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5 DISKUSSION

5.1 NEURODEGENERATION, NEUROPROTEKTION, KLINIK

5.2.1 Morphologischer Nachweis BDV-spezifischer Proteine und RNAs

5.2.1.3 Glykoprotein und korrespondierende RNA

Virale Glykoproteine spielen bei allen behüllten Viren eine Schlüsselrolle für die initiale Infektion und später für das virale assembly und die Virusfreisetzung. Auf diese Weise sind sie essentiell an der Virusausbreitung beteiligt und determinieren den Zelltropismus. Obwohl grundlegende Funktionen des BDV-GP bereits vielfältig untersucht wurden, lagen In-vivo-Studien zur Ausbreitung, zellulären und subzellulären Lokalisation von BDV-GP und der korrespondierenden RNA bislang nicht vor.

Nach experimenteller Infektion der Lewis-Ratten war BDV-GP nur im Perikaryon und Fortsätzen großer Neurone, bevorzugt in Pyramidenzellen nachweisbar. Die Zellkerne blieben immer negativ. Im Vergleich zu BDV-N und BDV-M war die Expression des BDV-GP signifikant geringer. BDV-GP war erstmals am Tag 7 p.i. zu finden und erreichte das Expressionsmaximum bereits zwischen 18 und 28 Tagen p.i. Danach nahm die BDV-GP-Expression bis 90 Tage p.i. deutlich ab. Dieser Verlauf war signifikant unterschiedlich von dem zeitlichen Expressionsmuster von N und M. Eine frühe Limitierung der BDV-GP-Expression scheint nötig, um eine effektive antivirale Immunantwort zu umgehen, da virale Glykoproteine häufig das Ziel antiviraler Abwehr sind. So nahm der BDV-GP-Nachweis korrespondierend zu dem Anstieg und Maximum der entzündlichen Infiltrate (31-42 Tage p.i.) ab. Die meisten BDV-GP-positiven Zellen traten in der akuten Phase der Infektion auf, was auch mit der initialen Virusausbreitung korrelierte (WERNER-KEIŠS et al., 2008).

BDV-GP wies weiterhin einen ausgeprägten regionalen Tropismus auf, dies war somit signifikant unterschiedlich von der Expression des BDV-N. So war BDV-GP insbesondere in Hippocampus, Cortex cerebri, Amygdala und Thalamus nachweisbar. Dies wurde bereits in einer Vorarbeit zu dieser Studie in der chronischen Phase 91 Tage p.i. gezeigt (RICHT et al., 1998). Der Grund für den neuronalen und regionalen Tropismus ist derzeit nicht bekannt.

Möglicherweise bieten die Pyramidenzellen dem BDV spezifische Faktoren, die für die Reifung und nukleären Export der RNA sowie die posttranslationelle Modifikation des

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GP essentiell sind. So wurden jüngst spezifische neuronale Regulatoren für alternatives Spleißen beschrieben (GRABOWSKI et al., 2007).

Die limitierte Expression des BDV-GP entspricht früheren Beobachtungen, dass nur etwa 1-10 % der persistierend infizierten Zellen BDV-GP exprimieren (RICHT et al., 1998; DE LA TORRE et al., 2002a, b). Dennoch scheint dies ausreichend für eine erfolgreiche Ausbreitung des BDV im Gehirn zu sein und kann mit den geringen Mengen freigesetzter Viruspartikel zusammen hängen. Möglicherweise wird das BDV-GP für die transneuronale Ausbreitung des BDV benötigt, was auch von BAJRAMOVIC et al. (2003) beobachtet wurde, da sie BDV-GP an synaptischen Termini und Kontaktstellen von Neuriten detektierten. Für das BDV wird angenommen, dass die Reifung viraler Partikel an den synaptischen Termini stattfindet und neue Zellen durch rezeptorvermittelte, BDV-GP-gesteuerte Endozytose und Fusion infiziert werden (PEREZ et al., 2001). Auch bei anderen Viren, wie z. B. Tollwutvirus, Staupevirus und Masernvirus, ist das Glykoprotein für die Ausbreitung im Gehirn essentiell (WILD et al., 1991; NESSELER et al., 1999; ETESSAMI et al., 2000). Alternativ wird BDV-GP zwar für die Ausbreitung in Neuronen benötigt, nicht aber in anderen Gehirnzellen, wo andere Infektionsrouten benutzt werden könnten, wie z.B. RNPs (GOSZTONYI et al., 1993;

CUBITT und DE LA TORRE, 1994; CLEMENTE und DE LA TORRE, 2007). Es konnte bereits gezeigt werden, das BDV-RNPs nach Transfektion empfänglicher Zelllinien infektiös sind (CUBITT und DE LA TORRE, 1994). Dies könnte den fehlenden immunhistologischen Nachweises von BDV-GP in Astrozyten, Oligodendrozyten und Ependymzellen erklären, wobei abgeklärt werden muss, inwieweit die Expressionsrate in diesen Zellen nicht unter dem Detektionslevel der Immunhistologie liegt. Weiterhin war mit dem verwendeten Antikörper das C-terminale Spaltfragment des BDV-GP sowie ungespaltenes BDV-GP nachweisbar, nicht aber BDV-GP-N. Antikörper zur Detektion des N-terminalen Spaltfragments des BDV-GP sind derzeit nicht vorhanden. Aufgrund der unterschiedlichen Funktionen von BDV-GP-C und BDV-GP-N (GONZALES-DUNIA et al., 1997; PEREZ et al., 2001; KIERMAYER et al., 2002; EICKMANN et al., 2005) lassen die Ergebnisse eine Interpretation des Fusionsgeschehens von Wirtszellmembran und Virushülle zu, aber keine Schlussfolgerungen zu Virus-Rezeptor-Interaktionen und Viruseintritt in die Zelle. Es ist aber bekannt, das dass BDV-GP sehr früh gespalten wird und bereits die Spaltfragmente im ER zurückgehalten werden (EICKMANN et al., 2005). Daher sollen nur geringe Mengen des BDV-GP-C an die Zelloberfläche gelangen und dort akkumulieren. Derzeit ist nicht bekannt, welche Ausbreitungsmechanismen des BDV (unbehüllte RNPs oder reife, kurzzeitig vorhandene Viruspartikel) zu welchem Zeitpunkt p.i. und in welchen Zellen in vivo eine Rolle spielen. Die vorzugsweise neuronale BDV-GP-Expression und die Daten aus neuronalen BDV-infizierten Zellkulturen belegen jedoch die besondere Rolle des BDV-GP bei der neuronalen Ausbreitung. Weiterhin war die BDV-GP-kodierende Intron II +ssRNA in

DISKUSSION 157 Astrozyten, Oligodendrozyten und Ependymzellen nur im Kern zu finden, so dass sich in diesen Zellen das processing und/oder der Transport dieser +ssRNA anders als in Neuronen zu verhalten scheint. Im Gegensatz dazu trat vor allem in der chronischen Infektionsphase vermehrt BDV-N +ssRNA im Zytoplasma dieser Zellen auf.

Der erste Nachweis von BDV-Intron II +ssRNA gelang am Tag 7 p.i. Am Tag 24 p.i. war das Maximum erreicht, positive Zellen waren in allen Gehirngebieten zu finden, besonders jedoch in Ammonshorn, Amygdala und Cortex cerebri. Dies stimmt mit der maximal quantifizierten Menge BDV-Intron II +ssRNA in den Gehirnanschnitten überein, in Neuronen war dies am 42. Tag p.i. messbar (5.2.2.1, 5.2.2.3). Eine echte neuronale Aufregulation der BDV-Intron II +ssRNA am 42. Tag p.i. wurde möglicherweise durch ein temporär vermehrtes Spleißen von Intron II am 24. Tag p.i. vorgetäuscht (5.2.2.3). Aufgrund der morphologischen Daten zur BDV-Intron II +ssRNA- und Proteinexpression ist nicht davon auszugehen, dass am 42. Tag p.i. tatsächlich vermehrt BDV-GP-kodierende +ssRNA bereitgestellt wurde. Zu diesem Zeitpunkt waren auch vergleichbar hohe Mengen BDV-Intron I +ssRNA nachweisbar, was auf eine Retention der Transkripte der Transkriptionseinheit III als unreife, ungespleißte RNA hindeutet. Der hohen Anzahl BDV-N- und BDV-M-positiver Zellen ging eine Aufregulation und zytoplasmatische Akkumulation der entsprechenden +ssRNAs voraus, was für BDV-Intron II +ssRNA nicht zutraf. Dennoch war BDV-GP in einzelnen Neuronen zu finden, so dass kodierende RNAs prinzipiell ins Zytoplasma gelangen und der Synthese von GP dienen können. Dies wird durch die annähernd gleiche Anzahl von Zellen mit BDV-Intron II +ssRNA und BDV-GP im Zytoplasma zumindest zu früheren Zeitpunkten p.i.

bestätigt. 90 Tage p.i. war die BDV-Intron II +ssRNA etwas vermehrt im Zytoplasma trotz gesunkener BDV-GP-Expression zu finden, was darauf hindeutet, dass in der chronisch persistierenden Phase vor allem die Translation reguliert wird.

Zwar waren im CPu insgesamt geringere Transkriptmengen detektierbar, dennoch lagen in den Gehirnanschnitten, Gehirnregionen und Zellen nahezu vergleichbare Relationen der BDV-spezifischen Transkripte, insbesondere der BDV-Intron I und BDV-Intron II +ssRNA vor.

Es muss also davon ausgegangen werden, dass ein großer Teil der BDV-Intron II +ssRNA zusätzlich Intron I enthält. Ob dies auf eine Retention der subgenomischen RNAs im unreifen Zustand hindeutet, diese RNAs vor allem zur Synthese von BDV-M genutzt werden oder aber Intron I-haltige, Intron II-gespleißte RNAs vorliegen, kann derzeit nicht beurteilt werden.

Eine Quantifizierung Intron II-gespleißter Transkripte kann hierzu Aufschluss geben.

Generell stellt die vorwiegend intranukleäre Lokalisation der BDV-Intron II +ssRNA im Gehirn der Lewis-Ratten den überraschendsten Befund dar (WERNER-KEIŠS et al., 2008). Nur bei etwa 30 % der Neuronen, insbesondere im Ammonshorn, trat diese +ssRNA auch in Perikarya und Fortsätzen auf, dies stieg zu späteren Zeitpunkten p.i. etwas an. Daher scheint die BDV-Intron II +ssRNA im Kern zurückgehalten zu werden und/oder ihre Reifung

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bzw. der nukleäre Export wird limitiert. Derzeit ist der Transport der subgenomischen RNAs sowie des viralen RNP entlang der Kernmembran nur unvollständig verstanden (DE LA TORRE, 2002a, 2006; CROS und PALESE, 2003). BDV-GP wird vor allem von Intron I-gespleißten +ssRNAs kodiert (CUBITT et al., 1994b; SCHNEIDER et al., 1994b; DE LA TORRE, 2002a; TOMONAGA et al., 2002). Generell erhöht Spleißen den nukleären Export einer mRNA, wobei Exportfaktoren auch unabhängig vom Spleißzustand mit der RNA interagieren können (5.2.1.2.; RODRIGUES et al., 2001; SANDRI-GOLDIN, 2004). Mit dem Nachweis der BDV-Intron II +ssRNA in der ISH ist keine Aussage über den Spleißzustand des Intron I möglich, jedoch lagen für BDV-Intron I +ssRNA definitiv andere zeitliche und zellspezifische Regulatorien vor als für die Intron II +ssRNA. Weiterhin trat die BDV-Intron I +ssRNA in der akuten Phase der Infektion in viel mehr Zellen im Zytoplasma auf (5.2.1.2).

Der Vergleich der Zellen, die BDV-GP und BDV-Intron II +ssRNA enthielten, ergab signifikant weniger BDV-GP-positive Zellen. Dies kann ebenfalls darauf hinweisen, dass in der ISH auch unreife, ungespleißte RNA im Kern detektiert wird, die für BDV-M oder BDV-GP kodieren kann und/oder die Translation des BDV-GP reguliert wird.

Nach experimenteller BDV-Infektion aller Mausgruppen war BDV-GP im Gegensatz zu BDV-N und BDV-M wie bei der Ratte nur in Neuronen nachweisbar, obwohl die BDV-Intron II +ssRNA auch in Astrozyten und Oligodendrozyten vorlag. BDV-GP war in signifikant weniger Zellen als BDV-N und BDV-M zu finden, und war vor allem in Neuronen des Cortex cerebri, Thalamus, Cerebellum und der Medulla oblongata detektierbar. Dies war bei der Ratte vor allem in Cortex cerebri, Thalamus, Ammonshorn und Amygdala der Fall. Insgesamt exprimierten noch weniger Zellen BDV-GP als bei der Ratte. Unterschiede zwischen den Mausgruppen lagen nicht vor, so dass die TNF-Überexpression die BDV-GP-Expression nicht signifikant beeinflusste. Daher scheint der regionale Tropismus etwas unterschiedlich zu sein und die BDV-GP-Translation noch stärker reguliert zu werden als bei der Ratte.

Die BDV-Intron II +ssRNA war in Zellkern und Zytoplasma von Neuronen, Astrozyten und Oligodendrozyten zu finden. 14 Tage p.i. lag diese +ssRNA vor allem im Nukleus vor, ab 28 Tagen p.i. in Zytoplasma und Zellkern. Dies weist darauf hin, dass bei der Maus die BDV-Intron II +ssRNA häufiger ins Zytoplasma exportiert wird als bei der Ratte. Trotzdem war nur wenig Protein detektierbar: Dies belegt die restriktive Translation und zeigt, dass das BDV 28 Tage p.i. sowohl gespleißte als auch ungespleißte RNA aus dem Zellkern exportieren kann.

Diese verschiedenen Kernexportstrategien wurden auch bei der Ratte beobachtet.