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2 Forschungsstand: Interkulturalität und Gesundheit in Deutschland

3.4 Verfügbare Grundlagen zum Kenntniserwerb

3.4.1 Internationale Befunde

In ihrer Befragung an Vorschulen in einer kleineren Stadt in den USA bekamen Stormont und Stebbins (2005) von 138 Lehrkräften unter anderem die Antworten, die Tabelle Nr. 4 wiedergibt. Die in dieser Tabelle auch genannten beiden Bildungsmög-lichkeiten, Artikel über ADHS gelesen zu haben und Kurse besucht zu haben, hat Schmiedeler als besonders relevant für den Umgang der Lehrkräfte mit ADHS-betroffenen Kindern erkannt (Schmiedeler 2013, S. 151). Bei der Betrachtung von wis-senschaftlichen Artikeln muss allerdings beachtet werden, dass diese unterschiedliche Ausrichtungen haben und von Menschen geschrieben wurden, die nicht alle die gleiche Meinung vertreten. Becker hat Artikel in pädagogischen Zeitschriften verglichen (2007).

Danach glaubt ein Teil der Autoren und Autorinnen an genetische Ursachen, ein ande-rer Teil sieht biologische und umweltbezogene Ursachen und ein dritter Teil glaubt, dass ADHS keine psychische Störung sei, sondern ein gesellschaftliches „Etikett“ (Be-cker 2007, S. 190). Daraus wird deutlich, dass die Einteilung in richtige und falsche In-formationen schwierig sein kann. De Area Leao Borges weist außerdem kritisch darauf hin, dass Medien und Journalismus erkannt hätten, dass viele Menschen an die Mei-nungen von Fachleuten glauben möchten und dass sie nutzbare Informationen suchen.

Das führe dazu, dass bestimmte Fachmeinungen und einfache Lösungen, wie zum Bei-spiel Medikamentengabe, in den Medien häufig zu finden sind. Sowohl Lehrkräfte als auch Eltern wünschten sich diese Inhalte in den Medien (de Area Leao Borges 2010, S.

8 f.).

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Woher haben Sie unterrichtsbezogene Kenntnisse über ADHS?

Ja Nein

Mit einer Ärztin/einem Arzt gesprochen 7 % 93 %

Ein Buch gelesen 34 % 66%

Einen Artikel in einer wissenschaftlichen Zeitschrift gelesen 61 % 39 % Einen Artikel in einem nicht-wissenschaftlichen Magazin gelesen 81 % 19 % An einem Kurs teilgenommen, in dem es unter anderem um ADHS ging 50 % 50 % An einem Kurs teilgenommen, in dem es nur um ADHS ging 6 % 94 %

Tabelle 4: Informationsquellen von Vorschullehrern und -lehrerinnen (Stormont/ Stebbins 2005, S. 57)

Internationale Studien haben gezeigt, dass Lehrkräfte in vielen Bereichen daran interessiert sind, sich über ADHS weiterzubilden (Moldavksy/ Sayal 2013, S. 4). In Kanada, dem Iran, Pakistan, den USA, Brasilien wurden entsprechende Bildungsprogramme ausgewertet. Alle Programme führten zu verbessertem Bildungsstand, aber es wurde nur in einem Fall untersucht, ob die Verbesserungen über lange Zeit bestehen würden (Moldavksy/ Sayal 2013, S. 4, Perold/ Louw/ Kleynhans 2010). Weitere Studien haben ergeben, dass Lehrkräfte mittlere bis gute Kenntnisse über ADHS im Allgemeinen haben, aber wenig über Behandlungsformen wissen (Murray 2009, S. 13).

Eltern bekommen Informationen, indem sie unter anderem die Mitarbeitenden in den Schulen befragen (Becker 2007, S. 187). Außerdem fragen sie Ärzte und Ärztinnen und informieren sich über soziale Netzwerke und Medien (Sciutto 2013, S. 2). Ob sie hierbei korrekte Informationen bekommen, ist unklar. Besonders das Internet kann auch eine Quelle von Fehlinformationen über Gesundheitsthemen sein (Sciutto 2013, S. 2).

Sciutto fand heraus, dass Eltern mit korrekten Informationen medikamentöse Behandlung oft befürworten. Eltern, die eher falsche Einstellungen zu ADHS haben, lehnen Stimulanzien (wie zum Beispiel Ritalin) eher ab. Sie glauben häufiger daran, dass die Ernährung der Kinder verändert werden müsse. Dabei spielt besonders die Frage des Zuckerkonsums eine Rolle (Sciutto 2013, S.4). Die Meinung, dass es den betroffenen Kindern helfen würde, weniger Zucker oder weniger Zusatzstoffe zu sich zu nehmen, hält sich hartnäckig (Perold/ Louw/ Kleynhans 2010, S. 469). Wissenschaftlich wurde jedoch kein Zusammenhang zwischen Zucker und ADHS nachgewiesen (Gebhardt et al. 2008, S. 27).

66 3.4.2 Informationslage in Deutschland

Wird das Stichwort „ADHS“ bei Google eingegeben, gibt es 1.190.000 Ergebnisse nach einer Suchzeit von 0,41 Sekunden (Suche durchgeführt am 4. April 2015). Die Menge der Informationen, die zu bekommen ist, ist also sehr, sehr groß. Zwar sind die Google-Ergebnisse vom sonstigen Nutzungsverhalten der Suchenden abhängig. Doch lässt sich sagen, dass unter den ersten erscheinenden Seiten unter anderem Anzeigen von Privatschulen und privaten Bildungs- und Hilfsangeboten sind sowie Informationen kommerzieller Medienfirmen und privat abrechnender medizinischer Praxen. Die Inhalte sind weitgehend aktuell und die Seiten aktualisiert. Zudem dürfte bei vielen Suchenden Wikipedia erscheinen. Die Seite www.adhs-deutschland.de gehört einer Selbsthilfeorganisation, die zum größten Teil von den Krankenkassen, aber auch von Pharma-Unternehmen finanziert wird. Hier haben Interessierte die Möglichkeit, über ein – aktuell gepflegtes – Forum an Austausch teilzunehmen. Als am ehesten

„offizielle“ Seite erscheint www.adhs.info. Die Seite wird vom Bundesgesundheits-ministerium gefördert.

Wer direkt auf der Internetseite des Bundesgesundheitsministeriums nach

„ADHS“ sucht, erhält 136 Suchergebnisse. Die meisten sind Pressemitteilungen oder Studien aus den letzten ca. sechs Jahren. Für Laien sind diese Informationen wenig hilfreich. Einer der Links führt jedoch auch zu einer weiteren Ministeriumsseite. In der Rubrik Kindergesundheit findet sich ein längerer Eintrag zu ADHS. Von hier kommen die Suchenden auch zur Seite www.adhs.info. Ratsuchende werden von hier zum einen zu www.zentrales-adhs-netz.de weitergeleitet. Das Impressum nennt dort Prof. Manfred Döpfner als Verantwortlichen, der auch einen großen Teil der relevanten Literatur zu ADHS in Deutschland veröffentlicht hat. Zum anderen gelangen Hilfesuchende von der Seite www.adhs.info zur Homepage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), www.bzga.de. Die BZgA ist nach eigenen Angaben eine „Fachbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit“ (BZgA 2015).

Die BZgA bietet insbesondere eine relativ leicht verständliche Broschüre mit Comic-ähnlichen Bildern. Sie hat den Titel adhs aufmerksamkeitsdefizit/ hyperakti-vitätsstörung… …was bedeutet das? und wendet sich zum Beispiel an Eltern. Sie bietet einen ersten Überblick über ADHS. Sie kann heruntergeladen oder in Papierform per Post bestellt werden. Neben vielen allgemeinen Informationen finden sich in der

67 Broschüre Telefonnummern und Internetadressen von verschiedenen Organisationen und medizinischen Verbänden. Damit kann diese Broschüre ein hilfreicher Einstieg in das Hilfesystem für viele Eltern und Betroffene sein. Es gibt sie allerdings nur auf Deutsch. Für Informationen in anderen Sprachen empfiehlt die BzgA die Internetseite www.adhs.info. Hier gibt es Hinweise auf Türkisch und Russisch, nicht jedoch auf Arabisch.

Weitere Informationen finden Eltern und Interessierte in Büchern. Auf dem Buchmarkt gibt es viele Ratgeber, die sich an Laien wenden. Das Medienverkaufsunternehmen Amazon bringt diverse Vorschläge, wenn auf der Seite www.amazon.de nach „ADHS Ratgeber“ gesucht wird. Viele der dort genannten Bücher sind jedoch keine leicht verständlichen Ratgeber, sondern wissenschaftlich orientierte Bücher. Werden diese weggelassen, so erscheinen die Bücher in Tabelle Nr.5 als die ersten fünf (Filterkriterium: „Erscheinungsdatum“, Suche durchgeführt am 5. April 2015). Die ersten drei davon sind von wissenschaftlich und mezinisch tätigen Personen verfasst worden und dürften weitgehend der gängigen Lehrmeinung über Ursachen und Therapien von ADHS entsprechen. Auffällig ist jedoch, dass alle eher den Fokus auf nicht-medikamentöse Behandlung und Selbsthilfe bei ADHS legen. Das Buch von Richard Saul hat einen etwas verschwörerischen Anstrich und Ruediger Dahlke ist als esoterischer Autor für diverse Gesundheitsthemen auf dem Ratgebermarkt aktiv.

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Die Autorin und der Autor möchten „die Eltern stärken, ihren Kindern zu vertrauen und ihnen die Chance zu geben, sich nach ihrem eigenen Entwicklungsplan Urprinzipien des Lebens und es gibt viele neue Wege, sie positiv umzumünzen – und sie eben nicht aus sozialen Zwängen zu unterdrücken. Statt in den inneren Kampf gegen uns selbst zu treten, müssen wir den Mut zur Veränderung aufbringen“ (www.randomhouse.de).

Tabelle 5: aktuelle nicht-wissenschaftliche Literatur zu ADHS (Internetseite Amazon und Verlagshomepages, eigene Zusammenstellung)

69 In einem Bereich zwischen Information und Behandlung sind Angebote für Eltern angesiedelt, in denen in Einzel- oder Gruppensitzungen das Leben mit den von ADHS betroffenen Kindern bearbeitet wird. Es gibt Elternberatung und Elterngruppen (Barkley 1987), Elterntrainings (Kienle/ Koerber/ Karch 2009), therapeutische Elterngruppen (Kienle/ Koerber/ Karch 2009) oder verhaltenstherapeutische Interventionen im häuslichen Bereich (Kienle/ Koerber/ Karch 2009, S. 17). Es nehmen hieran die Eltern selbst teil oder in manchen Angeboten auch die ganze Familie. Inhaltlich werden Tipps für den Alltag gegeben, Erziehungs- und Beziehungsthemen werden besprochen und in manchen Gruppen werden die Eltern angeleitet, „sich von den Wunschvorstellungen eines sogenannten Vorzeigekindes zu verabschieden und ihr ADHS-Kind innerlich anzunehmen“ (Kienle/ Koerber/ Karch 2009, S. 19).

Im Bereich der Selbsthilfe gibt es für Personen, die sich mit anderen Betroffenen vernetzen möchten, in Deutschland viele Möglichkeiten. Die schon genannte Internetseite www.adhs-deutschland.de wird zum Beispiel vom Selbsthilfeverein ADHS Deutschland e.V. betrieben. Der Verein gibt außerdem regelmäßig eine Zeitschrift mit dem Titel „neue Akzente“ heraus, die Informationen und Kontaktmöglichkeiten für Betroffene und Interessierte bietet. Darüber hinaus bestehen verschieden regionale Selbsthilfegruppen. Diese werden in der Regel öffentlich bzw. über Krankenkassenzuschüsse finanziert. Hinter einigen Anlaufstellen, die wie Selbsthilfestellen wirken, verbergen sich privatwirtschaftliche Praxen, was für viele Hilfesuchende nicht immer leicht zu durchschauen sein dürfte (zum Beispiel ADHS-Institut Berlin oder www.sozialtrainer.de/hilfe/adhs-selbsthilfegruppen).