• Keine Ergebnisse gefunden

1.4 Arabische Kinder in Deutschland

1.5.1 Forschungsansatz und Generierung von Hypothesen

Atteslander schlägt folgende Definition für empirische Forschung vor: „Empirische Sozialforschung ist die systematische Erfassung und Deutung sozialer Erscheinungen“ (Atteslander 2010, S. 4). Eine Fragebogenerhebung ist daher empirisch.

Sie ist außerdem systematisch, wenn sie nach bestimmten Regeln erfolgt. Wichtig ist, dass die erhobenen Daten und die daraus gewonnenen Ergebnisse nachvollziehbar sind. Mithilfe eines Fragebogens können soziale Erscheinungen untersucht werden, also menschliches Verhalten, Kommunikationsformen, Meinungen, Werte und vieles

11 mehr (Atteslander 2010, S. 3 ff). Auch Erfahrungen mit Gesundheit und Krankheit sowie der Umgang damit im sozialen Umfeld gehören zu diesen sozialen Erscheinungen.

Die Forschung zu ADHS hat international bereits verschiedene Untersuchungsinstrumente hervorgebracht, besonders diverse Fragebögen. Die dort beschriebenen Erfahrungen hiermit sind in der Entwicklung des Forschungsdesigns dieser Arbeit berücksichtig worden. Sie werden daher zum Teil wieder aufgegriffen, indem die Fragebögen ähnliche Fragen enthalten (vgl. Sciutto/ Terjesen/ Bender Frank 2000, S. 115). Zum anderen Teil werden sie ergänzt durch weitere Fragen, durch neue methodische Ansätze und insbesondere durch einen kulturübergreifenden Blick. Das Forschungsdesign ist mehrschichtig angelegt. Diese Mehrschichtigkeit sieht wie folgt aus:

- Den Kern der Untersuchung bildet eine quantitative Umfrage einerseits unter Lehr-kräften und Eltern an normalen Schulen in Saudi-Arabien. Andererseits wurden arabische, in Deutschland lebende Eltern befragt sowie arabische Lehrkräfte, die in Deutschland an arabischen Schulen unterrichten.

- Zur Vorbereitung dieser quantitativen Untersuchung wurden Leitfadeninterviews geführt, die als qualitative Voruntersuchung zur Entwicklung der quantitativen Fra-gebögen beitrugen und die Wahl der Items mit beeinflussten.

- Ein weiterer qualitativer Teil befasst sich mit sogenannten Critical Incidents. Dabei handelt es sich um Erlebnisse, die Menschen im interkulturellen Kontext hatten.

Die Beteiligten haben diese Ereignisse als relevant erlebt, zum Beispiel weil sie exemplarisch oder ungewöhnlich oder weitreichend waren. In dieser Arbeit wurden Teilnehmende aufgefordert, über solche kritischen Ereignisse im Zusammenhang mit ADHS bei ihren Kindern zu berichten.

- In ihrer Gesamtheit hat diese Arbeit einen partizipativen Anspruch. Die Befragung sollte nicht nur Fragen stellen, sondern auch Antworten geben. Die quantitative Befragung besteht also nicht nur aus den Abfrage-Items, sondern sie bietet zu je-dem Item auch Erläuterungen. Die Teilnehmenden konnten so zuerst das jeweilige Item bewerten (zum Beispiel „ADHS ist die Folge von zu viel Fernsehen“: richtig

12 oder falsch?). Damit wurde ihr Kenntnisstand zu dieser (sachlich falschen) Aussa-ge abAussa-gefragt. Direkt nach dem Ankreuzen hatten sie die Möglichkeit, sich Informa-tionen zu dieser Frage durchzulesen. Diese kurzen, sachlichen Texte gab es auf Arabisch und auf Deutsch. Sie waren mit Quellen belegt, so dass es auch möglich war, sich noch darüber hinaus zu informieren.

- Auf einer weiteren Ebene hatten die Teilnehmenden schließlich außerdem die Möglichkeit, diese Erläuterungen zu bewerten. Es war ein Erkenntnisinteresse, zu erfahren, wie die Erläuterungen wahrgenommen wurden und für wie hilfreich sie gehalten wurden.

Ein Forschungsvorhaben kann entweder qualitativ oder quantitativ ausgerichtet sein.

Vermehrt finden sich auch Arbeiten, die beide Ansätze zusammen verwenden, im Englischen wird von „Mixed Methods Research“ gesprochen (vgl. Creswell 2015).

Welche der beiden Forschungsformen gewählt wird oder in welcher Art sie miteinander kombiniert werden, hängt vom Forschungsinteresse ab. Wenn die Forschung so aufgebaut ist, dass sie sowohl quantitative als auch qualitative Teile enthält, kann das mehrere Vorteile haben. Die Kombination von statistischen Werten mit persönlichen Berichten und individuellen Erfahrungen kann helfen, dass das Forschungsproblem besser verstanden wird, als wenn nur eine von beiden Forschungsrichtungen angewendet wird. Die Ergebnisse aus beiden Untersuchungsformen werden dazu miteinander in Bezug gesetzt (Creswell 2015, S. 2). Eine solche Kombination hat Vorteile gegenüber nur einer der beiden. Während quantitative, also

„zählende“ Forschung eine möglichst große Menge an Daten erhebt, um aus der Auswertung dieser Daten allgemeine Erkenntnisse zu ziehen, ist quantitative Forschung an den Erfahrungen Einzelner interessiert, will diese aber tiefgehend untersuchen. Eine kombinierte Form kann viele Personen zu immer den gleichen Themen, aber auf oberflächlicher Ebene befragen. Zusätzlich kann sie einzelne Personen darüber hinaus zu ihren individuellen Erlebnissen befragen. Aus diesen beiden Teil-Untersuchungen kann sich ein Eindruck ergeben, der wie auf einem dreidimensionalen Bild in die Breite und in die Tiefe geht.

Jedes wissenschaftliche Interview ist eine spezifische und soziale Situation (Atteslander 2010, S. 112). In der empirischen Forschung gelten daher einige grundlegende

13 Prinzipien, wie sich Forschende verhalten sollten. „Als individuelle Verhaltensstützen und Reflexionsaspekte lassen sich folgende Argumente anführen:

 individuelle Schädigungen durch die Forschung sind zu vermeiden;

 im Zweifel für die Forschungsbeteiligten;

 Offenheit für Menschen und Kulturen;

 Achtung der ‚Selbstbestimmungsrechte‘ anderer;

 Mögliche Folgen von Veröffentlichungen bedenken und mit dem Forschungsanlie-gen abwäForschungsanlie-gen;

 Ständige Selbstreflexion der Forscher über sich und ihre Forschungsabsichten“

(Atteslander 2010, S. 105)

Forschungsinteresse dieser Arbeit ist es, Kenntnisstände und Einstellungen von arabischen Lehrern und Lehrerinnen sowie Eltern in Deutschland und Saudi-Arabien zu erfragen. Ziel dieser Befragungen ist es, Hypothesen zu diesem Themenbereich zu entwickeln. Nach Flechsig handelt es sich daher bei einer hypothesenentwickelnden Forschung um einen ersten Ansatz einer Form der praxisprüfenden Forschung (vgl.

Flechsig 1975). Es soll nicht darum gehen, Hypothesen zu überprüfen, sondern diese zunächst zu erarbeiten. Qualitative Befragungen – alleine oder in Kombination mit quantitativen Methoden – eignen sich gut dazu, neue Themen zu bearbeiten. Wenn über bestimmte Probleme noch nicht viel oder noch gar nicht geforscht wurde, ist es sinnvoll, zuerst qualitativ zu forschen. Damit werden neue Gedanken gefunden und formuliert. Es wird nichts behauptet, was dann bewiesen oder widerlegt wird.

Stattdessen sollen Ideen gefunden, gesammelt und betrachtet werden. Diese können dann später zu Hypothesen werden.

Die Annäherung an mögliche Hintergründe der jeweiligen Wissensstände und Einstellungen erfolgt in dieser Arbeit fragend und suchend. Die Arbeit beruft sich nicht auf bestehende Theorien. Sie basiert auch nicht auf vorformulierten Hypothesen.

Stattdessen war die Fragebogen- und Forschungsentwicklung geprägt von der Suche nach solchen Hinweisen, die im weiteren Verlauf zu Hypothesen führen könnten.

Hypothesen sollten durch das hier gewählte Vorgehen erst erzeugt und entwickelt, also generiert werden. Anstatt Aussagen über die Realität zu treffen und diese dann forschend zu bestätigen oder zu verneinen, wurde hier entschieden, möglichst unvoreingenommen zu fragen und zu suchen. Die hieraus möglicherweise

14 entstehenden Hypothesen können dann in weiteren Forschungsarbeiten aufgegriffen und wissenschaftlich betrachtet werden. Ziel dieser Arbeit ist es nicht, bestehende oder eigens dafür aufgestellte Hypothesen zu beweisen. In dieser Arbeit geht es insbesondere um die eigentliche Entwicklung plausibler Hypothesen.