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TEIL II: E THIK ALS E THIK . T HEOLOGISCHE E THIK ALS T HEORIE

10. W ERTEINSICHT UND SITTLICHE N ORM

10.1 Normen – Güter – Werte

10.1.1 Normen

Böckles Texte beschäftigen sich wie erwähnt auf zwei Weisen mit der Normproblematik. Abhängig von der Zielgruppe der Veröffentlichung leitet er entweder am biblischen Beispiel oder anhand einer soziologischen Deu-tung in das Thema ein. Beide Male geht er von der Annahme aus, normative Lenkung entspreche der Natur des Menschen.

Böckle behandelt die biblische »Theologie des Handelns«537, wie er die Normgebung der Bibel nennt, im Horizont der historisch-kritischen Exegese seiner Zeit. Er systematisiert das alttestamentliche Normgut nach seinem jeweiligen »Sitz im Leben«538 und erklärt, dass es sich bei dem Gesetzes-material zum Teil um vorisraelitisches Recht handele, das erst »in einem späteren Stadium«539 eine theologische Deutung im Rahmen der israelitischen Geschichtswerdung erhalten habe. Die »sittliche Grundordnung des Alten Bundes« ist für Böckle kein ursprüngliches, gesetztes ›ius divinum‹ (göttli-ches Recht), sondern eine kulturgeschichtliche Leistung, in der das »im Jah-weglauben erstarkende Volk das überkommene Sippenethos der legitimie-renden Autorität Gottes«540 unterstellt habe. Als Beispieltext verwendet Böckle die Sinaiperikope. Dieser religiöse Schlüsseltext, der von der Ver-kündigung der ›Zehn Gebote‹ durch JHWH berichtet, sei ein »ethisches Credo«, das durch das Bundeserneuerungsfest zum ideellen Teil der Identität des jüdischen Volks geworden sei und die »beiden Prinzipien der Liebe zum Bundesgott (Dtn 6,4) und zum Volksgenossen (Lev 19,18–34)«541 derart verknüpfe, dass der Glaube zum ›ethosbegründenden‹ und selektiven Prinzip wird. »Normen werden geläutert, Sitten und Gebräuche, die dem Glauben widersprechen, werden ausgemerzt.«542 Der religiöse Bundesgedanke aber bleibe erhalten. In der Jahrhunderte alten unterschiedlichen Gestaltung von religiösen Normen im israelitischen Ethos erkennt Böckle einen Prozess, der von einem sog. voluntaristisch-nominalistischen Normverständnis, das in apodiktischen Befehlen formuliert ist, zu einem rational-theonomen Norm-verständnis voranschreite. Dieser Prozess rechtfertigt s.E. die Rede von sittli-cher Autonomie im religiösen Kontext.543 Ausgehend von dieser Annahme

537 Theonome Autonomie, 27 (dort nicht kursiv).

538 Fundamentalmoral, 168.

539 Die kulturgeschichtliche Bedingtheit theologisch-ethischer Normen, 117.

540 Vgl. Fundamentalmoral, 176.

541 Die kulturgeschichtliche Bedingtheit theologisch-ethischer Normen, 118.

542 Diekulturgeschichtliche Bedingtheit theologisch-ethischer Normen, 119f.

543 Vgl. Theonome Autonomie, 27; Die kulturgeschichtliche Bedingtheit theolo-gisch-ethischer Normen, 120. Die Bezeichnungen

›voluntaristisch-nominalis-10.1 Normen – Güter – Werte

findet sich bei Böckle keine erkenntnisleitende Unterscheidung zwischen religiösen Normen einerseits und rationalen Normen andererseits; unter dem Gesichtspunkt des Systematikers Böckle greifen in den biblischen Gesetzen historische Gegebenheiten und ideelle Interpretationen ineinander.544

Auch die Weisungen des Neuen Testaments lassen nach Böckle die Praxis erkennen, Normen den geschichtlichen Bedürfnissen anzupassen. Selbst Jesu Botschaft vom angebrochenen Reich Gottes hebe, so Böckle – trotz der es-chatologischen exponierten Bedeutung für das Christentum – diese Praxis nicht auf. Für Böckle und andere stellen die jesuanischen ›Läuterungen‹

Forderungen dar, die sich wegen ihrer Religiösität nicht unmittelbar »in die kategoriale Form zwischenmenschlicher Gesetze«545 übertragen lassen. Sie seien nicht quantitativ normativ zu verstehen, sondern qualitativ als ein Mehr

›in Denken und Wollen‹. Für Böckle zielt Jesus in seiner Gesetzeskritik auf das Faktum, dass »die konkreten Konflikte des Alltags [...] von der recht-lichen Seite her allein nicht zu bewältigen sind«546. Die radikale Scheidung vom Bösen, die Jesus in den Antithesen zur Ehescheidung, zum Schwören, zur Wiedervergeltung und zur Feindesliebe (Mt. 5.31f., 38–42.43–48)

»besonders deutlich« fordere, verlange eine Gerechtigkeit, die das »bloß«547 Geforderte (die tributive Gerechtigkeit in der Terminologie Tillichs) in dem Sinne übersteigt, dass sie das Ziel menschlichen Handelns im Aufbau des Gottesreiches sieht. Was dieser Finalität im Einzelnen dient, bleibe eine personale Entscheidung.548

tisch‹ und ›rational-theonom‹ übernimmt Böckle von Wilhelm Korff, vgl. Moral-theologische Überlegungen zur ›politischen Theologie‹, 181. Korff und Böckle setzen durch ihre Typisierung eine Entwicklung voraus, die nur hypothetisch re-konstruierbar ist. Vgl. bezüglich Böckles Kriterien zum Verhältnis von ›Moral-theologie und Exegese‹ den Aufsatz Moral›Moral-theologie und Exegese heute, in: Ethik im Neuen Testament, hg. v. K. Kertelge, Freiburg 1984, 197–210.

544 Vgl. Die kulturgeschichtliche Bedingtheit theologisch-ethischer Normen, 118.

545 Fundamentalmoral, 210 unter Anführung von Bruno Schüller. Jesu Radikal-forderungen sind für Böckle, Die kulturgeschichtliche Bedingtheit theologisch-ethischer Normen, 123, »antithetisch auf jede rechtlich-normative Ordnung«

bezogen.

546 Die kulturgeschichtliche Bedingtheit theologisch-ethischer Normen, 122.

547 Fundamentalmoral, 210 Fn 15.

548 In der Fundamentalmoral, 205–219 erläutert Böckle ausführlich, wie er die jesu-anische Gesetzeskritik versteht. Er bezieht sich bes. auf die Arbeit von P. Hoff-mann, vgl. ders./V. Eid, Jesus von Nazareth und eine christliche Moral, Freiburg i.B. 1975, 73–94, zur Auseinandersetzung Jesu mit dem jüdisch-pharisäischen Gesetzesverständnis und auf die Arbeit von L. Goppelt, Christologie und Ethik, Göttingen 1968, 27–43 zur Bergpredigt. »In den ursprünglichen Antithesen I, II und IV« wende sich Jesus gegen eine jüdische Gesetzesauffassung, die »durch das babylonische Exil und durch die nachfolgende Entwicklung geprägt«

gewe-Für Böckle lässt sich das ethische Verständnis ›der Bibel‹ in der Kernbot-schaft des Liebesgebots zusammenfassen. Das Liebesprinzip sei leitend in allen biblischen Normen. So, wie der Willen Gottes nur »in actu erfahrbar und nicht vorweg fixierbar«549 sei, sei auch die Umsetzung seines Willens nur in actu möglich. Wir begegnen hier einem Zusammenhang von Glauben und Normativität, der aus Böckles frühen Veröffentlichungen zur paulinischen Theologie bekannt ist. Böckle stellt das Liebesprinzip als ein Handlungsprin-zip dar, das die Richtigkeit der Praxis (Orthopraxis) je neu erhärten muss. Als Beispiele aus urkirchlicher Zeit dienen ihm vorwiegend matthäische und paulinische Texte; bei ihnen erkennt er einen »kasuistisch-pragmatische[n]

Zug«, der sich immer wieder in »rein zeitbedingte[n] Anwendungen des Liebesgebotes«550 niederschlage.

Böckles soziologische Heranführung an das Normthema schließt von Sei-ten der HumanwissenschafSei-ten an den biblisch ausgewiesenen Befund an.

Böckle beschränkt sich auf markante Definitionen der modernen Gesell-schaftstheorie.551 Die Normgattung, referiert Böckle, umfasse in den Sozial-wissenschaften so heterogene Kategorien wie »Sitten, Gesetze, Weisungen, Konventionen, Moden« oder die »viel genannten Entscheidungskriterien«552. Normen steuerten das Verhalten bestimmter partikularer Gruppen ›außenge-lenkt‹, wie im Falle der archaischen Sitte, oder ›innengelenkt‹ im Sinne eines vertraglichen Konsenses.553 Sie sind von und für Menschen erdachte

sen sei und den am Sinai geoffenbarten Willen Gottes in »einem einmal fixierten Wortlaut« (Fundamentalmoral, 205) zu sichern suchte.

549 Fundamentalmoral, 209.

550 Die kulturgeschichtliche Bedingtheit theologisch-ethischer Normen, 124 Fn. 17;

vgl. Theonome Autonomie, 35 Fn. 41 u.a.m. Diese Einschätzung sieht Böckle durch verschiedene Fachkommentare bestätigt. Böckle führt W. Schrage an, Die konkreten Einzelgebote in der paulinischen Paränese, 1960; H. Zimmermann, Christus nachfolgen: ThGl 53 (1963), 241–255; Heinrich Schlier, Die Eigenart der christlichen Mahnung nach dem Apostel Paulus, in: Besinnung auf das Neue Testament 1964, 340–357; Rudolf Schnackenburg, Biblische Ethik, in: Sacra-mentum Mundi I, 1967.

551 Böckle, Fundamentalmoral, 39, beschränkt seinen Exkurs auf die deskriptive Ebene und führt keine inhaltliche Diskussion über »Wahrheitsgehalt oder ethi-sche Verbindlichkeit der Handlungswirklichkeit«.

552 Fundamentalmoral, 37; vgl. Die Probe aufs Humane, 3; Theonomie und Auto-nomie der Vernunft, 75.

553 Auch das Gewissen, so Böckle, Zur anthropologischen und ethischen Grundle-gung gesellschaftspolitischer Entscheidungen, 190 in Anspielung auf eine These von Niklas Luhmann, könne als subjektives »Steuerungssystem« betrachtet wer-den, um die »Persönlichkeit« gegenüber einem »Überschuss an organischen und psychisch-möglichen Verhaltenspotentialen« zu schützen.

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fakte«554. Einzige Invariabilität, die nach Meinung der Soziologie festzuma-chen sei, und die auch eine Pointe von Böckles Thomasauslegung bezeichnet, ist die Tatsache, dass der Mensch gleichsam »von Natur aus«555 regulativ tätig ist. Auch bestätigt ihm sein Exkurs die exegetische These, dass Norm-schöpfung eine gruppengebundene Regulierungsleistung von beschränkter Autorität sei.

In manchen Texten gebraucht Böckle die soziologische Unterscheidung eines Mikro-, Meso- und Makrobereichs der sozialen Wirklichkeit, um die Orte normativen Handelns zu spezifizieren. Diese Orte macht er dann zum Fokus seiner Untersuchung. Wo er über das Thema ›Lebensqualität‹ als ge-sellschaftspolitisches Ziel spricht, kommen Ehe, Familie und Nachbarschaft als sog. ›Mikrobereich‹ zur Sprache. Dem ›Mesobereich‹ ordnet Böckle Probleme der Arbeit, der gerechten Verteilung von Gütern und der damit verbundenen Macht zu.556 Globale Probleme der Überbevölkerung, Welter-nährung, Rassen- und Minderheitsprobleme behandelt er als Fragen des

›Makrobereichs‹. Für Böckle hat die Reglementierung v.a. des Meso-, aber auch des Makrobereichs zu einer Art Ventilreaktion im »gesamten Intim-bereich« geführt. Je stärker der öffentliche Bereich durch eine »technische Sozialkybernetik«557 beherrscht werde, desto nachdrücklicher achteten die Menschen auf Autonomie im Mikrobereich. Die Konkurrenzen, die mit An-nahme dieser doppelten Entwicklung – der pragmatischen entmoralisierten Steuerung des Meso- und Makrobereichs wie der pluralistischen Selbst-regulierung des Mikrobereichs – verbunden sind, sind m.E. richtungsgebend für Böckles Vorgehen, den Unterschied zwischen Normen und Werten so kategorisch hervorzuheben. Das Soziale erweist sich bei Böckle einerseits

»als je konkret Vorgegebenes [...], von dem her sich sittliches Seinkönnen formuliert« – und das sich in bestimmten Werten und Gütern aktualisiert.

Andererseits bleibt aber das Soziale als je zu Leistendes »auch Handlungs-entwurf, der im Horizont dessen, was sein soll, je neu erhärtet werden muß«558 – und deshalb des prüfenden Diskurses bedarf.559

554 Zur anthropologischen und ethischen Grundlegung gesellschaftspolitischer Ent-scheidungen, 196.

555 Die Probe aufs Humane, 67.

556 Hier muss auf die programmatische Frage des Utilitarismus nach der Verbesse-rung der Lebensqualität für möglichst viele, die fachlich im Zusammenhang der Güterverteilung zu erörtern ist, verwiesen werden. Um Böckles Position zu die-sem sozialpragmatischen Moralsystem übersehen zu können vgl. Zur anthropo-logischen und ethischen Grundlegung gesellschaftspolitischer Entscheidungen, 192.

557 Zur anthropologischen und ethischen Grundlegung gesellschaftspolitischer Ent-scheidungen, 192; vgl. Trifft die christliche Morallehre die heutige gesellschaft-liche Wirklichkeit?, 49.

558 Vgl. Ethik mit oder ohne Transzendenz?, 415.

Die Genese von Normen

Böckle zeigt durch seine Phänomenologie der Normbedeutungen, dass die Geltung von Normen an soziologische und/oder historische Bedingungen geknüpft ist. Ausnahmslos geltende Normen kennt Böckle praktisch nicht;

seine Texte sprechen ausnahmslose Gültigkeit nur sog. ›analytisch-tautologi-schen‹ Normen zu.560 Zu letzterer Normgattung zählt Böckle u.a. die bibli-schen Mahnungen des Dekalogs, dessen Gebote im Kern nichts anderes bedeuteten als z.B. ›Ungerecht töten ist ungerecht‹, so das fünfte Gebot betreffend. »Sobald wir aber fragen, wie die Menschenwürde konkret zu respektieren sei oder was ungerecht töten heiße, werden die Urteile synthe-tisch und damit bedingt.«561 Für Böckle ist kein Gut des wirklichen Lebens konkurrenzlos, nicht einmal das Leben selbst. »Alle ethischen Normen, die das zwischenmenschliche Verhalten betreffen, [basieren] letztlich auf einem Vorzugsurteil.«562

Hinsichtlich der Entfaltung seiner Vorstellung, wie das Wollen des auto-nomen Subjekts durch die Natur und das Wollen der anderen autoauto-nomen Subjekte prädisponiert ist, lässt sich Böckle durch zwei Studien inspirieren, die zeitgleich erscheinen, zum einen Bruno Schüllers Studie zur ›Begründung sittlicher Normen‹563, zum anderen eine Veröffentlichung von Wilhelm Korff zu ›Norm und Sittlichkeit‹.564 Beide Studien unterstreichen den eigentlichen

559 Mit Wilhelm Korff stellt Böckle fest, dass sich mit »dem Geltungsanspruch der Mode« eine »soziale Verhaltenspraxis« durchgesetzt habe, die mit ihrem »viel größeren Spielraum für Formen und Möglichkeiten persönlicher Differenzierung

… beim einzelnen die Vorstellung der Selbstentscheidung« schafft, »diese aber nicht selten durch ihren Reizwert manipulativ wieder auf[hebt]« (Unfehlbare Normen?, 282; vgl. sinngemäß Theonomie und Autonomie der Vernunft, 75).

Diesen Selbstbetrug kann nach Böckle nur eine Ethik entlarven, die die gesetz-geberische Position der Vernunft im Prozess der Normsetzung stark macht. Eine pointierte politisch-ethische Deutung soziologischer Erhebungen neueren Da-tums bietet Herlinde Pauer-Studer, in: H. Nagl-Docekal/ dies., Politische Theo-rie, Differenz und Lebensqualität, Frankfurt a.M. 1996. Auch sie nimmt wie Böckle an, dass normative Prozesse dezisionär sind, vgl. 62. Sie fragt mit femi-nistisch geschärftem Blick nach Gründen, wo die Grenzziehung zwischen Mikro-, Meso- und Makrobereich berechtigt ist und weist auf die ethischen Konsequen-zen hin, die die inhaltliche Zuordnung, was öffentlich und was privat sei, für die ethische Praxis bedeutet.

560 Vgl. Fundamentalmoral, 315.

561 Ethik mit oder ohne Transzendenz, 433.

562 Unfehlbare Normen?, 284.

563 Bruno Schüller, Zur Begründung sittlicher Urteile, Düsseldorf 1973.

564 Vgl. Korff, Norm und Sittlichkeit; vgl. Kapitel 8 Fn. 82.

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Schwerpunkt von Böckles Konzept, nämlich die Bedingungen festzulegen, unter denen die ›ratio die »Selbstorganisation des Handelns«565 unternimmt.

Korff erörtert biopsychische, soziale und geistige Zusammenhänge, wie sie sich im Lichte der Humanwissenschaften darstellen und aus denen heraus der Mensch sein Leben zu gestalten hat. Normatives Handeln in der Darstel-lung von Korff ist zwingend ein Handeln nach Prioritäten, da der Mensch, prädisponiert durch seine bio-psychischen Antriebsstrukturen immer zugleich Aggressor, Bedürfniswesen und Fürsorger sei.566 Diese anthropologische Struktur zugrundelegend,567 entwickelt Korff eine Theorie der dreifachen intersubjektiven Bezogenheit, die sich an die Bedeutung der ›natürlichen Neigungen‹ (inclinationes naturales) bei Thomas von Aquin (vgl. S.Th. q. I–

II 94,2) anlehnt. Auch Böckle thematisiert die Rolle der thomanischen ›incli-nationes naturales‹.568 Primär und unter Bestätigung der metaethischen For-mel Hares, versteht er unter natürlicher Neigung die menschliche Eigenart, überhaupt Normen setzen zu wollen. Darüber hinaus besitzt der Mensch, so Böckle, in seiner ordnenden Natur eine Ausrichtung auf andere sog. »unab-dingbar aufgegebene Ziele«569 Im nächsten Abschnitt werden wir uns mit

565 Fundamentalmoral, 89.

566 Korff, Norm und Sittlichkeit, 78.

567 Korff, Norm und Sittlichkeit, 78.

568 Bezugnahmen Böckles auf die inclinationes naturales vgl. Natur als Norm in der Moraltheologie, 81; Natürliches Gesetz als göttliches Gesetz in der Moraltheolo-gie, 180; Unfehlbare Normen?, 281. Böckles Anmerkungen lassen sich wie folgt bündeln: Bei Thomas entspricht die Ordnung der Gebote des Naturgesetzes i.e.

des Beweises nicht bedürftiger Sätze einer Ordnung der ›natürlichen Neigungen‹:

der Selbsterhaltung, der Arterhaltung sowie der Suche nach Wahrheit und Gemeinschaft (das Gute gemäß der Vernunft, vgl. S.Th. q. I–II 94,2 resp). Diese

›inclinationes naturales‹ geben dem obersten Prinzip inhaltliche Ordnungspunkte an. Sie werden umgekehrt erst durch das formale oberste Prinzip überhaupt zu gesollten Zielen des Handelns. Das aber heißt, dass naturale Neigungen a) »ver-nünftig« vermittelt werden können; quod omnes inclinationes secundum quod regulantur ratione, pertinent ad legem naturalem, et reducuntur ad unum primum praeceptum, ut dictum est (S.Th. I–II q. 94,2 ad 2). Es heißt b) zu akzeptieren, dass man sich trotzdem für eine Rangfolge der Güter zu entscheiden hat, die man durch Reflexion der eigenen natürlichen Neigungen erkannt hat.

569 Fundamentalmoral, 250. Nach Merks, Theologische Grundlegung der sittlichen Autonomie, 280, und Böckle folgt ihm hier, müssen die thomanischen Aussagen zu den ›inclinationes naturales‹ im Kontext des gesamten Artikels 94 gelesen werden. Das Interesse des Artikels sei erkenntnistheoretisch und »stelle sich als ein Problem der – normativen – ratio« dar. Für Merks wird an der Thematik der

›inclinationes naturales‹ das »Prinzip der möglichen Zuteilung von praecepta zur lex naturalis behandelt«. Für Thomas sei »letztlich die ordnende Tätigkeit der ratio« eigentliches Kriterium dafür, »ob etwas de lege naturali« (280) sei; der Sachverhalt steht sinngemäß bei Böckle in der Fundamentalmoral, 89 und 250.

diesen ›Zielgütern‹ beschäftigen. Von Korff übernimmt Böckle die Rede-wendung, die normativ »gründende« sittliche Vernunft sei geschichtlich, natural und theologal unbeliebig. Er teilt Korffs Meinung, dass es »auf der Ebene der Positivität«570 immer zu Vorzugsentscheidungen kommen muss.

Der Arbeit Schüllers verdankt Böckle die Bestätigung seiner Grund-annahmen zur entwurfsoffenen Natur des Menschen in den Begrifflichkeiten der angelsächsischen Philosophie (C.D. Broad). Während Korff die Genese von Normen vornehmlich sozialtheoretisch begründet,571 stellt Schüller analytisch-philosophisch dar, inwiefern die Genese von Normen bestimmte Zwecke verfolgt, die sich nicht aus der Handlung selbst ableiten lassen. An-hand kirchlicher Moralaussagen zeigt er auf, dass es keine normative Ethik

›deontologischer‹ (δεον = Pflicht) Art gibt, die in ihrem Grundduktus nicht

›teleologisch‹ (τελος = Ziel) sei.572 Schüller untersucht solche Verbote, die Naturzwecke ins Feld führen, in denen man »die fürsorgende Weisheit des Schöpfers am Werke« erkennt, und solche, die Handlungweisen benennen, die allein der »Prärogative Gottes«573 unterständen. Er stellt in den Verbots-begründungen bestimmte »partikuläre nicht-sittliche Werte« fest, die mit dem Ziel, die Konkurrenz von Werten aufzuheben, »in den Rang absoluter Vor-zugswürdigkeit erhoben« worden seien. Inwiefern aber Naturzwecke im Einzelfall zu respektieren seien, sei eine Entscheidung auf der theoretischen Basis von – im Zweifelsfall konkurrierenden – Werten.574 Die analytische Bestimmung von Finalität, wie Schüller sie unternimmt, wird von Böckle aufgenommen und handlungsbezogen entfaltet. Für Böckle bedeutet Teleo-logie den Existenzvollzug aus Glaube, Liebe und Hoffnung in den Orientierungen der Welt. Wir kommen zu der Frage, welche relevanten

570 Korff, 113.

571 Korff, Norm und Sittlichkeit, 11f. geht von der Annahme aus, dass der Natur-begriff als »Auslegungsschlüssel des Sittlichen seit Mitte des 19. Jh. vom Begriff des Sozialen abgelöst« worden ist.

572 Teleologisch »sollten solche Theorien heißen, die besagen, alle Handlungen müßten ausschließlich von ihren Folgen her sittlich beurteilt werden. Die deonto-logischen Theorien werden als der kontradiktorische Gegensatz teleologischer Theorien definiert. ›Deontologisch‹ heißt nach Schüller, Typen der Begründung sittlicher Normen, 648, jede Theorie, die behauptet, nicht alle Handlungen seien ausschließlich durch ihre Folgen sittlich bestimmt.« Vgl. ebenfalls Schüller, Die Begründung sittlicher Urteile, auch in der durchgesehenen dritten Fassung von 1987; eine Kurzfassung findet sich unter dem Titel ›Typen der Begründung sitt-licher Normen‹ im Conciliumsheft 12 (1976). Böckle nimmt den Sinngehalt ganzer Paragraphen des Artikels Schüllers explizit in die Fundamentalmoral auf.

Schüller festigt Mitte der 1970er Jahre seinen wissenschaftlichen Ruf mit der Strukturanalyse kirchlicher Lehraussagen und den Vorzugsregeln der speziellen Moral in der Tradition des ›ordo caritatis‹.

573 Schüller, Typen der Begründung sittlicher Normen, 649.

574 Schüller, Typen der Begründung sittlicher Normen, 649.

10.1 Normen – Güter – Werte

rechte und Sinnorientierungen dies sein könnten, zu denen sich der Mensch abwägend verhält.