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Der Turm von Babel konnte mangels Verständigung nicht gebaut werden, was ver-ständlich erscheint, denn Menschen sprechen nicht nur verschiedene Sprachen, son-dern sie gehen ganz unterschiedlich mit den Dingen um; sie denken und handeln überhaupt sehr uneinheitlich. Daß sich Menschen über kulturelle Deutungen

46 PsF I S. 13

47 VM S. 339 Hervorh. S.W. Die Dominanz beispielsweise des Religiösen über alle Lebensbereiche, nein: über alle Kulturbereiche, wie es in unseren Breiten in der Zeit des frühen Mittelalters der Fall war, war irgendwann nicht mehr aufrechtzuerhalten, so daß die sie auflösenden Kräfte, von denen die Reformation bestenfalls ein Teil war, die erhaltenden überwiegen konnten. Die Dominanz des Religiösen wurde in unserem Kulturkreis abgelöst. Heute scheint es, als besitze statt ihrer die mo-derne Technik, oder auch die momo-derne Wirtschaft diese Dominanz.

ständigen wollen, das setzt i.d.R. eine tolerante und wertschätzende Gesinnung vor-aus. In Familien ist heutzutage die Frage, wie man sich miteinander verständigt, von besonderer Bedeutung. Wenn wir hier, im Vorgriff auf derartige Fragen, einen Ent-wurf zu dem suchen, was Verständigung sein könnte, so geht es um eine Richtungs-suche: was müßte nach Cassirer notwendig beachtet werden, wenn das Kulturelle der Verständigung dienen soll, denn für Cassirer kann der Sinn der Kultur zweifellos nur der sein, der Verständigung zwischen Ich und Du zu dienen. Er kann also nicht darin liegen, gewisse auserwählte Kulturwerke hervorzubringen, wie manch einge-schränkter Kulturbegriff es ja nahelegt, in deren „beharrender Existenz der schöpfe-rische Prozeß erstarrt“48. Alle Kulturwerke sind vielmehr auf das „Du“ gerichtet, auf

„das andere Subjekt, das dieses Werk empfängt, um es in sein eigenes Leben einzu-beziehen und es damit wieder in das Medium zurückzuverwandeln, dem es ur-sprünglich entstammt.“ Subjekte sollen, so könnte man daraus schließen, die Per-spektiven auf sich selbst und auf die Welt aus den Erzeugnissen der Kultur gewin-nen.

Nun ist es ja gewiß nicht neu, das Kulturelle hinsichtlich seiner Materialisierungen und seiner ideellen Geltungen als Verstehensmedium zwischen „Ich und Du“ über-haupt zu begreifen. Bei Cassirer geschieht dies insofern überzeugend, als er ja an-hand seiner Kriterien nachweist, daß das Kulturelle und das Subjektive in einem konstitutiven Bedingungszusammenhang stehen. „Ich“ und „Du“ sind für Cassirer nicht „fertige Gegebenheiten ... die durch die Wirkung, die sie aufeinander ausüben, die Formen der Kultur erschaffen. Es zeigt sich vielmehr, daß in diesen Formen und kraft ihrer beiden Sphären, die Welt des ‚Ich’, wie des ‚Du’, sich erst konstituieren.“49 Deswegen bestehen das Ich und das Du „vielmehr nur insoweit, als sie ‚füreinander’

sind, als sie in einem funktionalen Verhältnis der Wechselbedingtheit stehen. Und das Faktum der Kultur ist eben der deutlichste Ausdruck und der unwidersprüch-lichste Beweis dieser wechselseitigen Bedingtheit.“50

Diese „wechselseitige Bedingtheit“ bewirkt, so Cassirer, daß sich Ich, Du und die kulturelle Welt „niemals als etwas schlechthin Starres, Verfestigtes“ gegenüberstehen können. Insofern ist ein „Werk“ der Kultur, so gefährlich es seinen Möglichkeiten

48 LK S. 110

49 LK S. 50f, Hervorh. E.C.

50 LK S. 49

nach und auch tatsächlich sein mag, kein „Absolutes“, das zwischen den Menschen steht, „sondern es ist die Brücke, die von einem Ich-Pol zum anderen hinüberführt.

Hierin liegt seine eigentliche und wichtigste Funktion. Der Lebensprozeß der Kultur besteht eben darin, daß sie in der Schaffung derartiger Vermittlungen und Übergän-ge unerschöpflich ist.“51 Und „ihr Gehalt besteht für uns nur dadurch, daß es ständig von neuem angeeignet und dadurch stets aufs neue geschaffen wird.“52 Revolutionär hier, fast unbemerkt dort. Zwischen Generationen hier, zwischen Interessenkollekti-ven dort. Der Sinn der Kultur als solche, ihre Funktion, anders gesagt, liegt für Cassi-rer allein darin, daß sie „Brücken“ der Verständigung aufzeigt.

Dabei gilt es nun folgendes zu betonen: Das Kulturelle ist nicht auf das Soziale und auch nicht auf die Materialisierungen der Kultur hin festzulegen. Das Kulturelle läßt sich nur angemessen beschreiben, wenn es als Beziehungsgeflecht zwischen Ich, Du und der dinglichen Welt gedacht wird. Das heißt: Wir haben, ob uns das paßt oder nicht, eine Beziehung zu Dingen, die aus unserer Selbst- und aus unserer Ich-Du-Beziehung nicht auszuschließen ist, denn wir haben sie sinnvoll mit all unseren Kompetenzen hergestellt. Die Dinge umgeben uns beständig in jedem Augenblick, sie sind uns na-he, sind Teile unserer Erfahrung in einem tieferen Sinn als nur dem des Brauchens und Ge-brauchens.

„Es gibt keine Wahrnehmung, die nicht einen bestimmten ‚Gegenstand’ meint und auf ihn gerichtet ist. Aber dieser notwendige objektive Bezug stellt sich uns in einer zweifachen Richtung dar, die wir kurz und schematisch, als die Richtung auf das ‚Es’

und als Richtung auf das ‚Du’ bezeichnen können. Immer besteht in der Wahrneh-mung eine Auseinanderhaltung des Ich-Poles vom Gegenstands-Pol. Aber die Welt, die dem Ich gegenübertritt, ist in dem einen Falle eine Ding-Welt, in dem anderen Falle eine Welt von Personen. Wir betrachten sie das eine Mal als ein Ganzes räumli-cher Objekte und als den Inbegriff zeitliräumli-cher Veränderungen, die sich an diesen Ob-jekten vollziehen, während wir sie das andere Mal als etwas ‚unseresgleichen’ be-trachten. Die Andersheit bleibt in beiden Fällen bestehen; aber in ihr selbst zeigt sich ein charakteristischer Unterschied. Das ‚Es’ ist ein anderes schlechthin, ein aliud; das

‚Du’ ist ein alter ego. Es ist unverkennbar, daß, je nachdem wir uns in der einen oder der anderen Richtung bewegen, die Wahrnehmung einen anderen Sinn und

51 LK S. 110

52 LK S. 111

sermaßen eine besondere Färbung und Tönung gewinnt. Daß der Mensch die Wirk-lichkeit in dieser doppelten Weise erlebt, ist unverkennbar und unbestritten. Hier handelt es sich um ein einfaches Faktum, an dem keine Theorie rütteln und das sie nicht aus der Welt schaffen kann. Warum fällt es der Theorie so schwer, dieses Fak-tum zuzugeben? Warum hat sie immer wieder den Versuch gemacht, nicht nur von ihm zu abstrahieren – was methodisch durchaus erlaubt ist -, sondern es auch gera-dezu zu leugnen und zu verleugnen?“53

Ganz offensichtlich übernimmt Cassirer hier eine Sichtweise Martin Bubers, nämlich die beiden Grundhaltungen, - Buber hat sie „Grundworte“ 54 genannt - mit denen wir

„der Welt“ begegnen: Die vom „Ich-Du“ und die vom „Ich-Es“. Und mit Übernahme dieser Sichtweise gibt er einen ganz grundlegenden und für das menschliche Zu-sammenleben ganz entscheidenden Hinweis: Die Beziehung zur personalen und zur dinglichen Welt ist eine grundlegend verschiedene. „Sage ich zu einem Menschen

‚Du’, so weiß ich in diesem Moment nichts einzelnes über ihn – ich weiß überhaupt nichts über ihn -, ich kann ihn nicht beschreiben, einreihen, einordnen, gebrauchen, verwenden oder erobern. Er ist mir nicht Gegenstand, sondern Gegenüber. Auch das Ich des Grundwortes Ich-Du ist unbeschreibbar. In der Beziehung kann ich nie sagen:

‚So bin ich’. Aber ich kann sagen: ‚Ich bin’“ ... „Wenn ich zur Welt ‚Es’ sage, wird sie mir zum Objekt. Objekte kann ich enreihen, ordnen, gebrauchen, beschreiben und erobern. Sie haben ihren festen Platz in Raum und Zeit, aber ich teile mit ihnen keine Gegenwart. Ich kann sie erfahren – dann sind sie in mir – aber ich kann mit ihnen nicht in Beziehung treten.“55 Es ist Cassirers Apell, die personale und die dingliche Welt in ihrer unterschiedlichen Bedeutsamkeit für unser Erleben zu erkennen.

Unsere Eingangsfrage war, was im Anschluß an Cassirer notwendig beachtet werden muß, wenn man seiner Maxime folgt, die den Sinn aller Kultur in der Förderung menschlicher Kommunikation sieht. Die Antwort könnte lauten: Menschen können sich, sei es auch in bester Absicht, nicht nur dem alter ego zuwenden, sondern Ver-ständigung bedeutet notwendig die Hinwendung zur Andersheit überhaupt. Es geht al-so um ein Dreiecksverhältnis. Der dritte im Bund ist für Cassirer die materiale Welt, die von Menschen tätig gestaltete Welt. Die künstliche Welt letztlich. Die „Dinge“

53 LK S. 39; Hervorh. E.C.

54 Zitiert nach Tyrangiel 1981, S. 17

55 Tyrangiel 1981, S. 17f

ten unsere Orientierungen im Alltäglichen, wie im Außeralltäglichen an und sind auch vom „Ich“ und „Du“ nirgends abzulösen. Die Dingwelt zeigt die Menschenwelt an. Aber es ist so, daß unsere intiuitive Wahrnehmung von Situationen und Men-schen die Ding- und die Personenwelt nicht ineins setzt. Nich ineins setzen soll, will sie das menschliche Wesen – oder auch die Lebewesen überhaupt - in ihrer Unver-fügbarkeit, und will sie die Dinge in ihrer Verfügbarkeit respektieren. Wenn wir die Kulturgestalt Familie betrachten, werden wir also diesem Punkt, der Dingwelt, Auf-merksameit zuwenden müssen.