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5. Kapitel Auf der Suche nach Restriktionen

5.1 Phonologie

Durch die Vielzahl lautlich unterschiedlicher Suffixe und die verschiedenen allo-morphen Varianten sind phonologische Restriktionen sehr unwahrscheinlich.

Phonologische Seltsamkeiten werden durch die "Interfixe" ausgeschlossen. Zu-nächst sollen lautliche Beschränkungen, die in der Literatur zu den modifizieren-den Suffixen diskutiert wermodifizieren-den, überprüft wermodifizieren-den.

5.1.1 Oxytona mit vokalischem Auslaut

Bezüglich der suffixalen Modifikation von Oxytona mit vokalischem Auslaut be-stehen in der Literatur drei Auffassungen:

1. Nach Schwarze (1995: 512) bestehen zwei Möglichkeiten. Entweder kann nicht modifiziert werden oder die nominale Basis wird um einen sprachge-schichtlich zugrunde liegenden Konsonanten erweitert. Als Beispiel nennt er das /d/ in cittadino von città (altitalienisch: cittade).

2. Bei Brunet (1991) ersetzt der Vokal des Suffixes normalerweise den Aus-lautvokal der Basis122, bei Oxytona mit Auslautvokal wird tendenziell der Auslautvokal beibehalten, wenn er nicht gleich dem Suffixanlaut ist. Bei-spiele: caffeuccio, reuzzo, reuccio, clichettone, paltoncino (Brunet 1991: 33).

121 In 3.1 wurden bereits Vergleiche zwischen Suffix und Adjektiv auf syntaktischer Ebene angestellt und klare Restriktionen für die Suffixe diesbezüglich festgestellt.

122 Es handelt sich streng genommen nicht um den Auslautvokal der Basis, sondern um die Flexionsendung.

3. Gemäß Bosco Coletsos (1997) sind Oxytona mit vokalischem Auslaut nicht modifizierbar. Sie nennt z.B. buffé, ragú, caucciù, tribù, gru (in Alb.123 findet sich jedoch gruetta).

Es geht also darum, ob und wie der Hiatus bei Modifikativa bei Basen wie caffè vermieden werden kann. In Alb. und LIP traten nur 10 suffixal modifizierte Bil-dungen auf, deren Basis auf betonten Vokal endet. Es handelt sich um baccalà, blu, caffè, città, gagà, gru, menabò, paltò, papà, re. Wie sich in Datenbank 3 zeigt, gibt es verschiedene Verfahren, bei Oxytona den Typ caffeuccio zu vermeiden. Der Typ caffeuccio tritt jedoch auf. Wir können also nur eine schwache Restriktion feststel-len, die durchbrochen werden kann. Es handelt sich jedenfalls nicht um eine Be-schränkung, die zur Blockierung der Derivation führt.Die folgenden Angaben sollen keinerlei Schlüsse über die Häufigkeit der verwendeten Verfahren im heu-tigen gesprochenen Italienischen darstellen, es sollen lediglich die möglichen Ver-fahren illustriert werden (hierbei ist es irrelevant, ob die Bildung in Alb. zu finden ist, bzw. eine scherzhafte Bildung wie z.B. menabotto ist). Zunächst möchte ich sämtliche vorkommende Formen anführen:

Auslautvokal Basis Modifizierte Form

à città cittadaccia, cittadella, cittadetta, cittadina LIP, cittadona, cittadone, cittaduccia, cittaduzza

à baccalà baccalaccione

à gagà gagarella, gagarello, gagarino, gagarone

à papà paparino, paparone, papino

è caffè caffeaccio, caffeino LIP, caffettino, caffeuccio, caffeuzzo

è re reino, reuccio

ò menabò menabotto LIP

ò paltò paltoncino

ù blu bluastro

ù gru gruetta

Im Folgenden sollen die verschiedenen Modifikationsmöglichkeiten, die im Kor-pus auftreten, dargestellt werden:

1. città/caffè (u.a. cittadona; caffettino): Hier wird ein Stamm gewählt, der auf dentalen Okklusiv endet. Bei città handelt es sich in der Tat um einen sprachgeschichtlich zugrunde liegenden Konsonanten (siehe oben). Bei caffè

123 Alb. = Alberti et al. (1991)

ist auffällig, dass es Derivate derselben erweiterten Basis gibt: caffeteria, caffettiera. Zudem fällt auf, dass bei caffè auch der vokalisch auslautende Stamm gewählt werden kann, bei città hingegen wird nur der Stamm auf -d gewählt.124

2. baccalà/menabò (baccalaccione; menabotto): Es wird der Auslautvokal der Basis durch den gleich lautenden Anlautvokal des Suffixes ersetzt.

3. gagà/papà (u.a. gagarino; paparone): Bei diesen zwei Basen wird (nach der hier vertretenen Sichtweise) der Auslautvokal der Basis durch den gleich lautenden Anlautvokal der erweiterten Form des Suffixes -arino ersetzt.

4. papà (papino): Der Auslautvokal der Basis wird durch den nicht gleich lau-tenden Anlautvokal des Suffixes ersetzt.

5. caffè/re/blu/gru (u.a. caffeuccio; reino; bluastro; gruetta): Hier bleibt der Aus-lautvokal erhalten und durch Anfügung des vokalisch anlautenden Suffixes entsteht ein Hiatus.

6. paltò (paltoncino): Es tritt ein [n] nach dem Auslautvokal der Basis und die erweiterte Form des Suffixes -cino auf. Diese Form des Suffixes steht normalerweise nach Basen, die auf -on auslauten.

Es treten 36 oxytone Formen mit betontem Auslautvokal in der Datenbank 1 für Adjektive auf, für die keine belegten, modifizierten Formen mit Suffix gefunden wurden. Außer den vereinzelten Formen sofà, zoo treten hierbei vor allem abge-leitete Nomina mit den Suffixen -ità/-tà wie attualità, libertà auf. Bei den letzten bei-den Auslautsequenzen muss nicht zwingend eine phonologische Restriktion vor-liegen, da es sich meist um so genannte Qualitätsnomina handelt und eine seman-tische oder morphologische Restriktion vorliegen kann (siehe 5.2.2). Bei den oxy-tonen Nomina, die keine weitere morphologische Struktur aufweisen, handelt es sich insgesamt gesehen um eine zahlenmäßig kleine Gruppe des italienischen Wortschatzes. Bei oberflächlicher Suche finden sich im DISC von Sabatini/Coletti (1997) etwa 340 solcher Nomina. Die Mehrheit der Nomina ist nicht italienischen Ursprungs. Die Frage nach ihrer Integriertheit ins italienische Lexikon scheint also angemessen.

5.1.2 Konsonantischer Auslaut

Normalerweise sind italienische Wörter aus Stamm und Endung aufgebaut, wo-bei die vokalische Endung Flexionsinformation gibt. Bei konsonantischem Aus-laut der Basis (was meist bei Lehnwörtern der Fall ist) fügt sich Aus-laut Brunet (1991) das Suffix direkt an. Bei einem ihrer Beispiele erfolgt die Längung des

124 Bei einem Restaurantbesuch in Pavia wurde auch die Form cafferino gehört (21.10.01).

konsonanten. Beispiele (nach Brunet 1991: 34): filmettino, jeepone, tailleurino, valzerino, slippino, slippini, slippucci. Bei diesen Wörtern entspricht die Basis dem syntaktischen Wort, da kein Flexionssuffix auftritt. Es wurden sämtliche in Daten-bank 1 'Adjektiv' auftretenden Formen mit konsonantischem Auslaut daraufhin untersucht, ob es Belege für suffixal modifizierte Formen mit demselben Basis-auslautkonsonanten gibt. In einem ersten Schritt wurden Belege für Basen ge-sucht, die ebenfalls konsonantisch auslauten. In einem zweiten Schritt wurden auch Belege für Basen gesucht, deren Stamm auf denselben Konsonanten en-det.125 Im LIP traten 26 Bezugsformen mit konsonantischem Auslaut auf. Bei fol-genden Auslautkonsonanten wurden erst im zweiten Schritt suffigierte Belege gefunden: [g], [ns], [S], [ts], [z]. Nur bei einem Konsonanten wurden überhaupt keine Belege gefunden. Es handelt sich um den Frikativ [Z]. Er tritt im Korpus bei dem Bezugswort ramage auf. Es handelt sich um einen dem Standarditalienischen fremden Laut, der hier nur als Teil einer Affrikate auftritt. Allerdings gibt es die-sen Laut im Toskanischen.

Insgesamt gesehen handelt es sich bei den konsonantisch Auslautenden um eine merkwürdige Klasse von Wörtern, die nicht flektieren (so wie die Oxytona) und meist Lehnwörter sind. Gibt es eine Tendenz, dass diese Wörter für die Suffigie-rung blockiert sind, so ist diese durchbrechbar. Es könnte diskutiert werden, ob es sich an dieser Stelle um eine morphologische oder eine phonologische Restriktion handelt. Das Suffix wird an das lexikalische Wort angefügt; phonologisch gesehen (ohne Endung) handelt es sich hierbei fast ausschließlich um konsonantisch aus-lautende Stämme. Auffällig ist, dass die modifizierenden Suffixe nicht zwischen nativen und fremden Basen unterscheiden, sondern bei beiden auftreten. Beste-hen vielleicht phonologische Kriterien in der Morphologie?

5.1.3 Velare Konsonanten - Beibehaltung der Velarität oder Palatalisierung Nach Brunet (1991: 35) kann bei velarem Auslautkonsonanten des Basisstamms die Velarität beibehalten werden oder es kann palatalisiert werden monaco – monacello/monachello. Nach eingehender Untersuchung der Formen auf [-ka, -ko, -ga, -go] in Alb. und dem LIP ist klar, dass in den meisten Fällen die Velarität bei-behalten wird. In folgenden Fällen treten Modifikativa mit palatalisiertem Konsonanten neben solchen mit velarem Konsonanten auf:

arcella (Alb.; < arca)

forcella, forcina, forcino (Alb.; < forca)

miccichino, miccino, micella (Alb.; < mica (=minuzzolo))

125 Es liegt bei dieser Vorgehensweise die Idee zugrunde, dass fast alle Stämme des Italieni-schen auf Konsonant enden und die Modifikation eigentlich den Stamm als Basis nimmt.

monacella (Alb.; < monaca) moscerino (LIP; < mosca) tonacella (Alb.; < tonaca)

tunicella (Alb.; < tunica); porcello, porcetto (Alb.; < porco).

Der einzige Fall, in dem nur Modifikativa mit palatalen Konsonanten belegt sind, ist sparagino, sparagione (Alb.; < asparago). Es zeigt sich klar, dass in den meisten Fällen die Velarität des Konsonanten beibehalten wird, was natürlich im Sinne der Stammidentität ist. Bei den Formen mit palatalem Konsonanten könnte es sich um Überbleibsel handeln, die noch aus einer Zeit stammen, in der die Palata-lisierung aktiv war. Die Belegzeiten nach Zingarelli für die fraglichen Formen (lei-der bestehen keine Angaben zu Erstbelegen für die Modifikativa) sind: arca 1296;

forca 13. Jh.; mica 12. Jh.; monaca 1279; mosca 1306; tonaca 1306; tunica 1308 ; porco 1262; asparago 15. Jh.

5.1.4 Vermeidung des Binnenreims

Unter Binnenreim wird verstanden, dass die Basis mit einer Sequenz endet, die der des Suffixes lautlich ähnelt. In der Literatur bestehen zwei Auffassungen be-züglich der Vermeidung des Binnenreims im Zusammenhang mit den modifizie-renden Suffixen.

1. Dardano (1978, 1988, 1991), Dardano/Trifone (1991) und auch Mutz (2000) sehen die Vermeidung des Binnenreims als phonetische Restriktion, wo-hingegen Schwarze (1995: 513) die Vermeidung des Binnenreims für syste-matisch hält. Ein Gegenbeispiel zur Vermeidung desselben wäre jedoch asinino (siehe Alb.). Laut Rainer (1990) ist der Binnenreim als Restriktion aufgrund der zahlreichen Gegenbeispiele in seinem Korpus nicht haltbar.

2. Manche Autoren wie Serianni (1988) sehen hierin nur eine Tendenz, keine Regel: vino, *vinino; collina, *collinina aber auch asinino, saltetto (Beispiele alle aus Serianni 1988: 549).

Die Vermeidung des Binnenreims ist ein euphonisches Prinzip, das verletzt wer-den kann. Es ist nicht Teil der Wortbildungssemantik, sondern steuert die Pro-duktion, d.h. es regelt sozusagen die Verteilung der Suffixe (nach dem Prinzip 'endet die Basis auf [ot…], so wähle ein anders lautendes Suffix'). Es handelt sich nicht um eine völlige Blockierung der Modifikation, da ja auch anders lautende Suffixe zum Ausdruck derselben Funktion zur Verfügung stehen. Mittels einer Kontrolle sämtlicher modifizierten Formen in Alb. wurden "Verstöße" gegen die

Vermeidung des Binnenreims ermittelt; im LIP trat kein Fall von Binnenreim auf:126

Suffix -accio: facciaccia (< faccia); mostacciaccio (< mostiaccio)

Suffix -ino: z.B. arginino (< argine); bambinino (< bambino); cucinina/cucinino (< cucina);

grandinina (< grandine; hierbei ist die Form mit Binnenreim die einzige Diminutivform);

immaginina (< immagine); lesinino (lesina; auch hier ist die Form mit Binnenreim die einzige Diminutivform); ominino (< omino); pellegrinino (< pellegrino); piccinino (< piccino); susinina (< susina); verginina (< vergine)

Suffix -one: z.B. bonone (< buono); ?madonnona/madonnone (< madonna).

Auch Verfahren der Vermeidung des Binnenreims wurden kontrolliert, wie etwa die Vermeidung durch Wahl einer erweiterten Variante des Suffixes, bei z.B.

pellicella (< pelle); colazionciona (< colazione); lezioncina (< lezione).

Kontrolliert wurden alle im LIP auftretenden Suffixe. Bei den Suffixen -accio, -ino und -one kann der Binnenreim lediglich als tendenziell vermieden betrachtet wer-den. Interessant sind die Fälle, in denen durch eine Variante des Suffixes der Bin-nenreim vermieden wird. Bei den Formen auf [-on-] wird das euphonische Prinzip noch verstärkt durch die fast automatische Wahl von –cino, -cione etc.

5.1.5 Phonologische Ähnlichkeiten

Rainer (1990) hält es für zu generell, dass Silbenzahl oder Vokalqualität der vor-letzten Silbe die Auswahl des Diminutivsuffixes beeinflussen (wie von Ettinger 1974 angenommen). Es bestehen seines Erachtens lediglich Tendenzen, dass ge-wisse Endsequenzen eine Rolle bei der Auswahl des Suffixes spielen. Rainer (1990) nimmt als Basis der Derivation das syntaktische Wort an, betrachtet aber nur stammfinale Konsonanten. Ich habe diese Idee weiter ausgeführt und überprüft, ob vielleicht die Lautsequenz am Ende der Basis eine suffixale Modifikation völlig ausschließen kann - also eine phonologische Restriktion. Allerdings habe ich diese Lautsequenz weiter gefasst als nur den Endkonsonanten. Ich ging davon aus, dass die Derivation auf dem Stamm basiert. Untersuchungskriterium war die Auslaut-sequenz des jeweiligen Basisworts als syntaktisches Wort. Es wurde untersucht, ob in Alb. und LIP jeweils eine bzw. mehrere Formen derselben Auslautsequenz vorliegen. Aufgrund der Untersuchung hinsichtlich phonologischer Ähnlichkeit lassen sich diesbezüglich keine Einschränkungen ausmachen.

126 Die Ergebnisse aus Alb. wurden von muttersprachlichen Informanten weitgehend akzeptiert.

Im nächsten Abschnitt wird nun die morphologische Ebene der Bezugsentitäten untersucht.