• Keine Ergebnisse gefunden

Ein Ion hat immer eine ganzzahlige Ladung

Im Dokument Die Struktur der Stoffe (Seite 59-64)

3.7 Modelle in der Chemie

3.7.4 Ein Ion hat immer eine ganzzahlige Ladung

Ein Natriumatom gibt ein Elektron ab, es entsteht ein Natriumion. Ein Chloratom nimmt das Elektron auf, es entsteht ein Chlorion. Die beiden Ionen ziehen sich an und bilden ein Ionenpaar. Weitere Natrium– und Chlorionen lagern sich an, bis schließlich ein Io-nenkristall entsteht.

So oder so änhlich lernt man es in der Schule, und alle stellen sich vor, dass alle Ionenkristalle nach diesem Muster aufgebaut sind. Warum auch nicht ? Was spricht denn dagegen ?

Erst mal nichts. Die Überlegungen von eben stellen ein Modell der Bildung eines Io-nenkristalls dar, dass in vielen Fällen die Realität gut beschreibt.

Jedoch steckt in diesem Modell eine nicht ausgesprochene Annahme : Nicht nur die Ionen, aus denen sich der Kristall bildet, tragenexakt einepositive oder negative Ladung, sondern auch im entstandenen Kristall ist das so. Die Frage stellt sich : Ist das wirklich so ? Und die klare Antwort auf die klare Frage lautet wie so oft : Es kommt drauf an.

Das zeitliche Mittel Am Anfang der Diskussion steht eine grundsätzliche Frage : Kann ein Ion überhaupt eine nicht ganzzahlige Ladung (zum Beispiel eine halbe oder dreiviertel Ladung) besitzen ? Die Träger der Ladung sind Elektronen, und die sind als Elementarteilchen unteilbar10.

10 Diese Unteilbarkeit gilt für Vorgänge, die in der Chemie und in der klassischen Physik untersucht werden.

Moderne Theorien der Physik gehen von einem komplexen Aufbau der klassischen Elementarteilchen aus.

Die Lösung des Widerspruchs ist das zeitliche Mittel. Hält sich ein Elektron zu 90 % der Zeit bei dem einen Ion und zu 10 % bei einem anderen Ion auf, so hat das erste Ion eine Ladung von 0,9 einer Elektronenladung, das zweite eine Ladung von 0,1 (oder 10 %) der Elektronenladung.

Die Frage, wie dieser Aufenthalt von Elektronen zu verstehen ist, und über welche Zeiträume der Mittelwert gebildet wird, werde ich später (in Kapitel??) beantworten.

Modell der ganzzahligen Ionenladung :

Atome sind entweder elektrisch neutral oder tragen eine ganzzahlige Ladung.

Kurzbeschreibung

Man geht davon aus, dass in Stoffen alle Atome entweder elektrisch neutral sind, oder dass jedes Atom eine ganzzahlige Ladung11besitzt. Im zweiten Fall nennt man das Atom ein Ion.

Der Unterschied zwischen Modell und Wirklichkeit

Ich werde ihn an 2 Beispielen illustrieren, an denen auch gleich der Nutzen des Modells klar wird.

Salze

Bei der Beschreibung von Salzen wird dieses Modell fast immer benutzt. Die Ansicht ist verbreitet, es beschreibt Salze gut.

Eines der wichtigsten und bekanntesten Salze ist Natriumchlorid (Formel NaCl). Ich benutze es als Prototyp für alle Salze. Die Aussagen in diesem Abschnitt gelten also (eventuell mit graduellen Abweichungen) auch für andere Salze.

gelöste Salze Oft kommen Salze in gelöstem Zustand vor. Denken Sie zum Beispiel an etwas Salz, dass Sie in die Suppe (oder wie die Amerikaner ins Bier) geschüttet haben. Es ist dort gelöst.

In dieser Lösung sind die einzelnen Ionen (bei Natriumchlorid also die Natriumionen und die Chlorionen) von einer Hydrathülle (einer Hülle aus Wassermolekülen) umge-ben. Dadurch sind sie voneinander isoliert, und Elektronen können nicht von einem zum anderen Ion wandern. Auch über einen längeren Zeitraum betrachtet, trägt daher das

11 Mit dem Begriff „ganzzahlige Ladung“ ist eine Ladung gemeint, die ein ganzzahliges Vielfaches der Elemen-tarladung, d.h. der Ladung eines Elektrons ist. Diese Elementarladung beträgt 1,602 176 634·10−19C.

Bild 3.32:

Ein negativ geladenes Ion (links, rot gezeichnet) und ein positiv geladenes Ion sind von einer Hydrathülle (gezeichnet sind 3 bzw. 4 Wassermoleküle, die eine gewinkelte Form besitzen) umgeben. Zwischen den Ionen ist aufgrund der Entfernung kein Ladungsaus-tausch möglich, beide tragen exakt eine Elementarladung. Mehr zur Farbcodierung in Kap. 1.3. Die Darstellung ist schematisch.

Natriumion immer eine positive Ladung (sie rührt von dem Elektron her, dass es ab-gegeben hat), und das Chlorion trägt immer eine negative Ladung (vom Elektron, dass es aufgenommen hat). Bild 3.32 zeigt schematisch ein negatives und ein positives Ion, die von einer Hydrathülle umgeben sind. Bei gelöstem Salzen beschreibt das Modell die Wirklichkeit exakt.

gasförmige Salze Das ist nichts, mit dem man aus dem Alltag vertraut ist. Natrium-chlorid hat einen Siedepunkt von etwa 1460 °C, und bei höheren Temperaturen liegen tatsächlich Natriumchlorid–Moleküle vor (neben einigen größeren Einheiten).

Auf ein solches Molekül kann man das Konzept der Elektronegativität (vgl. Kap. ??) anwenden. Es gibt mehrere Methoden, mit denen man versuchen kann, die Ionizität (den Anteil des Ionencharakters) der Bindung oder die Ladung der Natrium– und Chlorteilchen zu berechnen. Keine der Methoden ist perfekt, aber man erhält Ergebnisse für die Ionizität von 70 bis 75 % und für die Ladung der Teilchen von etwa 60 % der Elementarladung12. Das ist weit von der Modellvorstellung entfernt, und man kann das Modell auf diesen Fall sicher nicht anwenden. Aber wann hat man schon mit gasförmigen Salzen zu tun ?

Der linke Teil von Bild 3.33 illustriert die Situation.

12 Im Huheey ([2]) finden Sie auf S. 227–229 Ausführungen zur Berechnung der Partialladungen (Teilladun-gen), und in seinem klassischen Buch legt der damals einflussreiche Linus Pauling [33] in Kapitel 3 seine Überlegungen zum Ionencharakter von Bindungen dar und teilt auf S. 94 eine auch heute noch benutzte Formel mit.

Bild 3.33:

2 Moleküle, die sich jeweils aus einem negativ und einem positiv geladenen Ion gebildet haben. In beiden Molekülen haben die Ionen keine ganze Elementarladung mehr, daher sind sie auch nicht kräftig rot oder blau wie in Bild 3.32.

Im linken Molekül haben sie immerhin noch eine deutliche Teilladung (vielleicht 75 % der Elementarladung) und sind blass rot oder blau gezeichnet. Dies entspricht etwa der Situation im Natriumchlorid.

Im rechten Molekül tragen die Ionen nur noch eine sehr schwache Teilladung, (vielleicht 20 % der Elementarladung) und sind sehr blass gezeichnet. Man sollte sie nicht mehr Ionen nennen. Dies entspricht der Situation im Chlorwasserstoff.

Die Darstellung ist schematisch.

kristalline Salze So kennt man das Natriumchlorid (Kochsalz) aus dem Salzstreuer, und auch die anderen Salze sind bei Raumtemperatur fest und kristallin. Die Kristalle bestehen aus Ionen in regelmäßiger Anordnung.

Die Partialladungen der Natrium– und der Chlorionen haben dieselbe Größenordnung wie in den Molekülen im vorigen Abschnitt (vgl. [33], S. 494).

Auch hier, im Natriumchloridkristall, gilt also, dass die Ionen keine ganze Elementarla-dung tragen, und dass die BinElementarla-dung keine reine IonenbinElementarla-dung ist. Trotzdem wird sie immer wieder so beschrieben, und man arbeitet immer wieder mit diesem Modell. Der Grund ist, dass das Modell tragfähig ist. Man kann Kristalle von Salzen in vieler Hinsicht korrekt mit einem Modell beschreiben, in dem die Ionen ganze Elementarladungen besitzen und die Bindung eine reine Ionenbindung ist. Als Faustregel wird oft genannt, dass man dies bei einer Ionizität von mehr als 70 % tun kann.

Bild 3.34 illustriert die Situation.

Chlorwasserstoff (Salzsäure)

Eine der gängigsten Laborchemikalien ist Salzsäure. Es ist eine Lösung von Chlorwas-serstoff (HCl) in Wasser.

Aus welchen kleinsten Teilchen sind Chlorwasserstoff und Salzsäure aufgebaut ? Chlor-wasserstoff ist eine starke Säure, das heißt, die Moleküle geben H+–Ionen ab, sobald sie Gelegenheit dazu haben. Kommt Chlorwasserstoff (es ist bei Raumtemperatur ein Gas) in Kontakt mit Wasser, ist diese Gelegenheit gegeben. Das HCl–Molekül gibt ein H+

Bild 3.34:

Ausschnitt aus einem Kristall (schematisch). Er ist aus Ionen gebildet, die keine ganze Elementarladung, aber doch eine deutliche Teilladung (vielleicht 75 % der Elementar-ladung) tragen und daher blass rot oder blau (wie in Bild 3.33) gezeichnet sind. Dies entspricht etwa der Situation im Natriumchlorid.

Ion ab13. Oft denkt man, dieses H+–Ion muss schon vorher im HCl–Molekül vorhanden gewesen sein, denn das Molekül kann doch nur etwas abgeben, was es besitzt.

Wie im vorigen Abschnitt kann man die Ionizität der Bindung im HCl–Molekül und die Partialladungen der kleinsten Teilchen berechnen. Man erhält eine Ionizität von et-wa 20 % und Partialladungen von etet-wa 20 % einer Elementarladung. Im HCl–Molekül liegt also eine schwach polare Bindung vor. H+–Ionen oder Cl–Ionen sucht man dort vergeblich.

Der rechte Teil von Bild 3.33 illustriert die Situation.

Oxidationszahlen

Wenn Sie wissen, was Sie tun, ist es in Ordnung. Natürlich kann man beim Sulfat–Ion (SO42–) an das Schwefelatom eine VI schreiben, und an andere Atome andere Zahlen.

Und natürlich kann man in einemformalenVerfahren diese Zahlen benutzen, um Reak-tionsgleichungen aufzustellen.

Nur sollte man nicht glauben, dass diese Zahlen die Ladung der Atome angeben, an denen sie stehen. Ganz sicher ist das Schwefelatom im Sulfation nicht sechsfach positiv geladen.

13 Das H+–Ion reagiert mit einem Wassermolekül zu einem Hydronium–Ion (oft Oxonium genannt) mit der Formel H3O+.

Nutzen des Modells

Was kann man mit dem Modell der ganzzahligen Ionenladung erklären ?

ã die Kristallstruktur von Stoffen, in denen Ionen vorliegen, deren Partialladung nur wenig unter einer Elementarladung liegt (in der Regel mehr als 70 % einer Elemen-tarladung)

ã das Verhalten von solchen Stoffen, zum Beispiel Reaktionsfähigkeit oder Schmelz-punkt

Was kann man mit dem Modell der ganzzahligen Ionenladung nicht erklären ? ã Kristallstruktur und Verhalten von Stoffen, in denen Ionen vorliegen, deren

Partial-ladung deutlich unter (in der Regel weniger als 70 %) einer ElementarPartial-ladung liegt.

Im Dokument Die Struktur der Stoffe (Seite 59-64)