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5 Vorgehensweise: Durchführung der Untersuchungen

5.1 Forschungs- und Hypothesenhintergründe

Die Forschungsarbeit will untersuchen, in welchen Situationen sich arabische Kinder mit ADHS in Deutschland befinden können, und die Umstände betrachten, die die Störung mit sich bringen kann. Sie will diese mit den Situationen in einem arabischen Land, nämlich Saudi-Arabien, zu vergleichen versuchen. Dies erfolgt über die Befragung von Eltern und Lehrern dieser Kinder. Daraus sollen zu folgenden Fragen nähere Kenntnisse gesammelt werden, die später in Hypothesenform präsentiert werden sollen:

- Was wissen Eltern und Lehrer über ADHS?

- Zu welchen Themen und Bereichen bestehen eher gute Informationen und korrek-tes Wissen? Hierüber können die Subskalen des KADDS Auskunft geben, die im weiteren Verlauf dieses Kapitels noch beschrieben werden.

- Welche Haltung haben Eltern und Lehrer gegenüber betroffenen Kindern?

96 - Welche Erkenntnisse können sich aus einem Vergleich der Befragten in den

bei-den Ländern ergeben?

- Wie erleben Lehrer und Eltern die Störung ADHS im interkulturellen und sozialen Kontext, in dem sie leben? Von welchen besonderen Ereignissen in diesem Zu-sammenhang berichten sie (Critical Incidents)?

- Lassen sich weitere Zusammenhänge ableiten, etwa aus dem Antwortverhalten der beiden Geschlechter im Vergleich, das heißt von Vätern und Müttern oder von Lehrerinnen und Lehrern?

- Welche Rückschlüsse lassen sich aus der Teilnahmebereitschaft der Befragten ziehen? Im weiteren Verlauf wird genauer darauf eingegangen, wie die Rückläu-fe waren. Der Blick darauf, welche Gruppen wie umfangreich mitgearbeitet ha-ben, kann zu Hypothesen über Wissen und Einstellungen führen. Auch kann er zu Hypothesen über die Brauchbarkeit der Befragungsmethode führen. Kulturelle Sensibilität beinhaltet auch die Überlegung, welche Forschungsmethoden jeweils angemessen sind. In Kapitel 6 wird genauer überlegt, ob die Wahl der Befragung richtig war oder ob es andere Wege für zukünftige Forschungsvorhaben geben kann.

Die Entwicklung der Hypothesen erfolgt in Kapitel 6, da dort die Ergebnisse und Befunde aus den Befragungen detailliert ausgewertet werden und erst daraus tatsächlich Hypothesen entwickelt werden können. Diese Hypothesen können unter anderem dazu dienen, Informationsmaterial zu erstellen, das den Eltern und Lehrern hilft, ihre Kenntnisse zu verbessern und ihre Haltungen zu überdenken. Diese Materialien könnten gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt selbst untersucht werden, etwa auf ihre Wirkung und ihren Nutzen hin.

Wie Kapitel 4 gezeigt hat, besteht bereits eine breite Forschungslage zu Einstellungen und Wissen von Lehrkräften und Eltern über ADHS. Die meisten dieser Untersuchungen behandeln die Kenntnisstände von Lehrern und Lehrerinnen.

Zusammengefasst gesagt sind viele Untersuchungsergebnisse ähnlich: Die Befragten wissen häufig mehr über Symptome und Diagnosen als über Therapien. Sie wissen insgesamt allerdings eher wenig über ADHS. Etwas besser sind die Kenntnisse bei denjenigen, die bereits Erfahrungen mit betroffenen Kindern gemacht haben und wenn sie formal über ADHS informiert oder weitergebildet sind. Viele der Untersuchungen

97 weisen darauf hin, dass Weiterbildung in diesem Themenbereich wichtig für die Erweiterung der Kenntnisse aber auch für die Einstellungen von Lehrern und Lehrerinnen gegenüber ADHS-Kindern ist. Damit enden diese Forschungen in der Regel.

In den meisten Untersuchungen gibt es wenig Erklärungen über die Gründe: Warum wissen Eltern und Lehrer so wenig, warum wissen die einen mehr als die anderen?

Welche weiteren Ursachen kann es geben für positive oder negative Einstellungen?

Haben Menschen etwas Bestimmtes erlebt, so dass sie gute oder schlechte Gefühle gegenüber ADHS-Kindern haben? Wie wird in ihrer Familie, ihren Schulen, überhaupt in ihrem Land über ADHS und andere psychische Krankheiten gesprochen? Es gibt also in der Forschung bisher kaum eine Überprüfung von Zusammenhängen, die zu mehr oder weniger Wissen und mehr oder weniger hilfreichen Einstellungen führen. Es werden keine weiteren Variablen in solchen Untersuchungen berücksichtigt. Diese könnten etwa sein: der kulturelle Hintergrund der Unterrichtenden, ihre ethnische Herkunft und (vielleicht damit verbunden) ihre religiösen Überzeugungen, ihre Welt- und Menschenbilder, ihre Werte, ihr Verständnis von Krankheit und Gesundheit, ihre Einstellung zu psychischen Erkrankungen. Diese Liste lässt sich beliebig fortführen.

Doch in der Forschung finden sich solche Aspekte kaum.

Während die genannten Studien vor allem Lehrkräfte betrachten, haben sich einige weitere Studien mit Eltern befasst (zum Beispiel Johnston und Orhan 2005 oder Bussing/ Schoenberg/ Perwien 1998). Bei Johnston und Orhan (2005) ging es nicht um elterliches Wissen, sondern um ihre Einstellungen. In den Interviews ging es nicht darum, einzelne Einstellungen abzufragen. Es wurde also nicht gefragt, ob jemand positive oder negative Einstellungen hat oder was jemand über ADHS-Kinder denkt.

Wichtig war den Forscherinnen der Einfluss, den Eltern auf den Verlauf der ADHS-Störung ihrer Kinder nehmen. Dabei spielt die Einstellung zu ADHS auch eine Rolle, aber sie ist nur der erste Teil des gesamten Bildes. Johnston und Orhan wollten zum Beispiel herausfinden, ob der Verlauf der Störung schlimmer wird durch die Art, wie Eltern über ADHS denken. Bussing, Schoenberg und Perwien hatten sich in ihrer etwas älteren Studie (1998) mit kulturellen Unterschieden in den USA zwischen weißen und afro-amerikanischen Eltern beschäftigt.

98 In ihrem internationalen Review der aktuellen Studien über Lehrende und Eltern listen Moldavsky und Sayal (2013) einige Studien auf, die sich mit Schulen befassen, und einige, die Eltern untersuchen. Bei den Elternstudien geht es vor allem um die Kooperation mit Kinderärzten, psychiatrischen Beratungsstellen und klinischem Personal. Auch gibt es Untersuchungen über die Kooperationen der Mediziner untereinander sowie um den Informationsbedarf von Eltern. Keine der von Moldavsky und Sayal gefundenen Studien betrachtet beide Gruppen oder vergleicht sie. Auch fragen diese Studien nicht nach Wissen und Einstellungen von Eltern. Nur eine Studie wurde gefunden, die sowohl Eltern als auch Lehrkräfte in den Blick nimmt: West et al.

(2005) untersuchten Einstellungen und Wissen bei Eltern und Lehrkräften und stellten auch Vergleiche an. Allerdings ist diese Studie mittlerweile bereits zehn Jahre alt und ihre Erkenntnisse sind angesichts der schnellen Veränderungen in diesem Themenfeld möglicherweise nicht mehr alle aktuell. Murray legte 2009 eine Dissertation zu diesem Bereich vor, die beide Gruppen untersucht und die eine bessere Zusammenarbeit sowie Fortbildungsprogramme fordert. Weitere Variablen wurden hier nicht aufgenommen.

Auch Lattouf legte 2009 eine Dissertation zu diesem Themenbereich vor. Dort geht es um ADHS bei arabischen Kindern in Berlin und es werden sowohl Eltern als auch Lehrkräfte befragt. Allerdings geht es vor allem um familiäre Hintergründe und familienbezogene Therapiemöglichkeiten, nicht jedoch um Kenntnisse und Einstellungen. Auch werden hier keine Vergleiche zwischen Eltern und Schule hergestellt.

Bisher liegt keine Untersuchung über Eltern in arabischen Ländern vor, die sich mit deren Einstellungen und Kenntnissen über das Aufmerksamkeits-Hyperaktivitätssyndrom befasst. Auch gibt es keine Forschungsarbeit über arabische Eltern in Deutschland – abgesehen von der Arbeit von Lattouf, die jedoch andere Inhalte hat als die Arbeit, die hier nun vorliegt. Auch ist bei Lattouf ein bestimmter regionaler Schwerpunkt gewählt worden, nämlich nur Berlin. Es wird nicht zwischen Gruppen unterschieden und verglichen, zum Beispiel zwischen arabischen Eltern in Deutschland und Eltern in arabischen Ländern. Nicht nur gibt es keine Forschung über ADHS in diesem Zusammenhang, sondern es fehlt auch an Untersuchungen in arabischen Communities über Lernstörungen oder psychische Störungen allgemein.

99 Die hier vorliegende Arbeit wurde daher so entwickelt, dass sie sich zumindest einigen der bisher fehlenden Aspekten nähert: Sie fragt zum einen nach Wissen und Kenntnissen von Eltern und Lehrkräften. Sie möchte zu beiden Gruppen Erkenntnisse sammeln und miteinander vergleichen. Sie hat außerdem einen interkulturellen Ansatz, da sie Personen vergleicht, von denen einige in Deutschland und andere in Saudi-Arabien leben. Zudem ergänzt sie die bestehende Forschungslage um einen geographischen Bereich, der bisher kaum beforscht wurde, nämlich um arabische Länder und hier ganz speziell Saudi-Arabien.