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Das gottgerechte Sein des Menschen in biblischer Darstellung

3. Sittlichkeit im Spiegel der Bibel

3.2 Die Bibel im Frühwerk Franz Böckles

3.2.1 Das gottgerechte Sein des Menschen in biblischer Darstellung

Der »Entscheidungscharakter des Glaubens«149, so das Grundpostulat des damaligen Reformdiskurses, lässt sich nicht erschöpfend in den Kategorien der Sachlogik darstellen. Böckle betont die subjektive Evidenz des Glaubens und arbeitet daran anschließend die Bindung der Ethik an die Person heraus.

Erkenntnis (γνωσις) und Glaube (πιστις) werden zum unscheidbaren Ganzen,150 mit Konsequenzen für beide Teile dieser Einheit. Da der Glaube als Vorgang verstanden wird, der mit der Erkenntnis einhergeht, erhält das Subjekt erstens in sittlichen Dingen Letztentscheidungsrecht vor jedem insti-tutionellen Beschluss.151 Da zweitens die praktische Erkenntnis als Vorgang des Glaubens gilt, entsteht eine Grenze zur philosophischen Ethik. Die Wirk-lichkeit im Lichte des Glaubens zu erfassen, darauf kommt Böckle wieder-holt zu sprechen, sprenge das philosophische Anthropologiedenken. Unter Hinweis auf die Theologie von Balthasars führt Böckle aus, worin s.E. die Unzulänglichkeit der Philosophie liegt: Nur von der offenbarten Liebe

Verbum«, in: Das Zweite Vatikanische Konzil, Dokumente und Kommentare II

= LThK 21967, 498–528, 499.523f. Die Konzilsväter verabschieden 1966 einen Text, der Nachdruck auf die spirituelle Qualität der Bibel legt. Keine rung dürfe gegen die Bibel ausgespielt werden. Bibel und apostolische Überliefe-rung sprächen vom selben Heiligen Geist, aber nur die Heilige Schrift ›sei‹ Got-tes Rede (DV 9).

148 Böckle führt besonders die Bibelauslegung der apostolischen Zeit an, der au-gustinischen Epoche, der Scholastik und Neuscholastik und die Zeit der dialekti-schen evangelidialekti-schen Theologie nach dem Zweiten Weltkrieg.

149 Glaubenserlebnis und Gesetzesnorm, 79.

150 Hans Urs von Balthasar, BalthasarH 1 (1961), 123–210, 138, hat die spezifische Erkenntnisweise des neutestamentlichen πιστις-Glaubens ausführlich behandelt.

Er weist auch darauf hin, dass Thomas, Anselm und Origenes die philosophische Erkenntnis nicht unabhängig vom intellectus fidei begriffen haben. Die »interne Vollendung des philosophischen Aktes in der Theologie« sei von ihnen voraus-gesetzt worden.

151 Böckle führt Stellen aus dem Johannesevangelium an (Joh 1,49; 4,42), um Glau-ben und Tat aneinanderzubinden.

3.2 Die Bibel im Frühwerk Franz Böckles

tes, die Menschengestalt annimmt und in Jesu Christi Treue bestätigt wird,

»[v]on dieser Tat und nur von dieser Tat her weiss der Mensch zuverlässig, wie es um ihn steht: er weiss um seine Verlorenheit und seine Würde. Keine philosophische Anthropologie vermag den ewigen und unendlichen Wert der menschlichen Person positiv zu begründen; es hilft wenig, ob man dies mit Plotin, Thomas, Nikolaus von Kues oder mit Fichte, Maréchal und seinen Nachfolgern versucht. Philosophie kann nur eine allgemeine Anthropologie entwerfen...«152 Hinsichtlich der biblischen Kategorien hegt Böckle Bedenken bezüglich eines möglichen Sein-Sollensfehlschlusses in umgekehrter Rich-tung: der Philosophie fehle die notwendige »Substruktur«153, um die religiöse Moral lehrhaft zu erfassen.

In einer mehrteiligen Artikelserie über das christliche Gebetsleben154 erläutert Böckle die Eigenart des christlichen Ethos nach Art der patristischen Erbauung. Die besondere Einheit von Glaubensakt und Handlungsakt, die Böckle anzielt und die er im biblischen Doppelgebot verankert sieht, lässt er in einem Dreiklang zu Worte kommen, der die paulinische Tugendtrias Glaube – Liebe – Hoffnung imitiert. Böckle stellt den sittlichen Akt als eine Art ›work in process‹ dar, in der der Glaube sowohl seelische als auch geisti-ge Elemente umfasst. Er spricht vom Werk im Glauben, von der Arbeit in der Liebe und der Geduld in der Hoffnung auf den Herrn Jesus Christus (vgl.

1 Thess 1,3ff.).155 Die je individuelle christliche Identität entsteht für Böckle im Glaubenserlebnis, im affektiven Zugang zum Sein.156 Im ›Erlebnis‹, so führt Böckle unter Zuhilfenahme der Religionspsychologie aus, »vollzieht sich eine eigenartige ›Synthese zwischen Ich-funktion und intuitivem Gedan-ken‹. Dabei bezeichnet die Ich-funktion eine Beteiligung der ganzen Person;

›denn immer ist hier das Gesamt-Ich aktiv, nicht nur ein Teil des Seelenle-bens, wie etwa beim einfachen Denkvorgang‹ (81).«157

In den näheren Ausführungen lässt Böckle dem gläubigen Handlungsakt verschiedene Kennzeichen zuteil werden, die von einer kognitiv-affektiven Vorstellung des Werterfassens zeugen. Jesu Beten offenbare, so Böckle, Gottesgemeinschaft, Dank und Gehorsam als Wesensmerkmale von so ein-schneidender Bedeutung, dass er sogar von einem vor Christus ›unbekannten‹

Beten spricht.158 In Böckles Vision bestimmt das Kerygma die ganze

152 Worin besteht das unterscheidend Christliche einer christlichen Ethik?, 29.

153 Worin besteht das unterscheidend Christliche einer christlichen Ethik?, 29.

154 Vgl. Christliches Gebetsleben.

155 Die Dogmatik spricht von den drei eingegossenen ›theologalen Tugenden‹ Glau-be – LieGlau-be – Hoffnung.

156 Glaubenserlebnis und Gesetzesnorm, 80.

157 Glaubenserlebnis und Gesetzesnorm, 79 unter Bezugnahme auf Werner Gruehn, Die Frömmigkeit der Gegenwart, Münster 1956, 107.

158 Vgl. Das Beten Jesu. Wo der Text verallgemeinernd vom Christentum als der

»Religion des Gebetes schlechthin (Bousset)« (3) spricht, kommt die

Introver-tenz und deren Vollzug. Jesu Gebet belege, dass »Gebet und Dienst eine unzertrennbare Einheit der Wachsamkeit und der Bereitschaft [sind]. So ist das Gebet eine vielschichtige, unendlich breite Wirklichkeit des Lebens. [...]

Leben lässt sich schwer definieren. Leben erlebt man im Tun und letztlich gilt: Nur wer tut, der wird verstehen!«159

Das ›unterscheidend‹ Christliche des jesuanischen Betens, wie Böckle es versteht, und das Dank und Gehorsam als Resultate der Gottesgemeinschaft auch im sittlichen Sinne begreift, lässt sich aus der Serie über das christliche Gebetsleben und zwei Manuskripten seines Nachlasses gut rekonstruieren.

Böckle veranschaulicht dort die innere Verflochtenheit von (sittlichem) Leben und Glaubensakt im Bild der Gemeinschaft. Gebet sei dienstbares Stehen vor dem Schöpfer, sei aber auch »geheimnisvolles Leben mit Gott«

oder augustinisch, »Atem der Seele«. Die Gleichgestaltung in Jesus Christus, der durch seine Erlösungstat »das gestörte Gespräch« zwischen Gott und Mensch wieder aufgenommen habe, wird in seiner Vorbildhaftigkeit heraus-gestellt – Jesus Christus ist der Weg und das Beispiel in seinem dienstbaren Stehen vor Gott.160 Eine Abhandlung zum Beten des Apostels Paulus zeigt, wie idealtypisch Böckle das meint. Obwohl Jesu Hinwendung zu seinem Gott aus einer einzigartigen Einheit gespeist ist, wird das paulinische Gebet durch die gleichen Kategorien (Dank und Gehorsam) charakterisiert wie das jesu-anische Gebet.161

Gemeinschaft mit Gott ist im Duktus der Texte eine Wirklichkeit, die die Gemeinschaft mit dem Nächsten einschließt. Christliches Beten geschieht in einer ›Gebetssolidarität‹ d.h. im ununterbrochenen Gespräch der ganzen Kirche mit Gott und dem Mitmenschen. Böckle stellt, der patristischen Päda-gogik verwandt, das persönliche Gebet in den kollektiven Rahmen der kirch-lichen Gemeinschaft und bezieht damit das Geistwirken in der Kirche zurück auf die Gnade, die dem einzelnen Geschöpf zuteil wird. Individuelle und kollektive Heiligkeit kommen dadurch in den Blick.

Wenn Gebet Gottesbegegnung ist, kann es, so Böckle, eigentlich nur den Dank zum Inhalt haben. Schließlich geht es in allem Beten Jesu nur um die

tiertheit des kontroverstheologischen Diskurses, in dem sich Böckle bewegt, zu Tage. Das rhetorische Sprechen in Gegensätzen lässt die jüdische Perspektive unberücksicht. Soweit die Veröffentlichungen Böckles davon Zeugnis geben können, entspricht die exklusive Redeweise Böckles jedoch keiner bewussten exklusiven Denkweise. Vielmehr scheint es, dass an den Stellen, wo Böckle spe-zifisch Jüdisches kritisiert, er primär »etwas spespe-zifisch Menschliches« meint, um es mit einem Wort von Rudolf Bultmann, Christus des Gesetzes Ende, in: Ders., Glauben und Verstehen II, Tübingen 51968, 32–58, 38 auszudrücken.

159 Christliches Gebetsleben, 12 II.

160 Christliches Gebetsleben, 12 II.

161 Die maschinengeschriebenen Manuskripte Das Beten Jesu und Das Beten des Hl.

Paulus gehören bibliographisch zusammen.

3.2 Die Bibel im Frühwerk Franz Böckles

Ehre und Herrlichkeit des Vaters. »Kein Brot, keinen Fisch nimmt er zur Hand ohne zu danken«162, alle seine Heilungen sind vom Dankgebet beglei-tet. Böckle spricht nicht vom Bittgebet, sondern von der ›Gebetsallmacht‹, die aus dem Dank entsteht.163 »Nur jenes Gebet, das sich vorbehaltlos dem Willen Gottes einordnet, ist in diesem Willen und durch ihn allmächtig, denn es will nichts anderes, als was Gott will.«164 Sich Gott in dieser Art hinzuge-ben, bedürfe keiner exklusiven Befähigung; durch den Geist Gottes seien alle dazu bemächtigt. Als Beispiel für die damit einhergehende spirituelle Tiefe führt Böckle die Paulusbriefe an. Er zitiert Texte, die Paulus in der Gefan-genschaft zeigen.165 Die Drastik der ausgewählten Perikopen darf nicht davon ablenken, dass es Böckle im Kern nicht um die Darstellung körper-licher oder willentkörper-licher Schwachheit geht, sondern um die Anwesenheit der Gnade noch im geringsten Tun. »Meine Gnade genügt dir, denn sie erweist ihre Kraft in der Schwachheit. [...] Deswegen bejahe ich meine Ohnmacht, alle Misshandlungen und Nöte, Verfolgungen und Ängste, die ich für Christus ertrage; denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark« (2 Kor 12, 6ff.). Sittlichkeit ist vor dem Hintergrund der Ausführungen weniger ein

»Bemühen um Selbstvervollkommnung« als ein »Raumgeben der Macht und Herrlichkeit Gottes«166 – frei von Werkgerechtigkeit, aber nicht machtlos.

Christliche Lebensführung ist transzendent disponiert.

3.2.2 Gottes Wirken in der menschlichen Handlung im Corpus Paulinum