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4. F ORSCHUNGSERGEBNISSE

4.3. Erfahrungen mit dem professionellen Hilfesystem

4.3.1. Erfahrungen mit ÄrztInnen

Wenn PatientInnen stationär behandelt werden, ist das Bedürfnis von Angehörigen nach Informationen über den Zustand des/der Erkrankten, über Diagnose, Behandlung und Prognose sehr groß. Gerade am Beginn einer Erkrankung ist das Wissen über psychi-sche Krankheiten noch sehr gering. Mehrere Angehörige berichten, dass es sehr schwie-rig ist, mit den behandelnden ÄrztInnen in Kontakt zu treten:

„Aber was ich mich jetzt schon gefragt habe, ist, wieso jetzt eben mit den An-gehörigen so wenig Kontakt gesucht wird. Vom LKH gar nichts.“ (T2: 126-127)

„Wie er [der kranke Ehemann] damals das erste Mal ins LKH gekommen ist […] dass ich da mit dem Arzt, oder was, geredet hätte - ich kann mich über-haupt nicht erinnern.“ (T3: 335-338)

Eine Mutter berichtet folgendermaßen über das Problem, „dass ich überhaupt zu einem Arzt gekommen bin oder dass ich überhaupt Zugang hatte zu einem Gespräch.“ (T5: 573-574)

„Es bedarf schon der Eigeninitiative, dass man da eine Auskunft kriegt, dass man da irgendwie miteingebunden wird.“ (T5: 590-591)

„Dann dauert das im jetzigen Fall [aktueller Klinikaufenthalt] wieder zwei Wo-chen, bis man überhaupt einmal einen Arzt zu Gesicht bekommt, trotzdem man massiv sagt, ich möchte gerne einen Arzt sprechen.“ (T5: 600-602)

„Da bin ich auch, ich weiß nicht wie oft, vertröstet worden. Ja, sie [die ÄrztIn-nen] sagen, sie melden sich dann bei mir, und hin und her...“ (T5: 632-633)

Generell schildern Angehörige, dass sich ÄrztInnen in der Klinik zu wenig Zeit für ein Ge-spräch nehmen oder nicht aufmerksam zuhören. Es wird kaum Auskunft gegeben, und es gibt nur spärliche Informationen. Insgesamt wird der Kontakt zu den ÄrztInnen als wenig hilfreich oder sogar enttäuschend erlebt:

„Unsere Erfahrung mit Ärzten war, […] sie haben sich keine Zeit genommen und sie haben nicht wirklich zugehört.“ (T6: 982, 987)

„Für mich persönlich war es eher enttäuschend, muss ich sagen. Also, dass eben von klinischer Seite ganz wenig irgendwie für Angehörige [gemacht wird]. Da gibt es eigentlich kaum Infos. Und gerade dann in Bad Aussee, das war eigentlich nur zum Ärgern. Die Gespräche mit der Ärztin dort, es wäre gescheiter gewesen, ich hätte nie mit ihr geredet. […] Sie hat das überhaupt nicht ernst genommen, meine Sorgen, usw. […] So ein bisserl abgewimmelt sogar.“ (T2: 646-665)

Eine Angehörige sieht den Grund dafür, dass es zu wenig Zeit für ausführliche Gesprä-che gibt, darin, dass das Personal sehr belastet ist und es zu wenig personelle und zeitli-che Ressourcen gibt. Auf die Frage, ob es von Seiten des mediziniszeitli-chen Personals ge-nauere Informationen zum Krankheitsbild bzw. Umgang mit krankheitsbezogenen Prob-lemen gegeben habe, antwortet diese Mutter:

„Nein, eigentlich nicht. Also, ich kann mich nicht wirklich erinnern, dass unter diesem Zeitdruck irgendwie etwas Ausführlicheres möglich gewesen wäre.

[…] Das System ist heillos überlastet.“ (T5: 742-743, 646)

Einige Angehörige berichten, dass sie es als sehr negativ empfunden haben, dass Ihnen nicht einmal die Diagnose mitgeteilt wurde. Eine Angehörige betont, dass es wichtig ge-wesen wäre, nähere Informationen zur Erkrankung ihres Mannes zu bekommen. Sie schildert, dass sie die psychiatrische Diagnose überhaupt nur zufällig während eines Ge-spräches am Rande erfahren hat:

„Und ich habe, bis zum dem Tag, an dem ich […] ins Spital gefahren bin, nicht gewusst, was mit ihm los ist, was er hat. […] Ich habe das eigentlich erst […] dann aufgrund von Gesprächen, wir haben ja auch Gespräche mit einem Pfleger gehabt, wo ich gerade dabei war, da habe ich das dann mitgekriegt.“

(T3: 360-364)

Auch ein Ehemann kritisiert, dass er während des vierwöchigen Krankenhausaufenthal-tes seiner Frau über die Diagnose im Unklaren gelassen worden ist. Auf die Frage, ob er über das Krankheitsbild informiert wurde, meint er:

„Nicht direkt, nein. Nur quasi über den [Entlassungs-]Befund dann, den meine Frau in die Hand gekriegt hat.“ (T2: 677, 681)

Die Haltung den Angehörigen gegenüber

Die Grundhaltung der professionellen HelferInnen ist ein entscheidender Faktor für die Zufriedenheit der Angehörigen mit dem psychiatrischen Unterstützungssystem. Angehö-rige wünschen sich von den ÄrztInnen eine partnerschaftliche, wertschätzende Haltung.

Sie erwarten sich, dass ihre Sorgen ernst genommen werden. In der Realität kommt es aber immer wieder vor, dass Angehörige mit Desinteresse oder sogar Unfreundlichkeit konfrontiert sind. Ein Angehöriger berichtet, dass eine Klinikärztin ihm zu verstehen ge-geben habe, dass es nicht ihre Aufgabe sei, sich um Angehörige zu kümmern.

Eine Mutter hat schlechte Erfahrungen mit der Art und Weise gemacht, wie die ÄrztInnen ihr und ihrer Tochter gegenübergetreten sind, und wirft ihnen eine überhebliche Haltung vor:

„Da haben wir eigentlich von Ärzten keine Hilfe bekommen. Also diese […]

waren Besserwisser und irgendwie von oben herab — arrogant.“ (T6: 1009-1010)

Auf der anderen Seite gibt es sehr wohl auch ÄrztInnen, die mit den Angehörigen freund-lich und verständnisvoll umgehen. Jene Mutter, die kritisiert, dass im Krankenhaus aus Zeitdruck kaum Gelegenheit für ein Gespräch sei (siehe vorangehenden Abschnitt Infor-mation), beschreibt die Haltung des medizinischen Personals grundsätzlich als nett und bemüht:

„Ich muss sagen, das [Gespräch] war immer offen, mit einer Anteilnahme, das Gefühl habe ich schon gehabt. […] Grundsätzlich finde ich das Personal sehr nett, grundsätzlich, weil das ist ja eine ganz eigene Branche und sehr große Belastung für die, die dort sein müssen. Jetzt habe ich schon ein bisschen ei-nen Einblick aufgrund der vielen Krankenhausbesuche und der Zeit, die ich in diesen Anstalten verbracht habe. Das ist schon sehr bemüht.“ (T5: 774-775, 780-783)

Vertrauensvolle Beziehungen

Angehörige erleben es als besonders hilfreich und emotional entlastend, wenn eine ver-trauensvolle Beziehung zu einem Facharzt bzw. einer Fachärztin besteht, der/die enga-giert und verständnisvoll ist und an den/die sie sich jederzeit wenden können.

Auch wenn die negativen Erfahrungen — speziell mit KlinikärztInnen — breiteren Raum in den Interviews einnehmen, gibt es auch einige erfreulich positive Aussagen — die sich auf den Kontakt mit niedergelassenen ÄrztInnen beziehen.

Eine Angehörige berichtet, welches Glück sie und ihr Ehemann mit ihrem Arzt haben:

„Prof. [W.] begleitet uns das ganze Leben schon, dreißig Jahre lang. […] Er hat uns wirklich sehr geholfen.“ (T3: 313-314)

„Er hat immer ein offenes Ohr. […] Wir können ihm eigentlich alles anvertrau-en.“ (T3: 1008-1009)

Diese Angehörige hebt auch hervor, dass der Arzt ihre Unterstützung für den kranken Ehemannes zu würdigen weiß und dass sein Lob aufbauend wirkt:

„Und er sagt auch immer zu mir, er bewundert mich so, ich bin so stark, und was ich alles geschafft habe — und sage ich, ich habe gar nichts — sagt er, sicher, was ich dazu beigetragen habe.“ (T3: 320-322)

Besonders zu schätzen weiß diese Angehörige, dass der Arzt Ihnen seine private Han-dynummer gegeben hat, sodass sie und ihr Mann ihn bei akuten Problemen jederzeit, auch am Wochenende, anrufen können:

„Immer, hat er gesagt: ‚Ihr wisst, wenn etwas ist, ruft mich an.‘ […] Und wenn er nicht abhebt, dann ruft er prinzipiell zurück. […] Einmal hat er sogar von der Schipiste zurückgerufen, weil er leidenschaftlicher Schifahrer ist.“ (T3:

987-991, 981)

Ähnlich positive Erfahrungen mit der Ärztin ihres schizophreniekranken Sohnes schildert auch eine Mutter:

„Und die Fachärztin ist eine ganz tolle Frau, da ist er in guten Händen. […]

Diese Frau hat zu mir gesagt, rufen Sie mich an, und wenn es um zehn am Abend ist. […] Dann habe ich einmal angerufen, da war es schon nach neun, und da war sie aber noch in der Ordination. Und die Assistentin hat gesagt, sie kann momentan nicht, aber sie ruft dann zurück. Und sie hat mich um zehn zurückgerufen.“ (T1: 993, 1002-1007)

Bereits beim Erstkontakt zeigte diese Ärztin ganz besonderes Engagement. Der Sohn, der nur mit Mühe überhaupt zum Aufsuchen der Ordination überredet werden konnte, hielt das Warten nur wenige Minuten aus und verließ das Wartezimmer wieder. Die Mut-ter schildert:

„Dann ist er [der Sohn] hinunter, ich bin aber oben geblieben. Nach ungefähr einer Viertelstunde ist die Ärztin herausgekommen und hat ihn aufgerufen. Ich habe gesagt: ‚Ich bin die Mutter, er ist leider davongerannt, er hat das Warten nicht ausgehalten.‘ Hat sie gesagt: ‚Wo ist er?‘ ‚Na unten.‘ Ist sie ihm nachge-rannt. Das habe ich auch noch nicht erlebt. Hat sie gesagt, sie wird runterge-hen schauen, ob sie mit ihm reden kann. Und sie hat dann geredet mit ihm, so 10, 12 Minuten.“ (T1: 468-473)