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Gottes Wirken in der menschlichen Handlung im Corpus

3. Sittlichkeit im Spiegel der Bibel

3.2 Die Bibel im Frühwerk Franz Böckles

3.2.2 Gottes Wirken in der menschlichen Handlung im Corpus

3.2 Die Bibel im Frühwerk Franz Böckles

Ehre und Herrlichkeit des Vaters. »Kein Brot, keinen Fisch nimmt er zur Hand ohne zu danken«162, alle seine Heilungen sind vom Dankgebet beglei-tet. Böckle spricht nicht vom Bittgebet, sondern von der ›Gebetsallmacht‹, die aus dem Dank entsteht.163 »Nur jenes Gebet, das sich vorbehaltlos dem Willen Gottes einordnet, ist in diesem Willen und durch ihn allmächtig, denn es will nichts anderes, als was Gott will.«164 Sich Gott in dieser Art hinzuge-ben, bedürfe keiner exklusiven Befähigung; durch den Geist Gottes seien alle dazu bemächtigt. Als Beispiel für die damit einhergehende spirituelle Tiefe führt Böckle die Paulusbriefe an. Er zitiert Texte, die Paulus in der Gefan-genschaft zeigen.165 Die Drastik der ausgewählten Perikopen darf nicht davon ablenken, dass es Böckle im Kern nicht um die Darstellung körper-licher oder willentkörper-licher Schwachheit geht, sondern um die Anwesenheit der Gnade noch im geringsten Tun. »Meine Gnade genügt dir, denn sie erweist ihre Kraft in der Schwachheit. [...] Deswegen bejahe ich meine Ohnmacht, alle Misshandlungen und Nöte, Verfolgungen und Ängste, die ich für Christus ertrage; denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark« (2 Kor 12, 6ff.). Sittlichkeit ist vor dem Hintergrund der Ausführungen weniger ein

»Bemühen um Selbstvervollkommnung« als ein »Raumgeben der Macht und Herrlichkeit Gottes«166 – frei von Werkgerechtigkeit, aber nicht machtlos.

Christliche Lebensführung ist transzendent disponiert.

3.2.2 Gottes Wirken in der menschlichen Handlung im Corpus Paulinum

er nicht Sklave der Sünde bleibe (Röm 6, 6). Diese durch Jesus Christus geschenkte Erkenntnis – getrieben vom Geist; in der Liebe – führt zur Vor-stellung vom tugendhaften Handeln, das in Böckles gesamtem Werk leitend ist. Nicht das platonische Schema der vier Kardinaltugenden, sondern die kontroverstheologische Frage nach einer sittlichen Ordnung unter dem leiten-den Gesichtspunkt der Liebe (vgl. Gal 5, 22; Eph 4, 32–5, 2; Kol 3, 12) prägt seine ethische Theorie.168 Wenn der neue Mensch nur noch unter dem Gesetz der Gnade steht (vgl. Röm 2, 15), dann muss das ›geistige‹ Gesetz der Gnade die Zugangsweise zum Verstehen jeder Norm bedeuten. Die christliche Sittenlehre hängt folglich zuletzt vom Erkenntisvermögen des begnadeten Subjekts ab.

Den »inneren Zusammenhang zwischen gnadenhafter Errettung und sittli-cher Verpflichtung« habe niemand, referiert Böckle, so klar wie Paulus

»gesehen und betont«169. Wenn Paulus den Kolossern die Erkenntnis des göttlichen Willens »in aller geistgewirkten Weisheit und Einsicht« (συνεσει πνευµατικη) wünsche, um »durch die Erkenntnis Gottes« (τη επιγνωσει του

168 Die paulinische Handlungslehre und Soteriologie steht so zentral in Böckles Konzept, dass er die Disposition zum wohlgefälligen Handeln an keiner Stelle im Sinne der antiken ›αρετη‹ (Tugend) reflektiert (Der in der Antike geläufige Beg-riff ›αρετη‹ konnte sowohl die ›Vorzüglichkeit‹ des eigenen Handelns bezeich-nen als auch die vorzügliche Ausstattung durch höhere Gewalt, und vielfach wurde beides gleichzeitig empfunden: Günstiges Schicksal ist Folge guter Leistung und umgekehrt: die Leistung ist Vorbedingung für das Gut, das alle erstreben, für das Glück. In der Sophistik wird der Tugendbegriff zu dem sittli-chen Kardinalbegriff, als der er seither in ethissittli-chen Schemata gebräuchlich ist).

Böckle behandelt die Frage der sittlichen Disposition als Verhältnisbestimmung eines christlichen Indikativs und Imperativs. »Gerade der je neue Entscheid des grundsätzlich Gerechtfertigten richtet sich an ein bewußtes Mitwirken bei all dem, was im Lichte der epignosis (Kol 1, 9; Phil 1, 9) als zu tun erkannt wird.

Das reicht aber wesentlich ins Fruchtbringen hinein.«, so Die Idee der Fruchtbar-keit in den Paulusbriefen, 90 Fn. 237. Wäre alles Handeln Wirken Gottes ohne unser Mitwerken, dann wäre die Freiheit des Menschen eine leere Hülle. Unter dem Anspruch des Gesetzes aber, kann der Mensch auch widersagen. Gottes Wirken mechanisiert nicht, wie Böckle gegen Thielicke überlegt. Der evan-gelische Ethiker H. Thielicke, Theologische Ethik 1, 1951, 124f. unterscheidet bei Paulus zwischen zweierlei Imperativen: dem biologischen, »eigentlich nicht moralisierbaren« Imperativ und dem Sollensimperativ, diejenige Ausgangs-position zu gewinnen, die Gnade wirksam werden lässt. Vgl. zur gleichen The-matik Rudolf Schnackenburg, Das Heilsgeschehen bei der Taufe nach dem Apostel Paulus, in: Münchener Theologische Studien I,1 (1950), 191, der Böckles Sichtweise zu diesem Gegenstand prägt.

169 Rudolf Schnackenburg, hier in einem Originalzitat, Biblische Ethik II. Neues Testament, in: Herders Theologisches Taschenlexikon 1, hg. von K. Rahner, Freiburg i.B. 1972, 299–304, 303.

3.2 Die Bibel im Frühwerk Franz Böckles θεου) »in jedem guten Werk Frucht«170 zu bringen und zu wachsen (Kol 1, 9f.), dann ist damit die Ermächtigung der Kreatur zur Sittlichkeit ausge-drückt. In seiner Dissertation stellt Böckle der Kolosserstelle ein Zitat aus dem Philipperbrief zur Seite, welches das Wesen der Erkenntnis durch das Gnadengeschenk der Liebe näherhin erläutert: »Und um dies bete ich, dass eure Liebe [caritas/ αγαπη] noch immer reichlicher werde an Erkenntnis [εν επιγνωσει] [...], um das jeweils Bessere zu wählen [...] durch Jesus Christus«

(Phil 1, 9–11). Der Skopus ist der gleiche. Gottes Liebe wirkt so innerlich, dass der Mensch aus der Gnade heraus wie aus sich selbst Frucht bringt.171 Diese Fruchtbarkeit, die aus der unlöslichen Vereinigung göttlicher und menschlicher Faktoren resultiert, ist »der imperativischen Einflußnahme nicht entzogen« und untersteht der »Frucht der Verantwortung des Gläubi-gen.«172

Hinsichtlich des theologischen Charakters von Böckles ethischem Kon-zept, ist nun folgende Bemerkung Böckles zur paulinischen Ethik zentral:

»Den Willen Gottes wahrhaft erkennen, heißt ihn tun; so bleibt die Erkennt-nis nicht Selbstzweck, sondern zielt auf das Leben. [...] Darum ist dieser Lebenswandel selbst eine stets wachsende Frucht der Erkenntnis Gottes.«173 Böckle sieht im paulinischen Gebrauch des Wortes ›Erkenntnis‹ eine christ-liche Eigenart typisiert, einen sittchrist-lichen Imperativ, der dem Glauben inhärent

170 Die Übersetzung stammt von Böckle, Die Idee der Fruchtbarkeit in den Paulus-briefen, 23.

171 Böckle, Die Idee der Fruchtbarkeit in den Paulusbriefen, 79 Fn. 212 zitiert Hans Urs von Balthasar, Karl Barth, Darstellung und Deutung seiner Theologie, Köln 1951, 374: »Wenn das Sein des Geschöpfes ein von Gott her gewolltes, begrün-detes und geschütztes ist, dann ist es dies, weil Gott mit ihm eine wirkliche Geschichte eingehen wollte, und Geschichte heißt Begegnung, Berührung, Aus-tausch dessen, was jedem Partner das Eigenste ist. Hier werden, um des wirk-lichen Geschehens willen, die Seinsqualitäten unvermeidlich: reale Teilnahme, bleibende seinshafte Bestimmung (qualitas inhaerens).«

172 Die Idee der Fruchtbarkeit in den Paulusbriefen, 90f. Der junge Böckle steht im Schlusskapitel seiner exegetischen Dissertation auf moraltheologischem Boden.

Nachdem er in seiner Analyse festgestellt hat, dass das Substantiv ›καρπος‹ (Frucht) bei Paulus von dem Verb ›περισσευειν‹ (überfließen) begleitet wird, kommt er anhand von Röm 5, 15.17.20 und Eph 1, 7–9 u.a. zu dem Ergebnis, dass Paulus das Gnadengeschenk der Liebe mit Hilfe des Verbs ›περισσευειν‹ dynamisiert. Paulus gebrauche es entgegen der »klassischen Literatur«, die mit dem Verb »überreich sein/ machen« meint, in einer zweiten Bedeutung, die dem lateinischen ›abundare‹ entspreche im Sinne von »überfließen/ überströmen«.

Damit drücke Paulus zweierlei aus: »zunächst den Reichtum, das Übermaß der Gnade Gottes, und dann die Fruchtbarkeit der göttlichen Gnade im Menschen. In diesem Sinne können wir ›περισσευειν‹ einen typisch neutestamentlichen Begriff nennen« (44).

173 Die Idee der Fruchtbarkeit in den Paulusbriefen, 25.

ist und in dem sich der Glaube verwirklicht. Wer glaubt, soll handeln. Auf diese Strukturaussage Böckles wird zurückzukommen sein.