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Die Knallgasreaktion

Im Dokument Die Struktur der Stoffe (Seite 105-111)

4.8 Freie Enthalpie

4.8.5 Beispiele

4.8.5.1 Die Knallgasreaktion

Vielleicht haben Sie die Knallgasreaktion in der Schule kennen gelernt. Wasserstoff und Sauerstoff (beide gasförmig) reagieren miteinander, und es entsteht Wasser. Vielleicht kennen Sie auch die Gleichung dieser Reaktion. Hier ist sie noch einmal.

2 H2+ O2 2 H2O Gl.C – 3

Im Verlauf der folgenden Überlegungen wird es sich als praktisch herausstellen, eine Reaktion zu betrachten, bei der nicht zwei Mol Waser entstehen, sondern nur eines. Ich werde die Knallgasreaktion ab jetzt in dieser Form hinschreiben.

H2+ 0.5 O2 H2O Gl.C – 4

Der Enthalpieterm

Um herauszufinden, ob∆Gfür diese Reaktion negativ ist, sollte man sich zuerst überle-gen, welchen Wert∆Hannimmt.

Woher kennt man den Wert von∆H?– Die EnthalpieH ist der Wärmeinhalt eines Systems. Man kannH weder messen noch berechnen. Das ist aber kein Problem, denn H benötigt man gar nicht.

Was man braucht, ist die Änderung der Enthalpie, also∆H. Das ist die Wärmemenge, die bei einem Vorgang abgegeben oder aufgenommen wurde, und diese Größe kann man ohne Weiteres messen. Ein Kalorimeter ist das richtige Gerät dafür.

Was bleibt, ist ein Problem, das klein aussieht, aber riesengroß ist. Es gibt Hunderttau-sende von Reaktionen, und von jeder die Enthalpieänderung zu messen, ist eine endlose langweilige Riesenaufgabe. Geht es auch einfacher ? Ja.

Die Enthalpie ist eine Zustandsgröße.– Diese Aussage hört sich recht formal an und erscheint wenig relevant für die Praxis. Sie ist aber der Schlüssel zu den∆H–Werten.

Sie besagt, dass jedes System (zum Beispiel ein Mol Wasser bei einer bestimmten Temperatur und einem bestimmten Druck) immer dieselbe Enthalpie hat, egal wie es entstanden ist. Bei dem Mol Wasser ist es egal, ob es bei einer Knallgasreaktion, in einer Brennstoffzelle oder sonstwie gebildet wurde.

Eine Bezugsgröße. – Man kennt die Enthalpie eines Systems nicht, wohl aber den Unterschied zur Enthalpie eines anderen Systems. Das ist die Kernaussage der letzten Absätze. Man kann die Enthalpie eines Systems also, bezogen auf ein anderes System, angeben. Wenn man nun ein Bezugssystem geschickt wählt, kann man die Enthalpien aller Systeme (bezogen auf dieses System) leicht angeben.

Als Bezugssystem für alle chemischen Reaktionen (und ein paar andere Vorgänge, bei denen das sinnvoll ist) hat man die Elemente in ihrem stabilsten Zustand und bei Stan-dardbedingungen gewählt. Die StanStan-dardbedingungen sind eine Temperatur von 25 °C (298 K) und ein Druck von 1 bar (100.000 Pa).

Die Standard–Bildungsenthalpie.– Man stellt sich eine Reaktion vor, bei der ein Mol eines bestimmten Stoffes in einer Reaktion direkt aus den Elementen gebildet wird, unter Standardbedingungen. Dass dies praktisch oft nicht möglich ist, ist nicht weiter schlimm, dafür gibt es gleich eine Lösung.

Die Enthalpie dieser Reaktion nennt man die Standardbildungsenthalpie des Stoffes.

Sie bekommt die Bezeichnung∆HB0(deutsch) oder∆Hf0(englisch).B undf stehen für Bildung und formation. Oft kürzt man die Bezeichnung als∆H0oder∆H ab. Ihre Einheit ist natürlich kJ/mol.

Zahlenwerte für die Standardbildungsenthalpie von Stoffen finden Sie in Tabellenwer-ken, zum Beispiel in [15].

Die Knallgasreaktion.– Hier haben wir Glück. Wasser wird tatsächlich aus den Ele-menten Wasserstoff und Sauerstoff in ihrer jeweils stabilsten Form (H2– und O2–Moleküle, keine einzelnen Atome) gebildet. Die gemessene Enthalpie der Reaktion C – 4 unter Standardbedingungen ist die Standardbildungsenthalpie von Wasser. Sie beträgt∆HB0= –285,8 kJ/mol. Sie ist negativ, die Reaktion ist also exotherm.

In Bild??ist die Standardreaktionsenthalpie der Knallgasreaktion (–285,8 kJ/mol) als nach unten gerichteter roter Pfeil eingetragen.

Der Entropieterm

Um herauszufinden, ob∆Gfür die ReaktionC – 4negativ ist, sollte man sich als nächstes überlegen, welchen Wert ∆S annimmt. Über die Temperatur T muss man sich keine Gedanken machen. Es ist die Temperatur, bei der die Reaktion stattfindet.

Woher kennt man den Wert von∆S?– Man kann die Entropie eines Systems im Prinzip messen. Wenn Sie die Worte „im Prinzip“ lesen, ahnen Sie sicher schon, dass

das eine schwierige Aufgabe ist5. Man hat daher nur für vergleichsweise wenige Stoffe6 die Entropie bestimmt.

Zahlenwerte für die Standardentropie S0von Stoffen (das ist die Entropie bei Stan-dardbedingungen, T = 25 °C, p= 1 bar) finden Sie in Tabellenwerken, zum Beispiel in [15].

Die Knallgasreaktion. – Zur besseren Übersicht schreibe ich GleichungC – 4noch einmal hin.

H2+ 0.5 O2 H2O Gl.C – 4

Um die Entropieänderung∆Sder Reaktion zu bestimmen, benötigt man die Standard-entropienS0der 3 beteiligten Stoffe : Wasserstoff H2, Sauerstoff O2, beide im gasförmi-gen Zustand, und Wasser im flüssigasförmi-gen Zustand.

Die Zahlenwerte sind :

Wasserstoff H2 130,6J mol−1K−1 Sauerstoff O2 205,0J mol−1K−1 Wasser H2O 070,0J mol−1K−1.

Um daraus die Entropieänderung zu berechnen, addiert man die Standardentropien aller Produkte und subtrahiert die Standardentropien aller Edukte. Dabei sind die Koeffi-zienten der einzelnen Stoffe zu beachten.

∆S0= 70,0J mol−1K−1– 0,5 · 205,0J mol−1K−1– 130,6J mol−1K−1=

= – 163,1J mol−1K−1.

Läuft also in einem System unter Standardbedingungen die Reaktion nach Gleichung C – 4ab (oder anders gesagt : Entsteht ein Mol Wasser aus den Elementen unter Stan-dardbedingungen), so nimmt die Entropie um 163,1J mol−1K−1ab.

Nimmt die Entropie wirklich ab ?– Eben habe ich gesagt, die Entropie nimmt bei der Reaktion ab. Stimmt das ? Beide Ausgangsstoffe sind gasförmig. Durch die unabhängige Bewegung der einzelnen Moleküle ist viel Entropie (Unordnung) vorhanden. Das Pro-dukt ist flüssig. Die Wassermoleküle bewegen sich zwar unabhängig voneinander, sind aber durch das Vorhandensein von Wasserstoffbrückenbindungen und durch ihre Nach-barn bewegungseingeschränkt, und es sind weniger Teilchen als vorher. Die Ordnung ist größer, die Entropie kleiner geworden.

Zum Ausgleich ist die Entropie der Umgebung größer geworden. Und es ist leicht zu verstehen, wie das passiert ist. Bei der Reaktion wird Energie frei, die Umgebung wird wärmer und damit ungeordneter.

5 Man geht von einem Stoff aus, der keine Baufehler und keine Verunreinigungen besitzt. Dass es solche Stoffe nicht gibt, ist in den Kapiteln 3.7.1 und 9.1 erklärt. Der Stoff muss sich am absoluten Nullpunkt befinden. Auch das ist unmöglich, und man geht real von Stoffen aus, die diesen 3 Bedingungen möglichst nah kommen. Dann benutzt man die GleichungS=RT

0 Cpd(lnT). Dabei istCpdie Wärmekapazität bei konstantem Druck. Man kann sie messen. Da sie stark temperaturabhängig ist, ist die Messung aufwendig.

Besonders in der Nähe des absoluten Nullpunkts ist die Messung schwierig. Und zum Schluss sollte man nicht vergessen, die Entropie von Phasenübergängen zu berücksichtigen.

6 Gemeint sind Systeme, die nur aus einem einzigen Stoff bestehen.

Der gesamte Entropieterm. – In der rechten Seite von Gleichung 4.15 kommt der Ausdruck –T∆S vor. Man berechnet ihn aus der Standardentropie der Reaktion (eben berechnet, – 163,1J mol−1K−1) und der Temperatur. Da Enthalpie und Entropie immer unter Standardbedingungen angegeben wurden, muss man nun auch die zugehörige Temperatur (298 K) benutzen. Außerdem sollte man beachten, dass bei den Entropien mit Joule (J), nicht mit Kilojoule (kJ) gerechnet wurde.

Man erhält

–T ∆S0 = – 298 K · ( – 163,1J mol−1K−1) =

= 48.603,8J mol−1=

= 48,6kJ mol−1

In Bild??ist die Reaktionsentropie der Knallgasreaktion (48,6 kJ/mol) als nach oben gerichteter blauer Pfeil eingetragen.

Die Freie Enthalpie

Die Freie Enthalpie ∆G0 der Knallgasreaktion unter Standardbedingungen kann nun leicht nach Gleichung 4.15 berechnet werden.

Man erhält

∆G0 =∆H0–T ∆S0=

= – 285,8kJ mol−1+ 48,6kJ mol−1=

= – 237,2kJ mol−1

Die Änderung der Freien Enthalpie∆Gfür die Knallgasreaktion (GleichungC – 4) unter Standardbedingungen beträgt also – 237,2kJ mol−1.

Dieser Wert ist negativ. Die Reaktion läuft daher freiwillig ab, jedenfalls nachdem man die Aktivierungsenergie (vgl. Kapitel??) zugeführt hat.

Die Enthalpieänderung ∆H der Reaktion ist stark negativ. Bei der Reaktion wird viel Wärme frei. Der Entropieterm ist dem Enthalpieterm entgegengerichtet, jedoch ist er viel kleiner als dieser. Er ändert nichts an der Tatsache, das∆G< 0 ist.

Beachten Sie, dass die Änderung der Entropie negativ ist (– 163,1J mol−1K−1), und dass dadurch der Term –T ∆Spositiv wird.

Bald geht es hier weiter.

5 Bindungen

Bild 5.1:

In diesen beiden jeweils knapp 1 cm großen Kristallen von Kup-fersulfat–Pentahydrat

(CuSO4· 5 H2O) sind 4 Arten von Bindungen vorhanden.

Einzelne Atome, die ohne jede Wechselwirkung zu anderen Atomen existieren, kennen wir aus unse-rer Alltagswelt überhaupt nicht. Es gibt solche im freien Weltraum, zwischen den Sternen und zwi-schen den Galaxien, sogar in sehr großer Zahl.

Auf der Erde findet man sie in künstlich erzeugtem Hochvakuum. Außerdem besteht das ideale Gas vollständig aus solchen Atomen. Aber das ist ein Modell, und es unterscheidet sich von der Realität gerade durch das Weglassen der tatsächlich vor-handenen Wechselwirkungen1.

In allen Festkörpern und Flüssigkeiten sind alle Atome von Nachbarn umgeben, die sich direkt ne-ben ihnen befinden. In Flüssigkeiten (und in sehr

begreztem Maß auch in Feststoffen) wechseln diese Nachbarn im Lauf kurzer Zeitspan-nen, immer aber hat jedes Atom (und ebenso jedes Ion und jedes Molekül) Nachbarn direkt neben sich.

An dieser Stelle taucht plötzlich eine Frage auf. Warum ? Warum bleiben die kleinsten Teilchen überhaupt zusammen ? Was hält sie davon ab, einfach auseinander zu fliegen ?

Die grundsätzliche Antwort ist einfach.

Zwischen den kleinsten Teilchen wirken elektrostatische Kräfte.

Geht man ins Detail, muss die Antwort ausführlicher ausfallen. Die kleinsten Teilchen in Feststoffen und Flüssigkeiten sind von unterschiedlicher Art, und zwischen ihnen wirken unterschiedliche Kräfte. Alle diese Kräfte fasst man unter dem Namen „Bindungskräfte“

zusammen. Der Zusammenhalt2, den sie bewirken, nennt man eine Bindung. Das Bild,

1 Mehr über Modelle allgemein erfahren Sie in Kap. 3, mehr über das Modell des idealen Gases in Kap.??

2 Faust stellt in Goethes gleichnamiger Tragödie die Frage, was „die Weltim Innerstenzusammenhält“ (Her-vorhebung durch mich). Die Naturwissenschaft beantwortet diese Frage derzeit (im Jahr 2020), indem sie 4 grundlegende Kräfte nennt. Es sind die starke Wechselwirkung, die schwache Wechselwirkung (beide wir-ken nur im Bereich der Atomkerne), die Gravitationskraft, und eben die elektromagnetische Kraft. Nur um diese letzte geht es in diesem Buch. Mehr über die anderen 3 erfahren Sie zum Beispiel in [7], S. 1012 ff.

dass sich aus dem Zusammenspiel von Teilchen und Bindungskräften ergibt, ist komplex.

Es wird in diesem Kapitel schrittweise, ausführlich und genau gezeichnet.

Inhalt des Kapitels In den folgenden Abschnitten erfahren Sie mehr zu den einzel-nen Konzepten.

Vorbemerkung

− Eine kurze Bemerkung zur Modellbildung : Kap. 5.1 starke Bindungen

− Ionenbindung : Kap. 5.2

− Atombindung : Kap. 5.3

− Metallbindung : Kap. 5.4 schwache Bindungen

− Permanente Dipole und Polarität : Kap. 5.5

− Dipolkräfte (Keesom–Kräfte) : Kap. 5.6

− Wasserstoffbrückenbindung : Kap. 5.7

− Induzierte Dipole und Polarisierbarkeit : Kap. 5.8

− Temporäre Dipole und die Dispersionskräfte (London–Kräfte) : Kap.??

− van–der–Waals–Kräfte : Kap.??

mehr über Bindungen

− Jenseits der klassischen Bindungstypen : Kap.??

− Tabelle mit Bindungsenergien : Kap.??

− Kraft und Energie bei Bindungen : Kap.??

− Die polare Atombindung, ausführlich betrachtet : Kap.??

5.1 Modellbildung und ein Sack voller Beispiele

Um den Überblick über die riesige Vielfalt der Stoffe und ihrer Bindungen zu behalten, werde ich einzelne Stoffe und die Bindungen in ihnen betrachten. Ich werde typische Vertreter der Bindungsarten auswählen, bei denen die Mitspieler (Teilchen und Kräfte) ihre Rolle besonders deutlich spielen. Bei den Betrachtungen der einzelnen Stoffe werde ich Dinge weglassen, die für die Bindung indiesemStoff unwesentlich sind, die aber wohl bei anderen Stoffen wichtig sein können, und ich werde Vereinfachungen vornehmen, um die Bindungen besser verstehen zu können. Das ist keine Schlampigkeit. Es ist die Benutzung von Modellen, die der jeweiligen Situation angepasst sind. Natürlich muss man sich der Modellbildung bewusst sein, schließlich kann das eben Weggelassene in anderen Situationen plötzlich wichtig werden.

Im Unterschied zu Kap. 3.6, in dem die gedankliche und historische Entwicklung von Bindungsmodellen im Vordergrund stand, lege ich hier den Schwerpunkt auf eine sach-gerechte Anwendung einzelner Modelle von Bindungen.

Im Dokument Die Struktur der Stoffe (Seite 105-111)