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Recht als attraktives und ambivalentes Steuerungsmedium

5 Berufliche Gleichstellungspolitik

5.4 Ausweg Rechtsmobilisierung für Lohngleichheit?

5.4.2 Recht als attraktives und ambivalentes Steuerungsmedium

Steue-rungsmedium attraktiv machen (vgl. Baer 2011, S. 103–107, Raiser 2013, S.

7 für das Recht als Produkt gesellschaftlicher Prozesse). Grundsätzlich wer-den via Recht Lebensbedingungen gestaltet, Ressourcen zugeteilt und der Umgang mit ihnen geregelt. Recht ist eine bevorzugte Regelungsinstanz von Politik und daher ist es auch relevant, wer Gesetze formuliert und verab-schiedet (vgl. Kapitel 4.7.1).

 Erstens organisiert Recht das Zusammenleben verbindlich und ga-rantiert dies in modernen Staaten durch das staatliche Gewaltmono-pol. Rechte zu haben ist unabdingbare Voraussetzung, um am politi-schen Entscheidungsprozess teilnehmen zu können. „Ein Recht zu haben, ist Ausdruck einer fundamentalen Form der Anerkennung.

Wer Rechte hat, zählt.“ (Holzleithner 2008, S. 256). Dem steht aber auch die Möglichkeit der Exklusion gegenüber – Recht kann aus-schließen und stigmatisieren.

 Zweitens formt und legitimiert Recht soziale Herrschaft, als Verfü-gungsgewalt über Menschen, Dinge und die Natur. Überdies ist Recht ein Versuch, Gesellschaften demokratisch zu organisieren;

Modernes gesetztes Recht braucht systematische Begründung, ver-bindliche Interpretation sowie Durchsetzung: hier kommt den Prin-zipien demokratischer Rechtsstaatlichkeit besonderes Gewicht zu (Habermas 1992).

 Drittens dient Recht zur Koordination sozialen Verhaltens, indem es klare Regeln vorgibt und so Komplexität reduziert. Es stellt Ver-trauen in das Handeln Fremder her. Recht hat auch eine Orientie-rungs- und Ordnungsfunktion, es „normalisiert“ in gewisser Weise, in dem es die Wirklichkeit prägt und das, was wir für normal halten:

Recht definiert im Kern immer, was rechtmäßig, also richtig, und was rechtswidrig, also falsch ist […] und auch, was normal und selbstverständlich und was anormal und erklä-rungs- oder gar rechtfertigungsbedürftig ist. (Baer 2004, S. 72).

 Viertens ist Recht das Mittel par excellence, um Konflikte zwischen Privaten, Organisationen oder Staaten gewaltfrei zu lösen (vgl. Rai-ser 2013, S. 292–328). Diese Funktion ist außerordentlich wichtig, denn menschliches Zusammenleben ist grundsätzlich und unaus-weichlich konflikthaft.

Ob und wie Recht ein positiver Bezugspunkt und ein geeignetes Mittel für sozialen Wandel ist, wird in der Recht-und-Gesellschafts-Forschung kontro-vers diskutiert (Albiston und Leachman 2015). Recht als zentrales Steue-rungsmedium gesellschaftlicher Verhältnisse ist Resultat konflikthafter ge-sellschaftlicher Aushandlungsprozesse und Ausdruck von Machtverhältnis-sen (Fuchs und Berghahn 2012, S. 11). Im Recht werden materielle und im-materielle Deutungskämpfe ausgetragen, wie die vorangegangenen Ausfüh-rungen zu Genese und Wandel des Gleichstellungsgesetzes gezeigt haben.

Das Recht und die Judikative unterscheiden sich zuerst einmal nicht grund-sätzlich von anderen gesellschaftlichen Arenen. Recht sollte daher nicht pri-mär unter dem Blickwinkel seiner vermeintlichen Unparteilichkeit gemessen werden, sondern als vermachtetes Verhältnis gesehen werden.135 Recht kann

135 Vorreiter dieser Überlegungen waren die critical legal studies, vgl. Baer 2011, S. 143–146.

emanzipatorisch oder unterdrückend und stigmatisierend sein. Worin besteht nun dieser fundamentale und unlösbare Doppelcharakter des Rechts?

 Das Recht ist individualistisch strukturiert, beansprucht aber gene-relle Geltung. Dadurch werden prinzipiell struktugene-relle Probleme in-dividualisiert. Mit Recht sind keine systematischen und strukturellen Veränderungen zu erreichen: „The master‘s tools will never dis-mantle the master‘s house“ (Lorde 1984).

 Recht war und ist häufig noch nur vermeintlich universell, sondern meinte historisch nur besitzende weiße Männer und schloss Frauen (und Nicht-Weiße wie Nicht-Besitzende) definitorisch und praktisch von diesen Rechten aus (Olsen 1990, Gerhard und et al. 1990, Schmidt 2011). Die Universalisierung des Rechts war ein langer und umstrittener Prozess.

 Modernes liberal-individualistisches Recht trennt die öffentliche und private Sphäre und deklariert, in die Privatsphäre nicht eingreifen zu wollen – daraus resultiert aber die fehlende Schutzwirkung des Rechts im Privaten z. B. vor Gewalt. Argumente, die gesetzlichen Antidiskriminierungsbestimmungen im Erwerbsleben einen Eingriff in die Privatautonomie sehen, basieren u. a. auf dieser Trennung.

 Der Zugang zum Recht ist für diejenigen, die es am meisten brau-chen, am schlechtesten; unterprivilegierte Gruppen wissen häufig nicht um ihre Rechte, haben wenig materielle und persönliche Res-sourcen, ihre Interessen sind schwächer organisiert, um den Rechts-weg zu beschreiten und haben auch weniger Chancen, Recht zu be-kommen (Haves and Have-Nots, One-Shotters and Repeat Players, vgl. Galanter 1974, Sandefur 2008, Marchiori 2016). Diese Tenden-zen zeigen sich auch in der Schweiz (vgl. Kälin und Locher 2015).

Ausgehend von diesen konzeptionellen Einwänden hat die feministische Rechtskritik auf hegemonial männliche Standards in Regelungsmaterien, juristischen Prozeduren und in der Rechtsprache hingewiesen (z. B. (Gerhard 1990, MacKinnon 2006). Sie hat Zugangsbarrieren von prozeduraler, infor-mationeller und finanzieller Art identifiziert (Gerhard 1990, S. 168–209, Gerhard 2007). Frauen treffen bei einer individuellen Klage auf andere Gele-genheitsmuster als Männer, und zwar im Hinblick auf Ressourcen, Unrecht-serfahrungen, subjektive Einstellungen zum Rechtsweg und schließlich dem unterschiedlichen Organisationsgrad der jeweiligen Interessen.136

136 Allerdings weisen auch viele andere Gruppen einen schlechten Zugang aus (Kocher 2009, S. 24–25). Aus einer feministischen Perspektive reicht die Aussicht auf förderliche Urteile nicht aus, sondern auch der Weg dorthin muss akzeptabel sein, d. h. ein strategischer Pro-zess soll die Klägerinnen empowern, Entfremdung und sekundäre Viktimisierung vermei-den.

 Schließlich implementieren sich Recht und Gerichtsurteile nicht von selbst, sondern es braucht den politischen Willen, ein Umsetzungs-programm und schließlich Street Level Bureaucrats, die diese Arbeit tun bzw. die Einhaltung von Gesetzen kontrollieren. Solche Imple-mentationsprozesse sind immer kontingent und bedürfen auch weite-ren politischen Drucks.137

 Aus politikwissenschaftlicher Sicht wirkt schließlich die Kritik vor einer steigenden „Justizialisierung der Politik“ schwer: Wenn politi-sches Mobilisierungspotenzial und Durchsetzungskraft fehlen, kann eine Anrufung der Gerichte die bestehenden Gestaltungs- und Hand-lungsmöglichkeiten auch erheblich einschränken (Wilde 2006), denn der Ausgang eines Gerichtsverfahrens ist per se unbestimmt, kann somit den Intentionen der Klagenden diametral entgegenstehen und somit politische Handlungsmöglichkeiten auf viele Jahre hin schlie-ßen. Dieses Vorgehen sei aber häufig eine nachträgliche Korrektur eines demokratischen Prozesses. Dabei blende der zwingend indivi-dualistische Rechtsdiskurs systematisch gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse aus (Wilde 2013, S. 25–26). Unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung wird die Ausweitung von Kom-petenzen von Gerichten mehrheitlich kritisch beurteilt, d. h. vor al-lem als Machtverlust der Legislative. Mit zunehmenden Kompeten-zen würden Gerichtshöfe klassisch demokratische Politik usurpieren (Brown 2012).

Auf der anderen Seite sind alle Kämpfe für die Gleichheit der Menschen auch immer Kämpfe ums Recht – auf Anerkennung, politische Teilhabe sowie auf Kodifizierung und Umsetzung von Rechten und Ansprüchen (für die Bundes-republik Deutschland statt vieler: Plett 2012). Die rechtliche Entwicklung im 20. Jahrhundert zeigt enorme Fortschritte für die Gleichstellung der Ge-schlechter (Baer und Berghahn 1996, Berghahn 2011). Dazu waren kontinu-ierliche Re-Interpretationen und Transformationen wesentlicher Elemente der Rechtsstaatlichkeit nötig, die patriarchale blinde Flecken beseitigt haben, was sich in Verfassungen, Gesetzen, Rechtsprechung und Verwaltungshandeln, im Selbstverständnis der Individuen und ihrem Umgang untereinander nie-dergeschlagen hat. Beispiele solcher Re-Interpretationen sind die Ausweitung des Wahlrechts, die Affirmation der Verfassung als oberste Rechtsquelle – etwa im Bundesgerichtsentscheid zum Frauenstimmrecht in Appenzell-Innerhoden, der ausdrückliche Einschluss von Diskriminierungsverboten und Rechtsgleichheit zwischen den Geschlechtern in (revidierten) Verfassungen sowie die Ausweitung des staatlichen Gewaltmonopols, das zunehmend als

137 Dies ist besonders für die USA, also für ein System mit Richterrecht analysiert worden (grundlegend Scheingold 1974, Rosenberg 1991, s. a. Baer 2011, S. 143–146 und Ro-gowski und Gawron 2002).

Verbot institutioneller Gewaltverhältnisse und physischer Zwangsmittel in der Privatsphäre interpretiert wurde (Schutz vor häuslicher Gewalt, Strafbar-keit der Vergewaltigung in der Ehe, vgl. Fuchs 2008d, S. 62–63). Recht ver-leiht Anerkennung, postuliert Gleichheit und hat befreienden Charakter. Die Geschichte der Frauenrechte in der Schweiz zeigt auch: es ist unmöglich,

„emanzipatorisches Recht nicht zu wollen“ (vgl. Brown 2000, S. 231).