• Keine Ergebnisse gefunden

Energie

Im Dokument Die Struktur der Stoffe (Seite 84-89)

Energie ist ein sehr grundlegender Begriff, und das ist es, was Schwierigkeiten macht, ihn zu definieren. Man kann ihn nicht definieren, indem man ihn auf allgemeinere Begriffe zurückführt.

Bild 4.4:

Elektrische Energie wird in potenti-elle, kinetische und Wärmeenergie umgewandelt.

Deshalb hilft man sich oft, indem man verschie-dene Arten oder Formen von Energie aufzählt. Po-tentielle und kinetische Energie sind meist die ers-ten, die man in der Schule kennenlernt. Später kommen elektrische Energie und Kernenergie da-zu, vielleicht auch chemische Energie. Aber diese Zusammenstellung erscheint willkürlich, und sicher ist sie nicht vollständig. Man kann auf diese Weise nicht sagen, was Energie eigentlich ist.

Die 2 folgenden Regeln sind Daumenregeln.

Ganz sicher definieren sie nicht den Begriff der Energie, schon gar nicht exakt. Manche werden den Kopf schütteln und sagen, so ein Unsinn. Aber sie fördern das Verständnis.

ã Wenn man es in Joule angeben kann, ist es Arbeit oder Energie.

ã Wenn man es in eine andere, bekannte Ener-gieform umwandeln kann, ist es Energie.

4.3.1 Äußere und innere Energie

In diesem und einer Reihe der folgenden Abschnit-te geht es um die Energie, die ein geschlossenes System besitzt. Der Grund ist, dass solche Syste-me am häufigsten untersucht wurden und bei der Beschreibung vieler, besonders dyna-mischer, Vorgänge eine bedeutende Rolle spielen.

Es hat sich als sinnvoll herausgestellt, diese Energie in 2 Kategorien zu unterteilen, die äußere Energie und die innere Energie.

4.3.2 Die äußere Energie

Jedes System steht in einer Beziehung zu seiner Umgebung. Zum Beispiel befindet es sich an einem bestimmten Ort. Führt man dem System potentielle Energie zu, ändert es seinen Ort. Im Schwerefeld der Erde nimmt es einen neuen, höher gelegenen Ort an.

Außerdem hat es, relativ zu seiner Umgebung, eine bestimmte Geschwindigkeit (die auch Null sein kann, dann ist das System in Ruhe). Um diese Geschwindigkeit zu vergrößern oder zu verringern, muss man dem System kinetische Energie zuführen, oder es gibt kinetische Energie ab.

Diese beiden Energieformen ändern die Beziehung des Systems zu seiner Umgebung.

Das System selbst ändern sie nicht, jedenfalls nicht direkt. (Wenn Sie eine Porzellanva-se herunterfallen lasPorzellanva-sen, ist die Zerstörungeine Folgeder Umwandlung von kinetischer Energie in andere Energieformen.) Potentielle und kinetische Energie ändern also nur die Beziehung des Systems zu seiner „Außenwelt“ (der Umgebung).

Man nennt die beiden daher die äußere Energie des Systems.

In einem geschlossenen System gilt :

äußere Energie : potentielle und kinetische Energie innere Energie : alles andere

4.3.3 Die innere Energie

Die Definition der inneren Energie eines geschlossenen Systems ist nun einfach. Die Energie, die das System besitzt und die nicht äußere Energie ist, gehört zur inneren Energie.

Hat ein System mehr oder weniger innere Energie als ein anderes, so sind die inneren Zustände der beiden Systeme unterschiedlich. Führt man einem System innere Energie zu oder gibt es sie ab, so ändert sich sein innerer Zustand.

In der Physik spielt die innere Energie eine wichtige Rolle. Daher bekommt sie ein eigenes Formelzeichen. Es heißt U.

Das bisher Gesagte hört sich vage und allgemein an, und es stellt sich die Frage, was denn hinter dieser inneren Energie wohl steckt. Was versteht man eigentlich unter dem inneren Zustand eines Systems ? Und wie ändert er sich, wenn man Energie zuführt ? Was für Vorgänge laufen im Innern des Systems ab, wenn sich seine innere Energie ändert ? Ist es Materie (Teilchen), an der sich etwas ändert, oder ist es etwas anderes ?

Anders als in der Anfangszeit der Thermodynamik kann man diese Fragen heute be-antworten, und die Antworten sind einfach zu verstehen. Jedoch liegen sie jenseits des Gebiets der Thermodynamik.

Beiträge zur inneren Energie

Es gibt viele Energieformen, die einen Beitrag zur inneren Energie eines Systems leisten.

Im folgenden zähle ich einige auf. Je nachdem, unter welchem Aspekt man ein System betrachtet, erkennt man verschiedene Erscheinungen, die einen Beitrag zur Energie leis-ten, und gibt ihnen verschiedene Bezeichnungen. Daher sind Überschneidungen nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich.

Bild 4.5:

Ein Wassermolekül bewegt sich als Ganzes. Es führt eine Translation aus.

Bild 4.6:

Ein Wassermolekül dreht sich wie ein Kreisel.

Bild 4.7:

Streckschwingungen (oben) und Biegeschwingungen (unten) an ei-nem Wassermolekül.

Translation Ein wichtiger Beitrag kommt von der kinetischen Energie der kleinsten Teilchen (Atome, Ionen, Moleküle). Die kleinsten Teilchen können sich auf unterschiedliche Weise bewegen.

Eine Möglichkeit ist, dass sie sich (geradlinig in ei-ne bestimmte Richtung oder auch ständig in an-dere Richtungen wechselnd) von einem Ort zu ei-nem anderen bewegen, etwa so wie sich ein Auto normalerweise bewegt, oder wie sich ein fallendes Blatt bewegt. Diese Bewegungen heißen Transla-tionen, und die kinetische Energie, die ein Gegen-stand bei einer Translation besitzt, heißt Translati-onsenergie. Bild 4.5 zeigt ein Wassermolekül, das sich als Ganzes nach rechts oben bewegt.

Rotation Die kleinsten Teilchen können nicht nur Translationen ausführen, sie können auch ro-tieren. Denken Sie an einen rollenden Fußball, ei-ne Billardkugel, die man mit Effet (Drall) spielt oder einen Kinderkreisel. Die (kinetische) Energie, die die kleinsten Teilchen bei der Rotation (zusätzlich zur Translationsenergie) besitzen, heißt Rotations-energie. Bild 4.6 zeigt dasselbe Molekül wie in Bild 4.5. Nun jedoch rotiert es.

Schwingungen Moleküle können nicht nur Translationen und Rotationen, sondern auch Schwingungen ausführen. Sie sollten dabei weni-ger an das Hin–und–Her–Schwingen des gesam-ten Moleküls (vergleichbar dem Schwingen des Pendels einer altertümlichen Uhr) denken. Viel-mehr ändern die einzelnen Atome eines Moleküls ihre gegenseitige Lage in periodisch wiederkeh-render Art. Man kann es mit den Bewegungen des menschlichen Herzens beim Pumpen verglei-chen. Die (kinetische) Energie, die die Moleküle bei Schwingungen (zusätzlich zur Translations– und Rotationsenergie) besitzen, heißt Schwingungs-energie.

Schwingungen treten in vielen Formen auf.

Eine der einfachsten sind Streckschwingungen. Dabei wird eine Bindung periodisch länger und wieder kürzer, etwa so wie das Seil eines Bungee–Jumpers länger und

kür-zer wird. Bild 4.7 (oben) zeigt am Beispiel eines Wassermoleküls, wie sich die beiden Wasserstoffatome bei einer solchen Streckschwingung bewegen.

Eine andere Form sind Biegeschwingungen. Stellen Sie sich einen Mensch vor, der erst seine Arme herunter hängen lässt, sie dann ausstreckt, um auf etwas zu zeigen, wieder herunter hängen lässt, und immer so weiter. Die Arme führen Biegeschwingungen aus. Bild 4.7 (unten) zeigt den analogen Vorgang bei einem Wassermolekül – die beiden Wasserstoffatome bewegen sich periodisch auseinander und wieder zusammen.

Das Wassermolekül ist ein sehr einfach gebautes Molekül und kann daher nur wenige, einfache Schwingungen ausführen. Komplexere Moleküle zeigen komplexere Schwin-gungen. Betrachten Sie zum Beispiel ein Ammoniakmolekül. Zum einen können dort Streck– und Biegeschwingungen wie in Bild 4.7 auftreten. Zusätzlich können weitere Schwingungen stattfinden. Bild 4.8 zeigt die Inversion des Ammoniakmoleküls. Die 3 Was-serstoffatome bleiben relativ zueinander in Ruhe, während das Stickstoffatom (blau ge-zeichnet) durch die Ebene der Wasserstoffatome hindurch schwingt. Es ist also abwech-selnd oberhalb und unterhalb der Ebene, so wie die Füße eines Trampolinspringers sich mal oberhalb, mal unterhalb der Aufhängung des Trampolins befinden. Man nennt diese Schwingung die Inversion des Ammoniakmoleküls.

Bild 4.8:

Inversion an einem Ammoniakmo-lekül. Das Stickstoffatom schwingt durch die Ebene der Wasserstof-fatome hindurch. Das Bild zeigt zweimal dasselbe Molekül in ver-schiedenen Stadien einer Inversi-onsschwingung.

Noch komplexere Moleküle können noch viele weitere, komplexe Schwingungen ausführen.

Im weiteren Verlauf des Buches werde ich noch mehrfach auf Molekülschwingungen zurückkom-men. Der Grund ist, dass man einem Molekül Ener-gie zuführen muss, damit es Schwingungen aus-führt (man sagt, die Schwingungen werden ange-regt), genauso wie man einem Gegenstand aus der Alltagswelt Energie zuführen muss, damit er schwingt. Viele Schwingungen brauchen viel Ener-gie, oder anders herum gesagt, ein großes, kom-plexes Molekül kann durch Anregung von Schwin-gungen viel Energie aufnehmen und speichern.

Verformungen von Molekülen Führt man Mo-lekülen (insbesondere solchen, die aus mehr als einer Handvoll Atome bestehen) Energie zu, kön-nen sie sich verformen. Damit ist gemeint, dass sich die relativen Positionen der Atome verändern.

Es kann sein, dass diese Veränderung nur von sehr kurzer Dauer ist und das Molekül von selbst wieder in seinen Ausgangszustand zurückkehrt.

Dann liegt eine der Schwingungen aus dem vori-gen Abschnitt vor.

Es kann aber auch sein, dass die Veränderung über einen längeren Zeitraum bestehen bleibt. Mit

den Worten „längerer Zeitraum“ meint man in der Chemie Zeiträume, die vom Millisekun-denbereich (gerade lang genug, um die Veränderung nachzuweisen) bis in den Bereich von Tagen und Jahren (lang genug, um die veränderten Moleküle in eine Flasche zu füllen und den KollegInnen zu zeigen) reichen. Solche veränderten Formen nennt man Konformere oder Isomere. Mehr zu diesen Begriffen erfahren Sie in Kap.??und??.

Was bedeutet das für das System ? Sein innerer Zustand hat sich geändert, und seine innere Energie ist größer oder kleiner geworden. Bei Veränderungen, die länger bestehen bleiben, sagt man oft, das System hat Energie gespeichert.

Bild 4.9 zeigt ein Beispiel. Das Cyclohexan–Molekül ist links in der Sesselform zu se-hen. Nachdem ihm Energie zugeführt wurde, hat sich seine Form verändert. Das im Bild rechte Kohlenstoffatom ist „umgeklappt“. Die entstandene Wannenform (rechts) ist ener-giereicher. Mehr über die Konformere von Cyclohexan und über die Frage, warum die Wannenform energiereicher als die Sesselform ist, können Sie in Kap.??nachlesen.

Bild 4.9:

Cyclohexan, links in der Sesselform, rechts in der energiereicheren Wannenform.

Elektronen und Bindungsenergie Die Elektronen der kleinsten Teilchen (Atome, Ionen, Moleküle) halten sich in bestimmten Gebieten auf, die man Orbitale nennt (vgl.

Kap. 3.5.8 und 3.6.3). Elektronen, die sich in unterschiedlichen Orbitalen befinden, haben in der Regel unterschiedliche Energie.

Immer, wenn eine chemische Reaktion stattfindet, werden andere Orbitale gebildet, und die Elektronen befinden sich in den Produkten in anderen Orbitalen mit anderer Energie als in den Edukten (Ausgangsstoffen). Führt man also einem geschlossenen System Energie zu, und läuft aufgrund dieser Energiezufuhr eine chemische Reaktion ab, so ändert sich der innere Zustand des Systems in Bezug auf das Energieniveau der beteiligten Elektronen.

Die Beschreibung eben war in den Worten der Physik gesagt. Chemikerinnen und Che-miker würden denselben Vorgang so beschreiben : Bei der Reaktion wurden Bindungen gespalten und neue Bindungen geknüpft (geschaffen). Die neuen Bindungen haben ei-ne andere (höhere oder niedrigere) Eei-nergie als die alten. Die Eei-nergie der Bindung (der Elektronen in ihren Orbitalen) heißt Bindungsenergie.

Die chemische Ausdrucksweise ist geschickt, denn man erkennt schnell, dass das eben Gesagte auch für alle anderen Vorgänge gilt, bei denen Bindungen gelöst oder neu gebildet werden. Dazu gehören zum Beispiel Lösungsvorgänge oder die Übergänge zwischen den Aggregatzuständen (Schmelzen, Verdampfen, usw.). Auch hier leistet die Bindungsenergie einen Beitrag zur inneren Energie.

Gitterenergie Die Gitterenergie gibt an, wieviel Energie benötigt wird, um die Teil-chen eines Kristallgitters (Atome, Ionen, Moleküle) in einen unendliTeil-chen Abstand vonein-ander zu befördern. Da das so niemand macht, könnte man sie als reine Rechengröße ansehen. Andererseits kann man sie als Summe messbarer Energien auffassen. Dazu gehören Schmelz–, Verdampfungs– und Sublimationswärme, Ionisierungsenergie und einige andere. Führt man einem geschlossenen System Energie zu, und laufen als Folge dessen Vorgänge ab, die das Kristallgitter verändern, ist das eine Änderung des inneren Zustands des Systems. Die Gitterenergie ist Teil der inneren Energie.

weitere Energieformen Systeme können sehr vielfältig aufgebaut sein, und Ener-giezufuhr kann sehr vielfältige Auswirkungen auf ihren inneren Zustand haben. Für die Struktur der Stoffe sind nicht alle Energieformen wichtig. Deshalb blende ich den Rest aus, zu dem zum Beispiel die Kernenergie (Energie, die in den Protonen und Neutronen des Atomkerns gespeichert ist) zählt.

Im Dokument Die Struktur der Stoffe (Seite 84-89)