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Modelle von Bindungen

Im Dokument Die Struktur der Stoffe (Seite 43-48)

Wie schon im Abschnitt über Atommodelle werde ich auch hier nicht alle Modelle, die sich Chemikerinnen und Chemiker von den Bindungen gemacht haben, ausführlich bespre-chen. Das finden Sie in jedem guten Schulbuch und in Kap. 5. Hier soll der Modellcha-rakter von einigen Bindungsmodellen genauer unter die Lupe genommen werden. Dabei geht es um die Fragen :

Welche Teile der Wirklichkeit beschreibt das Modell besonders gut ? Wo setzt es seine Schwerpunkte ? Was blendet es aus ?

Was sind die Vorteile des Modells ? Wo hat es seine Grenzen ? Was kann man damit tun, und was nicht ?

An anderer Stelle des Buches (Kapitel 5) finden Sie einen ausführlichen Vergleich der Bindungsarten.

3.6.1 Schubladendenken

Bild 3.14:

Ionenbindung : Elektrisch positiv und negativ geladene Ionen ziehen sich an.

In der Anfangszeit der wissenschaftlichen Chemie wusste man über die Bindungen zwischen Atomen kaum mehr, als dass sie existieren. Welche Me-chanismen es wohl sein mögen, die die Atome zu-sammenhalten, war völlig unbekannt. In einer sol-chen Situation ist es natürlich sehr schwer, ein Mo-dell aufzustellen, das alle Bindungen in ihrer rie-sigen Vielfalt beschreibt. Im Laufe der Zeit fand man (durch Beobachtungen in unzähligen Expe-rimenten) immer wieder Stoffe, die anderen in ih-ren Eigenschaften und besonders in ihih-ren Reak-tionen ähnelten. Könnte man es sich vielleicht so vorstellen, dass bei einer Reaktion Bindungen ge-löst und neue Bindungen geschaffen werden ? Und dass die Ähnlichkeit der Reaktionen auf Ähnlichkei-ten der Bindungen beruhen ? Damit ist die Grund-lage zu Modellen gelegt, die Bindungen beschrei-ben. Die Weiterführung dieser Überlegungen führ-te zu 3 Modellen von Bindungen.

Ionenbindung Grundprinzip ist, dass ein Atom (meist ein Metallatom) einige Elek-tronen (oft 1 oder 2) abgibt und ein anderes Atom (meist ein Nichtmetallatom) diese aufnimmt. Die entstehenden positiv und negativ geladenen Ionen werden durch elektro-statische Anziehungskräfte (sie heißen auch Coulomb–Kräfte) zusammengehalten. Bild 3.14 zeigt solche Ionen in einer häufig vorkommenden Anordnung.

H C H H

H

Bild 3.15:

Atombindung : C– und H–Atome nutzen Elektronenpaare gemein-sam.

Bild 3.16:

Metallbindung : Zwischen den posi-tiv geladenen Metallionen und den Elektronen wirken elektrische An-ziehungskräfte.

Atombindung Grundprinzip ist, dass 2 Atome einige ihrer Valenzelektronen gemeinsam nutzen.

Metallbindung Grundprinzip ist, dass alle Ato-me alle Valenzelektronen abgeben, die sich dann im gesamten Metallkristall frei bewegen. Der Zu-sammenhalt erfolgt durch elektrische Anziehungs-kräfte zwischen den Elektronen und den positiv geladen Metallionen. Bild 3.16 zeigt einen kleinen Ausschnitt aus einem solchen Metallkristall.

Ein Vorteil der Ionenbindung und der Metall-bindung ist, dass diese beiden Modelle recht an-schaulich und daher leicht zu verstehen sind. Man braucht dazu kaum mehr Vorkenntnisse als „Plus und Minus ziehen sich an“, und natürlich das Bohr-sche Atommodell.

Aber was ist mit der Atombindung ? Wie soll man es sich vorstellen, dass Elektronen gemeinsam ge-nutzt werden ? Sind die Elektronen mal bei dem einen Atom, dann beim anderen ? Oder eher in der Mitte zwischen den Atomen ? Aber angeblich kreisen sie doch um die Atome, wie soll das ge-hen, wenn sie sich zwischen den Atomen aufhal-ten ? Fragen über Fragen, die im einfachen Modell der Atombindung offenbleiben. Sie können mit Hil-fe des Bohrschen Atommodells nicht beantwortet werden, und sie können nicht mit Hilfe von Geset-zen der klassischen Physik beantwortet werden.

Keine Antwort auf die Frage, wie die Atombin-dung funktioniert, aber eine schöne Veranschauli-chung sind die bekannten Valenzstrichformeln (in Bild 3.15 ist die von Methan gezeichnet). Diese Formeln sind suggestiv. Sie erwecken den Eindruck, die Atome werden durch den Strich zwischen ihnen zusammengehalten so wie ein Verbindungsbolzen 2 Werkstücke zusammenhält. Eine Erklärung sind sie nicht.

Damit haben wir einen großen Nachteil des Modells der Atombindung erkannt. Aber trotzdem ist es praktikabel. Man kann sich ein Bild vom Bau der Moleküle machen und damit chemische Reaktionen verstehen.

Was kann man mit den 3 Modellen erklären ? Unzählige Beobachtungen, von de-nen hier nur wenige als Beispiel genannt seien.

ã die hohen Schmelzpunkte der Salze und vieler Metalle, die niedrigen Schmelz-punkte der meisten organischen Verbindungen

ã die elektrische Leitfähigkeit von Metallen und Salzlösungen

ã mechanische Eigenschaften von Salzen und Keramiken (Härte, Sprödigkeit) und von Metallen (Duktilität).

Was kann man mit den 3 Modellen nicht erklären ? Immer noch eine ganze Men-ge, zum Beispiel

ã Warum haben manche Metalle doch einen ziemlich niedrigen Schmelzpunkt ? ã Warum sind manche Salze gut löslich, andere weniger gut oder fast gar nicht ? ã Warum reagieren manche Stoffe gut miteinander, andere nur langsam oder gar

nicht, wieder andere überaus schnell und heftig ? Das ist für die Forschenden in der Chemie die wichtigste Frage, und trotz unserer Herden von Modellen sind wir ihrer Beantwortung noch keinen Schritt näher gekommen. Bis etwa Mitte des 20. Jahrhunderts war Chemie zwar Wissenschaft, aber auch Kunst und Probieren, und das zu einem nicht unbedeutenden Teil. Sie wissen nun, warum.

Lange Zeit hat man versucht, alle Bindungen mit einem dieser 3 Modelle zu beschrei-ben, sie also in eine von 3 Schubladen zu stecken.

3.6.2 Die Schublade geht auf

Bild 3.17:

Polare Atombindung : Das rechte Atom zieht die Bindungselektronen stärker an als das linke.

Mit der Zeit lässt es sich nicht mehr übersehen, dass es Stoffe gibt, die sich nicht gut mit einem der 3 Modelle von oben beschreiben lassen. Alumini-umchlorid zum Beispiel sieht aus wie ein Salz, es hat aber einen viel niedrigeren Schmelzpunkt als die meisten Salze, und seine Lösung reagiert nicht neutral, wie man es von Salzlösungen gewohnt ist, sondern sauer. Ein anderes Beispiel ist Wasser.

Wieso ist es ein Dipol ? Wieso bilden sich Wasser-stoffbrückenbindungen ? Mit dem Modell der Atom-bindung kann man diese Erscheinungen nicht er-klären. Die Bindung in diesen und vielen ande-ren Stoffen scheint keine Ionenbindung und keine

Atombindung zu sein, sondern von beiden etwas zu haben.

Polare Atombindung Das Modell der polaren Atombindung setzt seinen Schwer-punkt bei einer genaueren Beschreibung von Bindungen, an denen Nichtmetallatome beteiligt sind. Jedem Element wird ein experimentell ermittelter Zahlenwert zugeordnet, der angibt, wie stark Atome dieses Elements Bindungselektronen anziehen, die sog.

Elektronegativität. Zieht in einer Bindung A–B das Atom A die Bindungslektronen stärker

an als B, so sind sie nicht wie in der Atombindung „gleichmäßig“ zwischen den beiden Atomen aufgeteilt, sondern mehr zu A hin verschoben. Die Bindung ist polar.

H Cl

Bild 3.17 zeigt, wie man sich die Verteilung der Bindungs-elektronen in einer polaren Atombindung anschaulich vor-stellen kann. Bild 3.18 zeigt 2 Schreibweisen, die sich für solche Bindungen etabliert haben.

Das Modell hat 2 gewichtige Vorteile. Es ist, jedenfalls für Erfahrene, anschaulich und leicht verständlich, und man kann vieles damit erklären, zum Beispiel

ã den relativ niedrigen Schmelzpunkt von Aluminium-chlorid und vielen ähnlichen Verbindungen

ã die Bildung von Wasserstoffbrückenbindungen ã die Löslichkeit oder Nichtlöslichkeit, besonders von

organischen Verbindungen

ã viele Reaktionsabläufe, insbesondere in der organi-schen Chemie. Grundlage vieler Reaktionen der or-ganischen Chemie ist der Angriff eines geladenen oder zumindest polaren Teil-chens (Ion oder Molekül) an einer ganz bestimmten Stelle eines anderen Moleküls.

Ob und an welcher Stelle eine Reaktion stattfindet, hängt unter anderem von der Polarität der Bindungen im angegriffenen Molekül ab.

Endlich ein Modell, das Reaktionen beschreibt. Es wurde auch Zeit.

3.6.3 Das Orbitalmodell

Es gibt immer noch vieles, was die bisher bespro-chenen Bindungsmodelle nicht erklären können.

Hier ein Beispiel. Benzol hat die Formel C6H6. Es war eine der großen Leistungen der Chemie, zu erkennen, dass die 6 Kohlenstoffatome im Ben-zolmolekül ringförmig angeordnet sind, und lan-ge hat man die Formel so lan-gezeichnet wie in Bild 3.19. Aber diese Formel hat 3 Doppelbindungen, und das Molekül müsste dadurch sehr reaktionsfä-hig sein. Es ist aber reaktionsträge. Messungen an vielen Stoffen haben außerdem gezeigt, dass ei-ne Doppelbindung immer eiei-nen bestimmten Wert zur Verbrennungswärme eines Moleküls beiträgt.

Hätte das Benzolmolekül wirklich 3 Doppelbindun-gen (und 3 C–C–EinfachbindunDoppelbindun-gen und 6 C–H–

Bindungen), so müsste es eine bestimmte Ver-brennungswärme haben. Hat es aber nicht. Die Hypothese, das Benzolmolekül habe 3 Doppelbindungen, ist damit widerlegt. Aber wo ist eine bessere ?

Bisher wurden nur Orbitale von Atomen betrachtet. Kann man das Orbitalmodell von Atomen auf Moleküle verallgemeinern ? Ja sicher. Man kann von der anschaulichen Vor-stellung ausgehen, dass sich im Molekül aus den Atomorbitalen neue Orbitale bilden. Sie heißen Molekülorbitale. Die Molekülorbitale haben viele Eigenschaften von den Atomor-bitalen geeerbt.

ã Es sind Lösungen der Schrödinger–Gleichung und somit Wellenfunktionen. Man kann sie nicht exakt berechnen, wohl aber näherungsweise. Das Quadrat der Wel-lenfunktion kann als Aufenthaltswahrscheinlichkeit von Elektronen interpretiert wer-den. Man kann mit Hilfe der Orbitale umfassende Aussagen über den Aufenthalt der Elektronen und damit auch über ihr Verhalten machen.

ã Im Lauf mehrerer Jahrzehnte hat sich eine Vielzahl von Näherungsverfahren zur Berechnung der Orbitale entwickelt, abhängig von den Bedürfnissen der Benutzen-den und der jeweils zur Verfügung stehenBenutzen-den Rechenkapazität. LCAO–Methode und das Konzept der Hybridisierung, MO–Methode und die vielen Methoden des Molecular Modelling (darunter sog. Kraftfeldmethoden und ab–initio–Methoden) sind wichtige Stichworte.

Bild 3.20:

Die Orbitale im Methanmolekül zei-gen zu den Ecken eines Tetraeders.

Bild 3.20 zeigt die Orbitale im Methanmolekül1. Es sind 4 Stück. Jedes hat eine Form, die man sich aus 2 tropfenförmigen Teilen zusammenge-setzt denken kann. Einer der beiden ist groß. Im Bild sehen Sie 3 dieser „großen Tropfen“ deutlich, der vierte ist verdeckt. Der andere Teil des Orbi-tals ist sehr klein und zeigt in die entgegengesetz-te Richtung des großen. Im Bild ist daher nur der kleine Gegenpart des großen verdeckten Tropfens zu sehen.

Was kann man mit dem Orbitalmodell erklä-ren ? Alles. Oder jedenfalls fast alles. Mit ge-nug Zeit, Rechenkapazität und einem tiefgehenden Verständnis des Modells kann man heute sehr vie-le Beobachtungen, bei denen es um Eigenschaften oder Reaktionen von Stoffen geht, erklären.

Sehen Sie sich dazu noch einmal das Benzol an. Es haben sich neue Orbitale ge-bildet. Bild 3.21 zeigt sie. 6 Orbitale zwischen jeweils 2 C–Atomen (orange gezeichnet) und 6 Orbitale zwischen einem C– und einem H–Atom (rot) nehmen insgesamt 24 der 30 Valenzelektronen auf. Die restlichen 6 Valenzelektronen haben einen gemeinsamen Aufenthaltsbereich, der aus 3 Orbitalen besteht. Man nennt diese Orbitale delokalisiert.

Der Aufenthaltsbereich hat (leicht idealisiert) die Form von 2 Ringen über und unter der Ebene der Kohlenstoffatome und ist gelbbraun gezeichnet. Die Bindungen im

Benzolmo-1 Beachten Sie bei dieser Formulierung, was ich in Kapitel 3.5.8 über den Unterschied zwischen einem Orbital und dem „Bild eines Orbitals“ gesagt habe.

Bild 3.21:

Zur besseren Übersichtlichkeit sind die Orbitale im Benzolmolekül unterschiedlich ge-färbt : C–H–Bindungen rot, C–C–Bindungen orange und die delokalisierten Orbitale gelb-braun.

lekül werden nicht mehr als Doppelbindungen beschrieben, und alle Probleme, die aus dem einfachen Modell der Atombindung resultierten, sind wie weggewischt.

Im Dokument Die Struktur der Stoffe (Seite 43-48)