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5. Kapitel Auf der Suche nach Restriktionen

5.2 Morphologie

5.2.1 Kategorienneutralität und das Problem der Restriktionen

Eine große Frage innerhalb der Literatur zu den modifizierenden Suffixen ist die der Kategorienneutralität, auch Unitary Base Hypothesis (UBH) genannt. Die UBH von Aronoff (1976) besagt, dass jede Wortbildungsregel auf Basen einer einzigen lexikalischen Kategorie angewendet wird - also auf Basen, die syntaktisch spezifiziert sind. Die meisten modifizierenden Suffixe akzeptieren jedoch Basen mehrerer lexikalischer Kategorien. Die modifizierenden Suffixe sind nach Scalise (1984, 1990 und 1995) transparent bezüglich syntaktischer Kategorie und bezüglich syntaktischer Merkmale. Sie gehorchen der Hypothese der einzigen Ba-sis also nicht. Grundlegend in diesem Teil meiner Arbeit ist die Annahme, dass die modifizierenden Suffixe aufgrund ihrer Transparenz bezüglich der Basiskategorie diese auch nicht verändern, die Kategorie der Basis und des Derivats also dieselbe sind.127

Bei den nach Grandi (1998) scheinbaren Gegenbeispielen zur Kategorienneutrali-tät (es handelt sich um deverbale Nomina) trete gemäß Dal (1997) eine Suffixlö-schung auf, bevor diminuiert werde. Fürs Italienische würde also folgende Ablei-tungsfolge gelten: frullareV > frullatoreN > frull-ø-N > frullinoN.128

Grandi (1998) argumentiert, dass Bildungen mit -tore/-trice nicht diminuiert wer-den können. Formen wie frullatorino, mitragliatricetta kennzeichnet er als ungram-matisch. Grandi überlegt, ob diese angebliche Restriktion auch für andere Suffixe gilt. Er hält dies für möglich bei den Suffixen -aio/-ista: ?gelataietto, ?macellaietto,

?paltonistino, ?carrieristino (die Fragezeichen geben Grandis Annahme wieder;

fascistone ist beispielsweise im LIP belegt). Grandis Annahmen möchte ich anhand der Belege in Alb. und dem LIP überprüfen. Anschließend sollen nicht belegte Formen aus dem Korpus bezüglich einer morphologischen Restriktion untersucht werden. Ich beginne mit Grandis (1998) Annahme, dass Bildungen mit -tore/-trice nicht suffixal modifiziert werden können.

In Datenbank 1 'Adjektiv' finden sich neun Bezugsnomina auf -tore sowie einmal mit -trice, die durch Adjektive modifiziert werden und für die keine Belege in Datenbank 3 gefunden wurden. In der Datenbank 3 als modifizierbar zu finden

127 Aus diesem Grund werden die vier deverbalen Fälle im Korpus LIP nicht zur reinen Modifikation gezählt.

128 Allerdings bleibt einzuwenden, dass ein frullino kein 'kleiner Mixer', sondern ein 'Quirl, Handrührgerät' ist.

sind jedoch zahlreiche deverbale Bildungen auf -tore (wie beispielsweise giocatorone Alb. und registratorino LIP) und auch ein Beleg für -trice (attricetta Alb.). Diese Behauptung Grandis sehe ich somit als widerlegt an. Mit Suffixlöschung kann eine Form wie frullino nicht erklärt werden.

5.2.2 Verfahren zur Bildung von Nomina

Die weitere Vorgehensweise bestand in der Untersuchung des morphologischen Aufbaus der Basis (Suffigierung, Präfigierung, Komposition, Konversion). Dem-entsprechend wurden ähnliche belegte Basen gesucht. Es wurden also morpholo-gisch transparente Bildungen untersucht. Zunächst wurden alle deverbalen Nomi-na im Korpus, die durch Adjektive modifiziert wurden, auf Belege mit modifi-zierenden Suffixen untersucht. Bei den durch Suffigierung gebildeten Nomina fin-den sich für alle Bildungstypen Belege mit modifizierenfin-den Suffixen, wie z.B.

sbattimentino, sfogliatina oder operazioncine. Auch bei den Formen auf -ione, bei denen synchron keine Derivationsbasis vorliegt, finden sich zahlreiche Belege.

Ebenso bei der Konversion vom Verb (auch Partizip Perfekt) zum Nomen finden sich keine Lücken. Bei dem morphologischen Typ der durch Suffix gebildeten de-nominalen Nomina (z.B. fascistoni) und bei dem der deadjektivischen Nomina (z.B.

incazzaturina) sind ebenfalls alle Typen belegt. Auch präfigierte Nomina sind belegt, z.B. (riassuntino).

Scalise (1995: 506f.) schließt Komposita als mögliche Basen für Modifikation aus:

?pescecanino, *capostazioncella usw. Lediglich bereits lexikalisierte Komposita könn-ten seiner Ansicht nach als Basis auftrekönn-ten (z.B. pomodorino). Eine Untersuchung von Datenbank 3 lässt jedoch 34 modifizierte Komposita finden, wie beispielswei-se asciugamanuccio, mezzoretta oder treppiedino. Es handelt sich durchgehend um motivierte Komposita. Die Erstbelege reichen vom 13. Jahrhundert bis 1958 (nach Zingarelli 1999). Komposita im Korpus mit Erstelement auto-, sotto- sowie Komposita bestehend aus Verbal- und Nominalstamm sind belegt. Lediglich für die Erstelemente inter-, mini- finden sich auf Anhieb keine Belege; bei Letzterem finden sich jedoch miniabitino, minicomputerini etc. mittels Google. Für gelehrte Bil-dungen (nach Schpak-Dolt 1992 terminologische Kombinatorik) finden sich Bele-ge, ebenso für Abkürzungen.

Im Folgenden sollen Verfahren angeführt werden, bei denen keine suffixal modi-fizierte Form gefunden wurde. Es handelt sich zunächst um deadjektivische Bil-dungen, die mit dem Derivationssuffix -ità, wie in attualità, responsabilità sowie der nicht mehr produktiven Variante -tà, wie in libertà, realtà, gebildet sind (Schwarze 1995: 539). In Datenbank 3 wurden keine diesbezüglichen Formen gefunden,

ebenso wurden kreierte Beispiele von Muttersprachlern eindeutig abgelehnt. Eine phonologische Restriktion liegt, wie bereits in 5.1.1 gesehen, nicht vor. Auch für Bildungen verschiedenartiger Basen mit dem Suffix -ismo wurden keine suffigier-ten Formen gefunden. Interessanterweise verbindet sich das Suffix -ismo sowie die modifizierenden Suffixe, mit Basen verschiedener lexikalischer Kategorien, wie mit Adjektiven, z.B. in totalitarismo, Nomina, z.B. in berlusconismo, oder Syntagmen wie z.B. in menefreghismo. Es scheint, als sei -ismo ein abschließendes Suffix, das kei-ne weitere Derivation zulässt. Dressler/Merlini Barbaresi (1994) erwähkei-nen weiter-hin, dass Adverbien auf -mente nicht diminuiert werden können und dass umge-kehrt aus Diminutivbildungen keine Adverbien auf -mente gebildet werden kön-nen. In der Tat liegen keine modifizierten Formen in der Datenbank 3 vor, die auf Adverbien auf -mente beruhen. Schwarze (1995: 603) nennt -mente auch als abschließendes Suffix, d.h. ein Derivationssuffix, das jede weitere Derivation aus-schließt. Ob aus modifizierten Bildungen wiederum Adverbien auf -mente gebildet werden können oder nicht, ist nicht Thema dieser Arbeit (in Datenbank 3 finden sich keine Belege hierfür). In allen drei Fällen ist die Annahme einer morpholo-gischen Restriktion plausibel.

Eine weitere mögliche Restriktion könnte die reine Infinitivnominalisierung dar-stellen. Im Korpus traten drei reine Infinitivnominalisierungen bei den Adjektiven auf: Es handelt sich um andare (= Handlung des Gehens), potere (= konkrete Mög-lichkeit, etwas zu tun) und avvenire (= das Kommende, Geschehende). In Daten-bank 3 finden sich verschiedentlich suffigierte Infinitivnominalisierungen, wie mangiare (ohne Beispiele in Alb.), essere (Bezug auf eine Person bzw. ein Wesen), piacere (nur im Sinne von Gefallen). Es treten keine Belege zu Infinitiven der -ire-Klasse auf. Aufgrund fehlender Beispiele bei den meisten modifiziert belegten In-finitiven in Funktion eines Nomens in Alb. wird nicht klar, ob auch reine Nomina-lisierungen modifizierbar sind. Die Vermutung ist, dass hier die in 5.3 untersuchte semantische Beschränkung auf zählbare Basen ins Spiel kommt, da reine Infinitiv-nominalisierungen keine zählbaren Entitäten bezeichnen. Eine rein morphologi-sche Beschränkung liegt jedenfalls nicht vor. Alle belegten Formen mit Beispiels-angaben in Alb. sind bereits umkategorisierte Nomina. Für Nominalisierungen ausgehend von anderen Wortarten wie Indefinitpronomina, Interjektionen und Adverbien (außer die mittels -mente gebildeten) scheinen keine Restriktionen zu bestehen.

5.2.3 Klassifikation nach Flexionsmerkmalen

Bisher wurden vor allem morphologisch komplexe Nomina untersucht. Für nicht abgeleitete Nomina wird nun untersucht, ob sich anhand von Flexionsmerkmalen

Restriktionen ergeben. Es werden nur die Flexionsklassen untersucht, die auch bei den Bezugsnomina der Adjektive auftraten.

Für maskuline Nomina, die im Singular das Person-Numerussuffix -o und Plural -i besitzen (tavolo - tavoli), lassen sich unzählige suffixal modifizierte Formen finden.

Dasselbe gilt für feminine Nomina, die im Singular das Person-Numerussuffix -a und im Plural -e haben (zona - zone). Auch für maskuline und feminine Nomina, die im Singular -e und im Plural -i haben (nome - nomi; fase - fasi), besteht eine große Belegsvielfalt. Selbst für maskuline Nomina, die im Singular -a als Person-Numerussuffix besitzen und im Plural -i, lassen sich Belege finden (dramma, sistema). Für feminine Nomina, die im Singular und Plural auf -à auslauten (qualità), findet sich nur ein Beleg für die Basisform città. Bei den maskulinen un-veränderlichen Nomina auf -à finden sich Belege für baccalà, gagà, papà. Auch für maskuline und feminine Nomina, die in Singular und Plural unveränderlich sind, lassen sich suffixal modifizierte Belege finden (bar, crisi). Durch Bezüge aus der letzten Klasse können auch mögliche Restriktionen auf Lehnwörter ausgeschlos-sen werden, die in dieser Klasse im Übrigen sehr zahlreich auftreten.

Insgesamt gesehen ist im Fall der Adverbien auf -mente, im Fall der Nomina auf -ità sowie im Fall der Nomina auf -ismo die Annahme einer morphologischen Be-schränkung plausibel. Im Folgenden möchte ich zur semantischen Ebene über-gehen.