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Ziel der vorliegenden Untersuchung ist, Belastungen von Angehörigen psychisch Er-krankter aufzuzeigen und den Hilfebedarf zu erkunden, der notwendig ist, um das Leid der Angehörigen zu verringern und ihre Situation zu verbessern. Dabei erscheint es sinn-voll, auch die Bewältigungsstrategien, die Angehörige von sich aus entwickelt haben, zu erheben. Folgende Forschungsfragen sollen beantwortet werden:

1. Welche Belastungen haben Angehörige psychisch erkrankter Menschen?

2. Was tun Angehörige, um sich zu entlasten, welche Bewältigungsstrategien haben Sie und auf welche Ressourcen greifen sie zurück?

3. Welche positiven und negativen Erfahrungen haben Angehörige psychisch er-krankter Menschen mit dem professionellen Unterstützungssystem, und was sind ihre Bedürfnisse und Wünsche?

Zu diesem Zweck wurden qualitative Interviews mit Angehörigen psychisch Erkrankter durchgeführt und analysiert. In diesem Kapitel wird die Forschungsmethodik erläutert, wobei eine kurze Einführung zur qualitativen Sozialforschung gegeben wird und das Da-tenerhebungsverfahren sowie das Datenanalyseverfahren dargelegt werden.

3.1. Empirische Sozialforschung — qualitativer Forschungsansatz

„Empirische Sozialforschung ist die systematische Erfassung und Deutung sozialer Tat-bestände.“ (Atteslander 2003: 3) Empirische Sozialforschung erfasst und deutet somit menschliches Verhalten, das beobachtet werden kann, oder Einstellungen, Meinungen und Erfahrungen von Menschen, die durch Sprache vermittelt werden (vgl. Atteslander 2003: 5).

Diese Arbeit gründet sich auf einem qualitativen Forschungsansatz. Der Fokus qualita-tiver Forschung liegt darauf, „Lebenswelten ‚von innen heraus‘ aus der Sicht der han-delnden Menschen zu beschreiben.“ (Flick et al. 2005: 14) Die Lebenswelt von Familien mit psychisch Erkrankten ist komplex, womit auch die Belastungen für die Angehörigen sehr vielfältig und individuell in Erscheinung treten. Um, mit dem Ziel einer sinnverste-henden Analyse, diesen hochdifferenzierten Gegebenheiten gerecht zu werden, sind qualitative Methoden besonders geeignet (vgl. Lamnek/Krell 2016: 449).

Zu den Grundprinzipien qualitativer Sozialforschung zählen:

 Offenheit gegenüber den Untersuchungspersonen, der Untersuchungssituation und den Untersuchungsmethoden, das heißt Verzicht auf eine vorangehende Hy-pothesenbildung

 Kommunikation als konstituierendes Element der Forschung

 Reflektierte und anpassungsfähige Einstellung des Forschers/der Forscherin

 Prozesscharakter des Forschungsaktes

 Einbeziehen der Subjektivität des Forschers/der Forscherin

 Explikation als Offenlegung des Forschungsprozesses (vgl. Lamnek/Krell 2016:

33 ff.).

3.2. Datenerhebung

Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurden persönliche Befragungen von Angehö-rigen psychisch Erkrankter in Form von Interviews durchgeführt.

3.2.1. Auswahl der InterviewteilnehmerInnen

Zielgruppe der Interviews waren Eltern, Partner oder Geschwister von depressiv oder schizophren Erkrankten. Regelmäßiger Kontakt zu den Kranken war eine Voraussetzung, unmittelbares Zusammenleben im gleichen Haushalt nicht unbedingt erforderlich. Ausge-schlossen wurden Kinder mit einem psychisch erkrankten Elternteil als Interviewpartne-rInnen, weil diese Thematik durch ihren entwicklungspsychologischen Hintergrund sehr speziell ist und den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen würde.

Um InterviewpartnerInnen zu finden, wurde Kontakt zu einer Selbsthilfegruppe des Ange-hörigenverbandes aufgenommen. Das Vorhaben wurde dort vorgestellt, mehrere Perso-nen meldeten sich freiwillig für ein Interview. Weitere TeilnehmerInPerso-nen wurden durch Kontakte im persönlichen Umfeld der Autorin gefunden.

Wichtig war bei der Auswahl, dass im gesamten Sample alle Angehörigengruppen (El-tern, erwachsene Geschwister, PartnerInnen) und beide Krankheitsbilder, Depression und Schizophrenie, vertreten waren.

Nach sechs Interviews wurde theoretische Sättigung erreicht, es traten keine wesentli-chen neuen Erkenntnisse mehr zutage. Das Sampling wurde damit abgeschlossen.

Soziodemographische Daten der InterviewteilnehmerInnen

Da es sich bei einer psychischen Erkrankung um ein sehr persönliches und sensibles Thema handelt und der Wunsch der InterviewteilnehmerInnen nach Anonymität zu res-pektieren ist, wird auf die Darstellung genauer biographischer Daten verzichtet, damit keine Rückschlüsse auf die Identität der TeilnehmerInnen gezogen werden können.

Bei den 6 InterviewteilnehmerInnen handelte es sich um 5 Frauen und 1 Mann im Alter von 18 bis 60 Jahren, davon 2 PartnerInnen, 1 Schwester und 3 Mütter. Drei der Inter-viewteilnehmerInnen hatten einen akademischen Bildungsabschluss, zwei eine abge-schlossene Lehre, eine Teilnehmerin war noch in Schulausbildung. Bis auf die letztge-nannte waren alle InterviewteilnehmerInnen berufstätig.

Von den Erkrankten, die von 24 bis 60 Jahre alt waren, waren 2 mit Schizophrenie, 4 mit Depressionen diagnostiziert.

3.2.2. Das problemzentrierte Interview

Als geeignete Form des Interviews wurde das problemzentrierte Interview nach Andre-as Witzel gewählt. Es handelt sich hierbei um eine Kombination aus einer semistrukturier-ten Befragung und einer Narration: Der Rahmen von Fragen bzw. Themenbereichen ist vorgegeben, aber freie Erzählung zugelassen. Der Forscher/die Forscherin stimuliert das Thema, indem der/die Interviewte aufgefordert wird, möglichst frei Situationen und Erfah-rungen zu schildern. Indem der Forscher/die Forscherin aber auch gezielt nachfragt, wird immer wieder auf die interessierenden Problemstellungen zurückgeführt (vgl.

Lamnek/Krell 2016: 344 ff.).

Diese Art des Interviews erfordert eine gründliche Vorbereitung. Auf Basis von Recher-chen wird ein Leitfaden erstellt, der alle wesentliRecher-chen anzuspreRecher-chenden Aspekte beinhal-tet. Durch den Leitfaden wird sichergestellt, dass alle Themen, die im Forschungsinteres-se stehen, abgedeckt werden, gleichzeitig erlaubt die offen gehaltene Gesprächsführung Sinnzusammenhänge und subjektive Erlebensweisen zu erfassen (vgl. Lamnek/Krell 2016: 344 ff.). Daher erscheint diese Methode besonders geeignet, die Problemstellun-gen der vorlieProblemstellun-genden Arbeit zu untersuchen.

3.2.3. Interviewleitfaden und Durchführung der Interviews

Der Interviewleitfaden mit relevanten Fragen zur Beantwortung der Forschungsfragen wurde im Zuge der Beschäftigung mit der Theorie und Literatur eigens für die vorliegende Forschungsarbeit entwickelt. Er gliedert sich in drei Teile entsprechend den drei For-schungsfragen und ist im Anhang abgedruckt.

Die Interviews wurden im Zeitraum Ende Jänner bis Anfang März 2020 geführt.

Nach Siegfried Lamnek sollte „die Erhebungssituation möglichst vertraulich und ent-spannt sein.“ (Lamnek/Krell 2016: 334) Demgemäß konnten die InterviewteilnehmerInnen den Ort der Befragung frei wählen. Drei Interviews fanden bei den Befragten zu Hause statt, zwei in der Wohnung der Verfasserin der vorliegenden Arbeit, eines in einem Café.

Die meisten Interviews dauerten zwischen ein und eineinviertel Stunden, nur eines war mit 20 Minuten deutlich kürzer. Eine schriftliche Einwilligung (informed consent), in der Datenschutz und Anonymisierung zugesichert wurden, wurde von den Interviewteilneh-merInnen vor Beginn eingeholt.

Das Interview begann mit einem warming up, das aus der persönlichen Vorstellung der Interviewerin, aus Information zur Forschungsarbeit und schließlich einer Erzähleinladung in Form einer offenen Einstiegsfrage bestand: ‚Erzählen Sie doch einmal etwas von der Erkrankung ihres/ihrer Angehörigen, Sie können anfangen womit sie wollen.‘

Danach wurde auf das interessierende Thema übergeleitet. Die Fragen waren zum Teil ebenfalls Erzählaufforderungen, zum Teil Fragen, die auf einen direkten Informationsge-winn abzielten. Eingesetzt wurden des weiteren Aufrechterhaltungsfragen, um erzählte Situationen weiterzuführen, Steuerungsfragen, um mehr Details zu erfragen oder auf noch nicht angesprochene Themen hinzuführen, sowie Paraphrasierungen und Rück-spiegelungen des Gesagten (vgl. Lamnek/Krell 2016: 375).

Nachdem alle Themenbereiche des Interviewleitfadens behandelt worden waren, wurde zum Abschluss nach noch nicht angesprochenen Aspekten gefragt, die soziodemogra-phischen Daten erhoben und mit Dank das Interview beendet.

3.2.4. Transkription

Die Interviews wurden mit einem Mobiltelefon aufgenommen und anschließend transki-biert. Die Wortschreibung wurde ins Schriftdeutsche übertragen, der umgangssprachliche Satzbau jedoch beibehalten. Nicht sinntragende Füllwörter, Pausenlängen und Äußerun-gen wie seufzen, lachen etc. wurden im Regelfall nicht notiert, da sie für die Analyse der vorliegenden Arbeit nicht relevant sind.

Die Transkripte sind mit den Codes T1 bis T6 (für TeilnehmerIn 1 bis 6) anonymisiert, aber eindeutig benannt. Die Zitate im Ergebnisteil sind mit diesen Codes und

Zeilen-nummern des Transkripts bezeichnet. Ein kurzer Auszug aus einem Transkript ist im An-hang beigefügt.

3.3. Datenauswertung

Die Interviewdaten wurden mittels der Themenanalyse nach Ulrike Froschauer und Manfred Lueger kategorisierend ausgewertet. Diese Methode wird empfohlen, wenn der manifeste Inhalt des Gesagten sowie lebensweltliche Bedeutungen im Zentrum stehen und eine Zusammenfassung und Strukturierung verschiedener Themen angezeigt ist (vgl.

Froschauer/Lueger 2003: 158 ff.).

Die Themenanalyse beruht auf zwei Auswertungsschritten — der Textreduktion und der Codierung. In der Textreduktion werden die wichtigen Themen identifiziert und ihre Cha-rakteristika bzw. Zusammenhänge analysiert. Gemeinsamkeiten und Unterschiede der einzelnen Themen zwischen den verschiedenen Gesprächen werden betrachtet, und es wird versucht, die Charakteristika in den Kontext der Forschungsfragen einzuordnen. Im Zuge der Codierung werden aus den Gesprächstexten zentrale Themenkategorien abge-leitet und Subkategorien gesucht. Diese Kategorien werden miteinander verknüpft und in eine im Hinblick auf die Beantwortung der Forschungsfragen sinnvolle Struktur gebracht.

In der vergleichenden Analyse werden die verschiedenen Texte auf Ähnlichkeiten und Unterschiede miteinander verglichen (vgl. Froschauer/Lueger 2003: 158 ff.).

Um die Forschungsfragen zu beantworten, wurde in der vorliegenden Arbeit ein Katego-riensystem mit Subkategorien entwickelt, wobei Textpassagen und treffende Aussagen diesen Kategorien zugeordnet wurden. Dieses Kategoriensystem spiegelt sich in der Struktur des Ergebnisteils wider und umfasst die drei großen Themenbereiche Belastun-gen, Bewältigungsstrategien und Erfahrungen mit dem professionellen Hilfesystem. Im letzten Bereich wurden hinderliche und hilfreiche Erfahrungen der Angehörigen mit psy-chiatrischen Fachkräften, Wünsche, Unterstützungsbedarf und Verbesserungsvorschläge in Bezug auf das professionelle Hilfesystem gesammelt.

Um den mitbetroffenen Angehörigen eine Stimme zu geben und ihre eigenen Erfahrun-gen authentisch wiederzugeben, werden die Ergebnisse mit zahlreichen Originalzitaten präsentiert.

Aus den Forschungsergebnissen wird schließlich versucht, Schlussfolgerungen für die psychosoziale Praxis — insbesondere für die Klinische Soziale Arbeit — abzuleiten.