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6 Staatliche Gleichstellungsstellen: institutionelles Potenzial

6.2 Entwicklung und gegenwärtige Situation von Gleichstellungs-

6.2.1 Entwicklung

Staatliche Institutionen und Einrichtungen für die Gleichstellung der Ge-schlechter haben weltweit eine große Variationsbreite und werden je nach Land unterschiedlich kombiniert; zu nennen sind hier etwa parlamentarische Ausschüsse, Ministerien, beratende Kommissionen, (para)staatliche For-schungsinstitute oder verwaltungsinterne Stellen (Scheidegger 2014, S. 94).

In der Schweiz sind vor allem Gleichstellungsbeauftragte (GBA) in

speziali-sierten Gleichstellungsstellen (Fachstellen) sowie beratende Kommissionen verbreitet. Seit 2010 existiert das Schweizerische Kompetenzzentrum für Menschenrechte (SKMR), das einen Bereich Geschlechterpolitik führt und die Umsetzung internationaler Menschenrechtsverpflichtungen in der Schweiz unterstützt (Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann und Sektion für Chancengleichheit und Globale Gender- und Frauenfragen 2014, S. 75). Insgesamt sind die Fachstellen und ihre Koordina-tion, die Schweizerische Konferenz der Gleichstellungsbeauftragten, die wichtigsten staatlichen Akteurinnen in der Gleichstellungspolitik. Es gibt sie auf Bundesebene (Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann, EBG) und in 16 von 26 Kantonen. Sie werden in der Regel von außer-parlamentarischen Kommissionen unterstützt; in Kantonen ohne Fachstellen, aber mit Kommissionen (Glarus, Schwyz, Uri) können diese Kommissionen wichtige Sensibilisierungsarbeit leisten.

Als erste Gleichstellungsinstitution der Schweiz setzte der Bundesrat 1976 die Eidgenössische Kommission für Frauenfragen EKF ein. Eine solche Einrichtung war vom 4. Schweizer Frauenkongress 1976 sowie von zwei nationalrätlichen Postulaten von 1968 gefordert worden (vgl. auch im Fol-genden Keller 2015). Sie blieb bis 1987 das einzige nationale Gremium zur Gleichstellung der Geschlechter. Als außerparlamentarische Kommission sind die Aufgaben der EKF, bei der Gesetzgebung mitzuwirken und Empfeh-lungen für frauen- bzw. gleichstellungspolitische Maßnahmen zu erarbeiten.

Recherche, Berichterstattung und Beteiligung an der Rechtsetzung (vor allem im Vernehmlassungsverfahren) bildeten gleich zu Beginn die Arbeitsschwer-punkte. Information, Sensibilisierung und Vernetzungsarbeit wurden im Laufe der Zeit immer wichtiger.154 Außerparlamentarische Kommissionen sind Teil eines korporatistischen Politikmodells. Folgerichtig nehmen vor allem Frauenverbände, Gewerkschaften, Berufsorganisationen und Arbeitge-berverbände daran teil, ferner auch Wissenschaftler*innen; feministische (Bewegungs-)Organisationen waren und sind nicht vertreten.155 In ihrem Leitbild von 1982 verstand die EKF Gleichstellung bereits modern als

einen grundlegenden Gesellschafts- und Wertewandel, der alle Lebensbereiche umfasst und beide Geschlechter mit einbezieht (…). In diesem Sinn gibt es keine Frauenfragen an sich, sondern nur solche, die die Gesellschaft als Ganzes etwas angehen. (zitiert nach Violi und Keller 2001, S. 7–8)

Die Kommission setzt durch zahlreiche Berichte zu Rechtsungleichheiten, Gewalt, Politik, Kinderbetreuung und Elternzeit, Ehe- oder Scheidungsrecht und vielem mehr (Liste bei Keller 2015) immer wieder Themen. Expertisen

154 Zum Mandat der EKF vgl. www.ekf.admin.ch/ekf/de/home/die-ekf/mandat.html (13.

August 2017).

155 Aktuelle Zusammensetzung siehe www.ekf.admin.ch/ekf/de/home/die-ekf/mitglieder.html (13. August 2017).

und Vernehmlassungen liefern Impulse für den politischen Entscheidungs-prozess. Seit den 1990er Jahren steht Vernetzungsarbeit auf dem Programm.

Dazu gehört z. B. auch ein überparteiliches Treffen von knapp 150 Organisa-tionen, aus dem eine starke Kooperation für die letzte Abstimmung zur Mut-terschaftsversicherung 2004 hervorging. Seit 2000 hat sich die EKF verstärkt für die Nutzung und Verankerung internationalen Rechts in der nationalen Politik eingesetzt. Dies mündete 2012 beispielsweise in einen regelmäßig aktualisierten Leitfaden, wie die CEDAW vor Schweizer Gerichten genutzt werden kann. Sie war zudem an der Etablierung des Schweizerischen Kom-petenzzentrums für Menschenrechte beteiligt (Keller 2015, S. 16). Insgesamt ist die Eidgenössische Kommission für Frauenfragen eine wichtige Akteurin im Agenda-Setting, sie vernetzt und liefert Grundlagen-Informationen für gleichstellungspolitisches Handeln anderer Gruppen und Organisationen sowie für die wissenschaftliche Analyse.

Die erste Fachstelle wurde 1979 nach harter politischer Arbeit im neuge-gründeten Kanton Jura eröffnet, wo im Verfassungsrat ihre Verankerung in der Verfassung beschlossen worden war (für diesen Abschnitt v. a. Scheideg-ger 2008, 303-340, hier 305). Erst acht Jahre später folgte Ende 1987 die nächste Stelle im Kanton Genf. Bis 1995 eröffneten einige weitere Fachstel-len und zeigten somit, dass langfristige politische Arbeit Früchte tragen kann.

Auch das EBG wurde 1988 gegründet. In den Kantonen wurden in dieser Zeit 15 Fachstellen eröffnet, wobei zwischen dem entsprechenden parlamen-tarischen Vorstoß und der Eröffnung drei bis acht Jahre vergingen. In insge-samt 24 von 26 Kantonen156 sind politische Bestrebungen zur Einrichtung von Fachstellen nachweisbar, vor allem in den Parlamenten. Bis auf eine Ausnahme wurden sie von Parlamentarierinnen lanciert. Zwei Volksinitiati-ven, in Basel-Landschaft und Appenzell-Ausserrhoden, kamen nicht zur Abstimmung, sondern fungierten eher als Agenda-Setting-Instrument. Be-merkenswerterweise sind Kantonsregierungen selbst nie aktiv geworden, obwohl dies in ihrer Kompetenz gelegen hätte und sie diese in anderen Poli-tikbereichen auch wahrnehmen. Heute gibt es in 16 Kantonen, beim Bund und in fünf Städten (Zürich, Bern, Genf, Lausanne und Winterthur) Fachstel-len (Stand 2017 in der folgenden Tabelle, aktueller Stand vgl.

www.equality.ch). Alle lateinischsprachigen Kantone verfügen über Fachstel-len, die auch relativ früh eingerichtet wurden. Alle zehn Kantone ohne Fach-stellen157 liegen in der Deutschschweiz. In fünf von ihnen158 scheiterten par-lamentarische Vorstöße nach diversen Vorarbeiten schließlich in der parla-mentarischen Beratung (Scheidegger 2008, S. 306).

Wie lässt sich diese Entstehung der Fachstellen erklären? Christine Scheidegger hat in ihrer Analyse mit Hilfe von QCA (Qualitative

Compara-156 Außer Appenzell-Innerrhoden und Glarus.

157 AI, GL, OW, NW, SH, SO, SZ, TG, UR, ZG.

158 SH, SO, SZ, TG, UR.

tive Analysis) zeigen können, dass mehrere Bedingungen zusammentreffen mussten. Vor allem zwei Kombinationen von Bedingungen führten zur Ein-richtung von Fachstellen, nämlich a) eine substantielle Repräsentation von Gleichstellungsinteressen – gemessen als Machtverschiebung in den Regie-rungen zur Linken hin zusammen mit einem hohen kantonalen Ausgabevo-lumen oder b) ein hohes AusgabevoAusgabevo-lumen und eine progressive Geschlech-terordnung – gemessen als Gleichstellungsindex von Elisabeth Bühler (2001). Auch für die Nicht-Einrichtung von Fachstellen ist in der Mehrheit der Fälle eine typische Kombination von Bedingungen verantwortlich: Stabi-lität in der Regierungszusammensetzung bei schwacher Repräsentation von Frauen und linken Parteien, kombiniert mit einem kleinen kantonalen Ausga-bevolumen – dies gilt sogar bei einer progressiveren kantonalen Geschlech-terordnung (Scheidegger 2008, S. 80). Heute sind alle Kantone ohne Fach-stelle kleine Kantone mit einem relativ geringen Haushaltsvolumen.159

Gleichstellungsstellen scheinen nie gesichert, sondern ihre Existenz kommt immer wieder auf den politischen Prüfstand. Es lassen sich zwei Wel-len von Abschaffungsforderungen ausmachen (Überblick auch bei Seitz 2010, S. 2–5): Die erste Krise trat 1995 auf. Die Stellen im Jura, Zug, Neu-enburg, Bern, Wallis und in Zürich, also ein Drittel der Institutionen, erlebten eine schwere Krise, in der die Fachstelle in Neuenburg stark reduziert wurde und jene in Zug nach abgelaufener Befristung geschlossen wurde. In Zürich konnte eine substantielle Kürzung (mit möglicher Signalwirkung auf kleinere Kantone) verhindert werden. In einer zweiten Welle von etwa 2003 bis 2008 waren neun Kantone, also die Hälfte der Fachstellen, betroffen: Die erstarkte SVP hatte die Abschaffung in ihr nationales Parteiprogramm aufgenommen.

Im Aargau wurde die befristete Stelle geschlossen (auch die paritätische Leitung mit einem Mann und einer Frau änderte daran nichts) und später als Fachstelle für Familie und Gleichstellung mit einer Frau wiedereröffnet;

2016/17 wurde das Budget halbiert. In Bern wurden Teile des verwaltungsin-ternen Auftrags gestrichen, die Walliser Stelle musste als eine der ersten mit einem Doppelauftrag zurechtkommen, hier wurden Familienfragen angefügt.

In Zürich wurden wiederum Kürzung und Abschaffung verhindert. In Basel-Landschaft lehnten 2003 Regierung und Parlament Anträge auf Abschaffung der Fachstelle ab. Daraufhin reichte die SVP 2005 eine Volksinitiative ein.

Die Abstimmung überstand die Fachstelle 2008 mit 63% Nein-Stimmen bravourös. Nichtsdestotrotz reichte die SVP im März 2015 wieder eine Moti-on zur Abschaffung der Fachstelle ein, die im November des gleichen Jahres erneut scheiterte. In den Kantonen, in denen die Schließungsbestrebungen erfolgreich waren, hatte die Fachstelle nur befristet bestanden, und es hatte eine weitere politische Machtverschiebung in der Regierung gegeben; Schei-degger identifizierte diese Faktoren als notwendige Bedingungen für eine

159 Gemeint ist hier das Haushaltsvolumen in absoluten Zahlen, also sind auch reiche, aber kleine Kantone betroffen, z. B. der Kanton Zug.

Abschaffung. Fachstellen bestanden weiter, wenn sie unbefristet eingerichtet waren, es eine dauerhafte Frauenpräsenz in der Regierung gab und die Fach-stelle mit Rechtsgrundlagen ausgestattet war (Scheidegger 2008, S. 87–88).

Tabelle 24: Fachstellen für Gleichstellung in der Schweiz 2017

Fachstellen-Typ Bundes-, Kantons- oder Gemeinde-Ämter (Grün-dungsjahr in Klammern)

Verwaltungsstellen mit klassischem Mandat für die Gleichstellung von Frauen und Männern

Jura (1979), Genf (1987), städtische Verwaltung Zürich (1987, 2005 mit Stadt Zürich fusioniert), Eidgenössisches Büro EBG(1988), Basel-Landschaft, Stadt Lausanne (1989), Zürich, Bern, Stadt Zürich (1990), Waadt (1991), Tessin, Basel-Stadt (1992), Graubünden, Basel-Stadt Bern (1996), Basel-Stadt Genf (1998)

Verwaltungsstellen mit erweitertem Mandat (Familie, Jugend, Migration, häusliche Gewalt, Gesundheitsförderung)

Bundesverwaltung (ab 1991, dann Diversity), St.

Gallen (1989, 2007 fusioniert), städtische Verwaltung Winterthur (1989, 2012), Neuchâtel (1990), Wallis (1993, 2005 fusioniert), Fribourg (1994), Luzern (1995, 2007 fusioniert), Aargau (1995, 2005 fusio-niert und mehrmals redimensiofusio-niert),

Kantone ohne Verwaltungsstellen Appenzell-Innerrhoden, Glarus, Schaffhausen, Schwyz, Solothurn, Thurgau, Uri

Weder Verwaltungsstelle noch Kommission Zug, Nidwalden, Obwalden, Appenzell Innerrhoden, Schaffhausen, Thurgau

Aktuelle Gesamtlage 25 Mitglieder der Schweizer Konferenz der Gleich-stellungsbeauftragten SKG (www.equality.ch) 3 Bundesmitglieder (EBG, Eidg. Personalamt, Eidg.

Departement für auswärtige Angelegenheiten), 16 Kantone (9 Geschlechtergleichstellung, 7 erweitertes Mandat), 5 Städte, Fürstentum Liechtenstein 6 Kantone ohne staatliche Gleichstellungsstrukturen Quellen: (Scheidegger 2008), (Bannwart 2009), (Seitz 2010), (Derungs 2015) und eigene Zusammenstellung.

De facto gehören Abschaffungs- und Kürzungsforderungen heute zum Stan-dardrepertoire der Politik. Eine von mir interviewte amtsjüngere GBA

antizi-160 Die Sektion Chancengleichheit und globale Gender- und Frauenfragen beschäftigt sich mit betrieblicher Gleichstellung sowie der Unterstützung der schweizerischen Menschenrechts-politik. Begonnen hat die Politik in der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit mit einem langfristigen Strategieplan 1997, vgl. Fuchs 2016a und Fuchs 2016b, S. 201–206.

pierte solche Anträge gleichsam als courant normal und ermunterte ihre Mitarbeitenden, angesichts der unsicheren Budgetlage ein zweites berufliches Standbein aufzubauen und zu pflegen. Ein solcher Gegenwind ist Ausdruck politischer Auseinandersetzungen um gesellschaftliche Hegemonie und nicht nur mit rationalen, z. B. finanziellen Argumenten, eine bessere Vermittlung der Tätigkeit oder mit optimaler Anschlussfähigkeit an das Wissen der Politi-ker*innen zu lösen.

6.2.2 Rechtliche Grundlagen auf kantonaler, nationaler und