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Augmentative im Vergleich zu Diminutiven

1. Kapitel Morphologische Modifikation

1.5 Semantische vs. pragmatische Funktion der Modifikationssuffixe

1.5.2 Pragmatische Funktion der Modifikation

1.5.2.3 Augmentative im Vergleich zu Diminutiven

Rainer (1983) führt bei den intensivierenden Suffixen auch das Augmentativsuffix -one an, welches seiner Ansicht nach jedoch nur selten als Intensifikator von

[inflectional morphology] (with the glaring exception of plural variation in Arabic nouns [...]). But noun plural formation does not belong to prototypical IM." (Dressler 1989: 6) 46 Diminutive präferieren ikonischen Ausdruck über morphologische Regeln, die

Palatal-vokale oder Palatalisierung beinhalten, d.h. Vorverschiebung und/oder Hebung von Vo-kalen und Konsonanten. Dressler/Merlini Barbaresi (1994) liefern verschiedene Erklä-rungen für den Lautikonismus von [i]. Dieser Laut werde mit engem Vokaltrakt realisiert, was typischerweise zu schwächeren, kleineren, nicht bedrohlichen Wesen wie Kindern, Haustieren und kleinen Tieren gehöre. Es werden auch perzeptive Erklärungen gegeben, siehe Dressler/Merlini Barbaresi (1994: 93).

jektiven und Adverbien auftritt (wobei benone jedoch sehr geläufig ist). Bei Nomi-na habe -one eine intensiv qualifizierende Funktion und sei in dieser Verwendung sehr produktiv (siehe Rainer 1983: 61).

Dressler/Merlini Barbaresi (1992) halten eine Neudefinition des traditionellen Begriffs des Augmentativs aus verschiedenen Gründen für wichtig. Traditionell gelte das Augmentativ als Gegensatz zum Diminutiv (siehe Dardano 1978: 95ff.).

Diese Opposition könne auf quantitativem Wert beruhen. Im Bereich der Mor-phopragmatik stelle man diese Opposition jedoch nicht fest. Hierbei könnten Diminutiv und Augmentativ nämlich dieselben Effekte erzielen. Zunächst können sowohl Diminutiv als auch Augmentativ eine "affektive" Haltung von Seiten des Sprechers ausdrücken. Zudem könnten sowohl das Augmentativ als auch das Diminutiv zum Ausdruck von Ironie verwendet werden. Diese Ironie könne auch im Sinne der Bescheidenheit angewendet werden, z.B. Ecco il mio volum-one, um die Kleinheit des Buches bescheiden zu unterstreichen (siehe Dressler/Merlini Barbaresi 1992: 58). Analog zum Diminutivum sociale finden sie auch das Augmen-tativ mit modalisierenden Effekten. D. h. so wie man das Diminutiv verwende, um sich beim Interlokuteur beliebt zu machen, so benutze man das Augmentativ, um sich einer Bitte zu entziehen, vgl.:

A: Dammi un altro sors-ino del tuo caffè! B: Hai già preso un sors-one, mi p a r e (Dressler/Merlini Barbaresi 1992: 58)

Die hier verwendete Ablehnungsstrategie ist vergleichbar mit der Beschreibung von Berretta (1984: 430): B zweifelt die Ehrlichkeit von A im Gebrauch des Dimi-nutivs in Verbindung mit altro an, da dieser voraussetzt, dass A zuvor einen piccolo sorso erhalten hätte. B bestreitet, dass bei A eine solche Präsupposition vorliegt, und somit auch den rechtmäßigen Gebrauch des Diminutivs sorsino. Er vermeidet es, den morphopragmatischen Gebrauch zu erfassen (vgl. Dressler/Merlini Barbaresi 1989a: 243). Der Gebrauch des Augmentativs mit pragmatischen Effekten ist laut Dressler/Merlini Barbaresi (1992) ein weiteres Argument zur Ab-lehnung der These von Wierzbicka (1996), die den Gebrauch des Diminutivum puerile damit erklärt, dass Kinder im Allgemeinen mit Miniaturversionen der Dinge in Verbindung kommen. In Äußerungen wie z.B. Kind zu Erwachsenem: Il mio zi-one!; Erwachsener zu Kind: Il mio bimbo ha tanta fam-ona! sei der Gebrauch dieser Augmentative, wie für die Diminutive, durch die Gegenwart eines Kindes und die "affektive" Bewertung bedingt (siehe Dressler/Merlini Barbaresi 1994: 58).

Die Autoren untersuchen Augmentativgebrauch in denselben Sprechakten und Sprechsituationen wie den Diminutivgebrauch, da sie nicht denken, dass es bevorzugte Sprechakte oder Sprechsituationen für Augmentative gibt. Diese Hypothese sehen sie durch ihre Untersuchung bestätigt.

Eine Funktion der Augmentative in kindzentrierten Situationen ist nach Dressler/Merlini Barbaresi (1994) die spielerische Kontrastierung der Erwachse-nenwelt (augmentiert) mit der Kinderwelt (Miniaturwelt). Eine zweite Funktion in kindzentrierten Situationen sei die spielerische Übertreibung in der Rede von Erwachsenen zu Kindern. In kindzentrierten Situationen könne eine negative qualitative Bewertung des Augmentativs durch den spielerischen Charakter von Übertreibung gemildert werden. Dies geschehe ebenso in tierzentrierten Situatio-nen. Bei liebhaberzentrierten Situationen werde der Kontrast Erwachsener/Kind auf die Beziehung männlich/weiblich transponiert. In Verbindung mit anderen Sprechsituationen liegen nach Dressler/Merlini Barbaresi (1994) Gemeinsamkei-ten und Unterschiede zwischen Augmentativen und Diminutiven vor. Gemein-samkeit sehen sie z.B. beim Ausdruck von Freude und Vergnügen. Beide drück-ten Abschwächung aus, wenn sie trotzdem auftredrück-ten würden. Im Gegensatz zu Diminutiven sollen Augmentative bei Gefühlen wie Hass und Ärger nicht ausge-schlossen sein, da sie direkter negative Haltungen vermitteln können. Trotz der oft negativen qualitativen Bewertung könnten auch Augmentative Sympathie ausdrücken. Wie bei den Diminutiven begrenzten Intimität und Familiarität den Augmentativersatz durch das Simplex. Bei Augmentativen sei ein höherer Grad an Intimität erforderlich. Formalität in Sprechsituationen sei radikaler bei der Blockierung von Augmentativen als bei der von Diminutiven.

Bei Bitten werde durch Augmentative die illokutionäre Kraft47 verstärkt, aber weniger präzise als dies bei einer analytischen Paraphrase der Fall ist. Durch das Merkmal [fiktiv] bleibe immer noch Raum zur Interpretation, dass die Bitte nicht so wichtig ist. Der Gebrauch von Augmentativen in Bitten könne als negative Höflichkeitsstrategie interpretiert werden, indem der Sprecher eingesteht, dass seine Handlung gesichtsbedrohend für den Adressaten sein kann und er dies ab-mildert, indem er seine Bitte vordergründig als übertrieben charakterisiert. Eine Bitte mit Augmentativ-Verwendung stelle weniger Verpflichtung dar als ein Sim-plex. In Bitten seien Augmentative somit den Diminutiven ähnlich.

Ausführlich behandeln Dressler/Merlini Barbaresi (1994) Augmentative in Ein-schätzungen, in denen sie eine Verstärkung des propositionalen Inhalts oder ein Abschwächen der Präzision (der Negativität der Bewertung) anzeigen. Bei Beleidi-gungen sehen sie die augmentative Form milder als das Simplex an. Nur sozial Gleichgestellte oder Höhergestellte könnten durch Augmentative modifizierte Beleidigungen äußern, ebenso Komplimente. Die Verpflichtung des Adressaten in Einschätzungen werde abgeschwächt, wenn die Einschätzung absurd oder

47 "Applied in the theory of speech acts to the force that an expression of some specific form will have when it is uttered. E.g. a speaker might stop someone and say 'Please, can you help me?' By virtue of its form (interrogative preceded by please) this would have the illocutionary force of a request for assistance." (http://www.xrefer.com)

trieben scheint. Dressler/Merlini Barbaresi (1994: 464ff.) gehen des Weiteren auf Augmentative in weiteren Sprechakten ein wie u.a. Interjektionen, Entschuldi-gungen, Versprechen, Drohungen, Angeboten.

Die Funktion des "Overstatement" wird von Dressler/Merlini Barbaresi (1994) in verschiedene Typen unterteilt: Übertreibung, Prahlen, Bescheidenheit bei Selbst-erniedrigung. Ironie werde oft durch Übertreibung signalisiert. Dressler/Merlini Barbaresi (1992) merken an, dass die zur Morphopragmatik gehörigen morpho-logischen Regeln nur teilweise mit der Kategorie der Modifikativa übereinstim-men, denen Scalise (1984: 131ff.) einen eigenen Status außerhalb der Derivations-und der Flexionsregeln zuschreibt. Die Morphopragmatik bestätige also die Klas-sifikation von Scalise (1984) auf Inhaltsebene nicht.

Auch Augmentativsuffixe werden laut Dressler/Merlini Barbaresi (1994) auf den gesamten Sprechakt angewandt. Es gebe keine augmentativen Verben, kaum Ad-verbien, und es bestünden mehr lexikalische Restriktionen bei Adjektiven und Nomina als bei Diminutiven. Auf dieser pragmatischen Gleichheit basieren sie die Etablierung des Paradigmas der Modifikativa. Die Diminutive und Augmentative sind ihrer Auffassung nach innerhalb der Modifikativa durch den Mangel einer konstanten qualitativen Bewertung gekennzeichnet, ebenso durch ihre semanti-sche Polarität bei den quantitativen Dimensionen [groß] vs. [klein], was sie von den Pejorativen unterscheidet. Innerhalb dieser quantitativen Polarität sehen sie Diminutive und Augmentative als antonym an. Aber nicht alle pragmatischen Un-terschiede beruhten auf den Merkmalen [klein] bzw. [groß], da bei Augmentati-ven dieses Merkmal viel mehr Bedeutung habe als bei DiminutiAugmentati-ven. Deshalb wer-de bei Diminutiven ein rein pragmatisches Merkmal [nicht ernsthaft] mit wer-dem weniger bedeutenden semantischen Merkmal [klein] kombiniert, was bei Aug-mentativen so nicht möglich sei. Diese höhere Bedeutung sei verantwortlich da-für, dass stabilere qualitative Bewertungen oder Default-Bewertungen bei Aug-mentativen als bei Diminutiven bestünden.

Die Gefahr der Fehlinterpretation als antagonistisch oder negativ bewertet mache den Gebrauch der Augmentative risikoreicher als den der Diminutive. Als Präven-tivmaßnahme gebrauchten Sprecher Augmentative tendenziell vorsichtiger als Diminutive und restringierten sie strenger auf intime und spielerische Sprechsi-tuationen und Sprechakte. Eine wichtige pragmatische Qualifikation von Diminu-tiven sei ihre Adäquatheit für kindzentrierte u.ä. Sprechsituationen, was bei Aug-mentativen nicht der Fall sei. In früheren Sprachstufen kann dieser Unterschied laut Dressler/Merlini Barbaresi (1994) direkt von semantischen und pragmati-schen Unterschieden zwipragmati-schen Diminutiven und Augmentativen deriviert worden sein, aber im heutigen Italienisch scheinen diese Sprechaktbegrenzungen relativ autonom zu sein. Augmentative treten laut Dressler/Merlini Barbaresi (1994) im

Italienischen weitaus seltener auf als Diminutive. Dadurch seien sie markierter als Diminutive. Dies stehe im Gegensatz zur allgemein semantisch markierten Rela-tion von 'groß' und 'klein', 'positiv' und 'negativ'.

Bei Augmentativen kombiniere sich [fiktiv] mit [groß] und erzeuge somit ein Element der Übertreibung, welches grundlegend für die pragmatische Nutzung der Augmentative sei. Im Gegensatz zu Diminutiven bleibe das Merkmal [groß]

immer relevant: *il mio piccolo tesorone (siehe Dressler/Merlini Barbaresi 1994: 439).

Bei Augmentativen finden sie kein Gegenstück des pragmatischen Merkmals [nicht ernsthaft] der Diminutive. Da die Markiertheit zwischen Intensivierung und Abschwächung umgekehrt ist zur Markiertheit bei Augmentativ/Diminutiv, kann Intensivierung ihrer Auffassung nach nicht die Hauptbedeutung von Augmentati-ven sein. Wie alle Modifikativa trügen Augmentative jedoch das Merkmal [fiktiv], um einen Übergang von der realen in die imaginäre Welt anzuzeigen. Der Spre-cher suspendiere die Normen der realen Welt und lasse die Normen seiner Be-wertung nach oben "shiften". Die transparente Präsenz des Merkmals [groß] zeige an, dass diese Aufwärtsbewegung der Normen mit einer Aufwärtsbewegung in der realen Welt korrespondiert. Bei Diminutiven sei das Merkmal [klein] hingegen häufig opak. Trotz der Begrenzung durch das transparente Merkmal [groß] sei es immer noch Fiktivität, welche die Pragmatik der Augmentative charakterisiere.

Durch diese Fiktivität könnten Diminutive und Augmentative dieselbe Wirkung haben.

Dressler/Merlini Barbaresi (1994) erwähnen verschiedene textuelle Funktionen des Augmentativsuffixes -one. Literarische Genres, die Diminutivgebrauch favori-sieren, würden durch eine hohe Konzentration von Diminutiven charakterisiert.

Bei Augmentativen hingegen lägen persönliche Stile einzelner Autoren vor. Aug-mentative können vorzugsweise einem speziellen fiktiven Charakter eines litera-rischen Werkes zugeschrieben werden und somit zur Schaffung einer Isotopie für diesen Charakter beitragen (z.B. wird Prinz Salina in Lampedusas "Gattopardo"

1958 mit principone beschrieben; siehe Dressler/Merlini Barbaresi 1994: 481f.).

Im Folgenden sollen Beobachtungen zu den Kopfeigenschaften der modifi-zierenden Suffixe erfolgen.