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Fragen nach Voraussetzungen, Möglichkeiten und Perspektiven von Selbst- evaluation am Beispiel der Heimerziehung

3 Methode, Untersuchungsansatz und Vorstudie

3.2 Fragestellung, Hypothesen und Untersuchungsgegenstand

3.2.1 Fragen nach Voraussetzungen, Möglichkeiten und Perspektiven von Selbst- evaluation am Beispiel der Heimerziehung

Mit der Rezeption und Reflexion unseres Themas und seiner Bezüge und Relevanzen in den ersten beiden Kapiteln haben wir zusammenfassende und weiterführende Gedanken in Form der folgenden Fragen und Hypothesen formuliert, die der weiteren empirischen Forschung den Weg weisen sollen:

Rahmenfrage:

1. Wenn Selbstevaluation für eine professionelle Soziale Arbeit grundlegend nötig ist, wie ist sie in der Heimerziehung professionell möglich und was kann sie leisten?

Die Frage unserer Arbeit ist nicht, ob Selbstevaluation als Grundphänomen des Handelns in der Praxis der Sozialen Arbeit nötig und möglich ist und wie sie eingeführt werden kann.

Diese Frage ist beantwortet. Selbstevaluation ist immer schon nötig und irgendwie möglich, sie geschieht, sie ist Teil der Logik sozialer Systeme und menschlicher Arbeitsprozesse (Willke, 1996, S. 134ff; Luhmann 1987, S. 30-91). Unsere Frage ist, in welchem Maße und wie sie funktional differenziert möglich ist in der Sozialen Arbeit als Beruf, orientiert hier an

den gesetzten Maßstäben methodischer Selbstevaluation, wie sie in Deutschland besonders in den letzten beiden Jahrzehnten für die Profession der Sozialen Arbeit erarbeitet wurden (Heiner 2004c).

Differenzierter fragen wir, ob und unter welchen Bedingungen und wie weit Selbstevaluation in einem bestimmten Feld der Sozialen Arbeit, der Heimerziehung, umgesetzt wird und Weiterentwicklung möglich ist; und wir untersuchen dies am Beispiel eines schon implementierten Evaluationssystems.

Teilfragestellungen:

2. Wo sind die strukturellen Orte der Selbstevaluation in der Praxis der Heimerziehung und wie ist ihr Verhältnis zur Supervision und Organisationsentwicklung?

3. Wie ist Selbstevaluation in der Praxis der Heimerziehung als Prozess zu organisieren und was sind die strukturellen, konzeptionellen, berufsethischen und personellen Voraussetzungen dafür?

Hier fragen wir konkreter nach der Möglichkeit von Selbstevaluation durch die bisherige Praxis des Evaluationskonzeptes EVAS;

und nach der Möglichkeit, Selbstevaluation zu verbessern durch konzeptionelle Weiterentwicklungen durch die Praxis der Heimerziehung selbst.

4. Wir bewerten unser Tun in einem ganzheitlichen Sinne immer auch intuitiv mit impliziten Kriterien. Wie kann Selbstevaluation diesen intuitiven Aspekt des Handelns sinnvoll einbeziehen?

5. Die Methodisierung pädagogischen Handelns führt notwendig zu einer reduzierten Betrachtung der Alltagswirklichkeit, so auch bei der Einführung von Evaluation.

Befördert dies notwendig die Ökonomisierung und Expertokratie, denen die Profession traditionell kritisch abwehrend gegenüber steht? Wenn dem so ist: Wie kann Selbstevaluation diese Gefahr methodisch berücksichtigen?

6. Ein traditionelles gesinnungsethisches Professionsverständnis wehrt methodische Evaluation als Methode tendenziell ab. Sind im Blick auf die Akzeptanz der Methode Wirkungen von Haltungen, Gesinnungen, also personale Handlungsorientierungen besser über kollegiale Selbstevaluation zu überprüfen?

Im Anschluss an die Fragen, aber auch inhaltlich über diese Fragen sind hier Hypothesen formuliert:

(1)Wenn Selbstevaluation direkt am Ort der Praxis als reflexives Instrument implementiert ist, dann kann sie methodisches Grundelement der Qualitätsentwicklung sein.

(2)Wenn Selbstevaluation mit Fremdevaluation oder funktionsäquivalenten Methoden wie etwa Qualitätsdialogen zwischen Teams und Einrichtungen verzahnt wird, kann die Schwäche des subjektiven Feldbezugs kompensiert werden.

(3)Wenn Selbstevaluation mit einer expliziten Berufsethik verbunden praktiziert wird, dann kann der Wertbezug an den normativen Konsens der Profession anschließen.

(4)Wenn Selbstevaluation ökonomische Vorgaben nicht unkritisch übernehmen will, bedarf sie berufsethisch des klassischen Qualitätsbegriffs, der den Eigenwert einer Arbeit auch im Blick auf die je einzigartige Person berücksichtigt.

(5)Selbstevaluation und Supervision können in Zukunft die zwei zentralen, sich ergänzenden Methoden der Praxisreflexion sein.

(6)Wenn Supervision wie bislang primär den kommunikativ-personalen Aspekt der Professionalität reflektiert, so wird die Profession mit Hilfe von Selbstevaluation den methodisch-fachlichen Teil im Sinne von professionsorientierter Wissensgenerierung systematisch reflektieren können.

(7)Wenn Selbstevaluation wie in den Thesen beschrieben implementiert ist, kann sie eine bessere alltagsorientierte empirische Basierung der kognitiven Identität der Profession liefern.

Diese Hypothesen haben vor allem eine orientierende und heuristische Funktion für die Fragen und die Interpretation der Untersuchung. Mit einem offenen Fragehorizont versuchen wir mit Hilfe der Untersuchung der Praxis eines Großversuchs von Evaluation (EVAS) Antworten auf unsere Fragen sowie Erkenntnisse zu den Hypothesen, aber auch für neue Überlegungen zu gewinnen.

Selbstevaluation im Alltag und im Blick unserer Forschung

Bevor wir zu den Untersuchungsmethoden kommen, resümieren wir unser für den Horizont der Forschung zunächst relativ offenes Verständnis von Selbstevaluation, ein Verständnis, das die Anschlussstellen sucht in den Vorformen der Selbstevaluation, wie sie im Alltag vorkommen. Der Gegenstand unserer Untersuchung ist nicht primär die konzepttreue Selbstevaluation, die in der Breite der Praxis kaum vorkommt. Untersucht werden jeweils für sich stehende Prozessschritte der Selbstevaluation, die teils schon methodisch im Zusammenhang mit der Evaluationsmethode EVAS, teils nur intuitiv oder ohne systematisch

korrekte Einbindung in Evaluation in der Praxis vorkommen, wie etwa Tages- oder Wochendokumentationen.

Wie weiter oben schon ausgeführt, setzen wir voraus, dass Selbstevaluation als Selbstbewertung bei jedem praktischen Handeln ein Vorgang ist, der nicht nicht geschehen kann. Auch wo wir uns nicht ausdrücklich bewerten, bewerten wir insofern, als wir unserem Tun in der Regel mehr oder weniger Sinn zuschreiben, den wir ohne weitere Vergewisserung im Einzelfall als gegeben ansehen und dann meist nur im Störfall eine explizit bewertende Reflexion vornehmen. Der nicht evaluierte Normalfall wird dann im Störfall zum Bewertungsmaßstab, der allerdings oftmals nicht mehr ohne Weiteres nach expliziten Kriterien reflektiert wird. Der Modus der Regulation der Praxis ist also zunächst passiv orientiert an einer für selbstverständlich gehaltenen Normalität. Maßstab der Bewertung ist die wahrgenommene Normalität, die Erfahrung des Gelingens, wenn man so will, das Ethos und die Habits der Alltäglichkeit, eingeübte Praxis.

Es wird vorausgesetzt, dass zur Profession der Sozialen Arbeit Selbstbewertung immer schon strukturell notwendig dazugehört, sie sich so auch selbst erhaltend steuert. Selbstevaluation als standardisierte Methode und bewusst gestalteter, für äußere Beobachter nachvollziehbarer und in die Alltagspraxis implementierter Prozess geschieht hier noch nicht explizit und reflexiv, aber sie geschieht in Vorformen als eine Grundfunktion sozialer und psychologischer Systeme (Willke 1996, S. 60-71; Storch & Krause 2006, S. 44ff).

Es soll die weitere Einschränkung gemacht werden, dass nicht nach Selbstevaluation in befristeter Form, sondern als ständigem professionellen Bestandteil der Arbeit gefragt werden soll. Hier gibt es als Parallele das Selbstverständnis der Supervision als grundständige Reflexionsmethode sozialarbeiterischer Praxis. Dies bedeutet auch zu fragen, ob bzw. unter welchen Bedingungen und Kriterien die bisher formulierten Standards von Selbstevaluation auch für die dauerhafte Implementation im Alltag immer alle gelten können und müssen.

Auch Supervision ist in idealtypischen Konzeptvarianten beschrieben, wird in Wirklichkeit aber im jeweiligen Fall in vielen Modifikationen originär kreiert und praktiziert (Iser 2008, S.

68-73; Belardi 2002, S. 39-69).