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7 Umwelt und Nachhaltigkeit

7.3 Nachhaltigkeit: die Kunst, nicht-steuerbare Systeme zu steuern

Die Kybernetik zweiter Ordnung wird so als Konzept für eine unveränderliche und nachhaltige „Größe“

sichtbar, durch die sich der Mensch

· verändert,

· in bzw. durch Veränderungen der Formen der Welt und des Wissens,

· unverändert

wiederfindet: Verändert in den Beobachtungen, der Auseinandersetzungen bzw. den Begegnungen (erster Ordnung) in den Formen der Welt und des Wissens, jedoch unverändert als Beobachter (zweiter Ordnung)

· der Beobachtungen,

· der Auseinandersetzungen

· bzw. der Begegnungen

des Menschen in den Formen der Welt und des Wissens. Bildhaft stellt dies Wittgenstein (2013, S. 88) mit dem Gesichtsfeld des Auges dar (siehe Abbildung 14 in Kap. 6.2.2): Wo das Auge unveränderlich das veränderliche Gesichtsfeld wahrnimmt und erzeugt. Friczewski (2014) verweist in diesem Zusammenhang auf die in Kap. 7.1 diskutierte Metaphysik –, aus der sich die Wahl des epistemologischen Zugangs zur Realität und in weiterer Folge eine kybernetische Wirklichkeit des Menschen ableitet, in welcher dieser sich als Teil der Universums bzw. der Welt betrachtet:

Hinter der „Kybernetik zweiter Ordnung […] steht eine bestimmte Haltung oder auch

Grundentscheidung, nämlich die, dass wir menschliche Wesen – auch noch als reflektierende Beobachter – »immer schon« (d.h. unhintergehbar) Teil dessen sind oder in das eingewoben sind, was uns als »Welt« scheinbar objektiv gegenübertritt.“

Eine solche Betrachtung lässt den Mensch als Teil der Realität und Wirklichkeit – Teil der Welt –, die er immerwährend unvorhersehbar hervorbringt, erscheinen (siehe Kap. 3.4 und Kap. 5.3.4): wo die Kybernetik zweiter Ordnung als „Kunst“ des Systems Mensch sichtbar wird, „nicht-steuerbare Systeme zu steuern“

(Ebd.). Der Beobachter zweiter Ordnung erscheint dabei als unveränderter Steuermann der sich in Klarheit

und Liebe wiederfindet und dem Beobachter erster Ordnung einen Daseinsraum öffnet. Der Beobachter erster Ordnung ist in einem selbstähnlichen Sinn auch Steuermann, der verändert – und nicht steuerbar für den Beobachter zweiter Ordnung – durch seine Unterscheidungen und Entscheidungen, sich ständig differenzierend selbstähnlich in Ganzheit wiederfinden kann. Die Beobachter erster und zweiter Ordnung bedingen sich dabei in ihren jeweiligen Prozessen: der unveränderten Beobachtung (zweiter Ordnung) von Veränderungen (Beobachtungen, Auseinandersetzungen, Begegnungen) des kybernetischen Systems Mensch erster Ordnung. Tabelle 10 gibt hierzu einen Überblick.

Dies ist von besonderer Bedeutung, da sich ausgehend hiervon die „Qualität“ der Nachhaltigkeit zweiter Ordnung beschreiben lässt: indem sich der „Beobachter selbst, aus dem Verborgenen hervorholt“ und sich als Veränderung (des Lebens) beobachtet (Ebd.). Aus diesem Selbstverstehen zweiter Ordnung – einem „Ich“

zweiter Ordnung, das sich aus den sich verändernden Wahrnehmen und Selbstverstehen des „Ichs“ erster Ordnung konstituiert – leitet von Foerster (2003, S. 303) drei Imperative ab, aus welchen sich eine

Umfassende Konzeption von Nachhaltigkeit (bestehend aus einer Nachhaltigkeit erster und zweiter Ordnung) ableiten lässt:

· Der ethische Imperativ: „Act always so as to increase the number of choices.”

· Der ästhetische Imperativ: „If you desire to see, learn how to act.”

· Der therapeutische Imperativ: „If you want to be yourself, change!”

Entsprechend des ethischen Imperativs handelt der Mensch stets nichttrivial – findet sich so abseits eines ausschließlichen „Lernen null bis II“, in Lernen der Ebene „Lernen III“ wieder. Damit ermöglicht er sich bzw.

dem „Ich“ und dem „Anderen“, sich aus einer trivialen bzw. getrennten dualen dynamischen Zweiheit zu befreien und sich selbst in jeglicher Beziehungsmöglichkeit und Beziehungsfülle wiederzufinden (vgl. Buber.

1982, S. 168-169). Auf diese Weise entsteht Wahlmöglichkeit in den Formen der Welt und des Wissens bzw.

die Fähigkeit des Menschen, sich im „Selbst“ wiederzufinden und sich mit dem Phänomen der Unentscheidbarkeit adäquat auseinanderzusetzen.

Selbes gilt für den ästhetischen Imperativ, welcher aber vor allem das Integrieren des sich durch „Lernen III“

verändernden Selbstverständnisses durch Lernen auf den Ebenen „Lernen I und II“ beschreibt. Das Problem liegt dabei in der Selbsttäuschung, die der Mensch unterliegen kann (Bateson 1994, S. 388; Kap. 6.1.3) – was Maturana et al. (2012, S. 267-277) als den „Kern aller Schwierigkeiten“, welcher im „Verkennen des

Erkennens“, einem „Nicht-Wissen um das Wissen“ liegt, beschreiben:

„Die Identität zwischen Erkennen und Handel zu leugnen, nicht zu sehen, dass jedes Wissen ein Tun ist und das alles menschliche Tun sich im In-der-Sprache-Sein abspielt und damit ein soziales Geschehen ist, hat ethische Implikationen. Denn hier geht es um die Menschlichkeit, und eine solche Leugnung bedeutet im Grunde, menschliche Wesen nicht als Lebewesen zu sehen. Das zu tun – im Wissen, dass wir wissen –, würde von Selbsttäuschung zeugen.“

Aus diesem Grund hilft all das Tun des Menschen – „alle unsere alltäglichen Handlungen ohne Ausnahme“ –

„eine Welt hervorzubringen und zu etablieren, in der wir werden, was wir im Austausch mit anderen werden“: „in jenem Prozess des Hervorbringens einer Welt“ (Maturana et al. 2012, S. 267). Damit beschreiben Maturana et al. (2012) die Grundlage für kollektive Veränderungen der Ebene „Lernen IV“.

Dies impliziert die individuelle Veränderung in den Ebenen „Lernen null bis II“, welche sich in einem „Lernen III“ bedingt: einer Kybernetik zweiter Ordnung, in der sich das „Ich“ soweit ausdifferenziert, um unverändert

verändert in den Ebenen „Lernen null bis II“ Wahrnehmen und Verstehen zu können112. Diese

Notwendigkeit beschreibt von Foerster (2003, S. 303) mit dem therapeutischen Imperativ: „If you want to be yourself, change!”.

Leben bedeutet in diesem Sinn Veränderung – und somit Lernen. Auch gilt der Umkehrschluss: Lernen bedeutet Leben – und somit Veränderung. Was bleibt, ist nicht das durch Lernen verstandene Triviale, sondern ein durch „Loslassen“ vollzogenes Werden: „Stuf' um Stufe“, so Hermann Hesse (2000, S. 199) in seinem Gedicht „Stufen“:

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe, Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.

Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe Bereit zum Abschied sein und Neubeginne, Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern In andre, neue Bindungen zu geben.

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten, An keinem wie an einer Heimat hängen,

Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen, Er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten.

Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen, Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde Uns neuen Räumen jung entgegen senden, Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden...

Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

Die Nachhaltigkeit liegt, mit Hilfe Hesse’s Worte formuliert, im Abschied nehmen und dem Folgen des Rufs des Lebens – eines sich Wiederfindens und zugleich Bestehens in den „Fraktalen des Lebens“ (Kap. 6.1.4 und Anhang 11.2). Bezugnehmend auf das I Ching findet von Foerster (2003, S. 304) hierfür die folgende Wort-Formulierung:

“Under the 58th symbol »Fu«, or »The Turning Point« it says, »The ultimate frame for change is the unchanging«.”

Dem verleiht Maturana (2006, S. 71) „lebendig” (aus einem selbstähnlichen Selbstverstehen) als

„Konsequenz“ seines „biologischen Selbstverständnisses und des Kognitionsphänomens“ mit der Antwort auf die Frage, was er denn in seiner Zukunft zu tun gedenke, wie folgt Ausdruck:

„Soll ich Dir das gestehen? In Wirklichkeit habe ich nie Pläne gemacht. Vor vielen Jahren machte ich Pläne, als ich noch ein junger Mann war und geglaubt hatte, dass die gefassten

112 Anm.: „The unorthodox nature of change arises when you apprehend »change« any way you wish to apprehend it, and it will yield something else, otherwise it wouldn’t be »change«” (von Foerster 2003, S. 303).

Pläne etwas damit zu tun hätten, was aus einem wird. Ich habe mich davon überzeugt, dass die Projekte nichts mit dem zu tun haben, was aus einem wird.“

In den Worten Wittgensteins (2013, S. 111) bedeutet dies ein „Überwinden“ und „Hinaussteigen“, zu dem er den Leser am Ende seines „Tractatus logico-philosophicus“ auffordert:

„Meine Sätze erläutern dadurch, dass sie der, welcher mich versteht, am Ende als unsinnig erkennt, wenn er durch sie – auf ihnen – über sie hinausgestiegen ist. (Er muss sozusagen die Leiter wegwerfen, nachdem er auf ihr hinausgestiegen ist.)

Er muss diese Sätze überwinden, dann sieht er die Welt richtig.“

Zusammengefasst, leitet sich die Konzeption einer Nachhaltigkeit zweiter Ordnung aus metaphysischen Überlegungen ab, welche die Kybernetik zweiter Ordnung sichtbar und erlebbar macht: Der Mensch findet sich als Beobachter seiner Beobachtungen, der Auseinandersetzungen bzw. den Begegnungen – in der Beobachtung zweiter Ordnung wieder, die ihm das Triviale und das Getrenntsein sichtbar macht. Dies vermag oftmals ein mutiges Überwinden und Hinaussteigen von bereits Erfahrenen oder Gelerntem bedeuten (Wittgenstein 2013, S. 111); oder ein Nicht-Pläne-Machen (Maturana 2006, S. 71); das unveränderte Wiederfinden in Veränderung (von Foerster 2003, S. 304); ein Folgen des Rufs des Lebens (Hesse 2000, S. 199) etc. Vor allem bedeutet dies auch die Begegnung des Menschen mit dem Leben auf der Ebene des Beobachters erster Ordnung – und die Möglichkeit ein Lernen auszuformen, das nachhaltige Veränderungen in den Formen der Welt und des Wissens konstituiert. Lernen kann in diesem Sinn den Menschen dazu ermächtigen – als Beobachter zweiter Ordnung und in der Beobachtung erster Ordnung –, sich aus seiner selbstverschuldeten trivialen bzw. getrennten dualen dynamischen Zweiheit zu „befreien“

und sich selbst in jeglicher Beziehungsmöglichkeit und Beziehungsfülle wiederzufinden: er eröffnet einen Daseinsraum für das Andere bzw. den Anderen und findet sich in einer Dialogik wieder, wo sich in einem

„gegenseitig präsentem Zu-zweien-Sein […] die Begegnung des einen mit dem anderen jeweils verwirklicht und erkennt“ (Buber. 1982, S. 168-169).

Tabelle 10: Dimensionen einer kybernetischen Nachhaltigkeit

Beobachterebene Beobachter bzw. „Ich“ erster Ordnung Beobachter bzw. „Ich“ zweiter Ordnung Prozesse bzw. Vorgänge · Unterscheidung und Entscheidung

bzw. Differenzierung (Kap. 5.5)

· Anwendung von und Begegnung mit Ökologie der Ideen; Begegnung mit Emotionen und Gefühlen

· Daseinsraum (für das vermeintlich Andere bzw.

Kybernetik erster Ordnung Kybernetik zweiter Ordnung Ebene des Lernens „Lernen null bis II“ „Lernen III“ bzw. im weiteren Sinn

„Lernen IV“

Zustandekommen · Wirklichkeit (Kap. 3)

· „dynamische Zweiheit“ (Buber 1982)

· Beobachtung der Wirklichkeit

· „präsentem Zu-zweien-Sein“ (Buber 1982)

Charakteristik Veränderliche Größe Unveränderliche Größe

Qualitative Beschreibung · Loslassen und Werden (Hesse 2000)

· Überwinden und Hinaussteigen (Wittgenstein 2013)

· keine Pläne machen (Maturana 2006)

· Wiederfinden und Bestehen (von Foerster 2003)

· entsprechend des eigenen Telos leben (Kap. 5) bzw. das Folgen des Rufs des Lebens (Hesse 2000)

· Resonanz (Kap. 4.2), Klarheit und Liebe (Kap. 6.1.4)

Gemeinsame Charakteristika

der Mensch ist Teil des Kosmos – Teil der Welt; Anwendung des ethischen, ästhetischen und therapeutischen Imperativs; Achtsamkeit (Kap. 6.3); Beobachter sind Teil einer Ökologie der Ideen; negieren von Moral (Kap. 6.1.4)

Ebene der Nachhaltigkeit Nachhaltigkeit erster Ordnung Nachhaltigkeit zweiter Ordnung Nachhaltigkeit

7.3.1 Nachhaltigkeit erster Ordnung: die „Erlebbarmachung“ des ethischen, ästhetischen und therapeutischen Imperativs

Eine Nachhaltigkeit erster Ordnung findet sich in der konkreten Auseinandersetzung des Menschen mit den von von Foerster (2003) formulierten ethischen, ästhetischen und therapeutischen Imperativen wieder:

einer expliziten Auseinandersetzung, welche „reflects upon one’s behavior, upon the »how« and the »why“

(Ebd., S. 303). Diese findet auf den Ebenen „Lernen null bis II“ statt und bedingt sich – sofern eine nachhaltige Veränderung stattfindet – in einer Kybernetik bzw. Nachhaltigkeit zweiter Ordnung – einem Lernen der Ebene „Lernen III“. Das sich aus einem solchen Prozess konstituierende „Ich“ findet sich in einer Auseinandersetzung mit den Formen der Welt und des Wissens – der Beziehung zwischen Moral und Ethik wieder: der logischen Klärung der Gedanken, dass das „Undenkbare von innen durch das Denkbare

begrenzen“ soll (Wittgenstein 2013, S. 38). Die Nachhaltigkeit erster Ordnung ist in diesem Sinn als Konzept zu verstehen, in der das „Ich“ durch Unterscheidung und Entscheidung, das „du sollst“ einer Moral

auszuschließen vermag: Das „Ich“ wird in seiner ausschließlichen Funktion sichtbar, durch Unterscheidung und Entscheidung, den Mechanismen des „Egos“ zu begegnen und sich in das „Selbst“ zu transzendieren (Kap. 6.3.10).

Symbolisch findet dies – die Kybernetik erster Ordnung – Ausdruck in der Form eines Ouroboros113, dessen Anfang gleich seinem Ende ist – aus dem dieser wiederum hervorgeht: das Leben lebt von sich selbst und entdeckt sich immerwährend selbstähnlich neu (Abbildung 24). Beobachtungen, Auseinandersetzungen und Begegnungen in bzw. mit Gedanken, Emotionen und Gefühlen erzeugen wiederum Beobachtungen,

Auseinandersetzungen und Begegnungen in bzw. mit Gedanken, Emotionen und Gefühlen: Der Mensch findet sich in den Fraktalen des Lebens wieder – der immerwährenden selbstähnlichen Begegnung mit dem, durch seine Gedanken, Emotionen, Gefühlen und seinem Tun, erzeugten eigenen Zustandekommen.

Abbildung 24: Einfacher Ouroboros

Die sich dabei konstituierende Emergenz invarianter Zustände (das Zustandekommen der Gedanken, Gefühle, Emotionen und das Tun des Menschen) wird durch einen konkreten Eigenwert sichtbar. Darauf wurde bereits in Kap. 5.2 hingewiesen und gezeigt, dass der Mensch auf Basis seines rekursiv operierenden Nervensystems in der Lage ist „Relationen trotz fortdauernder Pertubationen – sowohl infolge ihrer eigenen Dynamik als auch infolge der Interaktionen des Organismus – invariant zu halten“ (Maturana et al. 2012, S.

180). Dabei gibt es zwei Möglichkeiten der Herausbildung von emergenten Zuständen des Systems Mensch:

1. Die Herausbildung eines trivialen Eigenwerts durch ausschließliche Prozesse in einer Kybernetik erster Ordnung (ausschließliches Lernen auf den Ebenen „Lernen null bis II“). Jenes Verhalten würde zwar ein „stabiles“ Eigenverhalten ausbilden, wäre aber ab einer gewissen Dauer nur mehr eine Veränderung im Sinn eines „Lernen null“: Das System kann sein eigenes Zustandekommen nicht mehr verändern. Der Mensch würde dem Leben ausschließlich auf triviale Weise begegnen.

2. Die Konstituierung eines unvorhersehbaren bzw. nicht-steuerbaren Zustandes auf der Ebene einer Kybernetik erster Ordnung und das dadurch stattfinden einer Kybernetik zweiter Ordnung (Lernen auf den Ebenen „Lernen null bis III“).

Letztere Möglichkeit führt zu dem Umstand, dass der Mensch sich nichttrivial und somit veränderlich als Beobachter erster Ordnung in der Auseinandersetzung mit seiner Welt wiederfinden kann. Es kommt zu einer „Erlebbarmachung“ des ethischen, ästhetischen und therapeutischen Imperativs auf der Ebene einer Kybernetik erster Ordnung: der rekursiven Anwendung bzw. Ausdifferenzierung der Ökologie der Ideen in den Formen der Welt und des Wissens – und der Begegnung des Menschen mit dem Unbekannten, seinen Emotionen und Gefühlen. Der Mensch lernt sozusagen als Beobachter erster Ordnung – in einer Kybernetik

113 aus dem gr. ourá „Schwanz“ und bóros „verzehrend“

erster Ordnung –, was es bedeutet, sich in seinem Körper zu bedingen und ausgehend von diesem erlebbar zu machen (Kap. 2.5).

7.3.2 Die Nachhaltigkeit zweiter Ordnung: Vertrauen

Diese Möglichkeit bedingt sich in einer Beobachtung zweiter Ordnung, wo der Mensch sich unverändert verändert in dem von Buber (1982, S. 169) formulierten „präsentem Zu-zweien-Sein“ wiederfindet. Ausdruck hierfür ist der doppelte Ouroborus (Abbildung 25), welcher auf das (aus Sicht des Beobachters erster

Ordnung) stets präsente Andere verweist und einen gemeinsamen Daseinsraum (er)öffnet: „where one snake eats the tail of the other as if it were its own, and where cognition computes its own cognitions through those of the other: here is the origin of ethics”, so von (Foerster 2003, S. 267).

Abbildung 25: Doppelter Ouroboros

Auf diese Weise kann der Beobachter erster Ordnung das eigene Zustandekommen nicht nur in Frage stellen, sondern auch verändern: Er findet sich im vermeintlich Unbekannten bzw. dem Anderen wieder – in der prinzipiellen Unentscheidbarkeit der Metaphysik, welche der Kybernetik zweiter Ordnung zugrunde liegt. Darin liegt die Bedingung einer Nachhaltigkeit zweiter Ordnung: Der Eröffnung eines Daseinsraums für das dual Andere.

Indem, dass sich Beobachter (im Fall von Abbildung 26 zwei Beobachter; e. observer: obs1 und obs2) aus dem Verborgenen hervorholen, entsteht ein gemeinsamer Realitätswert (e. Confirmation), das „Objekt“

bzw. das Symbol als Ausdruck eines gemeinsamen Bedürfnisses bzw. Ziels (vgl. Friczewski 2014). Dies ist die Grundlage für ein Lernen auf Ebene „Lernen IV“ – einer gemeinsamen Transzendenz und der

Sichtbarwerdung der operationale Geschlossenheit mehrerer Beobachter zweiter Ordnung, welche im Rahmen dessen gemeinsame Autopoiesis, eine gemeinsame Realität hervorbringen: dem verschmelzen zweier Seelen (vgl. Montaigne 2000, S. 74). Dies beschreibt von Foerster (2003, S. 267) entsprechend Abbildung 26 wie folgt:

„Apparently, only when a subject, S1, stipulates the existence of another subject, S2, not unlike himself, who, in turn, stipulates the existence of still another subject, not unlike himself, who may well be S1.

In this atomical social context each subject’s (observer’s) experience of his own sensori-motor coordination can now be referred to by a token of this experience, the »object«, which, at the same time, may be taken as a token for the externality of communal space.

With this I have returned to the topology of closure where equilibrium is obtained when the Eigenbehaviors of one participant generate (recursively) those for the other.”

Abbildung 26: Formaler doppelter Ouroboros

Quelle: von Foerster (2003, S. 267)

Aus der Perspektive einer Kybernetik bzw. Nachhaltigkeit zweiter Ordnung erscheint die Idee von Vertrauen als wesentlich für eine nachhaltige Veränderung bzw. ein nachhaltiges Lernen in den Ebenen „Lernen null bis IV“. Darauf verweist von Foerster (2014, S. 233 und S. 19), wonach das Vertrauen nicht nur Grundlage für ein „unendliches“ Wohlfühlen des jeweils Anderen ist, sondern auch grundlegenden programmatischen Charakter in der Beziehung zwischen dem Relativismus und der Idee von Wahrheit aufweist. Dies formuliert von Foerster (2014, S. 19) wie folgt:

„…das heißt, Gut und Böse sind eine semantische Falle. Diese Behauptung ist natürlich für viele Menschen ein großer Schreck. Das Teuflische ist, dass mit diesem Gut und Böse sofort ein Relativismus eingeführt wird, der ja meinen Hoffnungen nach möglichst nicht eingeführt werden soll. Das heißt von meinem Standpunkt aus ist es »gut«, aber von deinem Standpunkt aus ist es »schlecht«. In dem Moment, wo dieser Relativismus auftaucht, verschwinden alle Relationen. Alle Beziehungen sind weg. Alle Beziehungen sind beim Teufel. Denn der eine kann sagen »Ich« und der andere kann sagen »Ich«. Das ist das Problem mit der berühmten

Wahrheit: Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners. Wenn man nicht von Wahrheit spricht, ist sie eben nicht da. Dann ist nicht Wahrheit da, sondern Vertrauen. Meiner Meinung nach ist Vertrauen das fundamentale Relationsproblem […].

Vertrauen zeigt sich, wenn ich nicht zu prüfen brauche, ob das, was ein anderer gesagt hat, der Fall ist oder nicht. Wenn einer mir sagt: »Schau, hinter dir ist ein Elefant«, sage ich: »Da muss wohl ein Elefant sein«. Dann drehe ich mich um; ist der Elefant verschwunden;

merkwürdigerweise. Warum? Ich weiß nicht warum, aber jedenfalls war hinter mir ein Elefant.

Das nenne ich Vertrauen […]. Das Problem der Wahrheit verschwindet, wenn man vertraut.“

Wissen bedingt sich dementsprechend in vertrauensvollen Beziehungen, wie sie in einem sozialen Netzwerk entstehen können. Pelzl (2011, S. 94) findet hierfür die folgenden Worte:

„Heute bin ich überzeugt, dass das wohl das Geheimnis des Lehrens überhaupt ist, dass jedes Wissen Kleckerei bleibt, wenn es nicht durch eine vertrauensvolle Beziehung abgesichert ist,

die für dieses Wissen einsteht. Dass man deswegen seinen Lehrern in die Augen schauen und durch ihre Blicke und ihre Stimme die Gewähr erhalten muss, dass sie Wörter des Lebens sprechen und nicht irgendwelche Plattitüden; dass man das Leben sehen muss, das diese Wörter trägt.“

Die sich dabei – aus onto- und phylogenetischen Lernprozessen in sozialen Netzwerken auf den Ebenen

„Lernen null bis IV“ (siehe Kap. 6.1.4 und 6.1.6) – herausbildenden „Werte“ bzw. Eigenwerte sind Diskussion des von Dieter Frey (2016) Herausgegebenen Buchs „Psychologie der Werte”. Kulturelle Phänomene der Zwischenmenschlichkeit, wie

· Rationalität und kritischer Rationalismus,

· Resilienz,

werden darin, ausgehend von einer interdisziplinaren Auseinandersetzung, als „Eigenwerte“ des Individuums und des sozialen Netzwerks beschrieben, die sich aus einem gelebten Opportunismus und Egoismus des Menschen – Lernprozessen auf den Ebenen „Lernen null bis IV“ – historisch entwickelt bzw.

gegenwärtig entwickelt haben (Frey et al. 2016, S. 317-318).

7.4 Historische Attraktoren des menschlichen Bewusstseins als Ausgangspunkt