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Zu Theorieformen und Theorieebenen:

2.2.4 Orientierungswissen und Orientierung im Wissen der Profession

Allgemein können nach Heiner jenseits von Akzentsetzungen für bestimmte Arbeitsfelder als Orientierung für die berufliche Rolle angegeben werden (Heiner 2004, S. 38):

Für die Rollen- und Auftragsklarheit:

• Ein Bewusstsein der intermediären Funktion der Sozialen Arbeit und der daraus sich ergebenden schwierigen Gratwanderungen zwischen diversen Polaritäten

• Ein Bewusstsein der doppelten Aufgabe der Sozialen Arbeit im Blick auf Personen und deren existenzielle Rahmenbedingungen

• Ein Bewusstsein der Grenzen der Beeinflussbarkeit von Menschen und damit der Grenzen der Hilfe.

Für die Verortung des Aufgaben- und Rollenverständnisses:

• Gewissheit einer eigenen Kompetenzdomäne im Verhältnis zu anderen Berufsgruppen und Professionen primär durch „eigenständige Verwendung des Wissens aus anderen Disziplinen, verbunden mit eigenen Wissensbeständen sowie mit eigenständigen Ziel- und Wertvorstellungen“ (Heiner 2004, S. 39).

• Ganzheitliches, alltagsorientiertes, sozialökologisches und partizipatives Vorgehen mit einer charakteristischen Doppelung aus zugleich problemlösendem und verständigungsorientiertem kommunikativen Handeln als wichtiges Unterscheidungskriterium zu anderen Professionen (vgl. Heiner 2004, S. 39).

Diese Berufsrollenorientierung verweist auch auf eine Vorstellung von Professionswissen, das sich zwischen Wissenschaftswissen, Professionswissen und Alltagswissen bewegt und unter Beachtung der oben aufgezeigten Rollenverortung ihre eigenen Wissensbestände mit eigenen Ziel- und Wertvorstellungen entwickelt und anwendet.

Doch wie soll Wissen für die Profession generiert, geordnet und abrufbar bereitgestellt werden, und wie soll die Profession dies methodisch leisten? Wenn es, wie bei der Selbstevaluation, um Evaluation in der Praxis geht, wie soll auch Berufsethik und Berufsmoral als Teil des Professionswissens bewusst reflektiert werden können, was eine notwendige Voraussetzung für verantwortlich praktizierte Selbstevaluation sein dürfte? (Vgl.

Heiner 2007, S. 169ff.)

Ausgehend von diesen Fragen kommen wir noch zu weiteren Überlegungen zur Wissensverwendung in der Profession:

Das Handlungswissen der Praxis ordnet sich nicht in der Logik wissenschaftlicher Theorien, sondern entsteht großenteils durch Typisierungen und Verständigung über Handlungsmuster, die in Praxiskontexten entstehen. Über die Zeit bilden sich dann Konventionen aus Bewährtem (Radtke, 1983; Bieniussa, 1986). Die Profession konstruiert sich ihr Orientierungswissen und Handlungswissen überwiegend selbst, wenn auch aus neu formulierten, umformulierten und mit Alltagswissen verbundenen und neu zusammengesetzten Teilen des in der Ausbildung Gelernten (Beck & Bonß 1998).

So existiert Professionswissen zum Großteil in Form beruflicher Konventionen, die ihre Geltung durch Praktikabilität in den jeweiligen Handlungssituationen erhalten. Auch das sozialpädagogische Berufsethos, sofern es praktisch wird, stellt sich erst in der Praxis her. Es ist hier zu differenzieren zwischen praktischem, gelebtem Ethos und expliziter Berufsethik (Schneider 1999, S.161ff).

Wissensgenerierung und Verwendung des Wissens wurden mehrfach untersucht und beschrieben (vgl. als Überblick: Combe & Helsper 1997), und es gibt eine lange Liste von Argumenten und Problemen, die der Sozialen Arbeit einen bewussteren Umgang mit Wissen nahelegen:

(1) Die Soziale Arbeit beschreibt sich überwiegend mit Begriffen fremder Fachdisziplinen, ohne die Folgen für ihre Identitätsstruktur systematisch und ausreichend bearbeiten zu können, auch mangels anerkannter Zentraltheorie. Der Import von Paradigmen der Nachbardisziplinen verzerrt die berufliche Identität, wenn dieses Wissen unreflektierte Anwendung findet.

(2) Soziale Arbeit besteht aus vielen unterscheidbaren Praxen, die eine je eigene Wissensbasis konstruieren, die auf Konzeptebene bleibt. Diese erreicht nicht die Qualität von wissenschaftlicher Theorie.

(3) Der Beglaubigungsstatus der vorhandenen Fachliteratur ist zum Teil unsicher.

(4) Fachkräfte Sozialer Arbeit bearbeiten soziale Probleme zunehmend mit Hilfe einer fachlichen Kasuistik, die professionelle Wissensverwendungskompetenz voraussetzt.

(5) Will die Soziale Arbeit nicht einfach die Konjunkturen und Präferenzen der Nachbarwissenschaften übernehmen, muss sie einen identitätsbildenden Wissenskanon mit Bezug auf typische Fragen, Aufgaben und Probleme Sozialer Arbeit erarbeiten. Hier kann die Bezugnahme auf Klassiker, wie Winkler und Niemeyer dies fordern, Identität stiften und heuristisch helfen, aber ohne Forschung geht es nicht. In den letzten 15 Jahren sind deutliche Fortschritte durch viele Forschungsarbeiten und die Weiterentwicklung von Forschungsmethoden gemacht worden (vgl. als Überblick: Rauschenbach & Thole 1998; Otto, Oelrich & Micheel 2003; Schweppe & Thole 2005).

So dringend nötig wissenschaftliche Forschung ist: Die Gewinnung von Wissen durch Forschung beantwortet noch nicht die Frage nach der Ordnung des Wissens für die Profession und der methodischen Verwendung in der Praxis.

Im Folgenden sollen zwei Ansätze für die Wissensdifferenzierung und die Wissensverwendung dargestellt werden:

Jürgen Oelkers und Heinz-Elmar Tenorth stellen den Versuch einer „ersten Ordnung und Klassifikation“ pädagogischen Wissens vor. Sie stellen hierbei nicht die Erkenntnis, sondern die Genese des Wissens in den Mittelpunkt. Es geht nicht nur um den wissenschaftlichen Wahrheitsstatus des Wissens, sondern auch um die praktische Entstehung, Wirkung und Verwendung von Wissen (Oelkers & Tenorth 1991, S. 21f).

Folgende Dimensionen pädagogischen Wissens werden von Oelkers und Tenorth unterschieden:

(a) Die Orte, neutraler die Systeme der Entstehung und Nutzung pädagogischen Wissens;

(b) die Funktionen, die das Wissen in der Offenheit der gesellschaftlichen Wirklichkeit gewinnen kann;

(c) die Muster und Instanzen der Beglaubigung, denen das Wissen seine Geltung verdankt;

(d) die Merkmale, die seine Struktur definieren;

(e) die Themen, die seinen Gegenstand unterscheidbar machen;

(f) die möglichen Arten des Wissens (Oelkers & Tenorth 1991, S. 21).

Diese Dimensionen wurden im Blick auf die Pädagogik allgemein ausgearbeitet. Sie dürften auch auf die Soziale Arbeit übertragen werden können und als Prüf- und Ordnungskriterien anwendbar sein für einen bewussteren Umgang mit Wissen. Wenn man die Praktiker als Forscher sehen will, als Evaluatoren ihrer Arbeit und auch als diejenigen, die dem

gewonnenen Wissen schon in der Praxis eine systematische Ordnung geben sollen, dann bedarf es einer Kennzeichnungssystematik.

Als Orte der Entstehung des Wissens sind hier nicht nur Orte wissenschaftlicher Forschung gemeint, sondern eben auch die Praxis selbst als Ort der Wissensentstehung; und so sind die genannten Dimensionen anschlussfähig für eine bewusste Wissensgewinnung in beruflichen Evaluationskontexten und können Brückenfunktionen zwischen Theorie und Praxis erfüllen.

Einen Differenzierungsvorschlag für Arten des Wissens im Blick auf methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit liegt von Silvia Staub-Bernasconi vor. Sie stellt ein Set von Fragen auf, die eine Art Handlungstheorie für professionelles Handeln darstellen, und sie gibt an, welche Formen von Wissen als Produkte der Antwortversuche entstehen. Wir halten die Systematik auch für anschlussfähig an die Selbstevaluation und geben deshalb den Grundgedankengang auf die wesentlichen Begriffe reduziert wieder:

• Was ist die Ausgangsproblematik? Antwort: Beschreibungswissen.

• Warum oder weshalb ist die Problematik entstanden? Antwort: Erklärungswissen.

• Wohin tendiert die Situation bei Nichtintervention? Antwort: Trendaussagen.

• Was ist nicht gut? Was sollte sein? Antwort: Zielsetzungen (Wertewissen).

• Wer sollte was verändern? Antwort: Bild eines Akteursystems.

• Womit soll verändert werden? Antwort: Bild über individuelle und gesellschaftliche Ressourcen.

• Was muss entschieden werden? Antwort: Pläne, Maßnahmen.

• Wie soll Veränderung herbeigeführt werden? Antwort: Verfahren und Methoden.

• Wurden die Ziele erreicht? Produkt: Evaluationswissen (Staub-Bernasconi 2007, S.

2004f).

Die Fragen sind von Staub-Bernasconi wohl bewusst nicht in eine zwingende Reihenfolge gesetzt, da es eben nicht auf die lineare „Abarbeitung“ dieser Fragen ankommt, sondern auf die richtige Fragestellung in der jeweiligen Situation. Evaluation, und hier kann zunächst einmal mit dem letzten Punkt nur Selbstevaluation gemeint sein, ist für Staub-Bernasconi ein normativ gesetzter und also verbindlicher Schritt jeder Fallarbeit.

Die hohe Bedeutung, die Staub-Bernasconi dieser „normativen Handlungstheorie“ gibt, erschließt sich aus folgendem Zitat:

„Der gekonnte Umgang mit diesen Fragen gehört zu den kognitiven Schlüsselkompetenzen der Profession Soziale Arbeit.“ Und „die Befähigung dazu ist Aufgabe einer theoretischen wie

praktischen Ausbildung in der Disziplin und Profession Soziale Arbeit“ (Staub-Bernasconi 2007, S. 205).

Wie wichtig eine solche Handlungstheorie in der Praxis ist, konnten wir bei der Problematik der Krisenorientierung in der Heimerziehung immer feststellen. Es fehlt in der Praxis an kognitiver Orientierung, an normativ geführten Prozessen und Methoden, die Professionalität durch nicht zufälligen, sondern bewussten Einsatz von Wissen zuallererst möglich machen.