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Der reine Stoff

Im Dokument Die Struktur der Stoffe (Seite 48-51)

3.7 Modelle in der Chemie

3.7.1 Der reine Stoff

Jemand entnimmt aus einer Chemikalienflasche ein paar Löffel Schwefel und gibt ihn in ein Reagenzglas. Er oder sie denkt vielleicht, dort wäre nun, außer etwas Luft, nur Schwefel und überhaupt nichts anderes, überhaupt kein anderer Stoff. Das ist ein Irrtum.

Dann lässt er oder sie aus dem Wasserhahn zuhause Wasser in ein Glas laufen und glaubt vielleicht, dort wäre nun, außer etwas Luft, nur Wasser, überhaupt nichts anderes.

Das ist ein Irrtum.

Es gibt keinen reinen Stoff

Eigentlich sagt die Überschrift schon alles. Es gibt keinen reinen Stoff. Jeder Stoff enthält Verunreinigungen. Es können viel, wenig oder auch nur extrem wenig Verunreinigungen sein, aber sie sind immer in einem Stoff. Es ist egal, ob der Stoff natürlichen Ursrprungs ist oder ob er in einem technischen Verfahren von Menschen hergestellt wurde. Es ist auch egal, ob sich jemand Mühe gegeben hat, den Stoff zu reinigen, d.h. von seinen Verunreinigungen zu befreien, oder ob er gar „besonders gereinigt“ wurde wie das Kali-umhydrogencarbonat in Bild 3.22. Es sind noch Verunreinigungen darin. Und natürlich ist es völlig egal, ob ein Marketingexperte einen Stoff rein, kristallklar oder sonst irgendwie nennt.

Man könnte aber einwenden, dass man nur genug Auf-wand treiben müsste. Dann würde man schon einen wirk-lich reinen Stoff erhalten, in dem kein einziges Atom eines Fremdstoffes mehr enthalten ist. Stellen wir uns also mal vor, es wäre gelungen, in das Wasserglas völlig reines Was-ser zu füllen. Nun warten wir ein wenig, ein paar Millisekun-den reichen, und sehen uns das Wasser erneut an.

An der Oberfläche hat das Wasser Kontakt zur umgeben-den Luft. Auch ohne dass man umrührt oder sonstwie nach-hilft, wird sich Luft darin lösen. Einige Moleküle der Luft ha-ben bei ihrer regellosen Bewegung genug Energie, um in die Flüssigkeit zu gelangen. Dieser Vorgang heißt Diffusion, er findet oberhalb des absoluten Nullpunktes immer statt, und schon sind Stickstoff, Sauerstoff und all die anderen Bestandteile der Luft als Verunreinigungen im Wasser.

Das Wasser hat Kontakt zur umgebenden Glaswand.

Glas löst sich wirklich nicht gut in Wasser, ein klein wenig aber doch. Reines Quarzglas hat eine Löslichkeit von etwa 0,006 g/l, und schon ist Kieselsäure (H4SiO4oder die ent-sprechenden Ionen) im Wasser. Besteht das Glas aus ge-wöhnlichem Haushaltsglas, kommen noch Na+–Ionen und OH–Ionen dazu.

Und dann fällt noch etwas Staub ins Wasser. Er besteht aus. . . Hier breche ich ab, denn jetzt ist Ihnen klar, dass jeder Stoff mit seiner Umgebung in stofflichem Austausch steht, und es kommen Verunreinigungen hinein.

Das Modell Reinstoff

Welche Auswirkungen haben die Verunreinigungen in einem Stoff ? Eine klare Antwort auf diese klare Frage lautet : Es kommt drauf an. Oft ist es jedenfalls so, dass geringe Verunreingungen auch nur geringe Auswirkungen haben. Oft sind sie so gering, dass man sie vernachlässigen kann.

Wir sagen also Schwefel, meinen Schwefel mit geringen Verunreinigungen, und wis-sen, dass sich dieser Schwefel in seinen Eigenschaften und seinem Verhalten nur ver-nachlässigbar gering von reinem Schwefel unterscheidet.

Das Modell, das Bild der Wirklichkeit, das wir uns hier machen, ist also dieses : Wir sehen, wenn wir es vertreten können, einen real existierenden Stoff trotz seiner geringen Verunreinigungen als Reinstoff an. Wir schreiben dem nicht existierenden Reinstoff, des-sen Eigenschaften und Verhalten wir nicht untersuchen können (es gibt ihn ja nicht), die Eigenschaften und das Verhalten des realen Stoffes zu.

Kann man es vertreten ?

Da habe ich eine kleine Falle in den vorigen Absatz eingebaut – „wenn man es vertreten kann“. Und, kann man ? Die klare Frage hat eine klare Antwort : Es kommt drauf an.

Bild 3.23:

Ein Stoff, der rein heißt, aber kein Reinstoff ist. Welchen Reinheitsge-halt hat er wohl ?

Bild 3.24:

Reiner als rein muss es wohl sein. Laborerfahrung hilft, einzu-schätzen, ob seine Reinheit für den vorgesehenen Zweck ausreicht.

Die Hausfrau oder der Hausmann wird das Trink-wasser aus dem Wasserhahn als Reinstoff anse-hen. Es macht für ihn oder sie keinen Unterschied.

Chemikerinnen und Chemiker werden Leitungs-wasser nie als Reinstoff ansehen und höchstens zum Spülen benutzen. Die Inhaltsstoffe natürlichen Wassers (zum Beispiel Calciumionen, Carbonat–

oder Hydrogencarbonat–Ionen und andere) kön-nen Reaktiokön-nen beeinflussen oder Nachweise ver-fälschen. Sie werden deionisiertes Wasser oder gar destilliertes Wasser benutzen und wissen um die immer noch darin befindlichen Stoffe.

Um Silizium in der Halbleitertechnik verwenden zu können, muss der Gehalt an Bor und Phosphor unter 0,1 – 1 ppb liegen. Weniger reines Silizium kann aber für andere Zwecke eingesetzt werden.

Für die Benutzung im Labor haben sich Stan-dardanforderungen an die benutzten Stoffe (Che-mikalien) herausgebildet. Stoffe, die man bei Syn-thesereaktionen verwenden kann, bezeichnet man gern mit dem Wort rein. Solche, die erhöhten An-forderungen an die Reinheit genügen, nennt man reinst. Die Bilder 3.23 und 3.24 zeigen historische Etiketten von Chemikalienflaschen, etwa aus den 1970er Jahren, mit damals üblichen Reinheitsbe-zeichnungen.

Geschickt und eigentlich unverzichtbar ist es, nicht nur die Reinheit anzugeben, sondern auch die Verunreinigungen und deren Konzentration, wie in Bild 3.25.

Der Reinstoff (ohne jegliche Verunreinigungen) ist ein, meist gutes,

Modell für reale Stoffe mit nur geringen Verunreinigungen.

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