• Keine Ergebnisse gefunden

Nachhaltigkeit im Kontext der Metaphysik, Unentscheidbarkeit und Dialogik

7 Umwelt und Nachhaltigkeit

7.1 Nachhaltigkeit im Kontext der Metaphysik, Unentscheidbarkeit und Dialogik

Aus Kap. 5 folgt, dass der freie Mensch sich prinzipiell nur gegenüber sich selbst verantworten kann und einem solchen Bewusstsein entsprechend, sich entschieden hat – sich lernend aus der „selbst verschuldeten Unmündigkeit“ zu befreien (Kant 1784, S. 481; Kap. 5.4). Dies wurde aus einer konkreten

Auseinandersetzung mit den Konzeptionen der trivialen und nichttrivialen Maschine von von Foerster (1993) abgeleitet (Kap. 5.3). Dabei wurde gezeigt, dass entscheidbare Fragen trivial sind, weil sie schon entschieden sind bzw. eine Antwort enthalten – und deshalb keiner Entscheidung bedürfen: Erst die

Unentscheidbarkeit in der Auseinandersetzung des Menschen mit dem Leben ermöglicht diesem

Wahlmöglichkeit und macht ihn frei (Kap. 5.3.4). Die Konzeption einer Idee von Nachhaltigkeit findet sich in diesem Sinn in der Begegnung mit dem Aspekt der Unentscheidbarkeit wieder: ein wiederfinden des „Ich“

des Menschen im Unbekannten, wie dies in einem Lernen auf der Ebene „Lernen III“ zu Tage tritt (Kap.

6.1.4, Kap. 6.1.5 und Kap. 6.1.6). In weiterer Folge bedeutet dies auch ein philosophisches Wiederfinden in der Disziplin der Metaphysik110, die (so wird gezeigt werden) „in“ einer Kybernetik zweiter Ordnung erlebbar und sichtbar wird. Darauf verweist von Foerster (2003) im Artikel "Ethics and Second-Order Cybernetics“, erschienen in „Understanding Understanding“ – dessen Grundzüge sollen in diesem Teilkapitel geschildert werden. Darin heißt es:

„We call ourselves metaphysicians […] anytime we decide upon in principle undecidable questions“ (Ebd., S. 291).

Der sich in diesem Zusammenhang als Metaphysiker bezeichnende von Foerster (2003, S. 294) stellt sich in weiterer Folge zwei bedeutende und prinzipiell unentscheidbare Fragen:

„»Am I apart from the universe?« Meaning whenever I look, I’m looking as if through a peephole upon an unfolding universe; or, »Am I part of the universe?« Meaning whenever I act, I’m changing myself and the universe as well.”

Dabei beschreibt die Wahl des epistemologischen Zugangs zur Realität vor allem eine persönliche Haltung, die als Präsumtion die Ökologie der Ideen des Menschen determiniert (siehe auch Kap. 3.4.2). Diese wird konkreter Ausgangspunkt zweier sich wesentlich unterscheidender Wirklichkeitskonstruktionen, woraus sich das jeweilig entsprechende Selbst- bzw. Welt- und Wissenschaftsbild des Menschen ableitet. Dies gilt Analog für dessen Ideen, Konzeptionen und „Möglichkeitswelten“111. „The point here is freedom; freedom of choice”, so von Foerster (2003, S. 291) und merkt an:

“I’m impressed by the fact that neither of them realizes that they have ever made that decision. Moreover, when challenged to justify their position, a conceptual framework is constructed which itself turns out to be the result of a decision upon an in principle undecidable question.”

Bewusst wird sich der Mensch jener metaphysikalischen Überlegungen sofern er sich bei seiner Wahl bzw.

Beobachtung in seinen Wahlmöglichkeiten beobachtet: es entsteht ein Beobachter zweiter Ordnung – eine Kybernetik der Kybernetik, die analog hierzu den Namen Kybernetik zweiter Ordnung trägt. Jener Begriff geht ebenso auf von Foerster (2003, S. 296) zurück, den er mit dem Erklärungsmodell der Magie wie folgt (be)greifbar macht:

110 aus dem lat. metaphysica; gr. metá „danach‚ hinter, jenseits“ und phýsis „Natur“; „natürliche Beschaffenheit“

111 Von Foerster (2003, S. 291) beschreibt in diesem Zusammenhang ein „Konsequenz-Weltbild” mit zwei

„Einwohnertypen“ – dem des Entdeckers (e. discoverer) und des Erfinders (e. inventor), die sich nachhaltig in einer gemeinsamen Welt wiederfinden können („the inhabitants of the world they discover, and the inhabitants of a world they invent”):

“The discoverers will most likely become astronomers, physicists and engineers; the inventors family therapists, poets, and biologists. And living together won’t be a problem either, as long as the discoverers discover inventors, and the inventors invent discoverers. Should difficulties develop, fortunately we have this full house of family therapists who may help to bring sanity to the human family.”

„It is left to the naive to believe that magic can be explained. Magic cannot be explained.

Magic can only be practiced, as you all well know. Reflecting on the magic of language is similar to reflecting upon a theory of the brain. As much as one needs a brain to reflect upon a theory of the brain, one needs the magic of language to reflect upon the magic of language. It is the magic of those notions that they need themselves to come into being. They are of second-order.”

Dieser schreibt weiter:

„In its appearance, the language I speak is my language. It makes me aware of myself. This is the root of consciousness. In its function, my language reaches out for the other. This is the root of conscience. And this is where Ethics invisibly manifests itself through dialogue” (Ebd., S.

297).

Die Sprache konstituiert das Bewusstsein des Menschen und vermag zudem dem Mensch bewusst machen, was ihn „ausmacht“. Um dies deutlich zu machen, zitiert von Foerster (2014, S. 325) folgende Textzeilen aus

„Das Problem des Menschen“ von Martin Buber (1982, S. 168-169):

„Betrachte den Menschen mit dem Menschen, und Du siehst jeweils die dynamische Zweiheit, die das Menschenwesen ist, zusammen: hier das Gebende und hier das Empfangende, hier die angreifende und hier die abwehrende Kraft, hier die Beschaffenheit des Nachforschens und hier des Erwiderns, und immer beides in einem, einander ergänzend im wechselseitigen Einsatz, miteinander den Menschen darzeigend. Jetzt kannst Du Dich zum einzelnen wenden und Du erkennst ihn als Menschen nach seiner Beziehungsmöglichkeit, du kannst Dich zur Gesamtheit wenden und Du erkennst sie als den Menschen nach seiner Beziehungsfülle. Wir mögen der Antwort, was der Mensch sei, näherkommen, wenn wir ihn als Wesen verstehen lernen, in dessen Dialogik, in dessen gegenseitig präsentem Zu-zweien-Sein sich die Begegnung des einen mit dem anderen jeweils verwirklicht und erkennt.”

Ethik wird auf diese Weise als Phänomen sichtbar, das nur durch ein Zusammensein – einer dynamischen Zweiheit entsteht, welche einen Daseinsraum für das Andere öffnet bzw. eröffnet hat: „Wenn immer wir von etwas sprechen, das mit Ethik zu tun hat, ist der andere beteiligt. Wenn ich allein im Urwald oder in der Wüste lebe, existiert das Problem der Ethik nicht. Es existiert erst dadurch, dass wir zusammen sind“, so von Foerster (2014, S. 24) und fügt dem hinzu:

„Erst durch unsere Zusammenheit, das Zusammensein entsteht die Frage: „Wie kann ich mich mit dem Anderen, sodass wir wirklich immer eins sind.“

Die Antwortfindung auf jene Frage findet durch Prozesse eines „Lernen I und II“ statt, welche sich durch

„Lernen null“ in den Formen der Welt im Tun verifizieren. Dem implizit, ist der Versuch, dem Anderen einen Daseinsraum zu öffnen – ein „Lernen III“, das das persönlich Unbewusste integriert bzw. das kollektiv Unbewusste durch die Transzendenz des „Ich“ in das „Selbst“ zum Ausdruck bringt (Kap. 6.3.7). Bedeutend wird in diesem Zusammenhang, die von Monika Bröcker in „Teil der Welt. Fraktale einer Ethik – oder Heinz von Foersters Tanz mit der Welt“ an von Foerster (2014, S. 24) gestellte Frage: „Und es stellt sich nie die Frage: »Wie verhalte ich mich mit mir selbst?«“. Von Foerster (2014, S. 24) Antwort darauf ist:

„Nein. Ich bin ja erst durch den Anderen. Wenn ich das akzeptiere, wird der Andere zum »Ich«.

Vielleicht ist das verständlich!?“

Ausgehend von einer metaphysischen Betrachtung – der Frage um die Möglichkeiten zum Erkenntnisgewinn des Menschen, findet sich von Foerster (2003, 2014) im Phänomen der prinzipiellen Unentscheidbarkeit und in der Dialogik wieder, die

· das für den Mensch vermeintlich Andere bzw. das Gegensätzliche in der Beobachtung erster Ordnung in einer Ganzheit erfahren

· und das Unentscheidbare in der Beobachtung zweiter Ordnung in einer „Klarheit“ erscheinen lässt. Dabei ermöglicht die Konzeption einer Kybernetik zweiter Ordnung für (den auf kybernetische Weise denkenden Mensch) die nachhaltige Begegnung mit den Formen der Welt in den Formen des Wissens: die Ausdifferenzierung der Ökologie der Ideen des „Ich“ durch „Lernen I und II“ (in einer Kybernetik erster Ordnung als Beobachter erster Ordnung) und die immanente Transzendenz des „Ich“ in das „Selbst“ durch ein „Lernen III“ (in einer Kybernetik zweiter Ordnung als Beobachter zweiter Ordnung).