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Zu Theorieformen und Theorieebenen:

2.7 Selbstevaluation als Methode und Entwicklungsaufgabe in der Heimerziehung Die zunehmende Arbeitsteilung selbst in kleineren Einrichtungen erschwert den einzelnen

2.7.2 Rechtliche und praxisorganisatorische Perspektiven der Selbstevaluation

Selbstevaluation ist also nicht neu als methodischer Bestandteil guter Praxis, wie man von Klassikern wie Korczak lernen kann, sie ist nur als ausgearbeitetes wissenschaftsorientiertes Konzept neu; und so kommen wir von unserem historischen Exkurs zu den Klassikern zurück auf die aktuelle Situation in der Jugendhilfe.

Ausgehend von dem Bild des Praktikers als Forscher hat Maja Heiner neben C. W. Müller als Erste in Deutschland die Selbstevaluation als Methode ausführlich vorgestellt und breit publiziert (Merchel 2004, S. 96ff).

Als vor über 20 Jahren Maja Heiner die Selbstevaluation in einem Buch als Programm und mit vielen Praxisbeispielen vorstellte, gab es das Kinder- und Jugendhilfegesetz noch nicht mit seinen Norm gebenden und fachlich qualifizierenden Aussagen zur Hilfeplanung. Auch deshalb formulierte Heiner: „Die Rahmenbedingungen für die Selbstevaluation sind denkbar schlecht“, wobei sie damals schon auf die fehlende Aus- und Fortbildung sowie den Kosten- und Zeitaspekt hinwies (Heiner 1988, S. 37).

Nun sind mit dem KJHG im § 36 unterstützende rechtliche Vorgaben für die Selbstevaluation gesetzt worden, durch Vorgaben etwa zur gemeinsamen Entscheidungsfindung für Ziele mit den Betroffenen, zur verbindlichen Beschreibung der Ziele im Hilfeplan als intersubjektivem Prozess. Die Hilfeplangespräche dienen auch der multiperspektivischen Bewertung des Erreichten oder Nichterreichten (Wiesner 2006, S. 610ff). Das KJHG bietet mit seinen rechtlichen Rahmenbedingungen eine deutliche Verbesserung der Voraussetzungen für Selbstevaluation explizit mit dem § 78b, in dem ausdrücklich die Bewertung der Qualität und Qualitätsentwicklungsvereinbarungen als Norm festgelegt werden. Wiesner nennt in seinem Kommentar interne Prüfungsverfahren, die „möglichst einfach in den pädagogischen Alltag zu integrieren“ sein sollen (Wiesner 2006, S. 1448): „Kollegiale Beratung, organisierte Reflexion (Teambesprechungen, Praxisberatung, Supervision), Adressatenbeteiligung, Qualifizierung/Fortbildung, Dokumentation und organisierte Selbstkontrolle“ (Wiesner 2006,

S. 1448). Hinsichtlich externer Prüfungen verweist er auf die Aufgaben der Heimaufsicht. In der Begründung der Bundesregierung zum Gesetzentwurf für die Einführung des § 78a-g KJHG ist sogar explizit von Selbstevaluation die Rede, wonach für die Qualitätsentwicklung

„vor allem Qualitätssicherungs- bzw. Selbstevaluierungsmaßnahmen in Frage kommen, die von den Teilbereichen bzw. Mitarbeiterteams selbst gesteuert (Selbstführung) werden können“ (BT-Drucksache 13/10330 vom 01.04. 1998, S. 19; vgl. Merchel 2004, S. 106f).

Es ist bemerkenswert, dass sich der Hauptkommentator des KJHG so eingehend methodische Gedanken über die Herstellung von Qualität macht, und deshalb wollen wir hier noch eingehender die Gedanken Wiesners darstellen.

Wiesner benennt mit Bezug auf Merchel Leitorientierungen für die Qualitätsentwicklungs- vereinbarungen:

• „Beschränkung auf ausgewählte, für die angestrebte Qualität besonders zentrale Kriterien;

• Differenzierung zwischen Qualitätsaspekten allgemeiner und grundlegender Art, die aus dem umfassenden Sozialisationsauftrag von Heimerziehung resultieren, solchen, die mit der spezifischen konzeptionellen Ausrichtung der Einrichtung im Zusammenhang stehen, und solchen, die sich auf die individuellen Besonderheiten des Hilfe- und Erziehungsbedarfs der jeweils betreuten Kinder und Jugendlichen beziehen;

• Benennung der unterschiedlich anzuwendenden Verfahren der Qualitätsbewertung und der Dokumentationspflichten“ (Wiesner 2007, S.

1447).

Zertifizierungsverfahren, etwa die Normenreihe DIN ISO 9000ff, entsprechen nach Wiesner nicht den Anforderungen der Verfahren. Die Aufnahmen sollen möglichst einfach in den Alltag zu integrieren sein.

Als interne Prüfverfahren benennt Wiesner:

• „kollegiale Beratung

• organisierte Reflexion (Teambesprechungen, Praxisberatung, Supervision)

• Adressatenbeteiligung

• Qualifizierung/Fortbildung

• Dokumentation

• Organisierte Selbstkontrolle“ (Wiesner 2007, S. 1448)

Wiesner verweist hier in seinem Kommentar auch ausdrücklich auf das Themenheft Selbstevaluation (UJ 1/2006).

Methodisch anspruchsvoll ausformuliert sind von den aufgezählten Prüfverfahren in der Fachliteratur nur die Supervision und die Selbstevaluation. Angewandt werden beide

Verfahren schon immer auf verschiedenen Entwicklungsstufen. Methodisch anspruchsvoll und in die Praxis generell und überwiegend verbindlich implementiert ist nur die Supervision.

Im Kommentar von W. Schellhorn wird festgestellt: „Anscheinend hat sich in der Praxis noch kein überzeugendes Verfahren für die Entwicklung von Qualitätsmaßstäben gefunden, die auch je nach Arbeitsfeldern differenziert werden müssten“ (Schellhorn 2007, S. 445). Ohne die Entwicklung von Qualitätsmaßstäben wird Qualitätsentwicklung und so auch Selbstevaluation aber eine unverzichtbare Referenz fehlen (Heiner 2001, S. 72).

In Bezug auf die Möglichkeit der externen Prüfung verweist Wiesner auf die Heimaufsicht, die die Möglichkeit einer Qualitätsprüfung jedoch nur bei konkreten Anhaltspunkten für Qualitätsmängel hat.

Wiesner stellt in seinem Kommentar mit Verweis auf einschlägige Untersuchungen (u. a.

Merchel 2006, S. 78) „erhebliche Umsetzungsdefizite“ der Qualitätsentwicklungsvereinbarun-gen fest. Als Ursachen für die Umsetzungsmängel benennt er mit Bezug auf Merchel:

• „Mangelnde Akzeptanz der Qualitätsentwicklungsvereinbarungen als fachliches Gestaltungselement;

• vorrangiges Interesse an der Legitimation eigenen Handelns (statt an der Qualitätsentwicklung);

• Nutzung von Qualitätsmanagement-Sprache zum äußerlichen Nachweis von Modernität (‚Qualitätsentwicklung als Sprachspiel‘);

• Defizite in der Herausbildung professionellen Handelns bei den beteiligten Akteuren.“

(Wiesner 2007, S. 1449)

Es muss also festgestellt werden, dass aktuell weder interne noch externe Prüfverfahren, die den Kriterien des Gesetzgebers genügen, in der Praxis allgemein etabliert sind. Ungewöhnlich ist, dass in einem einschlägigen Kommentar des Gesetzes die mangelhafte Erfüllung der Vorschrift so ausführlich auch mit ihren möglichen Ursachen dargestellt wird. So wird auch im Koalitionsvertrag der derzeitigen Bundesregierung ausdrücklich bemerkt, „Wirkung“ sei nachzuweisen (ISA 2009, S. 20).

Wiesner sieht allerdings auch Handlungsbedarf für den Gesetzgeber im Blick auf eine weitere Präzisierung, besonders bezüglich der Differenz zwischen Leistungsvereinbarungen und Qualitätsentwicklungsvereinbarungen. Insbesondere die doppelte Verortung des Qualitätsbegriffs sowohl in der Leistungsvereinbarung als auch der Qualitätsentwicklungs- vereinbarung erschwert laut Wiesner die Umsetzung der Qualitätsentwicklung. Die Leistungsvereinbarungen zielen auf Strukturen, Konzepte und Prozesse. Die

Qualitätsentwicklungsvereinbarungen zielen insbesondere auf die Benennung von Qualitätsmerkmalen und deren methodische Entwicklung und Überprüfung. So könnte das von Wiesner zuletzt benannte Defizit in der Herausbildung professionellen Handelns hier auch gesehen werden als ein Defizit an Methode der am Fall orientierten bzw. an der Summe der Einzelfallverläufe orientierten Evaluation (Wiesner 2007, S. 1445).

Soll die Diskussion um die Qualitätsentwicklung sich nicht in der Diskussion um die beste Organisationsentwicklungsmethode verlieren, ist als Ausgangspunkt der Blick auf den Einzelfall wichtig als Ort des Mikroprozesses der Qualitätsentwicklung. Qualitätsentwicklung beginnt praktisch beim Fallmanagement.

Das beschriebene Desiderat der mangelhaften Qualitätsentwicklung auf der Organisationsebene hat seine Entsprechung schon auf der Fallebene und wird auch hier von Wiesner als Defizit beschrieben. Auch hier gilt, was oben schon für die Qualitätsentwicklung allgemein gesagt wurde: Das prozesshaft-dialogische darf nicht einem expertokratisch-technizistischen Verständnis der Qualitätsentwicklung auf der Einzelfallebene geopfert werden. Der intersubjektive Aushandlungsprozess der Hilfe kann durch klinische Diagnosen und standardisierte Expertenurteile von außen nicht ersetzt werden. An dieser Stelle kann auch die Relativierung des Ansatzes der Evidence-based-Praxis einsetzen (Heiner u.a. 2007, S. 172ff).

Das Prinzip der intersubjektiven Aushandlung gilt auch für Professionelle untereinander durch das Gebot der Zusammenwirkung mehrerer Fachkräfte im Jugendamt in Entschei-dungsteams (Merchel 2006, S. 120ff).

Wiesner hat in seinem Kommentar sehr ausführlich den Inhalt des Hilfeplanes aufgeführt und so einen Standard beschrieben, der, wie er selbst ausführt, nur unzureichend und zum Teil gar nicht erfüllt wird. In der Regel sind Hilfepläne in ihren Zielformulierungen überwiegend noch sehr allgemein gehalten und beziehen unzureichend die Perspektiven der Hilfeempfänger ein.

Ein Minimalprogramm der Selbstevaluation der Hilfeprozesse ist so schwer möglich. Es fehlen in der Regel Zieloperationalisierungen, Interventionsprozessplanungen, Erfolgskrite-rien und die Angabe von Zeitperspektiven. Wiesner macht auch deutlich, dass der Hilfeplan nicht bloßer Verwaltungsakt ist, sondern selbst einen laufenden Prozess darstellt mit immer wieder neuen Zielüberprüfungen und Evaluationen (Wiesner 2007, S. 625ff).

Wir halten hier fest, dass einer der führenden Kommentare des KJHG explizit auf Selbstevaluation verweist und hier der Bezug nicht nur zur Qualitätsentwicklung (§ 78 KJHG), sondern auch zur Hilfeplanung (§ 36 KJHG) hergestellt wird.