• Keine Ergebnisse gefunden

Ein Molekül ist starr wie ein Holzklotz

Im Dokument Die Struktur der Stoffe (Seite 64-67)

3.7 Modelle in der Chemie

3.7.5 Ein Molekül ist starr wie ein Holzklotz

Bild 3.35:

Starr ? Diese Bäume sollen starr sein ? Etwa so starr wie ein Stück Holz ? Nein, das sind sie nicht, genauso wenig wie Moleküle.

Viele Menschen lernen in der Schule Zeichnungen von Molekülen kennen. Für jedes Atom wird sein Symbol an eine passende Stelle gezeichnet, und die Atomsym-bole werden durch kurze, gerade Striche verbunden.

Der Eindruck entsteht, dass Moleküle so aussehen. Ab-stand und gegenseitige Lage der Atome liegen in einem Molekül unverrückbar fest. Bild 3.36 zeigt eine solche Zeichnung (Strukturformel) des Propan–Moleküls.

Dann lernen dieselben Menschen ein Molekülmodell zum Anfassen kennen. Die Atome sind dort feste Plas-tikkugeln, und die Bindungen sind feste Plastikbolzen (oder kleine feste Stangen aus anderem Material, zum Beispiel Holz oder Metall), die die Kugeln zusammen-halten. Die Moleküle kann man (zumindest ohne An-wendung großer Kräfte) kaum verformen, nur ein we-nig hin– und herwackeln. Bild 3.27 zeigt eine Gruppe solcher Atome und Bindungen.

Wen wundert es, dass die Vorstellung, Moleküle sei-en feste, starre Körper, dersei-en Atome sich nicht gegsei-en- gegen-einader verschieben oder sonstwie bewegen können, verbreitet ist ?

Wen wundert es, dass die meisten Menschen sich ein Molekül eher wie einen Holzklotz, nicht wie einen Baum vorstellen ?

Tatsächlich ist diese Vorstellung ein Modell.

rigid–body–Modell des Moleküls :

Moleküle sind starr und unbeweglich.

Kurzbeschreibung

Moleküle werden als starre (nicht verformbare) Körper angesehen. Der englische Name des Modells ist rigid–body–Modell.

Der Unterschied zwischen Modell und Wirklichkeit

Thermische Schwingungen Alle Atome eines Moleküls führen unabhängig vonein-ander Schwingungen aus. Diese Schwingungen finden immer statt, sobald die Tempera-tur oberhalb des absoluten Nullpunkts liegt. Sie können durch Strahlung angeregt (das heißt verursacht) werden, aber auch mechanisch durch Zusammenstöße mit anderen Atomen (desselben oder eines anderen Moleküls).

Die Stärke (das heißt die Amplitude) der Schwingungen hängt von der Energie ab, die das Atom besitzt. Da Energie zwischen Atomen und Molekülen übertragen wird, hängt sie von der Energie des Systems ab. In Kap. 4.3.3 habe ich einige Formen solcher Schwin-gungen aufgezählt. Wegen des Zusammenhangs dieser SchwinSchwin-gungen mit der Energie und der Temperatur nennt man sie thermische Schwingungen.

Würde man über einige Zeit (zum Beispiel ein paar Millisekunden) immer wieder die Position eines bestimmten Atoms messen, könnte man aus diesen Positionen eine mitt-lere Position bestimmen, und man könnte diese mittmitt-lere Position als die tatsächliche Po-sition des Atoms ansehen. Man nennt sie Mittelpunktslage des Atoms.

H C

Propanmole-küls. Dreht sich der linke Teil um die rot markierte Bindung, entsteht ei-ne andere Konformation.

Konformationen Teile eines Moleküls können sich koordiniert bewegen. Sehen Sie sich Bild 3.36 an. Eine Bindung habe ich rot markiert. Der Teil des Moleküls, der links von dieser Bindung ist (er besteht aus einem Kohlenstoffatom und 3 Wasser-stoffatomen), kann sich als Ganzes um diese Bin-dung drehen. Tut er das, sagt man, es hat sich ein anderes Konformer des Propanmoleküls gebildet.

Bei anderen, komplexeren Molekülen können sich natürlich auch andere, größere und komplexe-re Molekülteile dkomplexe-rehen oder in einer andekomplexe-ren, kom-plexeren Art koordiniert bewegen. Ein Beispiel sind 2 Konformere des Cyclohexan–Moleküls, die ich in

Kap. 4.3.3 kurz beschrieben und in Bild 4.9 dargestellt habe. Ausführliche Informationen über Konformere und Konformationen finden Sie in Kap.??.

Die Bildung von Konformeren wird durch Energiezufuhr bewirkt. Es gibt Konformere, die einige Zeit stabil bleiben, während andere sich schnell wieder in das Konformer, aus dem sie entstanden sind, zurück umwandeln.

Die Baumanalogie

Wie jede Analogie hat auch diese ihre Grenzen. Natürlich verhält sich ein Molekül nicht wie ein Baum, aber man kann doch einige Ähnlichkeiten finden, und diese Ähnlichkeiten können helfen, sich die Beweglichkeit der Moleküle besser vorzustellen.

Sehen Sie sich die Blätter eines Baums an. Sobald ein wenig Wind weht, bewegen sie sich. Sie bewegen sich hin und her, führen also Schwingungen aus. Ihre Bewegungen sind unabhängig voneinander, das heißt kein Blatt orientiert sich an einem anderen. Je stärker der Wind weht (und den Blättern kinetische Energie zuführt), umso stärker sind die Schwingungen.

Jedes Blatt bewegt sich um eine feste Position hin und her, denn es ist ja an einem Zweig angewachsen. Würde man über einige Zeit (zum Beispiel ein paar Minuten) immer wieder (zum Beispiel jede Sekunde) die Position dieses Blattes messen, könnte man aus diesen Positionen eine mittlere Position bestimmen, und man könnte diese mittlere Position als die tatsächliche Position des Blattes ansehen.

Die einzelnen Blätter führen also thermische Schwingungen um ihre Mittelpunktslage aus.

Weht stärkerer Wind, bewegen sich auch größere Äste, und mit Ihnen alles, was daran fest gewachsen ist, die kleinen Zweige und alle Blätter, und alles bewegt sich koordiniert.

Kann man mit Recht sagen, es bilden sich Konformere des Baumes ? Vielleicht, es wä-re aber eine ungewöhnliche Ausdrucksweise, und ich glaube, ich bin der erste, der sie benutzt. Gewiss aber sind diese koordinierten Bewegungen mit einigen koordinierten Be-wegungen von Molekülteilen vergleichbar. Genauso sicher kann ein Baum nie die Vielfalt der Konformeren, die Moleküle bilden, nachbilden.

In der Unterschrift von Bild 3.35 habe ich mich über den Gedanken lustig gemacht, ein Baum könne starr wie Holz sein. Aber vielleicht haben Sie jetzt das Bild eines dicken Ei-chenstammes vor Augen, und da kann ich Ihnen kaum einreden, er wäre beweglich oder könnte seine Form verändern. Bäume können durchaus Teile haben, die starr sind, und auch Moleküle können Teile haben, die man ohne relativ große Kräfte nicht verformen kann und die man mit Recht starr nennen kann. Benzolringe gehören dazu.

Was kann man mit dem rigid–body–Modell erklären und was nicht ?

Thermische Schwingungen sind allgegenwärtig. Dadurch besitzen sie wenig Unterschei-dungskraft. Situationen, in denen man sie für eine Erklärung braucht, sind selten. Molekü-le, die im Verhältnis zu ihrer Größe viele Bindungen besitzen und annähernd kugelförmig sind, können erstaunlich viel Energie in ihren thermischen Schwingungen und in Rota-tionen des gesamten Moleküls aufnehmen. Dies ist die Ursache für den relativ hohen Schmelzpunkt solcher Moleküle.

Die Existenz von Konformeren kann Einfluss auf die Reaktionsfähigkeit von Stoffen haben. Oft ist es so, dass das stabilste Konformer reagiert, einfach deshalb, weil von ihm viel mehr vorhanden ist als von anderen. Dann betrachtet man den Stoff stellvertretend für dieses Konformer.

In anderen Fällen reagiert nur ein ganz bestimmtes Konformer. In der Chemie der Koh-lenhydrate kommt das immer wieder vor, und besonders wichtig ist es bei Biomolekülen.

Viele Arzneimittel wirken nur, weil sich ein bestimmtes Konformer an ein anderes Molekül anlagern und mit ihm in Wechselwikrung treten kann.

Kurz gesagt, ist das rigid–body–Modell eine sehr leistungsfähige Vereinfachung, die sehr vieles gut erklären kann.

Im Dokument Die Struktur der Stoffe (Seite 64-67)