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Äußerlichkeiten

Im Dokument Die Struktur der Stoffe (Seite 153-156)

6.2 Vielfalt der Moleküle

7.1.1 Äußerlichkeiten

Seit langer Zeit erfreuen sich die Menschen an den Kristallen. Einige haben genauer hingesehen, und sie haben Auffälligkeiten und Regelmäßigkeiten etdeckt.

Gleiche Winkel. So bildet zum Beispiel Quarz, ein häufig vorkommendes Mineral, oft Kristalle mit sechseckigem Querschnitt. Die Winkel dieser Sechsecke betragen immer 120°. Die Spitzen von Quarzkristallen erscheinen beim ersten Hinsehen oft wie Pyrami-den. (Tatsächlich sind es Rhomboeder.) Die Winkel zwischen diesen Flächen betragen immer 86° oder 134°. Manchmal nehmen die Flächen von Quarzkristallen auch die Form von ein paar anderen geometrischen Körpern an, immer aber findet man zwischen Flä-chen, die zu gleichen Körpern gehören, auch die gleichen Winkel.

Bild 7.3:

2 Quarzkristalle, von oben gese-hen, Bildbreite ca. 3,1 cm

Erstmals fiel das dem dänischen Gelehrten Niels Stensen (Nicolaus Steno in der damals üblichen la-teinischen Form) um 1669 auf. Gut hundert Jah-re später (die Wissenschaft arbeitete damals noch langsam) hatte der französische Wissenschaftler Jean–Baptiste Louis Romé de L’Isle einige hun-dert Minerale untersucht und immer wieder diesel-be Beobachtung gemacht, die er 1783 zu einem Gesetz zusammenfasste. Heute nennt men es das Gesetz der Winkelkonstanz. Es lautet : Die Kristal-le jedes Minerals kann man sich aus Flächen, die zu einfachen geometrischen Körpern gehören, zu-sammengesetzt denken. Zwischen diesen Flächen sind (nur abhängig vom Mineral) immer dieselben Winkel.

Bild 7.3 zeigt 2 zusammengewachsene Quarz-kristalle, von oben gesehen. So erkennen Sie den sechseckigen Querschnitt der beiden Kristalle gut.

Sie sehen auch, dass die „Pyramiden“ oben auf den Kristallen gar keine Pyramiden sind, denn sie haben keine Spitzen, sondern am oberen Ende eine kurze Kante, wie ein Dach-first – besonders gut am größeren Kristall, etwas rechts von der Bildmitte.

Gleiche Formen. Immer wieder hört man diese Geschichte : Der französische Wis-senschaftler (und Priester) René–Just Haüy1 ließ versehentlich einen Calcitkristall auf

1 Wie kommt das ü in einen französischen Namen ? Jedenfalls ist nicht der deutsche Ü–Laut, wie in Blüm-chen, gemeint. Vielmehr sind die beiden Punkte ein Trema und sollen darauf hinweisen, dass das vorherge-hende a und das u getrennt ausgesprochen werden – was im Französischen unüblich ist. Man kann seinen Namen etwa so aussprechen : aa–uu–ii, denn das führende H bleibt stumm.

den Boden fallen, er zersprang in unzählige kleine Stücke – und es waren alles Rhombo-eder2. In diesem Moment kam der geniale Geistesblitz über ihn. Alle Calcitkristalle sind aus winzig kleinen Bausteinen zusammengesetzt, und diese Bausteine sind Rhombo-eder. Ob das wirklich so passiert ist ? Oder ob es eher Selbstmarketing war ?

Bild 7.4:

Calcitkristall, aus der Tong Ren Mi-ne in der Provinz Gui Zhou, China, Breite ca. 4,5 cm

Tatsache ist jedenfalls, dass beim Spalten von Calcitkristallen, egal ob absichtlich oder nicht, immer Rhomboeder entstehen, und dass diese Rhomboeder immer Winkel von 102° und 78° schen den Kanten) und von 105° und 75° (zwi-schen den Flächen) haben. Auch bei anderen Mi-neralien postulierte er solche Grundbausteine3. In der damaligen Zeit (kurz vor 1800, man wusste noch nichts von Atomen und Molekülen und kannte auch nicht die Untersuchungsmethode der Rönt-genstrukturanalyse) war das nicht mehr als eine kühne Hypothese. Heute erkennen wir darin die Idee der Elementarzelle, die ich im nächsten Un-terabschnitt ausführlich beschreiben werde.

Tatsache ist auch, dass Haüy weder der erste noch der einzige war, der solche Untersuchungen anstellte. Sein Verdienst ist, syste-matisch und umfassend gearbeitet zu haben, Einzelergbnisse anderer in einen Zusam-menhang gestellt zu haben und seine Theorien mit Vehemenz in die Welt getragen zu haben.

Die Hypothese der kleinen Grundbausteine erklärt zwanglos das Gesetz der Winkel-konstanz.

Bild 7.4 zeigt einen Calcitkristall. Da ich ihn noch nicht herumgeworfen habe, hat er noch keine Rhomboederform, sondern ist ein Parallelepiped : Er ist von Parallelogram-men begrenzt. Je 2 sind parallel.

Verschiedene Formen. Die Grundbausteine (Elementarzelle) von Pyrit sind Würfel.

Da ist es leicht zu erklären, dass Pyrit–Kristalle würfelförmig sind, wie in Bild 7.5. Legt man viele kleine Würfel nebeneinander, erhält man einen großen Würfel. Doch warum sitzt der zweite Würfel schräg auf dem ersten, und nicht kantenparallel ? Und was ist mit den Pyritkristallen in Bild 7.6 ? Sie sind (dort, wo sie frei wachsen konnten, ohne anderen Kristallen in den Weg zu kommen) zwar von ebenen Flächen begrenzt, aber überhaupt nicht würfelförmig. Statt dessen findet man fünfeckige Flächen. Kann man das erklären ? Fluorit ist ein Mineral, dass häufig oktaederförmige Kristalle bildet, wie links in Bild 7.7 und in Bild 3.38. Andererseits findet man immer wieder würfel– oder quaderförmige

Fluo-2 Ein Rhomboeder ist ein geometrischer Körper, der von 6 Rauten (oder Rhomben) begrenzt ist. Je 2 Flächen sind parallel. Alle Seiten sind gleichlang. Mehr über Rhomboeder erfahren Sie in Kapitel??.

3 Er nannte sie „molécule intégrante“. Damit sind keine Moleküle im heutigen Sinn, wie ich sie in Kapitel 6 beschrieben habe, gemeint. Vielmehr ist molécule die Übersetzung des lateinischen Begriffs molecula, das

„kleine Masse“ bedeutet.

ritkristalle, wie rechts in Bild 7.7. Wie werden wohl die Grundbausteine der Fluoritkristalle aussehen ? Sie müssen ja beide Formen erzeugen können.

Bild 7.5:

Pyritkristall, Kantenlänge des großen Würfels ca. 2,9 cm

Bild 7.6:

Pyritkristalle, Bildbreite ca. 1,0 cm Fragen und Antworten. Gibt es die für

je-des Mineral einheitlichen Grundbausteine, wie sie Haüy postuliert hat, überhaupt ? Und wenn ja, wie kann aus einer einzigen Sorte von Bausteinen eine so große Vielfalt von Kristallformen entstehen, wie man sie beobachtet ?

In der Anfangszeit der Kristallographie (im 18.

Jahrhundert) hatte man überhaupt keine Antwort auf diese Fragen. Später konnte man Einflussgrö-ßen identifizieren. Temperatur, Druck, Konzentra-tion der Stoffe (dazu gehören die Hauptbestand-teile des Minerals und die Verunreinigungen, die sich im Kristall ablagern), Geschwindigkeit, mit der die beteiligten Stoffe an die Flächen und Kanten des Kristalls gebracht werden, an denen Wachs-tum stattfindet, gehören dazu, und es gibt noch mehr. Doch warum bestimmte Umgebungsbedin-gungen das Entstehen einer bestimmten Kristall-form fördern, blieb immer noch unklar.

Seit Anfang des 20. Jahrhunderts kennt man nicht nur Atome und Moleküle, sondern auch die Methode der Röntgenstrukturanalyse. Mit ihr kann man sich ein exaktes räumliches Bild aller Atome, Ionen und Moleküle in einem Kristall machen. Mit ihr konnte man auch die Hypothese der Grundbau-steine (von Haüy) bestätigen.

Mit dieser Methode kann man die oben gestell-ten Fragen beantworgestell-ten. Will man es im Detail tun, muss man sorgfältig argumentieren, und die Ant-worten fallen umfangreich aus. Jedoch ist das jen-seits des Anspruchs dieses Buchs. Ich beschrän-ke mich darauf, punktuell zu einzelnen Fragen der Kristallform zu informieren.

Eines kann man sicher sagen : Die äußere Form eines Kristalls wird immer von seinem mikrosko-pischen (atomaren) Aufbau bestimmt. Dies ge-schieht auf komplexe Weise.

Äußere Form von Kristallen :

wird bestimmt vom atomaren Aufbau

Bild 7.7:

Fluoritkristalle. Der linke ist etwa 1,3 cm groß, die Bildbreite des rechten Bildes ist etwa 4,3 cm.

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