, 826-827)

Für ihre betroffenen Familienmitglieder wünschen sich Angehörige zum einen, dass Pro-fessionisten — zum Beispiel TherapeutInnen — nach Hause kommen, wenn die Kranken nicht in der Lage sind, selbst eine Einrichtung aufzusuchen. Zum anderen wünschen Sie sich, dass es mehr Angebote zur beruflichen Rehabilitation für junge Erwachsene gibt.

4.3.5. Zusammenfassung der Erfahrungen mit dem professionellen Hilfesystem In Tabelle 7 sind die von den InterviewpartnerInnen geschilderten positiven und negati-ven Erfahrungen mit Professionisten sowie Bedürfnisse und Anregungen in Themenbe-reichen übersichtlich zusammengestellt.

 Anerkennung der Leistung der Angehöri-gen

Hinderlich:

 keine/kaum Gespräche mit Angehörigen

 keine Information und Aufklärung

 Angehörige werden nicht in die Behand-lung einbezogen

 Zeitmangel im Klinikbetrieb

 herablassende, arrogante Haltung

 Angehörige fühlen sich nicht ernstge-nommen

Erfahrungen mit SozialarbeiterInnen Hilfreich:

 rasche Reaktion des Jugendamts im An-lassfall

 freundliche, zuvorkommende Haltung

Hinderlich:

 kein/kaum Kontakt in der Klinik möglich

 keine Informationen zu

 keine Auskunft für Angehörige in der Klinik aufgrund von Datenschutzbestimmungen

 Hürden für aus Angehörigensicht notwendige Zwangsunterbringung sehr hoch

 ohne Vollmacht des Erkrankten kein Rezept erhältlich

Wünsche, Bedürfnisse und Anregungen

 als Angehöriger von den Professionisten in der Klinik wahrgenommen zu werden

 ausreichende Information, Aufklärung und Gesprächsmöglichkeiten mit ÄrztInnen und So-zialarbeiterInnen in der Klinik

 Einbindung der Angehörigen in die Behandlung

 aktive Kontaktaufnahme durch SozialarbeiterInnen in der Klinik erwünscht

 langfristige Begleitung und Hilfestellung bei Problemen im Umgang mit den Erkrankten

 rasche Hilfe in familiären Krisensituationen — Unterstützung in Haushalt und Kinderbe-treuung

 eine Ansprechperson in der Klinik für Information, Beratung und Organisation von sozialen Hilfe- und Unterstützungsleistungen

 Professionisten sollen auf Selbsthilfegruppen aufmerksam machen

 Hausbesuche durch Professionisten, wenn es Kranken nicht möglich ist das Haus zu ver-lassen

 Öffentlichkeitsarbeit durch Professionisten: Aufklärung der Gesellschaft über psychische Erkrankungen und Enttabuisierung

Tabelle 7: Übersicht über die hilfreichen und hinderlichen Erfahrungen mit dem professionellen Hilfesystem und den Unterstützungsbedarf (eigene Darstellung).