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Kopfeigenschaften der Modifikationssuffixe

1. Kapitel Morphologische Modifikation

1.6 Kopfeigenschaften der Modifikationssuffixe

Dressler/Merlini Barbaresi (1994) und Merlini Barbaresi (2004a) führen zwei Kopfeigenschaften der Modifikationssuffixe an, die zumindest für Diminutive und Augmentative kennzeichnend sind: 1. Sie können die Flexionsklasse ändern (alle

Derivate gehören entweder der o- oder der a-Deklination an)48. Die Diminutiv-bildung ist also transparent bezüglich der Kategorie des Genus, aber nicht hin-sichtlich des morphologischen Ausdrucks: la mano - la manina49 (siehe Dressler/Merlini Barbaresi 1994: 95). 2. Viele Diminutive ändern das Genus.

1.6.1 Morphologische Modifikation und Genus des Nomens

Stefanini (1980) beschäftigt sich mit Genuswechsel; es geht ihm um modifizieren-de Funktion im Sinne von 'kleiner' vs. 'größer' durch Genuswechsel bei lexikali-schen Paaren, die formal und semantisch demselben Paradigma angehören. Der Genuswechsel betrifft laut Stefanini (1980: 46) auch die Modifikativa, die neue Elemente zum Paradigma hinzufügen. Von der einfachen Opposition wie bei tavolo -tavola, komme man zur komplexeren Beziehung von finestrone finestra -finestrino. Bei Augmentativen (oder Genuswechsel ohne modifizierendes Suffix mit augmentierendem Effekt) und Diminutiven (oder Genuswechsel ohne modi-fizierendes Suffix mit diminuierendem Effekt) könne der Genuswechsel von Feminin zu Maskulin erfolgen. Nur beim Diminutiv finde auch ein Genuswechsel von Maskulin zu Feminin statt (palazzo - palazzina) (vgl. Stefanini 1980: 47). Nach Stefanini tendiert der Mensch nicht nur dazu, seine eigene anatomische Struktur auf Objekte und die ihn umgebende Welt zu projizieren, sondern er assoziiert auch die Realität mit den Beziehungen, auf denen der Familienkern oder der Reproduktionszyklus der Tiere beruht. Diese Archetypen stellt er in zwei Ikonen dar.

In der ersten Ikone sieht Stefanini (1980) die ideale Nachbildung eines Paares: ein Mann auf der Höhe seiner physischen Kraft und eine jüngere, zierliche Frau. Er unterscheidet zwischen folgenden Ableitungsbeziehungen: 1.a. Maskulin von Feminin (maskulines Augmentativ) und 1.b. Feminin von Maskulin (feminines Diminutiv). Durch den Genuswechsel würden maskuline Attribute gelöscht (1.b.) oder verliehen (1.a.). In dieser Ikone sei Maskulin augmentativ und Feminin diminutiv. Dressler/Merlini Barbaresi (1994) erwähnen als "Klischee" bei Aug-mentativen das positiv bewertete Bild des großen, beschützenden Mannes mit Attributen der Stärke. Aus der ersten Ikone von Stefanini (1980) ergeben sich nun sprachliche Konsequenzen, die im Folgenden dargestellt werden sollen:

48 Lediglich das Suffix -one kann auch Derivate der e-Deklination bilden.

49 Lloret/Viaplana (1997) zeigen interessante Diminutivbildungen im Spanischen, bei Mas-kulina wie mapa, poeta die auch im Diminutiv auf -a auslauten mapita, poetita. Bei Feminina auf -o scheinen zwei Klassen zu bestehen, 1. soprano sopranito, modelo -modelito und 2. mano - man(ec)ita, radio - radiecita.

[A] capro capra

[A1] caprone capra

[A2] capro capretta

[A3] caprone capretta

Aus Stefanini (1980: 64)

Mit A, A1, A2, A3 bezeichnet Stefanini Modelle, die ein Wortpaar enthalten, wel-ches sich hinsichtlich Genus und (außer im Modell A) Präsenz eines modifizieren-den Suffixes (bzw. zwei bei A3) unterscheiden. Modifizierende Suffigierung trete nur in den Modellen A1, A2, A3 auf. Mit → bzw. ← wird die Ableitungsrichtung gekennzeichnet. Zwischen den einzelnen Feldern bestehe eine reziproke Distanz, die vermutlich als Größenunterschied aufzufassen ist. Die genaue Interpretation des Modells bleibt jedoch unklar.

Die zweite Ikone beruht laut Stefanini (1980) auf Feminin augmentativ und Mas-kulin diminutiv. Im Zentrum dieser Ikone stehe die "Mutter-Sohn-Relation". Es werde zwischen folgenden Ableitungsbeziehungen unterschieden: 2.a. "weibli-ches Zuchttier" von anderen Vertretern der Spezies (feminines Augmentativ) und 2.b. ein typischer Repräsentant der häuslichen Spezies (jung, nicht oder kaum geschlechtsreif) vom weiblichen Zuchttier (maskulines Diminutiv). Durch den Genuswechsel werden feminine Attribute (2.b.) gelöscht oder verliehen (2.a.).

[B] conigliola conigliolino

[B1] conigliola conigliolo

Aus Stefanini (1980: 69)

Stefanini (1980) nimmt ein "neutrales" Diminutiv an, da innerhalb dieser Ikone das Jungtier noch nicht geschlechtsreif sei und auch feminine Jungtiere mit mas-kulinem Derivat bezeichnet würden. Insgesamt werden genannt: feminines Aug-mentativ (immer ohne modifizierendes Suffix), feminines Diminutiv (ohne/mit modifizierendem Suffix), maskulines Augmentativ (ohne/mit modifizierendem Suffix) und "neutrales" Diminutiv (ohne/mit modifizierendem Suffix). Des Weite-ren gibt Stefanini (1980) zwei Paradigmen der metaphorischen Ausbreitung für die zwei Ikonen an (im Zentrum des ersten Paradigmas steht eine feminine Basis, im zweiten eine maskuline Basis):

(x) CASONE ← (casona)  CASA  (casina) → CASINO

(y)  (palazzone)  PALAZZO  (palazzino) → PALAZZINA Aus Stefanini (1980: 71)

Aufgrund der Zwischenposition des Femininum (klein bezüglich Mann, groß be-züglich Kinder) könne bei einer femininen Basis ein maskulines Augmentativ und ein maskulines Diminutiv auftreten. Das System (x) bestehe aus einer Kombina-tion der komplementären Modelle A und B (Ikonen). (y) hingegen sei defektiv.

Bei einer maskulinen Basis sei nur ein Diminutiv mit Genuswechsel möglich (A2), jedoch kein Augmentativ. Hier sei nur das Modell B1 verfügbar. Die maskulinen oder femininen Attribute sind nach Stefanini (1980) hauptsächlich Relationen der Größe. Das grammatische Femininum bringe eine Reihe femininer "Konnotatio-nen" mit sich, und zwar in physischer, psychologischer und kultureller Hinsicht.

Eine feminine Form, die einer maskulinen gegenüberstehe, könne also, allein oder mit Hilfe eines adäquaten Suffixes, ein Diminutiv oder ein Augmentativ bezeichnen, je nachdem, auf welche Ikone Bezug genommen werde.

1.6.1.1 Diminutivsuffixe und Genus des Nomens

Bezüglich des Genus der Derivate nimmt Schwarze (1988/1995) an, dass sie typi-scherweise das Genus der Basis übernehmen und somit der a- oder der o-Dekli-nation angehören. Er erwähnt Genuswechsel nur bei lexikalisierten Derivaten. Im Unterschied zu den deutschen Diminutivsuffixen -chen und -lein legen die italieni-schen Diminutivsuffixe das Genus des Derivats nicht fest. Andere Autoren haben bezüglich des Genus des Derivats eine von Schwarze abweichende Theorie.

Brunet (1991) unterscheidet bei -ino vier Fälle des Genuswechsels:

1. Eine feminine Basis hat ein feminines und ein maskulines Derivat. Das Mas-kulinum ist hierbei normalerweise das Kleinere und oft das Kosendere.

2. Das Suffix wählt Basen, die bereits zwei Genera besitzen. Es gibt dann ein maskulines und ein feminines Derivat, wobei die maskulinen Formen überwiegen.

3. Eine feminine Basis besitzt nur ein maskulines Derivat.

4. Wörter auf -o mit Plural -i und -a haben nur noch -i Plural (es gibt jedoch Ausnahmen).

Dressler/Merlini Barbaresi (1994) und Merlini Barbaresi (2004a) erwähnen, dass viele Diminutivsuffixe das Genus verändern. Fast immer verlaufe dies in Rich-tung von femininer Basis zu maskulinem Derivat. Als Gegenbeispiel erwähnen die Autoren jedoch selbst carro - carretta, sigaro - sigaretta (lexikalisiert) (siehe Dressler/Merlini Barbaresi 1994: 95). Viele, aber nicht alle dieser Derivate seien lexikalisiert. Sie vermuten hier eine Neutralisierung des Genus, da Genuswechsel bei Diminutiven nur in die Richtung des unmarkierten maskulinen Genus gehe, z.B. donnino, panciotto (siehe Dressler/Merlini Barbaresi 1994: 95f.; Stefanini 1980 vertritt hierbei eine andere Auffassung, siehe oben). Dressler/Merlini Barbaresi (1994: 95) nehmen an, dass bei Paaren wie faccina - faccino tendenziell faccino lexikalisiert werde. Maiden (1995) erwähnt eine Korrelation zwischen Genus und Größe bei maskulinen Diminutiven, die von femininen Basen abgeleitet sind,

zeigt dies allerdings nur durch Beispiele. Auch Napoli/Reynolds (1995: 156) er-wähnen, dass modifizierende Suffixe das Genus des Derivats verändern können.

1.6.1.2 Augmentativsuffixe und Genus des Nomens

Bezüglich des Genuswechsels bei dem Augmentativsuffix -one erwähnt Serianni (1988: 551) feminine Basen mit Genuswechsel, z.B. barca - barcone. Schwarze (1988/1995) führt an, dass bei männlicher Basis das Derivat ein maskulines No-men der e-Deklination ist. Bei weiblicher Basis könne entweder ein Maskulinum der e-Deklination oder ein Femininum der a-Deklination entstehen. Bei Derivaten mit Genuswechsel sieht Schwarze (1995: 516) eine deutliche "affektive" Bewer-tung, z.B. donnone. Brunet (1991) erwähnt, dass bei typisch femininer Basis ein Genuswechsel oft pejorative Wirkung hat. Bei nicht belebten Basen seien femini-nes und maskulifemini-nes Augmentativ meist gleich bedeutend, das maskuline Aug-mentativ trete jedoch häufiger auf. Das AugAug-mentativsuffix hat laut Dressler/Mer-lini Barbaresi (1994) mehr Kopfeigenschaften als die Diminutivsuffixe. Obwohl es die feminine Form -ona gebe, könne maskulin -one auch auf feminine Basen ange-wandt werden. Die maskuline Form sei meist negativer bewertet. Nicht immer liegt nach Merlini Barbaresi (2004a) bei Genuswechsel eine Lexikalisierung vor.50 Laut Dressler/Merlini Barbaresi (1994) erfolgt, wie bei Diminutiven, Genus-wechsel nur in Richtung Maskulin (vgl. Stefanini 1980), z.B. sind bei Dante alle Augmentative femininer Basen maskulin (siehe Baldelli 1978: 484). Auch laut Grandi (2001, 2003) überwiegt maskulines Genus bei den Augmentativen:

Una prima analisi dei dati rivela che il legame tra gli accrescitivi ed il maschile ha una rilevanza statistica notevole: in italiano, ad esempio, circa il 95 % degli accrescitivi ha i l genere maschile, anche se la base è femminile; la forma -o n a è di introduzione relativamente recente ed ha una diffusione davvero limitata. (Grandi 2001: 33)

Nach Grandi (2001) liegt dieser Zusammenhang zwischen Augmentativ und maskulinem Genus in der ursprünglichen Funktion vieler Augmentativsuffixe be-gründet: der Bildung von Nomina zur Bezeichnung von Menschen.

Questo legame non ha, dal punto di vista sincronico, alcuna trasparenza semantica, ma trova una probabile motivazione nel valore originario dei suffissi coinvolti: questi ultimi, come si è visto, venivano principalmente impiegati nella formazione di nomi animati umani. (Grandi 2001: 37)

Mutz (2000: 85) sieht den Zusammenhang zwischen Augmentativ -one und mas-kulinem Genus darin begründet, dass -one als Nominalsuffix im Lateinischen maskuline Derivate bildete.

50 In Merlini Barbaresi (2004a: 274) finden sich beispielsweise il monetone = la monetona und il tappone = la tappona.

Die Eigenschaft von -one, ebenfalls genustransparent zu sein, also das feminine Genus der Basis im Derivat nicht zu ändern, wäre dann als ein Analogiephänomen zu verstehen, d.h.

-one hat sich an das Verhalten der anderen Modifikationssuffixe im Paradigma angepaßt.

(Mutz 2000: 85)