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5 DISKUSSION

5.1 NEURODEGENERATION, NEUROPROTEKTION, KLINIK

5.2.2 Quantifizierung BDV-spezifischer RNAs

Nach experimenteller BDV-Infektion der Lewis-Ratten wurden die viralen Transkripte in Gehirnanschnitten mittels real time RT-PCR quantifiziert, um Referenzwerte für die Mengen der BDV +ssRNA in den nachfolgend untersuchten Gehirnarealen und Zellpopulationen zu ermitteln. Um die Transkriptionsstrategien in beiden Modellen initial vergleichen zu können, wurden die subgenomischen RNAs auch bei experimentell BDV-infizierten Mäusen in Gehirnanschnitten nachgewiesen. Daten zur exakten Quantifizierung der viralen Transkripte in vivo lagen bislang nicht vor, obwohl dies für das Verständnis der bereits bekannten vielfältigen Transkriptionsstrategien des BDV unbedingt notwendig erscheint.

5.2.2.1 Quantifizierung der BDV +ssRNAs in Gehirnanschnitten der Ratten

Generell waren nach experimenteller BDV-Infektion der Lewis-Ratten am 14. Tag p.i. die Mengen aller untersuchten BDV +ssRNAs am geringsten und am Tag 24 p.i. maximal. BDV-N-spezifische Transkripte nahmen anschließend bis zum 90. Tag p.i. wieder signifikant ab, während BDV-Intron II, BDV-Intron I- und BDV-LE +ssRNA auf einem nahezu konstanten Niveau bis 90 Tage p.i. nachweisbar waren. Dies weist auf eine unterschiedlich zeitliche Regulation der Transkriptionseffizienz der subgenomischen RNAs hin. Erwartungsgemäß war BDV-N +ssRNA insgesamt signifikant am höchsten exprimiert, was auch mit der hohen Expression des BDV-N übereinstimmt. BDV-Intron II und BDV-Intron I +ssRNA waren in vergleichbaren Mengen zum jeweiligen Zeitpunkt p.i. exprimiert. Diese Werte entsprechen dem 3’-5’ Transkriptionsgradienten des viralen Genoms (5.2.4.1). Die BDV-LE +ssRNA war, wie vermutet, die signifikant am geringsten exprimierte BDV +ssRNA (5.2.3).

5.2.2.2 Quantifizierung der BDV +ssRNAs in Gehirngebieten bei der Ratte

Zur Bestimmung der BDV +ssRNAs wurden die Gehirnareale Ammonshorn (AH) und Nucleus caudatus/Putamen (CPu) ausgewählt, da das Ammonshorn eine vom BDV bevorzugte Gehirnregion mit selektiven Expressionsmöglichkeiten neuroprotektiver und eventuell virusunterstützender Faktoren darstellt (5.1.4, 5.2.4). Weiterhin war im AH BDV-GP detektierbar, was im CPu kaum auftrat. Dies erlaubte daher die möglicherweise diesem Expressionsmuster zugrundeliegenden, regionen- und zellspezifischen Transkriptions- und Translationsstrategien näher zu untersuchen. Dazu wurde die Laser Microdissection eingesetzt, die die erfolgreiche Gewinnung definierter Gewebeareale bzw. Zellen ermöglicht.

Diese Methode wurde bislang nur sporadisch für die Erforschung virusinduzierter Erkrankungen des ZNS genutzt (TORRES-MUÑOZ et al., 2001; PROSNIAK et al., 2003).

DISKUSSION 161 Generell war im AH signifikant mehr BDV-N +ssRNA, BDV-Intron II +ssRNA und BDV-LE +ssRNA nachweisbar als im CPu. Die Mengen der BDV-Intron I +ssRNA waren jedoch nicht signifikant unterschiedlich. Interessanterweise war im AH kein signifikanter Anstieg oder Abfall der BDV-N-, BDV-Intron II- und BDV-Intron I-spezifischen Transkripte im Verlauf der Infektion wie in den Gehirnanschnitten messbar (5.2.2.1). Dennoch waren diese +ssRNAs auch am 14. Tag p.i. am geringsten exprimiert und stiegen, wenn auch nicht signifikant, zum Tag 24 p.i. an. Abweichend hiervon lag im CPu eine stete Zunahme der BDV-N +ssRNA, BDV-Intron II +ssRNA und Intron I +ssRNA im Verlauf der Infektion vor mit einer maximalen Expression erst am Tag 90 p.i. Hier wurden vergleichbare Werte wie im Ammonshorn erreicht. Daher scheint die virale Transkription im AH schon in der frühen Phase der Infektion sehr effektiv zu sein, die keinen weiteren Anstieg benötigt. Dies wird durch den frühzeitig (ab 14. Tag p.i.) disseminierten Nachweis von BDV-N, BDV-M und korrespondierenden RNAs im Ammonshorn belegt, während in anderen Arealen die virale RNA zuerst nur fokal auftrat.

Somit repräsentieren die aus den Gehirnanschnitten gewonnenen Daten Mittelwerte, die nicht zwangsläufig die unterschiedliche Transkriptionseffizienz der einzelnen Gehirnareale wiedergeben. Die regionenspezifischen Kapazitäten können daher wesentlich für die virale Persistenz sein, da die Gefahr der Viruselimination auf definierte Areale beschränkt wird.

Überraschenderweise nahmen die Mengen der BDV-LE +ssRNA im AH bis zum Tag 90 p.i.

zu und insgesamt war der Anstieg der BDV-LE +ssRNA im Ammonshorn signifikant höher als im CPu. Ab 24. Tagen p.i. lagen in den Gehirnanschnitten und in der chronischen Phase im CPu niedrige, kaum ansteigende Mengen BDV-LE +ssRNA vor. Nach erfolgreicher Verbreitung des BDV scheint eine konstante, aber niedrige Expression der BDV-LE +ssRNA für die Aufrechterhaltung der Virusreplikation und disseminierten Infektion im Gehirn zu genügen. Die steigenden hippocampalen Mengen BDV-LE +ssRNA unterstreichen die Bedeutung des Ammonshorns für die Replikation des BDV in allen Infektionsphasen.

Insgesamt weisen die hohen, konstant vorliegenden Transkriptmengen im AH im Gegensatz zu der insgesamt niedrigen, langsam zunehmenden Transkriptmenge im CPu auf einen fördernden Effekt des Ammonshorns auf den viralen Transkriptions- und Replikationszyklus hin. Das besondere Reaktionsvermögen des Ammonshorns im Rahmen der BDV-Infektion ist bereits unter 5.1.4 und 5.2.4.3 dargelegt.

5.2.2.3 Quantifizierung der BDV +ssRNAs in definierten Zelltypen bei der Ratte Neuronen und Astrozyten gelten neben Oligodendrozyten und Ependymzellen als Zielzellen des BDV (CARBONE et al., 1991a; ROTT und BECHT 1995). Die Isolation ausgewählter hippocampaler Neuronen und Astrozyten von BDV-infizierter Lewis-Ratten ermöglichte eine direkte Analyse des jeweiligen Effekts des Zelltyps und der Phase der Infektion auf die virale Transkriptionsleistung. Die Laser Microdissection wurde bereits zur Einzelzellgewinnung in vielen Studien eingesetzt (FINK et al., 2000; PROSNIAK et al., 2003),

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was in dieser Studie erstmals auch zur Bestimmung viraler Transkripte aus Neuronen und Astrozyten erfolgreich angewendet wurde (POROMBKA et al., 2008b).

Die Analyse der zellulären Transkriptmengen ergab insgesamt nur signifikant mehr BDV-N +ssRNA in den Pyramidenzellen der CA3-Region als in Astrozyten. BDV-Intron II +ssRNA und BDV-Intron I +ssRNA lagen dagegen in vergleichbaren Mengen vor, nur 24 bzw. 42 Tage p.i. waren in Neuronen statistisch auffällig bzw. signifikant größere Mengen BDV-Intron I und BDV-Intron II +ssRNA messbar. Dies belegt die besondere Rolle der Pyramidenzellen für die virale Transkription. In beiden Zelltypen waren 14 und 90 Tage p.i. alle viralen Transkripte am geringsten und in vergleichbaren Größenordnungen exprimiert. Die Expression der BDV-N- und BDV-Intron I-spezifischen Transkripte in den Pyramidenzellen war in der akuten Phase am 24. Tag p.i. maximal, die der BDV-Intron II +ssRNA erst in der chronischen Phase am Tag 42 p.i. In Neuronen war eine signifikante Auf- und Abregulation der BDV-N +ssRNA und BDV-Intron II +ssRNA über die Zeit zu beobachten, während in Astrozyten diese Transkripte annähernd gleich bleibend exprimiert waren. Einzig für BDV-Intron I +ssRNA war sowohl in Neuronen als auch in Astrozyten eine signifikante Zu- und Abnahme im Versuchsverlauf festzustellen, so dass das zellspezifische Expressionsmuster der BDV-Intron I +ssRNA grundlegend abweicht. Dies spricht für ein wichtiges Regulationselement der BDV-M-Expression, indirekt auch für die Synthese von BDV-GP. So scheinen durch die initiale Bereitstellung ausreichender Mengen BDV-Intron I +ssRNA genügend Transkripte für BDV-M vorzuliegen und so auch die BDV-GP-Synthese limitiert zu werden. Da auch in der akuten Phase der Infektion viel BDV-M exprimiert wird, scheint es sich bei dem Nachweis der BDV-Intron I +ssRNA nicht nur um unreife prä-mRNA zu handeln. Die Daten aus den Pyramidenzellen weisen neben einem regionalen Tropismus des BDV auf eine zusätzliche zellspezifische Effizienz (BDV-N +ssRNA) bzw. eine starke zeitliche Regulation der viralen Transkription (N +ssRNA, Intron II +ssRNA, BDV-Intron I +ssRNA) hin, die in den Astrozyten so nicht vorlag. CARBONE et al. (1993) vermuteten bereits eine unterschiedliche BDV-Replikation in Neuronen und Astrozyten, da in vitro Neuronen mehr infektiöses Virus aufwiesen, während Astrozyten mehr virale +ssRNA und Proteine enthielten. Insgesamt war keine höhere Transkriptexpression in Astrozyten messbar, jedoch scheint die zellspezifische virale Transkription prinzipiell unterschiedlich. Ob die höheren Mengen an BDV-LE +ssRNA im Ammonshorn auf einer vermehrten Replikation in hippocampalen Neuronen beruhen, bedarf weiterer Abklärung.

Möglicherweise werden durch eine konstante Transkriptexpression in entsprechenden Zellen des Ammonshorns, wie z.B. in Astrozyten, stark variierende Transkriptmengen in anderen Zellen maskiert. Dies unterstreicht die Notwendigkeit der Analyse einzelner Zellpopulationen zur Beurteilung des viralen Transkriptionsverhaltens, da zellspezifische Effekte sonst unentdeckt bleiben. Ob selbst innerhalb der verschiedenen neuronalen Populationen des

DISKUSSION 163 Ammonshornes variierende Transkriptmengen vorliegen, bleibt fraglich. Erste Hinweise ergaben sich durch den Nachweis der BDV-Intron I +ssRNA in der ISH, da in den Neuronen des Gyrus dentatus nur punktförmige, intranukleäre Signale auftraten, während in den Pyramidenzellen der CA3- und CA1-Region die +ssRNA in Zellkern und Zytoplasma vorlag.

Es ist bereits bekannt, dass in der CA3-Region meist mehr Zellen BDV-N als in der CA1-Region aufweisen. Dies verdeutlicht die Komplexität des viralen Replikations- und Transkriptionsverhaltens, vermutlich als essentielle Grundlage der viralen Persistenz.

5.2.2.4 Quantifizierung der BDV +ssRNAs in Gehirnanschnitten der Mäuse

Im Gehirn der infizierten Mausgruppen waren die Mengen der N +ssRNA, BDV-Intron II +ssRNA bzw. BDV-BDV-Intron I +ssRNA unterschiedlich. Die BDV-N-spezifischen Kopienzahlen waren, wie bei der Ratte, bei allen drei Gruppen signifikant am höchsten, was auf dem 3’-5’-Transkriptionsgradienten beruht (TOMONAGA et al., 2002; DE LA TORRE et al., 2002a). Die BDV-N +ssRNA-Kopien zeigten bei ntg und tg+/+ Tieren einen geringen Abfall bis 42 Tage p.i., bei tg+/- Mäusen war ein deutlicher Anstieg zu messen.

Interessanterweise lag bei allen Mausgruppen an beiden Zeitpunkten mehr BDV-Intron I +ssRNA als BDV-Intron II +ssRNA vor. Dies ähnelt der Quantifzierung in hippocampalen Neuronen bei BDV-infizierten Ratten (5.2.2.3). Im Gegensatz dazu waren in der ISH, zumindest 28 Tage p.i., beide mRNAs in einer vergleichbaren Anzahl von Zellen zu finden.

Eine nahezu konstante Anzahl positiver Zellen bei höheren Kopienzahlen kann auf eine höhere Menge von RNA pro Zelle hinweisen. Daher könnte BDV-Intron I +ssRNA in höheren Konzentrationen pro Zelle vorgelegen haben als BDV-Intron II +ssRNA, was auch mit der signifikant stärkeren BDV-M Expression am Tag 28 p.i. korreliert. Weiterhin reduzierte sich die BDV-Intron II +ssRNA in allen Gruppen signifikant vom 21. bis 42. Tag p.i., ohne dass die BDV-Intron II +ssRNA-positiven Zellen abnahmen. Dies weist auf geringere Mengen dieser +ssRNAs pro Zelle hin. Interessanterweise war die BDV-Intron I +ssRNA im Verlauf der Infektion nahezu gleichbleibend messbar, so dass vermutlich zumindest 42 Tage p.i. mehr Intron II-gespleißte Transkripte in experimentell infizierten Mausgehirnen vorliegen dürften.

Inwieweit dies mit einer verstärkten Spleißeffizienz des Intron II und Vorkommen der viralen Polymerase bei der Maus im Zusammenhang steht, unterliegt weiteren Untersuchungen.

Bei allen BDV-infizierten Mausgruppen waren die BDV-LE +ssRNA-Mengen signifikant am geringsten, was auf eine strikte Regulation der Replikation hinweist. Dennoch fand sich in allen Gruppen eine disseminierte Virusausbreitung, so dass die geringen Mengen Antigenom eine effiziente Virusreplikation, Ausbreitung sowie die virale Persistenz ermöglichen. In allen Gruppen stieg die BDV-LE +ssRNA bis 42 Tage p.i. an. Dies kann auf eine ansteigende Replikation, zumindest bei den ntg Tieren hinweisen, da hier auch die Zellen mit BDV genRNA zunahmen. In beiden tg Gruppen nahm die BDV-LE +ssRNA stärker zu als bei den ntg Mäusen, obwohl weniger Zellen BDV genRNA aufwiesen als bei den ntg Tieren. Dies

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kann auf eine Akkumulation ineffektiver Antigenomstränge (5.2.4.1) oder einen unbekannten TNF-Effekt zur Limitierung der Infektion hindeuten.