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3. Benchmarking 4. Evaluation

1.4. Selbstevaluation und Professionalisierung

1.4.3 Selbstevaluation und die historische Entwicklung der Profession

Es stellt sich hier auch die Frage, warum Soziale Arbeit in ihrer Geschichte bislang einer derartig alltagstauglichen Methode nicht bedurfte und welche Ersatzmethoden es für die von uns ja als unverzichtbar angesehene Bewertung gab.

Die erste Antwort ist: Soziale Arbeit wurde bis in die sechziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts über eine vom Alltagsethos getragene Gesinnung, über berufsethische Haltungen gesteuert, nicht nur in der Heimerziehung, wie oben schon dargestellt. Es war bis in die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts noch mit einem Konsens über Moral, an der sich auch Berufsethik orientierte, zu rechnen und man konnte damit über alle Schichten der Gesellschaft hinweg arbeiten. Moralischer Konsens, gesellschaftlich akzeptierte Regeln, durch Institutionen hoch normierte Moralvorstellungen reduzierten von vornherein Komplexität so, dass eine jeweilige methodische Anpassung an bestimmte Arbeitsfelder und individuelle Lebensentwürfe weit weniger nötig war. Die Anpassungsleistung wird in einer starren Moralkasuistik überwiegend in das Subjekt verlegt (Thiersch 1995, S. 11-24).

Identität bildet sich in neuerer Zeit nicht mehr so sehr über den Grad gesellschaftlicher Angepasstheit, sondern eher über individuelle Lebensentwürfe. Dies macht eine ethische und

methodische Umstellung des Professionsprofils nötig, die die Profession der Sozialen Arbeit nun schon Jahrzehnte beschäftigt und ihr auch als Beruf Identitätsprobleme bereitet (Beck 1986, S. 205ff).

Orientierende Suchbewegungen von Disziplin und Profession gingen in den letzten Jahrzehnten über in eine bis heute jedenfalls in der Praxis oft unreflektierte nachbardisziplinorientierte affirmative Wissenschaftsorientierung. Jenseits von Wissenschaft war Soziale Arbeit mangels Eigenprofil immer anfällig für politische, therapeutische oder zu moralaffirmative Optionen. Neuerdings neigt die Profession, trotz Warnungen der Disziplin, zu unreflektierten und umstandslosen Übernahmen von Qualitätsentwicklungsansätzen, insbesondere solcher Methoden, die Wirkungsmessung versprechen (Thiersch 1995, S. 211ff;

Heiner 2000, S. 207-226).

Parallel zu diesen Zeitströmungen wurde aber auch wieder der Mensch mit seinem komplexen kulturellen Dasein „entdeckt“, seiner Lebenswelt, in seinem biographischen Entwicklungszusammenhang, wie er in klassischer Weise schon früh etwa von Berger/Luckmann beschrieben wurde (Berger & Luckmann 1987; Thiersch 1992). Und parallel dazu, zwischen Alltagsorientierung und Methodenorientierung, wurde das Projekt der Professionalisierung des noch jungen akademischen Berufs vorangetrieben (Dewe & Otto 2001, S. 1399-1423; Heiner 2004, S. 15ff).

Der Sozialpädagoge als Forscher im Fall wurde zu einem neuen Leitbild, wenn auch zunächst noch sehr durch therapeutische Paradigmen bestimmt (Müller 1985; Olk 1986; Combe &

Helsper 1997; Spiegel 2004).

Mit dem „Abwurf der Last der großen Hoffnungen“ (Müller 1985) und dem „Abschied vom Experten“ (Olk 1986) wurde die Lebenswelt, der Alltag als Arbeitsfeld zunehmend in den Blick genommen. Es wurde erkannt, dass Soziale Arbeit durch eine zu praxisferne Methodisierung und eine zu subjektignorante Expertokratie den Lebenskontext der Klienten aus den Augen verlieren kann. Die Gefahr der „Kolonialisierung der Lebenswelten“ wurde bewusst gemacht, insbesondere auch durch Arbeiten von Hans Thiersch (Thiersch 1992).

Wenn aber die Arbeit am Menschen nicht auf einer beraterisch-therapeutischen künstlichen Insel und allzu umstandslos orientiert am Ethos des Bürgertums möglich ist, dann muss der Alltag in seiner ganzen Komplexität und jeweiligen individuellen, familiären und kulturellen Eigenheit als Ausgangspunkt und Ziel stärker beachtet werden. Anschließend wird es methodisch nötig, will man nicht Professionalität verfehlen, ein professionelles Arbeitssetting passend zur Situation und zum bearbeitenden Problem immer erst jeweils wieder neu

herzustellen und experimentierend und evaluierend weiterzuentwickeln (Heiner 1998 und 2004).

Gleichzeitig mit der zunehmenden Professionalisierung und einem aufgeklärten Expertenverständnis wurde ab den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts wieder neu erkannt, dass die Legitimation des Berufes und der einzelnen Interventionen einer Berufsethik bedarf (Rauschenbach & Thiersch 1987; Heiner 2007, S. 169ff).

Verschiedentlich wurde auch versucht, typologisch Professionswissen zu verbessern. Hier gab es Importe aus dem therapeutischen Bereich, die zu nicht nur berechtigter Berühmtheit gelangten: Der hilflose Helfer und als positive Gegenüberstellung der therapeutisch-distanzierte Profi als zwei Varianten einer verfehlten Professionalisierung (Schmidtbauer 1977). Heiner hat diese zunächst methodisch antwortlose Engführung Schmidtbauers erweitert auf der Basis einer Untersuchung unterscheidbarer beruflicher Handlungsmodelle.

Mit der Herausarbeitung eines dem Beruf am besten entsprechenden Professionstyps und der Kontrastierung mit drei abweichenden Modellen hat Heiner ein empirisch umfassenderes Modell von beruflichen Fehlhaltungen entwickelt (Heiner 2007, S. 406ff).

Wenn auch die Untersuchung von Heiner zu einer Typologie der Berufsrollenverständnisse wegen der dort dominierenden Teamarbeit nicht ohne Weiteres auf die Heimerziehung übertragbar ist, so können die von Heiner gefundenen vier Grundmodelle doch auch hier beobachtet werden: als Grundverständnisse der eigenen Berufsrolle auch von ganzen Teams, deren Identität durchaus in quasi kollektiver Einseitigkeit einer beruflichen Haltung verharren kann. Allemal aber sind die beschriebenen Haltungen bei den einzelnen Fachkräften zu finden.

Heiner differenziert in das Dominanzmodell, das Aufopferungsmodell, das Servicemodell und das Passungsmodell (Heiner 2007). Steht das Aufopferungsmodell (Helfersyndromgefahr), das gerade in der Heimerziehung ideologisch überhöht jahrhundertelang als Vorbild galt, seit den siebziger Jahren in der Kritik, weil es schon kräftemäßig nicht durchzuhalten ist, so hat das Dominanzmodell (auch als „schwarze Pädagogik“ berühmt geworden) spätestens seit der Erneuerung des KJHG wegen mangelnden Dienstleistungsverständnisses als Leitbild abgedankt. Sehr stark favorisiert wurde seit den 80er Jahren im Anschluss an bestimmte therapeutische oder bürokratische Orientierungen das Servicemodell, das allerdings spätestens mit den Finanzproblemen der Haushalte in den 90er Jahren seine Grenzen erfuhr. Der therapeutische Ansatz verfehlt leicht die Lebenswelt, der bürokratische das Subjekt (Heiner 2007, S. 411).

Heiner favorisiert empirisch begründet das von ihr so genannte Passungsmodell. Sie

beschreibt die typische Einstellung einer Fachkraft, die nach dem Passungsmodell arbeitet, u.

a. so:

Fachkräfte, die von einem Passungsmodell (Typ 4) methodischen Handelns ausgehen, sind nicht nur von der Qualität, sondern auch von der Wirksamkeit ihres Angebotes (ihrer Institution sowie ihrer eigenen Arbeit) überzeugt – ohne jedoch Schwierigkeiten, Unsicherheiten und Niederlagen zu leugnen. Sie gehen dabei nicht davon aus, dass ihr Angebot schon immer auf die Bedürfnisse der Klientel zugeschnitten ist und dass die üblichen Interventionen auch für diesen Fall die angemessene Lösung darstellen. Sie bemühen sich vielmehr darum, diese Passung durch einen fallspezifischen Zuschnitt ihrer Interventionen zu erreichen, und sie überprüfen immer wieder die Qualität ihres Angebots auf der Grundlage kontinuierlicher Erkundungen des Möglichen und einer interventionsbezogenen Evaluation ihres eigenen Tuns. (Heiner 2007, S. 411f)

Maja Heiner erwähnt im Zitat als Kriterium guter Praxis ausdrücklich die Überprüfung der Qualität der eigenen Arbeit durch Evaluation, die hier vor allem als methodische Selbstevaluation verstanden werden kann, auch wenn diese in der Praxis oft sehr pragmatisch geschieht und meist mit den Begriffen Prüfen, Bewerten oder Kontrollieren benannt wird.

Halten wir das Ergebnis fest: Selbstevaluation ist nachweisbarer und notwendiger Bestandteil einer guten Praxis, versteht man die Professionalität der Sozialen Arbeit als zwar gesellschaftlich im Rahmen von Recht und Geld beauftragte, aber fachlich als eine relativ autonome, nach eigenen Kriterien sich bewertende Praxis.