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5 Vorgehensweise: Durchführung der Untersuchungen

5.3 Aufbau und Nutzung der Webseite für die online-Befragung

5.3.1 Projekt-Homepage: Entwicklung und Funktionen

Neben den genannten Überlegungen musste bedacht werden, dass die Befragung sowohl in Saudi-Arabien als auch in Deutschland eingesetzt werden sollte. Das bedeutete zum Beispiel, dass die Fragen so formuliert werden mussten, dass sie in beiden Übersetzungen zu vergleichbaren Antworten führen würden. Atteslander macht deutlich, dass in unterschiedlichen Umfeldern Fragen nicht unbedingt immer das gleiche bedeuten: „Validierung heißt Abklärung, 1. ob die Frage funktional einheitlich wirkt, 2. ob sie verbal adäquat wiedergibt, was intendiert wird, schließlich 3. ob in unterschiedlichen Kulturen deren Bedeutung äquivalent ist“ (Atteslander 2010, S. 342).

116 Konkret wurde sich hier für einen Fragebogen entschieden, der zunächst einige wenige soziodemographische Informationen abfragt. Im Elternfragebogen wird gefragt, ob die antwortende Person Mutter oder Vater ist. Sofern ein Kind mit ADHS in der Familie lebt, wird nach seinem Geschlecht, seinem Alter, der Schulform und den Schulleistungen gefragt. Hierbei handelt es sich um Ankreuzfragen mit jeweils einer Antwortmöglichkeit.

Der Fragebogen für Mitarbeitende der Schule richtet sich an Lehrer und Lehrerinnen, aber auch an Verwaltungspersonen und andere Mitarbeitende. Es wird gefragt, ob es mindestens ein Kind mit ADHS im Unterricht gibt. Es werden ein paar nähere Informationen zu diesem Kind erfragt: Alter, Junge/Mädchen, Schulform und Schulleistungen. Es folgen dann sowohl im Eltern- als auch im Lehrkräfte-Fragebogen drei Fragen, die zu schriftlichen Antworten auffordern: „Woran erkennen Sie, dass Ihr Kind von ADHS betroffen ist?“, „Wie schwer ist die Erkrankung?“ und „Welche Folgen haben sich gezeigt?“ Im weiteren Verlauf des Fragebogens folgt nun eine längere Abfolge von Aussagen oder Behauptungen, die jeweils per Ankreuzen mit „richtig“,

„falsch“ oder „weiß nicht“ beantwortet werden können. Hierbei handelt es sich um Wissens- und Einstellungsaussagen. Die Online-Version funktioniert so, dass direkt nach Absenden des ausgefüllten Fragebogens die Erläuterungen zu den Antworten erscheinen. Zu jeder der aufgestellten Behauptungen, die die Eltern oder Lehrer und Lehrerinnen mit „richtig“, „falsch“ oder „weiß nicht“ markiert haben, finden sich nun erklärende Hinweise. Außerdem ist bei jeder Erklärung angegeben, aus welcher Quelle sie stammt, so dass Interessierte dort weitere Informationen suchen können.

Mit der Erstellung der Homepage zum Befragungsprojekt (http://adhd.aikud.org/cms2/) wurde im Januar 2014 begonnen. Zunächst wurde überlegt, welcher technische Rahmen geeignet sei. Verschiedene Content Management Systeme wurden auf ihre Nützlichkeit für dieses Projekt überprüft. Typo3 schien zunächst eine gute Grundlage zu sein, da hier ohne tiefergehende IT-Kenntnisse Inhalte eingestellt und verwaltet werden können. Es zeigte sich jedoch, dass Typo3 ungeeignet für die Texte und Fragebögen auf Arabisch war. Inhalte auf Arabisch einzustellen, war schwierig und aufwändig.

Die Entscheidung fiel schließlich für das System Joomla. Dabei handelt es sich um ein Content Management System, das frei zugänglich ist und für das normalerweise keine Lizenzgebühren anfallen. Es ist ein Open-Source-Programm, das heißt es kann von jedem genutzt und weiterentwickelt werden. Die dahinter liegende Programmiersprache

117 ist PHP 5 und die Datenbankverwaltung läuft über MySQL. Das System Mambo kann als Vorgänger von Joomla gelten. Es wurde die Joomla-Version 2.5 verwendet. Joomla eignet sich nach Betreiberangaben gut für Projekte, Vereine oder kleine Unternehmen.

Es verfügt über ein umfangreiches integriertes Hilfs- und Anweisungssystem, das es auch Anfängern ermöglicht, eine Internetseite mit Inhalten zu füllen und zu verwalten.

Es sind keine Programmierkenntnisse dafür nötig. Für die Installation wird jedoch möglicherweise eine Fachkraft gebraucht (Joomla 2015). Für dieses Forschungsprojekt wurde tatsächlich so vorgegangen, dass ein Experte die Seite einrichtete und vorbereitete. Sie konnte dann im weiteren Verlauf vom Autor selbst bedient werden.

Die Seiten haben ein Back-End und ein Front-End. Vom Back-End her wird die Internetpräsenz verwaltet, es ist für Besucher der Seite nicht sichtbar (siehe Abbildung 5). Die Front-End-Seite ist vor allem der nach außen hin sichtbare Teil und in unserem Fall der Teil, über den Eltern und Lehrer an der Befragung teilnehmen können. Das Back-End beinhaltet einen Teil, mit dem Inhalte verwaltet und verändert werden können, auch wenn schon sehr viele Einträge eingestellt wurden. Es funktioniert ähnlich wie ein kleines Textverarbeitungsprogramm. Die Texte sehen schon beim Schreiben fast so aus wie später auf der öffentlich sichtbaren Homepage. Dies wird als WYSIWYG-System bezeichnet (also mit den Anfangsbuchstaben von „what you see is what you get“). Verschiedene Schriften, Schriftgrößen und Textgestaltungs-möglichkeiten stehen zur Verfügung, etwa für Titelzeilen, hervorgehobene Textteile, Auflistungen und anderes mehr. Auch können Bilder, Tabellen oder Links zu anderen Internetseiten eingebaut werden. Verschiedene Personen können an derselben Homepage arbeiten und gegebenenfalls unterschiedliche Berechtigungen zur Bearbeitung und zum Neueinstellen von Inhalten bekommen.

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Abbildung 5: Back-End-Ansicht der Projekt-Homepage

Joomla kann mit unterschiedlichen Sprachen genutzt werden und funktioniert auch gut mit arabischen Texten. Die Projektseite hat eine deutsche und eine arabische Abteilung. Wird die Seite von einem Computer in einem arabischsprachigen Land angeklickt, öffnet sie sich automatisch auf Arabisch. Von Deutschland aus öffnet sie sich auf Deutsch. Auf allen Seiten kann oben rechts über kleine Symbole (deutsche Flagge und Flagge der arabischen Liga) auf die jeweils andere Sprache gewechselt werden. Die Inhalte sind weitgehend gleich (siehe Abbildung 6).Die Seite konnte daher gut zuerst auf Arabisch erstellt werden, da dies die Muttersprache des Autors ist. Später übersetzte er sie selber ins Deutsche. Die deutsche Übersetzung wurde von mehreren Personen geprüft und korrigiert, die zweisprachig sind und sowohl im Deutschen als auch im Arabischen muttersprachliche Kenntnisse haben.

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Abbildung 6: Screenshot der Back-End-Version des Artikels über die Bedeutung und den Nutzen von Fragebögen, auf Arabisch

Verschiedene Hintergründe und Designs sind wählbar. Es wurde ein heller, blau getönter Untergrund ausgesucht. Es sind hinter dem Text bunte – rote, blaue, orangefarbene und grüne - Streifen und Pfeile zu sehen, um einerseits Sachlichkeit durch die klaren, kräftigen Farben, aber auch Bewegung und Schwung zu vermitteln.

Die Beschäftigung mit ADHS ist häufig belastend, so dass im Gegensatz dazu auf dieser Seite ein freundlicher, positiver Eindruck entstehen sollte. Fotos machen die Seite anschaulich: Ein Bild zeigt ein Kind, das sich die Haare rauft und den Eindruck macht, als ob es mit sich zu kämpfen hätte. Gleichzeitig strahlt es aber auch Mut und Energie aus. Es wurde ein Junge genommen mit dunkelblonden Haaren, der keiner bestimmten ethnischen Herkunft zuzuordnen ist (siehe Abbildung 7). Auf der arabischen Version der Seite war nur dieses eine Bild zu sehen.

Ein weiteres Bild, das auf der deutschen Internetseite zu sehen ist, zeigt eine Tafel, auf der mit bunter Kreide die Buchstaben ADHS stehen. Neben den Kreidestücken sind einige verschiedene Tabletten zu sehen. Das Bild erinnert daran, dass gerade die Schule vielen ADHS-Kindern Probleme macht, und an die Diskussion um medikamentöse Therapien. Die Bilder wurden käuflich erworben, so dass die Nutzung rechtlich möglich ist. Auf weitere Bilder wurde verzichtet, da im interkulturellen Zusammenhang die Gefahr bestehen kann, mit Bildern unbeabsichtigte Aussagen zu

120 machen, da die Nutzer der Seite Abbildungen anders interpretieren könnten als der Betreiber der Seite sie gemeint hat. Auch aus diesem Grund befindet sich auf den arabischsprachigen Seiten nur ein Bild.

Abbildung 7: Homepage, erste deutsche Ansicht

Die Seite ist von der Front-End-Ansicht wie folgt aufgebaut:

a) Es gibt vier Unterseiten: Home, Projekt, Fragebogen und mehr Informationen.

b) Die erste Seite (Home) beschreibt die Webseite und den sorgfältigen Umgang mit den erhobenen Daten.

c) Unter Projekt wird das Forschungsprojekt beschrieben.

d) Auf der Seite Fragebogen finden sich die Links zu den Eltern- und Lehrerfragebögen sowie zu den Critical Incidents (Ereignisse) und zu den Erläuterungen zu den Fra-gen.

e) Mehr Informationen beinhaltet den Kontakt zum Autor und die Möglichkeit, zu einem späteren Zeitpunkt ein Forum anzulegen.

Ein wichtiger Teil einer Joomla-Seite sind die eingestellten Artikel. Sie werden im Back-End in unterschiedlichen Kategorien und Unterkategorien angelegt und entsprechend sind sie auf der eigentlichen Internetseite später sichtbar. Im vorliegenden Fall findet der Nutzer zum Beispiel gleich auf der Eingangsseite einen Text, in dem beschrieben wird, welchen Zweck die Homepage hat, und an anderer Stelle eine Beschreibung,

121 wozu ein Fragebogen dient. An verschiedenen Stellen auf der Seite gibt es Einträge und Artikel über ADHS, die den Forschungshintergrund erläutern, medizinische Informationen geben oder andere Grundlagen vermitteln. Der Screenshot in Abbildung 8 zeigt einen Eintrag über Fragebögen von der Back-End-Seite.

Abbildung 8: Ansicht der Back-End-Seite zum Schreiben und Bearbeiten von Artikeln

Nachdem die Webseite mit all ihren Funktionen fertig war, wurde sie in den nächsten Wochen und Monaten, das heißt in der ersten Jahreshälfte 2014 getestet. Es sollte sichergestellt sein, dass sie auf allen Endgeräten fehlerfrei funktionierte. Dazu wurde sie ausprobiert von Laptops und anderen Computern, von Tablets und von Smartphones. Sowohl Apple-Produkte als auch alle anderen Hersteller und Betriebssysteme wurden sorgfältig getestet. Die Seite sollte von allen Geräten nutzbar sein, das heißt, alle Inhalte sollten abruf- und lesbar sein. Außerdem mussten die Fragebögen und die Critical Incidents von allen Geräten ausfüllbar sein. Auch die Erläuterungen sowie die Rückmeldemöglichkeit zu den Erläuterungen wurden dabei getestet, ebenso wie die beiden Sprachen. Die Funktionstests wurden in Deutschland und in Saudi-Arabien durchgeführt.

Fehler, die bei diesen Tests noch sichtbar wurden, wurden beseitigt. Mitte Juni 2014 war die Entwicklung der Projektseite dann abgeschlossen und es konnte nun mit der Befragung aller vier Gruppen begonnen werden.

122 5.3.2 Erläuterungen zu den Fragen

Wie bereits dargelegt, gibt es eine ganze Reihe von Erhebungen über das Wissen von Lehrkräften und auch von Eltern über ADHS. In der Regel beschränken sich diese darauf, das Wissen abzufragen und anschließend richtige und falsche Antworten auszuzählen. Als abschließendes Ergebnis wird häufig formuliert, dass es Wissensdefizite gäbe und dass diese Lücken geschlossen werden müssten. An dieser Stelle endet für die meisten wissenschaftlichen Arbeiten ihre Aufgabe. Die Wissenslücken sind zwar erkannt worden, aber sie bestehen weiter. Auch wenn zu Beginn der Arbeiten auf die Wichtigkeit einer guten Informationsbasis bei Lehrkräften und Eltern hingewiesen wurde, gibt es keine Hinweise, wie diese Informationen verbessert werden und wie der Zugang dazu erleichtert werden kann. Die hier vorliegende Arbeit erweitert daher ihren Blick und fragt nicht nur Wissensstände ab, um zum Schluss etwaige Defizite zu bemängeln. Stattdessen bietet sie den Umfrageteilnehmenden die Möglichkeit, gleichzeitig mit der Befragungsteilnahme auch etwas über ADHS zu erfahren.

Wichtig ist der Blick auf den arabischen Teil der Internetseite. Es war dem Autor ein Anliegen, zu helfen die Informationslage in arabischen Medien zu verbessern. Auf arabischen Internetseiten gibt es kaum seriöse Informationen über ADHS. Auch gibt es wenige Bücher zu diesem Thema. Arabischsprachige Eltern sind weitgehend sich selbst überlassen, wenn sie Informationen über ADHS brauchen. Die Webseite dieses Forschungsprojektes möchte dazu beitragen, hier eine Informationslücke zu schließen.

Die Seite soll nützliches, gut lesbares und verständliches aber dennoch wissenschaftlich fundiertes Material auf Arabisch bereitstellen.

Sowohl im Rahmen der online-Befragung als auch später mit Papier-Fragebögen erhielten die Befragten nach Ausfüllen des Fragebogens die Möglichkeit, sich Erläuterungen zu den Fragen anzusehen. Dies geschah bei der Befragung der Eltern und Lehrer in Deutschland und in Saudi-Arabien. Im online-Fragebogen wurden zu jeder Frage ausführliche Informationen hinterlegt. Wer eine Papierversion ausgefüllt hatte, bekam die Kommentare, nachdem der Fragebogen zurückgegeben wurde.

Anschließend bekamen diese Personen außerdem den Fragebogen zu den Erläuterungen. Der Umfang dieser Informationen betrug je Item zwischen einigen

123 Sätzen und 2-3 Seiten. Wer über das hier angegebene hinaus weitere Kenntnisse sucht oder sich vernetzen möchte, hat auch hierzu die Möglichkeit. Zu jeder Information wurde die Quelle angegeben und es waren Links zu finden, die auf weitere Internetseiten verwiesen, wo mehr erfahren werden konnte. Die Informationen waren einfach formuliert und gut verständlich geschrieben, damit auch Laien davon einen Nutzen haben. Diejenigen, die den Bogen als Papierversion ausfüllten, erhielten nach Rückgabe umfangreiche Informationen in Form eines Heftes. Im Rahmen eines Forschungsdesigns in den Sozialwissenschaften schien es wichtig, nicht nur Wissen abzufragen und sich die Mitarbeit der Eltern und Lehrer zunutze zu machen.

Stattdessen sollten auch vertrauenswürdige Informationen und Lernmöglichkeiten angeboten werden.

Dies gilt insbesondere für den arabischen Teil der Website und der Papierfragebögen.

In Saudi-Arabien, aber auch in der arabischen Welt allgemein ist die Informationslage zu ADHS sehr gering. In Kapitel 4 wurde hierauf bereits näher eingegangen: Dort werden die Zugangswege beschrieben, die Eltern und Lehrer haben, wenn sie sich über ADHS informieren wollen. Es gibt nur sehr wenige arabischsprachige Informationen im Internet. Wenn überhaupt Informationen auf Seiten aus arabischen Ländern vorhanden sind, so sind diese häufig auf Englisch. Viele Eltern und auch Lehrer in arabischen Ländern verstehen natürlich nicht gut genug Englisch, um diese Seiten nutzen zu können. Wenn in arabischen Ländern Texte im Internet auf Englisch veröffentlicht werden, sind diese eher für Fachleute geschrieben. Mit englischen Texten können arabische Forscher einer internationalen Öffentlichkeit ihre Kenntnisse präsentieren.

Durchschnittlich gebildete Personen, die etwas über ADHS wissen wollen, erreichen sie hiermit nicht. Daher war es bei der Entwicklung dieser Forschungsarbeit und der dazugehörigen Webseite wichtig, umfassende Informationen auf Arabisch bereit zu stellen. Die Eltern sollten sich in ihrem Wissensbedarf ernst genommen fühlen. Sie sollten von der Teilnahme an der Befragung profitieren und dabei etwas lernen können.

Es wird daher auch überlegt, die Homepage auch nach Beendigung des Forschungsvorhabens bestehen zu lassen, damit sie weiterhin eine Hilfe für betroffene Eltern und Lehrkräfte ist.

124 5.3.3 Critical Incidents

Eine zusätzliche Ebene entsteht in den Befragungen durch die Thematik der Critical Incidents. Hier zeigt sich am deutlichsten der qualitative Aspekt der Befragung.

Teilnehmende können relevante Ereignisse darstellen und ihre Erfahrungen im Bereich ADHS beschreiben. Sebihi (2007) erläutert die Entstehung von CI-Datenbanken im Internet. Auf ähnlichen Überlegungen basiert auch die hier durchgeführte Untersuchung: Datenbanken (oder Umfragen wie die hier verwendete), ermöglichen – wenn gewünscht – die Anonymität der Teilnehmenden, sind einfach zu bedienen und für eine Dokumentation schnell auszuwerten (Sebihi 2007, S. 38). Programme zur Erfassung von Critical Incidents werden besonders in der Medizin eingesetzt. Sie dienen dazu, Gefahrenquellen sichtbar zu machen. Dies geschieht, indem medizinisches Personal Fälle dokumentiert, in denen es (fast oder tatsächlich) zu Problemen gekommen ist. In Zukunft sollen dann solche Fehler oder Zwischenfälle vermieden werden.

Da CI-Datenbanken weder Qualität abbilden sollen noch zur Denunziation oder Bestrafung verwendet werden, sind sie auch in sozialwissenschaftlichen Zusammen-hängen gut nutzbar. Sebihi hat das mit seiner Arbeit zur interkulturellen Kommunikation unter Studierenden eindrucksvoll gezeigt (Sebihi 2007). CIs können ohne Bewertung und ohne die Fälle als „gut“ oder „schlecht“ einzuordnen, erfasst werden. Die Ereignisse lassen sich dokumentieren und nach bestimmten Vorgaben wissenschaftlich auswerten.

Soziales Verhalten kann beobachtet werden und zwar bei Ereignissen, die in bestimmter Hinsicht besonders sind und den handelnden Personen wichtig sind, wobei diese Wichtigkeit unterschiedliche, individuelle Gründe haben kann. Dadurch, dass die Ereignisse persönlich sind, können sie sehr konkret beschrieben werden und es sind keine abstrakten Begriffe und Verallgemeinerungen nötig. Diese sind auch nicht gewünscht.

Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive ist interessant, dass zwischenmenschliche Vorgänge anders als im direkten Kontakt reflektiert werden können. In Bezug auf eine Untersuchung an einer Schule hat sich das so ausgewirkt: „Die Studie ergab, dass die beteiligten Lehrer eher als bei einer direkten Konfrontation bereit waren, Handlungen ihrer Kollegen zu kritisieren. Gleichzeitig sorgte die Diskussion aus der Distanz dafür, dass sie weitaus weniger emotionsgeladen war als erwartet“ (Sebihi 2008, S. 43). Die

125 so erreichte Neutralität und Sachlichkeit der Kommunikation hilft, die beschriebenen Fälle ohne Schuldzuweisungen oder andere komplexe beziehungsbezogene Gefühle auszuwerten und zu verstehen. Die Fälle und ihre Auswertung können auch nicht beteiligten Personen und Institutionen zugänglich gemacht werden, die aus dem zusammengetragenen Wissen lernen können:

Da „Erfahrungen partiell anderen Individuen bzw. Kollektiven vermittelt werden können, ist es nicht erforderlich, dass jedes Individuum ursprüngliche Erfahrungen immer selbst durchlebt. Mit dieser Überlegung sollen Perspektiven entstehen, aus CIs durch Einzel(fall-)Erfahrungen verallgemeinerbare Gesichtspunkte für system-atisches Training und andere Vorbereitungsaktivitäten als Strategie der Problemver-meidung zu entwickeln“ (Sebihi 2007, S. 90).

Der Fragebogen zu Critical Incidents wurde auf Deutsch und auf Arabisch angefertigt.

Er wurde nur den arabischen Eltern in Deutschland vorgelegt. Die dahinter stehende Überlegung war, dass er nicht für den arabischen Teil der Arbeit benötigt wurde:

Innerhalb der arabischen Länder schien der Aspekt der kulturell bedingten besonderen Ereignisse nicht relevant. Hintergrund der Critical Incidents-Abfrage war das Forschungsinteresse, ob Einzelne Erfahrungen mit ADHS in Deutschland gemacht haben. Wichtig schienen besonders solche Erfahrungen, bei denen interkulturelle Aspekte eine Rolle spielten. Hierzu gehören zum Beispiel Erlebnisse arabischer Eltern im deutschen Gesundheitswesen oder Eindrücke arabischer Lehrkräfte in der Zusammenarbeit mit deutschen Pädagogen und Pädagoginnen oder anderen Fachkolleginnen und -kollegen.

Kapitel 6 wird näher darauf eingehen, wie hier die Rückläufe und die Teilnahmebereitschaft waren. Aus dem Antwortverhalten können – nicht nur anhand der konkreten Antworten, sondern auch aus zurückhaltender Teilnahme – Vermutungen über die Inhalte und auch über die Methode dieses Forschungsteils angestellt werden.

Diese wiederum können möglicherweise für die Entwicklung von Hypothesen genutzt werden. Welche das sein können, wird im sechsten Kapitel beschrieben.