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Berufsethik läuft leer, wenn sie sich nur auf postulierte Haltungen reduziert, nicht systematisch und reflektiert Bewertung zum Methodenspektrum hinzunimmt und Bewertungswissen als eigene Kategorie sich bewusst macht (Staub-Bernasconi, S. 2007, S.

189 ff).

Die Diskussion zur Selbstevaluation kann nicht ohne die Frage nach der Qualität geführt werden, da diese Frage eben nicht nur aus dem Handlungskontext alleine zu beantworten ist, sondern erhebliche berufsethische, aber auch allgemeine ethische Implikationen hat (Heiner 2007 169 ff). Wir stellten oben schon fest: Berufsethische Reflexion fällt leicht hinter den Standard philosophischer Ethik zurück, wenn sie sich etwa nur an allgemeinen Menschenrechten oder an allgemeinen Postulaten therapeutischer Ansätze orientiert, wie dies seit ihrer Akademisierung nicht selten der Fall war. Dies wird auch im Blick auf die Berufsethik des deutschen Berufsverbandes kritisch bemerkt. Jede Ethik, die Praxisrelevanz beansprucht, sollte sich um Brückenprinzipien und methodische Fragen ihrer Umsetzung bemühen, aber auch den Anschluss an die praktische Philosophie suchen, die aktuelle Trends relativieren kann. (Schumacher 2007, S. 83-100).

Um nicht allzu sehr einem bloß zeitbedingten ökonomisch gefärbten Qualitätsverständnis zu folgen, stellen wir hier noch einmal die Frage nach der Tradition des Qualitätsbegriffs für den Bereich der Erziehung:

In einer neueren Arbeit über pädagogische Qualität geht L. Galiläer dem Begriff historisch-philosophisch nach: Qualität wird in klassisch-historisch-philosophischer Tradition mit „Beschaffenheit oder Eigenschaft“ einer Sache übersetzt. Etwas ist, was es durch seine wesentlichen

Eigenschaften ist. Im Mittelpunkt dieser Definition steht ein Sein, ein ideales Sein, das seinen Maßstab am vorgestellten guten Urbild seiner selbst findet (Galiläer 2005, S. 15). Auch wenn man hier empiriefernen Platonismus vermutet oder sich an Heideggers Technikreflexionen erinnert fühlt und wegen der Verständnisprobleme zur Ablehnung neigt: Eine Kritik bloßer instrumenteller Vernunft, die einen rein funktionalen Sinnbegriff mitführt, wie etwa die Systemtheorie Luhmanns, ist nur im Rückgriff auf eine praktische Vernunft möglich, die nicht hinter Kants Sittengesetz zurückfällt. Der Mensch darf demnach niemals als bloßes Mittel verzweckt, etwa einem die alltägliche Lebenswelt des Menschen dominierenden wirtschaftlichem Kalkül geopfert werden. Nur so ist auch der Erhalt der menschlichen Würde im Sinne des Grundgesetzes möglich (Eisenmann 2006, S. 151ff; Benner 2001, S. 211-230;

Kant 1980, S. 61ff; Heidegger 2007, S. 45f).

Wir kommen in unserer Arbeit auf diesen hier mit Galiläer klassisch genannten Qualitätsbe-griff immer wieder zurück, weil er das Problem der Qualitätsfrage für die Arbeit am und mit dem Menschen angemessener definieren und beschreiben kann als alle neueren Qualitätsdefinitionen, die bei der Herstellung von Sachen entwickelt wurden. Es geht um den Menschen und das in unserem Grundgesetz beschriebene Menschenbild, das jeder Person eine absolute individuelle Würde zuspricht. Dies bedeutet eine nicht mehr hintergehbare Grenze, die aus der Tradition platonisch-christlichen Denkens kommt, auch wenn wir uns dies nicht mehr bewusst machen, weil es rechtlich scheinbar gesichert ist. So greift die neuere Diskussion zu den vorpolitischen Voraussetzungen dieses Rechts wieder auf diese Tradition zurück, weil sie die Vergewisserung im ethischen Diskurs der Tradition doch nicht ohne Weiteres entbehren kann (siehe hierzu Habermas 2001, S. 9-34).

Galiläer stellt fest, dass der klassische Qualitätsbegriff, der von außen unabhängig existierende Qualitätsmerkmale implizierte, die er im reflektierten Alltagsethos, in der guten Lebenspraxis fand, in unserer neueren Evaluations- und Qualitätsdiskussion nicht mehr selbstverständlich zu gelten scheint. Vielmehr geht es hier nicht selten um das Messen von Beschaffenheiten einer Sache am Maßstab eines von außen bestimmten Sollens, das seine ethischen Implikationen nicht mehr selbstverständlich reflektiert. Der Maßstab für das Gute kommt so unter Umständen nicht aus der Sache selbst, aus den Lebenskontexten der Menschen in Verbindung mit autonomer professioneller Bewertung, sondern wird von außen je nach Betrachter und Interessen neu und verschieden definiert. Doch auch dieses Kriterienverständnis hat eine erkenntnistheoretische Tradition und findet sich neuerdings in dem sogenannten Radikalen Konstruktivismus wieder. Aus der empirisch plausiblen Behauptung, die Welt sei im absoluten Sinne ein Konstrukt unserer immer schon begrenzten

Wahrnehmung, kann leicht ein ethischer Relativismus entstehen, der nicht aus dem konstruktivistischen Paradigma logisch ableitbar ist, aber bei mangelnder Differenzierung von theoretischer und praktischer Vernunft so etwas wie einen naturalistischen Fehlschluss entstehen lässt. Doch ein erkenntnistheoretischer Relativismus begründet noch keinen ethischen Relativismus. Aus Theorie folgt nicht Praxis (Schumacher 2008, S. 287-295, Böhm 1995, S. 13-24).

Galiläer stellt mit Verweis auf Regenbogen in der Philosophiegeschichte drei Bezugssysteme für Qualität fest:

„(a) das ‚Wesen‘, die ‚Natur‘ der Sache (...) selbst,

(b) moralische oder religiöse Gesetze, die als ‚universell gültig‘ betrachtet wurden und (c) subjektive Ansprüche, Interessen.“ (Galiläer 2005, S. 16)

Bei der Sozialen Arbeit geht es um Hilfen, die einerseits gesetzlich geregelt sind. Hier kommt das Bezugssystem (b) zum Tragen, wenn man das Recht als geronnene Moral versteht. Der Gesetzgeber stellt eine breite Palette an Hilfeangeboten bereit. Die Hilfeangebote müssen aber auch auf die individuelle Person und Situation des Hilfesuchenden passen, was auf das Bezugssystem (c), das Subjekt, verweist und auf eine professionelle Kasuistik. Die Besonderheit des Einzelfalls kann nie etwa typologisch gänzlich vorweggenommen werden.

Der hierdurch notwendige und ermöglichte professionelle Spielraum begründet und erfordert eine entsprechende Autonomie der Sozialen Arbeit.

Doch wie verhält es sich mit dem ersten Bezugssystem (a)? Was ist das „Wesen“ der Sache?

Das Wesen der Sache ist hier sicher unter Wertgesichtspunkten einmal die unhintergehbare Würde jedes einzelnen Menschen und ein Recht auf eigene Lebensführung, die dem professionellen Spielraum ethische Grenzen setzt. Nimmt man aber die Professionalität des Berufes als Wert hinzu, als andere Seite der Hilfebeziehung, so ist hier ein spezifischer beruflicher Habitus zu nennen, der „eine Mischung aus Wissen, Berufsroutine und reflektierten Wertvorstellungen“ darstellt (Heiner 2007, S. 215f). Dieser berufliche Habitus ist ebenfalls nicht beliebig verhandelbar, weil er korrespondiert mit seiner Aufgabe, die sich bezieht auf etwas Vorgegebenes, den Menschen mit Würde und Rechten.

Selbstevaluation ist als Konzept eingebunden in das strukturelle Dreieck von Klient, Fachkraft und Dienstleistungsangebot (Heiner 2007, S. 406ff). Bewertung muss dieses strukturelle Dreieck im Blick haben. Fokussiert sie nur den Klienten in seiner Lebenswelt, kann sie Änderungen, aber keine Wirkungen erkennen; fokussiert sie nur das Dienstleistungsangebot, kann sie Inanspruchnahme, aber nicht die Passgenauigkeit erkennen;

fokussiert sie nur die Helferseite, bleibt sie leicht bei der Gesinnung und Motivation der Helfer stehen.

Konzept und Methode der Selbstevaluation sollten sich dieser Differenzierungen der Wertdimensionen für Qualität bewusst sein. Selbstevaluation sollte, will sie sich nicht in einem selbstreferenziellen, kategorial unreflektierten Zirkelschluss einerseits und in partielle Ideologieoptionen andererseits, also in Subjektivismen oder Kollektivismen verstricken, den Wertbezug in dem herzustellenden oder zu bewahrenden Gut selbst und den freilich historisch bedingten gesellschaftlich akzeptierten Normen suchen. Es wird – und das macht die Sache so schwierig – entscheidend auf die kasuistisch immer in jedem Fall neu zu wählenden und anzuwendenden Wertprioritäten ankommen, soll Professionalität nicht bloße Technologie sein oder leer laufen als formalistisch angewandte Methode ohne wirklichen Sach- und vor allem berufsethisch reflektierten Wertbezug. Die Differenzierung des Wertewissens scheint deshalb eine für die Selbstevaluation explizit notwenige kasuistische Kategorie (Staub-Bernasconi 2007, 284f).

Immer auch dominieren in der Evaluation ökonomische Interessen, etwa fachlich unreflektierte Effizienzkriterien. Die Profession hat dem argumentativ oft wenig entgegenzusetzen (vergl. Heiner 1999, S. 64f). Der klassische Qualitätsbegriff, der dem Beruf gegenüber einer bloß instrumentellen Sichtweise von Professionalität erst einen eigenen Sinnhorizont gibt, kann hier eine Lücke füllen, wird aber leider kaum mehr wahrgenommen, vielleicht auch, weil Qualität immer mehr auf Funktion für etwas im Sinne von Ergebnisqualität reduziert wird. Es gibt mittlerweile einige gut ausgearbeitete berufsethische Monographien, die als Referenzen zur Verfügung stehen (etwa Eisenman 2006). Eine Vertiefung in die subtilen Fragen moderner Methoden- und Technikkritik liefert im Anschluss an M. Heidegger Andreas Luckner, der die Thematik philosophiehistorisch rekonstruiert (Luckner 2008).