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5 Vorgehensweise: Durchführung der Untersuchungen

5.2 Fragebogenentwicklung für die Interviews

5.2.2 Forschungsethik und Gütekriterien Sozialwissenschaftliche Befragungen

Bei der Entwicklung von Befragungsdesigns sind – wie in der Forschung generell üblich - ethische Vorgaben zu bedenken (Döring 2014, S. 561). Empirische Forschung betrifft häufig persönliche Informationen. Mit diesen ist sorgfältig umzugehen, das heißt Datenschutz und andere Persönlichkeitsrechte müssen berücksichtigt werden. Ganz allgemein muss das Forschungsteam das Wohlergehen der Befragten im Blick haben (Spector 2006, S. 46). In einem Fall wie hier, in dem es um psychische Befindlichkeiten geht, war dies wichtig und wurde immer beachtet. Auch war wichtig zu bedenken, dass es um Kinder ging. Sie wurden nicht direkt gefragt, sondern Erwachsene gaben Auskunft über sie. Das Forschungsdesign musste also auch die Wahrung der Privatsphäre der Kinder ermöglichen. Eltern berichteten über ihre innerfamiliäre Situation und Lehrkräfte über Situationen aus ihrem Berufsalltag. Beide Bereiche können sensibel sein und es kann den Befragten wichtig sein, dass keine der vermittelten Informationen in „falsche Hände“ gerät. Auch diese Sicherheit hat die Befragung geboten und sie ist für die weiteren Auswertungsvorgänge zu berücksichtigen.

Zu kultureller Sensibilität gehört es, dass die Befragten aus allen teilnehmenden Herkunftsbereichen vor ihrem kulturellen Hintergrund weitgehend das gleiche unter bestimmten – zum Beispiel medizinischen - Ausdrücken verstehen (Atteslander 2010, S. 351). Es müssen Missverständnisse vermieden werden, die durch die Formulierung von Fragen oder den Aufbau des Fragebogens entstehen können. Werden die Befragten die Fragen „richtig“ verstehen, das heißt so wie sie gemeint sind? Außerdem sollten die Befragten die Möglichkeit haben, genau das zu antworten was sie denken.

104 Wie kann es ermöglicht werden, dass die Befragten tatsächlich das sagen, was sie ehrlicherweise sagen wollen? (Atteslander 2010, S. 352).

In einer Befragungssituation müssen sich die Forschenden darüber im Klaren sein, dass ihre eigenen Hintergründe in die Fragen mit einfließen. Dies gilt besonders, wenn neue Fragebögen entwickelt werden oder neue Fragenkombinationen verwendet werden. Beides ist hier der Fall: Die Fragebögen wurden vor dem Hintergrund von KADDS entwickelt, aber dieser wurde nicht unverändert übernommen, sondern es wurden weitere und andere Fragen erarbeitet. Die Arbeit mit Critical Incidents steht ebenfalls unter dem Einfluss eigener Erfahrungen der Forschenden. Wichtig ist auch, unter welchen Rahmenbedingungen die Befragungen stattfinden: Fühlen sich die Interviewten wirklich frei in ihrer Entscheidung, an der Befragung teilzunehmen? Oder gibt es – wenn auch nur ihrer Meinung nach - irgendeine Form von Druck oder Erwartungshaltungen? Warum überhaupt beteiligen sich Personen, versprechen sie sich irgendeinen Gewinn? Spielt die Möglichkeit des Erkenntnisgewinns, die in diesem Forschungsdesign enthalten ist, eine Rolle für Eltern und Lehrkräfte? Sind die Beteiligten es gewohnt, an Befragungen teilzunehmen? Glauben sie möglicherweise, dass bestimmte Antworten sozial erwünscht sind? Fällt ihnen die Beantwortung der Fragen leicht oder schwer? Welche Bedeutung haben die interkulturellen Aspekte dieses Projektes für die Befragungssituation? Alle diese Fragen können nicht unbedingt im Rahmen einer solchen Forschung beantwortet werden. Aber sie müssen bei der Entstehung und Auswertung der Befragung zumindest indirekt berücksichtigt werden

In der Forschung wird davon gesprochen, dass wissenschaftliche Arbeiten valide und sicher sein müssen. Das heißt, die Untersuchungen müssen korrekt durchgeführt sein und auf ihre Ergebnisse müssen sich andere verlassen können. Aspekte dieser Validität sind Vertrauenswürdigkeit, Authentizität und Glaubwürdigkeit. Außerdem gehört es zu den Gütekriterien wissenschaftlichen Arbeitens, dass die Messbedingungen konstant bleiben (Mayring 2010, S. 116). Jeder Forschungsaufbau muss nachvollziehbar sein.

Es muss genau beschrieben werden, was wie untersucht wurde, so dass theoretisch die gleiche Arbeit noch einmal von anderen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen durchgeführt werden könnte und die gleichen Ergebnisse herauskämen. Dazu gibt es einige Verfahren, die diese wissenschaftliche Verlässlichkeit sicherstellen sollen, zum Beispiel:

105 - Parallel-Test

- Konsistenz-Test

- Anwendung von Außenkriterien

Bei einem Parallel-Test wird die gleiche Forschungsfrage an der gleichen Gruppe untersucht wird, aber mit einem anderen Instrument. Für einen Test der Konsistenz wird die Untersuchungsgruppe in zwei Hälften geteilt, beide Hälften werden untersucht und die Ergebnisse beider Gruppen müssten hinterher ähnlich sein. Als Außenkriterium können Untersuchungsergebnisse anderer, früherer Arbeiten mit den eigenen Ergebnissen verglichen werden (Mayring 2010, S. 116 f.). Diese Formen der

„Beweisführung“ sind jedoch kritisiert worden, weil sie bei komplizierten Forschungsdesigns nicht möglich sind oder keine brauchbaren Ergebnisse bringen.

Daher gibt es für die qualitative Forschung, die meistens komplex ist, andere Gütekriterien (Mayring 2010, S. 118). Dazu gehören:

- alle Interpretationen mit Argumenten begründen;

- immer aufgrund von Regeln arbeiten;

- das Verfahren dokumentieren.

Zur Dokumentation des Verfahrens gehört es, Protokolle und Datenbanken zu sichern und anderen zugänglich zu machen.

Internetbefragungen in den Sozialwissenschaften

Die sozialwissenschaftliche Forschung verwendet seit Mitte der 1990er Jahre Internet-Befragungen (Jakob/ Schoen/ Zerback, 2009, S. 18). Seitdem hat insgesamt die Zahl der Internet-Befragungen zugenommen, wie Jakob, Schoen und Zerback festgestellt haben: Sie sahen sich die Artikel in wissenschaftlichen Zeitschriften an und untersuchten, wie viele von ihnen per Internet durchgeführt worden waren. Für den Zeitraum von 1997 bis 2006 fanden sie 120 relevante Artikel, von denen die besonders viele in den Jahren 2003 (24 Artikel), 2005 (33) und 2006 (22) veröffentlicht wurden (Jakob/ Schoen/ Zerback, 2009, S. 19). Wichtig ist bei bestimmten Online-Befragungen, dass die zu befragenden Personen auch wirklich erreicht werden und dass sie Interesse haben, an der Befragung teilzunehmen. Es wurde erkannt, dass es schwierig ist, Online-Befragungen bei Personengruppen durchzuführen, die sehr gemischt, das heißt heterogen sind (Post 2009, S. 261). Sie sind schwer anzusprechen, weil es in diesen Gruppen viele verschiedene Interessen, Lebenslagen, Zeitressourcen usw. gibt.

Allerdings ist eine Online-Befragung gut geeignet für Personen, die einer sehr

106 speziellen Gruppe angehören und die alle einen gemeinsamen Interessenbereich haben, zum Beispiel eine bestimmte Gruppe von Wissenschaftlern (Post 2009, S. 262).

Eine solche Situation liegt hier grundsätzlich vor: die meisten Angesprochenen der Umfrage dieser Arbeit sind Betroffene, da sie Eltern von Kindern mit ADHS sind oder als Lehrkräfte mit ihnen in der Schule zu tun haben.

Die Beantwortung auch von Forschungsfragen ist stets ein sozialer Akt, der von Erwartungen oder vermeintlichen Erwartungen geprägt ist (Atteslander 2010, S. 109).

Daher gilt für jedes Interview, auch für eine Online-Befragung: „Mit dem Mittel der Befragung wird nicht soziales Verhalten insgesamt, sondern lediglich verbales Verhalten als Teilaspekt erfasst“ (Atteslander 2010, S. 109). Das Mittel der Befragung, die Sprache, die Art der Ansprache und vieles mehr beeinflussen den Verlauf. Dies gilt natürlich auch für ein Forschungsvorhaben, das mit einer Internetseite arbeitet. Zwar sitzen sich dabei nicht eine fragende und ein befragte Person gegenüber, die auf diese Weise schon eine soziale Situation bilden. Aber dennoch wissen die Homepage-Nutzer und –Nutzerinnen, dass die Seite von Menschen gestaltet wurde und möglicherweise haben sie einen vorgestellten Interviewpartner vor Augen, wenn sie die Fragen beantworten. Schon eine solche fiktive Person oder ein fiktives Team kann eine Auswirkung auf die Art der Beantwortung der Fragen haben.

Über Dinge hinaus, die in einer „klassischen“ Interviewsituationen wichtig sind, müssen bei der Online-Befragung noch viele weitere Dinge beachtet werden. Der Aufbau der Seite, die Aufmachung oder die Handhabbarkeit spielen ebenfalls eine Rolle für die Beantwortung. Noch vor Beginn der eigentlichen Befragung sind die Aspekte der Erreichbarkeit und Bekanntmachung wichtig. Zunächst ist keine Grundgesamtheit bekannt, das heißt die Forschenden wissen nicht, wer alles hätte teilnehmen können (Molitor 2004, S. 239). Sie haben kaum Kenntnis über die Personen, die gebeten wurden, an der Befragung teilzunehmen, es aber nicht getan haben. Sie können sie also auch nicht fragen, warum sie nicht teilgenommen haben. Daraus könnte man aber wichtige Informationen ziehen. Molitor spricht vom Problem der Selbstselektion (2004, S. 239). Diese entsteht unter anderem dadurch, dass Fragende und Befragte keinen persönlichen Kontakt haben. Das Forschungsteam wählt zwar eine Zielgruppe aus, aber diese ist dann doch eine große Gruppe Unbekannter. Zwar könnte man die Zugriffe zählen und mit den Rückläufen vergleichen. Doch man würde wenig über die

107 persönlichen Hintergründe der Befragten erfahren, besonders bei denjenigen, die nicht geantwortet haben (Molitor 2004, S. 239). Es sei davon auszugehen, dass „die zahlenmäßige Differenz zwischen Personen, die von der Umfrage wissen, an ihr aber nicht teilnehmen, als ca. doppelt so hoch einzuschätzen [ist] wie bei einem entsprechenden Papierfragebogen“ (Molitor 2004, S. 240).

Der Vorteil von Interviews, die über eine Internetseite geführt werden, liegt unter anderem darin, dass die eingegebenen Daten schnell ausgewertet werden können. Sie stehen nämlich direkt nach der Beantwortung als Datensatz zur Verfügung. Es muss keine Zeit für die Eingabe der Daten und für Plausibilisierungsprüfungen aufgewendet werden. Darüber hinaus vermindert sich auch die Fehlerquote dadurch, dass dieser Zwischenschritt der Datenübertragung aus einem Fragebogen in ein elektronisches Auswertungsprogramm entfällt (Pötschke 2009, S. 77). Zudem können Verknüpfungen vorgesehen werden, indem zum Beispiel bei einer Ja-Antwort weitere Fragen aufgerufen und bei einer Nein-Antwort die nächsten Fragen automatisch übersprungen werden.