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Rechtliche Grundlagen auf kantonaler, nationaler und

6 Staatliche Gleichstellungsstellen: institutionelles Potenzial

6.2 Entwicklung und gegenwärtige Situation von Gleichstellungs-

6.2.2 Rechtliche Grundlagen auf kantonaler, nationaler und

Nach der Verankerung der Gleichstellung von Frauen und Männern in der Bundesverfassung 1981 (vgl. Kapitel 4.4) haben sich entsprechende Verfas-sungsartikel auch in den Kantonen verbreitet,161 die Lage stellt sich aber hete-rogen dar: fünf Kantonsverfassungen erwähnen die Rechtsgleichheit zwi-schen den Geschlechtern gar nicht, teils ist nicht einmal die allgemeine Rechtsgleichheit postuliert.162 Sieben Kantone erwähnen Rechtsgleichheit und Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts ausdrücklich.163 In der Hälfte der Kantonsverfassungen164 wird die aktive Förderverpflichtung des Staats festgeschrieben, die thematisch auch über die Bundesverfassung hin-ausgehen kann, wenn etwa der gleiche Zugang zu öffentlichen Ämtern postu-liert wird.165 Fehlende Verfassungsgrundlagen stehen einer Fachstelle nicht entgegen.166 Interessanterweise gibt es aber drei Kantone, Nidwalden, Schaffhausen und Zug, mit einem Fördergebot in der Verfassung und fehlen-den Gleichstellungsinstitutionen.

Neben der Bundesverfassung als wichtiger legitimatorischer Grundlage für staatliche Gleichstellungsinstitutionen ist gültiges Völker- und Staatsver-tragsrecht relevant, und hier vor allem die CEDAW, die Konvention zur Beseitigung aller Formen der Diskriminierung der Frau. Die Schweiz hat die 1979 aufgelegte Konvention 1997 ratifiziert und berichtet seitdem dem Frau-enrechtsausschuss der UNO regelmäßig über den Stand der Gleichstellung.

Die Schweiz ist zudem 2008 dem CEDAW-Fakultativprotokoll beigetreten, das Personen nach Ausschöpfung des nationalen Rechtsweges die

Möglich-161 „Mann und Frau sind gleichberechtigt. Das Gesetz sorgt für ihre rechtliche und tatsächliche Gleichstellung, vor allem in Familie, Ausbildung und Arbeit. Mann und Frau haben An-spruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit.“ (BV Art.8, Abs. 3).

162 AI, OW, SO, TG, VS.

163 AG, GL, JU, LU, SZ, TI, UR.

164 AR, BE, BL, BS, FR, GE, GR, NE, NW, SH, VD, ZG, ZH.

165 BS Art. 9 Abs. 3 KV, FR Art. 9 Abs. 2 KV, NE Art. 8 Abs. 2, VD Art. 6 Abs. 2, lit e.

166 Wie in AG, LU, OW, SG, TI, VS.

keit einer Beschwerde vor dem Frauenrechtsausschuss bietet.167 Juristinnen schreiben der CEDAW ein großes Potenzial zur Beseitigung der Diskriminie-rung von Frauen zu, und für die Schweiz zur VerbesseDiskriminie-rung der Legitimität und politischen Überzeugungskraft von Gleichstellungspolitik (z. B. Kägi-Diener 2009, Rudolf und Chen 2014). Da ist erstens das umfassende Diskri-minierungs-Verständnis der Konvention, das direkte und indirekte Formen sowie Machtverhältnisse einbezieht: Diskriminierung ist jede geschlechtsbe-zogene Unterscheidung, Ausschließung oder Beschränkung mit der Folge oder dem Ziel, dass die Anerkennung und Ausübung der Menschenrechte der Frauen in den verschiedensten Lebensbereichen beeinträchtig wird. Zweitens verpflichtet die Konvention Staaten zu zeitweiligen Sondermaßnahmen für die faktische Gleichstellung der Frauen (Art. 4) und erlegt ihnen auf, gegen stereotype Vorstellungen im sozialen und kulturellen Bereich vorzugehen (Art. 5). Drittens stellen das Monitoring-Verfahren und die Individualbe-schwerde dynamische Instrumente der Bekämpfung dar. Die Eidgenössische Kommission für Frauenfragen hat daher einen Leitfaden für die Praxis erar-beitet, der aufzeigt, wie das „Übereinkommen die rechtliche Argumentation im Einzelfall unterstützen und ergänzen kann“, und welche Möglichkeiten die Individualbeschwerde bietet.168

Fokus: Mit internationalem Recht für Gleichstellungsinstitutionen in der Schweiz

Die Rechtspraxis der CEDAW in der Schweiz ist noch übersichtlich, aller-dings kann der Bezug auf die Konvention als Hebel zur Wiedereinführung von Gleichstellungsinstitutionen eingesetzt werden: Dies ist das Ergebnis einer strategischen Prozessführung von Zuger Bürger*innen gegen ihren Kanton: Zug schaffte die befristet eingerichtete Fachstelle für Gleichstellung 1995 ab, und 15 Jahre später 2010 auch die kantonale Gleichstellungskom-mission. Daraufhin wurde eine strategische Klage von Parteien, Organisatio-nen und EinzelpersoOrganisatio-nen eingereicht. Sie argumentierten, es verstoße gegen internationales, nationales und auch kantonales Recht, überhaupt keine Gleichstellungsinstitutionen zu haben. Das Bundesgericht urteilte 2011, dass aus der CEDAW, der Bundesverfassung und anderen Rechtsakten die Pflicht zu staatlichen Gleichstellungsmaßnahmen mit fachlichen, personellen, orga-nisatorischen und finanziellen Ressourcen abgeleitet werden könne, solange die tatsächliche Gleichstellung noch nicht erreicht ist. Allerdings schrieben

167 Zwischen 2004 und 2014 wurden 35 Beschwerden eingereicht, davon stammten 23 aus Europa; von diesen erkannte der Ausschuss in elf Fällen eine Verletzung der Konvention, vgl. Schöpp-Schilling et al. 2014, S. 547–553. Aus der Schweiz wurde noch keine Be-schwerde eingereicht.

168 Vgl. www.ekf.admin.ch/ekf/de/home/dokumentation/cedaw-leitfaden-fuer-die-rechtspraxis.html (13. August 2017), Schläppi 2012, Aktualisierung 2015.

diese Rechtsakte die Art und Weise oder die Ausgestaltung der spezifischen Maßnahmen – wie z. B. eine Kommission oder eine Fachstelle – nicht vor (BGE 137 I 305 vom 21. November 2011, vgl. Medici 2012). Wichtig am Urteil ist auch, dass sich das Bundesgericht auf Fakten und Zahlen bezog, um festzustellen, dass die tatsächliche Gleichstellung noch nicht erreicht sei;

Monitoring und Berichterstattung als Aufgabe sowohl von staatlichen Gleichstellungsinstitutionen, in Aktionsplänen oder Zukunftsstrategien der Kantone oder von zivilgesellschaftlicher Seite sind daher nicht nur sinnvoll, sondern unabdingbar.

Das Urteil ist seit 2011 immer wieder als starkes Argument angeführt worden, wenn es darum ging, institutionalisierte Gleichstellungsarbeit zu fordern und zu verteidigen. Das zeigt beispielhaft, welchen politischen Nut-zen strategische Prozessführung haben kann.169

Allerdings ist das Problem in Zug weiterhin ungelöst und es zeigt sich, dass juristische Rückschläge immer möglich sind. Im September 2016 ver-weigerte das Kantonsparlament das Eintreten auf einen Gesetzesentwurf der Regierung (also die Debatte), und zwar mit nachweislich falschen („Gleich-stellung ist bereits erreicht“) oder irrelevanten („Das ist zu teuer!“) Argumen-ten. Dieser Entwurf war mager: das Gesetz sah vor, dass die Regierung Maß-nahmen ergreifen kann, die notwendig und wirksam sind, um die tatsächliche Gleichstellung in allen Bereichen zu erreichen. Das Parlament würde dafür Gelder bereitstellen und die Verwaltung würde die Maßnahmen umsetzen.

Im Oktober 2016 richteten die gleichen Akteur*innen wie 2011 eine Be-schwerde wegen Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung an das Bun-desgericht.170 Der Kanton habe weiterhin keine politischen, gesetzlichen, institutionellen oder organisatorischen Vorkehrungen eingeleitet, um seinen nationalen und internationalen Verpflichtungen nachzukommen.171 In einem Eventualantrag verlangten sie, der Kanton sei zu konkret genannten Maß-nahmen, etwa bei Lohngleichheit oder politischer Partizipation, zu verpflich-ten. Im November 2016 erließ die Regierung allerdings den Gesetzentwurf mit wenigen Änderungen als Verordnung und beschloss einen Maßnahmen-plan. In seinem Urteil vom 19. Oktober 2017 wies das Bundesgericht die Beschwerde ab: Eine Verordnung sei eine zulässige Übergangslösung, ob-

169 In der Schweiz gibt es auch weitere politisch motivierte strategische Klagen: so haben die

„Klimaseniorinnen“ Klage gegen den Bund eingereicht: die Schweiz verfolge das Ziel, die Erderwärmung auf 2 Grad zu begrenzen, zu wenig. Der Bund verletze damit das das Vor-sorgeprinzip und das Recht auf Leben in der Bundesverfassung und komme seinen Schutz-plichten nur ungenügend nach. Nachweislich würden alte Menschen und besonders Senio-rinnen stärker unter den Hitzewellen leiden, vgl. www.klimaklage.ch.

170 Die Information stammen von der Nachrichtenseite www.zentralplus.ch (www.zentralplus.ch/de/news/gesellschaft/5514642/Gleichstellung-Handelt-der-Kanton-Zug-verfassungswidrig.htm) und von www.zg.ch (28. Mai 2017).

171 Die folgende Darstellung beruht auf dem Bundesgerichtsurteil vom 19. Oktober 2017 (1C_504/2016).

wohl weitergehende Regelungen vom Parlament beschlossen werden müss-ten, auch mit Blick auf die politische Umstrittenheit des Themas im Kanton (Erwägung 3.4.3). Mit der VO seien erste Vorkehrungen eingeleitet, Rechts-verweigerung daher nicht gegeben, obwohl sich nicht mit Sicherheit voraus-sagen lasse „ob die Verordnung ausreicht, um den Gleichstellungsauftrag wirksam umzusetzen, ohne zusätzliche personelle und finanzielle Ressour-cen.“ (4.5). Die Beschwerdeführenden hatten gerade dies gerügt, obwohl die Regierung allein für die Koordination von Maßnahmen in der Verwaltung von einem Bedarf von 0,8 Stellen ausgegangen war, diese aber wegen Spar-runden nie budgetiert hatte. Die Eventualanträge lehnte das Bundesgericht mit Blick auf die föderale und politische Kantons-Autonomie und wegen fehlender bundesrechtlicher Vorgaben ebenfalls ab (6.3).

Während die Argumentation zur kantonalen Autonomie im Sinne höchst-richterlicher Zurückhaltung und dem Primat des Politischen nachvollziehbar ist, scheint doch die Einschätzung, der Kanton Zug habe Vorkehrungen ge-troffen, einigermaßen unrealistisch: Es besteht zwar eine Verordnung, aber es werden keine Ressourcen zugewiesen. Wie soll da die Implementation ge-schehen?

Seit Scheideggers Untersuchungszeitraum bis 2005 scheint sich die rechtliche Situation der Fachstellen leicht verbessert zu haben. In immerhin 13 von 16 Kantonen mit einer Fachstelle gibt es rechtliche Grundlagen, in neun Kanto-nen sind diese sogar in einem Gesetz geregelt (und nicht in leichter durch die Exekutive zu ändernden Verordnungen oder Reglementen). Schwyz und Glarus, Kantone nur mit einer Gleichstellungskommission, haben diese im Einführungsgesetz zum Gleichstellungsgesetz rechtlich verankert (in Glarus jedoch befristet). Vier Kantone mit Fachstelle lassen diese ohne rechtliche Verankerung arbeiten.172

Die rechtliche Verankerung der Gleichstellung und der entsprechenden Fachstellen ist in der Schweiz also heterogen, was die Vor- und Nachteile des Föderalismus zeigt. Er ermöglicht einerseits Innovation und avantgardisti-sches Voranschreiten, während andere sich jahrzehntelang zurückhalten. Der Preis hierfür sind strukturelle Ungleichheiten zwischen den Kantonen beim Diskriminierungsschutz, wie dies ähnlich schon bei den Schlichtungsstellen deutlich wurde. Dieses strukturelle Problem ist nach wie vor ungelöst (vgl.

Scheidegger 2008, S. 105). Auch hier zeigt sich zum wiederholten Male: die schweizerische Rechtslage ist im europäischen Vergleich wesentlich schwä-cher und kantonal oder kommunal wenig ausführlich und umfassend.173 Dies

172 AG, GR, SG, TI.

173 Die schwache schweizerische Institutionalisierung wird mit einem Blick auf die deutsche Situation besonders deutlich: Dort sind die gesetzlichen Grundlagen in den letzten 15 Jah-ren zunehmend ausdiffeJah-renziert worden. So gibt es seit 1998 in jedem Bundesland Landes-gleichstellungsgesetze, die vor allem die Ziele und Verfahren der Gleichstellungsbeauftrag-ten in den entsprechenden Verwaltungen und AnstalGleichstellungsbeauftrag-ten des öffentlichen Rechts regeln

(Ru-zeigt auch der folgende Abschnitt zu den Kompetenzen und Aufgaben der Fachstellen.