• Keine Ergebnisse gefunden

Platz einnimmt«325, den personalen Charakter des Christentums, der nicht exklusiv, sondern im Gegenteil daseinszugewandt sei. Jaspers missverstehe den Wegcharakter der Kirche und leugne durch seine Kritik die Diesseitigkeit der Kirche. So, wie die Person nichts Unrechtes täte, wenn sie ihrem Ge-wissen auch im Irrtum verpflichtet bleibt, könne auch eine Kirchengemein-schaft fehlen, weil sie menschlich ist. »Es ist vielleicht nicht unnütz zu bemerken, dass innerhalb der Kirche – trotz langer und massiv intoleranter Praxis an diesen Grundrechten der Person [dem Vorrang des Gewissens vor jeder äußeren Autorität] niemals ernsthaft gezweifelt wurde.«326 Zwang sei dem Christentum nicht wesenseigen.

Das kirchliche Rechte-Pflichten-Verhältnis, das nach Jaspers faktisch into-lerant sei, erörtert Böckle anhand der Gründe, die kirchlich bestehen, um von den Sakramenten auszuschließen.327 Hier erhebe sich ein Problem, »dessen Lösung nicht einfach ist. Da der Glaube […] auch eine Pflicht mit sozialer Relevanz [sei], ergibt sich für die Kirche einerseits das Recht, von ihren Gliedern das Bekenntnis des Glaubens als Zeichen der Einheit mit ihr zu fordern. Anderseits verbietet ihr das Wissen um die Geschenktheit der Gnade jeden Zwang in der Glaubensforderung. Wenn darum die Kirche einem Gliede, das sich im Glauben von ihr trennt, die Sakramente, insbesondere die Tischgemeinschaft, verweigert«328, so darf dies nach Böckle nicht als unge-höriger Zwang zum Glauben verstanden werden. »Die Kirche will und muß damit die vom Glied freiwillig vollzogene Scheidung sichtbar werden lassen.

Über den Heilsstand des Gliedes und über die subjektive Qualität seines Glaubensaktes ist damit nichts ausgesagt«329. Die institutionelle Verbindlich-keit, die Böckle zugibt, schließt den subjektiven Primat in sittlichen Dingen nicht aus. Böckle setzt seinen kirchenrechtlichen Exkurs unter einen Vorbehalt, der in Kenntnis von Böckles Konzept paulinischen Ursprungs ist.

Da niemand die objektive Wahrheit haben könne, heißt es bei Böckle, habe die Kirche das Recht der Person zu achten, sich zuletzt ihrem Gewissen ver-pflichtet zu fühlen. »›Wo Rechte sind, da sind auch Pflichten‹ und umge-kehrt.«330 Denn nicht wir haben die Wahrheit, so Böckle, die Wahrheit, die

325 Toleranz als ökumenisches Problem, 59.

326 Toleranz als ökumenisches Problem, 60f.

327 Die Konfessionsverschiedenheit der beiden Ehepartner war bis zur Instruktion

›Matrimonii sacramentum‹ (1966) ein Ehehindernis in der katholischen Kirche.

Böckle ist in Deutschland in die kirchlichen Gespräche zur Änderung des Misch-ehenrechts involviert, die über die Aufhebung (Dispens) eines Eheverbots und die Sakramentalität einer Ehe von Konfessionsverschiedenen gingen. Vgl. resü-mierend Das Problem der bekenntnisverschiedenen Ehe in theologischer Sicht.

328 Toleranz als ökumenisches Problem, 67.

329 Toleranz als ökumenisches Problem, 67.

330 Toleranz als ökumenisches Problem, 61.

6. Sittlichkeit und Ekklesiologie

Christus ist, hat uns. Diese Wahrheit halte uns »auf dem Weg von Erkenntnis zu Erkenntnis«331.

Diese letzte Aussage Böckles steht für dessen personalistischen Ansatz.

So wie Buber für die Pädagogik festgehalten hat, dass nur die Begegnung pädagogisch fruchtbar sei,332 vertritt Böckle die damals nicht selbst-verständliche Ansicht, christliche Ethik, der an der Person liege, könne ihre Aufgaben nicht in Distanz, sondern nur im direkten Kontakt mit der Gesell-schaft erfüllen.333 Er vertritt keine kirchliche Unabhängigkeit im Sinne einer

›societas perfecta‹ – eine Ansicht, die durch die Dokumente des Zweiten Vatikanums bestätigt wird.334 Indem Böckle Sittlichkeit im Lichte eines menschlichen Totalentwurfs betrachtet, erlangen die Kategorien ›Zeit‹ und

›Raum‹ sittliche Relevanz. »Unsere Natur wird ja durch Taufe und Gnade nicht verzaubert, sie muß erst langsam dahin geführt werden, das anzuneh-men und zu tun, was objektiv richtig als Forderung vor sie hingestellt wird.

[...] Der Mensch, der durch seine vorausgehenden Sünden und seine bleiben-de Sündhaftigkeit tief geprägt ist, braucht seine Zeit, um über sich selbst hinauszuwachsen und die Forderungen Gottes zu verstehen.«335 Böckle scheint hier von einer allgemeinen Wahrheit auszugehen, deren Enthüllung jedoch nicht forciert werden kann. Unter Hinweis auf diesen Unterschied zwischen allgemeiner und besonderer Wahrheit gelingt es ihm, auch bezüg-lich lehramtbezüg-licher Autoritäten essentiale und existentiale Ethik miteinander zu verbinden. Auch an anderen Textstellen336 erweckt Böckle den Eindruck, die Person müsse – ganz augustinisch – in einem unablässigen Suchen nach

331 Toleranz als ökumenisches Problem, 79. Vgl. zur Vorläufigkeit allen mensch-lichen Wissens die Erklärung über die Religionsfreiheit des Zweiten Vatikani-schen Konzils.

332 Vgl. Martin Buber, Über Charaktererziehung, in: Reden über Erziehung, Heidel-berg, 1953, 63–88, 69.

333 Wie Edward Schillebeeckx oder Karl Rahner sieht Böckle Gefahr, wo der Glau-be von der Welt getrennt wird. Vgl. Edward SchilleGlau-beeckx, Kerk en Wereld, Hilversum 1964, 5: »Gelovig zijn is niet: naast zijn relaties met mens en wereld een losstaande ideologie aanhangen.« Karl Rahner versteht den Wert der Kirche bei der Bewältigung innerweltlicher Situationen stimulativ, als »die Kraft, dieses Leben auch ohne Modelle zu bestehen«; siehe ders., Grenzen der Kirche, in:

WuW 19 (1964), 249ff., zitiert in: Friede und moderner Krieg, in: Erneuerung der Kirche. Aufbruch zu einer Theologie von morgen, zusammengestellt von K.

Richter, Osnabrück 1967, 103–121, 108.

334 Vgl. zur ›societas perfecta‹-Ekklesiologie in der jüngeren Kirchengeschichte P.

Granfield, Aufkommen und Verschwinden des Begriffs ›Societas perfecta‹, in:

Concilium 18 (1982), 460–464.

335 Glaubenserlebnis und Gesetzesnorm, 96.

336 Vgl. Toleranz als ökumenisches Problem, 63 und Norm und Situation, 90.

sich selbst sich der universalen Wahrheit nähern.337 Sittliche Authentizität ist ein wesentlicher Zug von Böckles Ausführungen, gemäß dem Satz, die Wahrheit sei das Leben. »Dieser Satz spricht nicht nur in theologischer Dimension die Tatsache aus, [...] daß Wahrheit und Sein sich decken und daß das Handeln dem Sein zu folgen hat. Die Wahrheit ist oft ein Wagnis. Aber die Wahrheit auch nur um ein Korn dem näherliegenden ›Effekt‹ zu opfern, greift an die Wurzeln des Seins.«338 Dieses Zitat von Alois Müllers, das in mehreren Texten Böckles abgedruckt ist, behauptet einen besonderen

»wagenden« Zugang der Praxis zur Wahrheit, der auch für Böckle maßgeb-lich ist, und von ihm in den Schriften, die Teil II untersucht, neu und anders thematisiert wird.

337 Die augustinische Vorstellung der Rückkehr zur Wahrheit als Rückkehr zum eigenen Ich ist in der Summa Theologiae des Thomas von Aquin verarbeitet und bei Böckle präsent. Wie der antike Autor Cicero identifiziert Augustinus (354–

430 n.Chr.) das »ewige Gesetz« mit der Vernunft Gottes, der »die Wahrung der natürlichen Ordnung befiehlt und ihre Zerstörung verbietet« (Contra Faustum Manichaeum 22,27). Er lehrt ihre Einschreibung in den Menschen in Form der allgemeinsten sittlichen Prinzipien. In seiner Überzeugung, dass es im (ethi-schen) Leben um ein unablässiges Suchen nach zuerst uns selber gehe, beweist Augustinus außerdem platonische Wurzeln. »Kehre in dich selbst zurück [...] und strebe, von woher das Licht der Vernunft selbst angezündet wird.« In: De vera religione 39, 72. Zitiert nach Franz Körner, Augustinus: Das Grund-Problem der Existenz, in: Grundprobleme der großen Philosophen. Philosophie des Altertums und des Mittelalters, hg. v. J. Speck, Göttingen 41990, 123–170, 133.

338 Alois Müller, Das Problem von Befehl und Gehorsam im Leben der Kirche. Eine pastoraltheologische Untersuchung, Einsiedeln 1964, 123f. Böckle, vgl Zur Krise der Autorität, nimmt hinsichtlich ekklesiologischer Überlegungen mehr als ein-mal auf Müller Bezug. Müllers Habilitationsschrift referiert das daein-malige Be-wusstsein in der reformoffenen Theologie.

Resultat

Die von mehreren Seiten unternommene Annäherung an die frühen Veröf-fentlichungen Böckles lässt sich theologisch in der Aussage Böckles verdich-ten, das unterscheidend Christliche liege allein in Jesus Christus.339 Diese Aussage

1. formt seine Anthropologie. Der Mensch, der an die Wirklichkeit Jesu Christi glaubt, weiß »zuverlässig, wie es um ihn steht: er weiss um seine Verlorenheit und seine Würde«340. Um das Wesen der christlichen Nach-folge zu entfalten, bezieht sich Böckle auf spezifisch kontroverstheologi-sche Diskurse seiner Zeit. Ohne diese Referenz lässt sich der Sinn seiner Aussagen nicht erfassen. In seiner Verarbeitung bestimmter zeitgenös-sischer geistesgeschichtlicher Impulse ist Böckle ein Wegbereiter des Zweiten Vatikanischen Konzils.

2. bestimmt die Liebe zum Mittelpunkt des christlichen Ethos. Böckle arbei-tet in dem Interesse, Sittlichkeit als personale Begegnung zu erschließen.

Unter Anführung der paulinischen Theologie betont er die normative Kraft des Glaubenserlebnisses und die Einheit von Glauben und Handeln. Böck-le befreit sich von einer Verengung auf das positive Gesetz, indem er zeigt, dass von Schuld nie mit letzter Gewissheit gesprochen werden kann.

3. lässt das Liebesgebot als normative Summe in der Botschaft Jesu erschei-nen. Böckle lenkt in seinen neutestamentlichen Ausführungen den Blick auf den unbedingten Gehorsam. Kein abstraktes Gesetz, sondern das lie-bende Handeln, das Gott und dem Nächsten »entspricht«341 sind maßgeb-lich. Der Inhalt des Gehorsams offenbart sich der inneren Stimme des sitt-lichen Subjekts.342 In seinem Bemühen um Wahrheit besitzt das Subjekt sittliche Autorität auch gegenüber lehramtlichen Instanzen.

339 Worin besteht das unterscheidend Christliche einer christlichen Ethik?, 229.

340 Worin besteht das unterscheidend Christliche einer christlichen Ethik?, 229.

341 Worin besteht das unterscheidend Christliche einer christlichen Ethik?, 233.

342 Böckles Annahme in Existentialethik, 1304, der Mensch könne durch Wahrneh-mung der inneren Stimme zu Kriterien ›durchstoßen‹, die für ein »echtes« (ebd.) personales Leben angemessen sind, erinnert an die antike Vorstellung der καθηκοντα (der natürlichen vorsittlichen Pflichten, vgl. Ricken, Naturrecht I). In der stoischen Oikeiosislehre, in die Zenon von Kition den Begriff der ›kathekon-ta‹ (um 300 v. Chr.) einführt, heißt es, wie die Tiere durch ihre sozialen Instinkte zu Gruppengängern würden, so werde es der Mensch durch sein Unrechts-verständnis. Böckle erweckt in seinen frühen Schriften den Eindruck, er nehme eine vor-voluntative menschliche Orientierung an, die dem kontemplativen

4. öffnet verschiedene Fragen der Sakramententheologie für den erneuerten philosophischen Personbegriff.

5. versteht den Menschen in einer von der Theologie her veränderten Onto-logie der Person als geschichtliches Wesen, das sich in seiner Verantwor-tung eschatologisch geborgen sieht in Gottes Huld.

Böckles Bestreben, Ethik existentialethisch im Lichte eines religiösen Totalentwurfs zu sehen, unterstreicht die humane Struktur der Ethik, die erkenntnistheoretische Besonderheit der praktischen Wahrheit wird aber nicht explizit philosophisch reflektiert, sondern theologisch dargestellt, wobei bestimmten paulinischen Theologumena eine besondere Stellung zukommt.

In den Schriften, die im nun folgenden Teil II zu Wort kommen, hat sich diese Herangehensweise, den Existenzvollzug aus dem Glauben ethisch zu erörtern, verändert.

Menschen, der fähig ist, sich innerlich zu ordnen, die »echte« (ebd.) gerechte Wirklichkeit eröffnet. Vgl. Zur Bedeutung der Oikeiosis für die moderne Ethik, Andreas Vieth, Intuition, Reflexion, Motivation. Zum Verhältnis von Situations-wahrnehmung und Rechtfertigung in antiker und moderner Ethik, München 2004.