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5 DISKUSSION

5.1 NEURODEGENERATION, NEUROPROTEKTION, KLINIK

5.2.4 ÜBERGREIFENDE DISKUSSION UND BEDEUTUNG DER

5.2.4.1 Regulation der Virusreplikation und Transkription

Zur Gewährleistung der nicht zytolytischen, persistierenden Infektion reguliert das BDV seine Replikation und Transkription; dazu wurden in der vorliegenden Arbeit weitere, bis dato nicht bekannte In-vivo-Strategien hinzugefügt. Diese Daten verdeutlichen, dass es sich dabei um variable, ineinandergreifende Mechanismen handelt, die dem BDV ausreichende Adapatations- und Kompensationsmöglichkeiten auch bei modulierten Bedingungen wie einer TNF-Überexpression bieten. Dies dürfte zur hohen biologische Variabilität des BDV beitragen (ROTT und BECHT, 1995; HERDEN et al., 2000b). Als Regulationsmechanismen der viralen Replikation sind bislang das limitierte Durchlesen des Stopsignals T3 des viralen Genoms beschrieben, dass in einer beschränkten Bereitstellung der viralen Polymerase resultiert sowie das aktive Kürzen der Enden des BDV-Genoms (SCHNEEMANN et al., 1994; ROSARIO et al., 2005; SCHNEIDER et al., 2005, 2007; DE LA TORRE, 2006).

Weiterhin muss ein vorgegebenes Verhältnis der Proteine des RNP vorliegen, damit das BDV sowohl in der akuten als auch chronischen Phase replizieren und persistieren kann (WATANABE et al., 2000; POENISCH et al., 2004; SCHNEIDER, 2005).

Weniger bekannt war bislang, in welchem Umfang die virale Antigenomsynthese in vivo erfolgt. Bei NNS-RNA-Viren ist der virale RNP für die Transkription und für die Replikation

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verantwortlich, wobei das Antigenom als Matrize für die Replikation dient (BARNERJEE et al., 1991). Bei NNS RNA-Viren erfolgt vermutlich eine balancierte Koexpression von Genom und Antigenom durch die kontrollierte Aktivierung entsprechender Promotoren (WHELAN und WERTZ, 1999; HOFFMAN und BARNERJEE, 2000; FINKE und CONZELMANN, 2005).

Die Ergebnisse der real-time RT-PCR der BDV-infizierten Ratten- und Mausgehirne deuten auf eine balancierte und darüberhinaus noch regionenspezifische Replikationsstrategie auch des BDV hin. Mit dem verwendeten real time RT-PCR-Assay kann derzeit nicht beurteilt werden, ob die Zunahme der BDV-LE +ssRNA im Verlauf der Infektion in beiden Modellen auf vermehrten Mengen replikativ inffektiven viralen Antigenoms mit verkürzten Enden beruht. Dies kann jedoch eine überschießende Replikation mit Überlastung der infizierten Zelle und Zelluntergang verhindern (OLDSTONE, 2001; DE LA TORRE, 2002b). Darauf weisen auch weitere Daten hin, in denen kein weiterer Anstieg des viralen Genoms in der chronischen Infektionsphase im Rattengehirn vorlag (POROMBKA et al., 2008a). Weiterhin wurde die subgenomische 1,9 kb +ssRNA immer als abgebrochenes Antigenomstück angesehen, das bei BDV-Infizierten Mäusen und Gerbils in Northern Blot Assays in der akuten Phase der Infektion immer in vergleichbar hohen Mengen wie die für BDV-N und BDV-P kodierenden +ssRNAs nachgewiesen wurde (SCHNEEMANN et al., 1995;

STAEHELI et al., 2001; WATANABE et al., 2003). Dies steht im Gegensatz zu den vorliegenden Ergebnissen, in der BDV-LE +ssRNA generell nach Infektion der Ratten und Mäuse nur in geringen Mengen nachweisbar war. Nach BDV-Infektion der Lewis-Ratten war in Gehirnanschnitten ca. 3000- (14. Tag p.i.) bis 1000- (90. Tag p.i.) mal mehr BDV-N +ssRNA als BDV-LE +ssRNA messbar. Im Ammonshorn war am 14. Tag p.i. ca. 6600-mal and am Tag 90 p.i. 380-mal mehr BDV-N +ssRNA nachweisbar. Neueste Daten weisen nun darauf hin, dass es sich bei der 1,9 kb +ssRNA um eine tricistronische mRNA handelt, die an S1 startet und an T2 endet (PÖENISCH et al., 2008b), was die Daten der vorliegenden Arbeit untermauert. Insgesamt scheinen die sehr geringen Mengen BDV-LE +ssRNA jedoch auszureichen, um adäquate Mengen Virusgenom für eine disseminierte Infektion bereitzustellen und die Persistenz zu gewährleisten. Bei +ssRNA Viren wird angenommen, dass ca. 1 % bis 5 % der Menge des +ssRNA-Strang als Matrize für die virale Replikation vorliegen (BALL, 2001). Daher ist auch davon auszugehen, dass in die in der ISH detektierte jeweilige +ssRNA fast ausschließlich mRNA darstellt (5.2.1). Initiale Studien zum Verhältnis genomischer versus BDV-LE +ssRNA ergaben bei experimentell infizierten Rattengehirnen ein Verhältnis von 401:1 am Tag 14 p.i. und 209:1 90 Tage p.i. (PORMBKA et al., 2008a), während in tollwutvirusinfizierten Zellkulturen virales Genom und Antigenom in einem Verhältnis von 49:1 vorliegen sollen (FINKE und CONZELMANN, 1997). Die geringe Expression des komplementären +ssRNA-Strangs soll dessen Akkumulation verhindern, um die Ausbildung von dsRNA und damit eine Aktivierung des antiviralen Abwehrsystems zu

DISKUSSION 167 vermeiden. Dies scheint auch für die Replikationsstrategien des BDV zuzutreffen, lässt aber auch darauf schließen, dass das Antigenom, wie auch bei Tollwutviren, mehrfach als Matrize genutzt wird. Neueste Studien zeigen, dass bei NNS-RNA-Viren keine detektierbaren Mengen dsRNA auftreten (WEBER et al., 2006). Trotz der geringen BDV-LE +ssRNA-Mengen lagen in beiden Modellen in der chronischen Phase hohe Infektiositätstiter vor, wie in früheren Studien (5.2.3; NARAYAN et al., 1983a, b; DESCHL et al., 1990; HERDEN et al., 2000b). Dies könnte jedoch auch über RNPs zustande kommen. Da bei einer persistierenden Infektion eine limitierte Virusreplikation zu erwarten ist, wird eventuell in der chronischen Phase der BDV-Infektion die aktive Replikationsleistung nur in wenigen bevorzugten Gehirnarealen wie dem Ammonshorn (5.2.2.2) aufrechterhalten. Hier war auch in dieser Phase vermehrt genomische RNA mittels ISH in den Fasern zu finden, was auf eine andauernde Synthese von Virus-RNA hinweisen kann (5.2.1.4). Bislang liegen keine Daten zum Abbau und der Halbwertszeit der genomischen und antigenomischen RNA vor. Da das Ammonshorn, wie bereits beschrieben, (5.1.4, 5.2.4.3) eine Sonderstellung auch bei der Expression zellulärer Faktoren einnimmt, scheinen in dieser Region besonders günstige Faktoren für den Erhalt der Virusinfektion und Persistenz vorzuliegen.

Wesentlich für die virale Transkriptionskontrolle ist der 3’-5’-Transkriptionsgradient, der zu einem progressiven Verlust an Transkripten in Richtung 5`-Ende führt, das alternative Spleißen der Transkriptionseinheit III sowie das leaky scanning der Transkriptionseinheit II (SCHNEEMANN et al., 1995; DE LA TORRE 2002a, b; TOMONAGA et al., 2002). Generell waren bei den infizierten Lewis-Ratten und Mäusen zu allen Zeitpunkten p.i. die BDV-N-spezifischen Transkriptmengen am höchsten, während BDV-Intron II und BDV-Intron I +ssRNAs je nach Zeitpunkt p.i. und Gewebe bis zu zehnmal niedriger exprimiert waren. Dies beruht auf dem Transkriptionsgradienten und der Lokalisation des BDV-N ORFs am 3’-Ende.

In den infizierten Rattengehirnen waren die Kopienzahlen der Intron II und BDV-Intron I +ssRNAs fast immer vergleichbar (5.2.2), eventuell als Hinweis auf eine geringe Spleißeffizienz der BDV-RNA. Inwiefern es sich dabei um unreife prä-mRNA handelt, die je nach Bedarf für die Synthese von BDV-M, BDV-GP oder BDV-L genutzt wird, bedarf weiterer Abklärung. Eine geringe Spleißeffizienz kann jedoch an der restriktiven und regionalen Expression des BDV-GP beteiligt sein. Nur einmalig war in Neuronen bei den infizierten Ratten am 24. Tag p.i. signifikant mehr BDV-Intron I +ssRNA als BDV-Intron II +ssRNA nachweisbar, während dies interessanterweise bei allen drei Mausgruppen zutraf. Ob dies durch vermehrtes Spleißen von Intron II bei gleichzeitiger Retention von Intron I bedingt ist, muss weiter untersucht werden. Dies kann auf eine vermehrte Bereitstellung von Transkripten für BDV-M aber auch der Polymerase BDV-L hindeuten, wobei die für BDV-L kodierenden Transkripte zumindest in vitro vorwiegend sowohl Intron I als auch Intron II gespleißt sein sollen und das Vorhandensein von Intron I das Intron II stabilisieren soll (DE

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LA TORRE, 2002a; TOMONAGA et al., 2002). Gerade im akuten Stadium der Infektion kann jedoch ein vermehrter Bedarf der viralen Polymerase vorliegen. Das Spleißen soll für das BDV kotranskriptionell durch viruskodierte oder virusinduzierte zelluläre Faktoren reguliert werden (JEHLE et al., 2000; CUBITT et al., 2001; DE LA TORRE, 2002a). Ein ineffizientes Spleißen viraler RNA im Vergleich zu plasmidkodierten viralen RNAs ist bereits beschrieben (SCHNEIDER et al., 1997b; JEHLE et al., 2000). In vitro lagen die Transkripte zu einem großen Teil ungespleißt (48 %) oder Intron II-gespleißt vor, was mit den In-vivo-Daten übereinstimmt. In vitro waren nur etwa 20 % der Transkripte Intron I gespleißt, die auch vor allem im Nukleus der Zellen zu finden waren. Dies stimmt mit den Daten der ISH überein (WERNER-KEIŠS et al., 2008; 5.2.1.3). Eine geringe Spleißeffizienz und Retention BDV-GP-kodierender Transkripte kann so der Regulation der BDV-GP- und BDV-M-Expression dienen. Allgemein fördert eine geringe Spleißeffizienz viraler RNAs das Überleben der infizierten Zelle, da eine Überlastung des zellulären Spleißapparates vermieden wird. Das BDV scheint daher auf bisher unbekannte Weise kotranskriptionell die Spleißvorgänge seiner primären Transkripte zu steuern. Insbesondere die Vermeidung der Synthese antigener Glykoproteine kann so limitiert werden. In Ergänzung zu den In-vitro-Daten konnten in der vorliegenden Arbeit erstmalig Anhaltspunkte dafür in vivo gewonnen werden.

Die RNA-Nachweise nach BDV-Infektion aller Mausgruppen weisen ebenfalls auf eine regulierte Transkription hin, wobei Unterschiede zwischen den ntg und tg Tieren vorlagen.

Die signifikante Zunahme der Anzahl RNA-haltiger Zellen bei den ntg Tieren in der ISH im Vergleich zu der nahezu konstanten Anzahl RNA-haltiger Zellen bei beiden tg Gruppen lässt einen regulierenden TNF-Effekt auf die virale Transkription vermuten. Die Kopienzahlen viraler RNAs hingegen variierten zwischen 21 und 42 Tagen p.i. bei den ntg Tieren geringer als bei den tg Mausgruppen. Insgesamt wurde der virale Transkriptionsgradient aber bestätigt. Ein antiviraler Effekt des TNF tritt ebenfalls nach experimenteller Tollwutvirus-Infektion auf (FABER et al., 2005). Die TNF-Überexpression führte jedoch nicht zur Elimination des BDV. Eventuell wird die Proteinsynthese durch die Reduktion mRNA-haltiger Zellen nicht hinreichend beeinflusst und/oder andere Zellen translatieren entsprechend mehr.

Über den Verlauf der BDV-GP- und BDV-M-Expression sind noch keine Aussagen möglich, da bisher nur ein Zeitpunkt (28 Tage p.i.) untersucht ist. Das BDV war jedoch 28 Tage p.i. in der Lage, gespleißte und ungespleißte RNA aus dem Zellkern zu transportieren, was den Exportstrategien bei der Ratte entspricht. Daher scheinen bei der Maus prinzipiell vergleichbare, aber modifizierte Replikations- und Transkriptionsstrategien vorzuliegen.