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5 Das kybernetische System Mensch

5.3 Der freie Mensch

Von Foerster (2003, S. 244) kommt dementsprechend zu folgender Schlussfolgerung: „The causes of my actions are within myself: I am my own regulator!“ und verweist zugleich auf Viktor Frankl, Karl Jaspers und Martin Buber, die dies wohl ähnlich formulieren würden: „In each and every moment I can decide who I am.“

Die Begrifflichkeit der Ethik tritt folglich in den Mittelpunkt einer kybernetischen Konzeption – einem kybernetischen Bewusstsein, in welchem der Mensch Beobachter seiner Welt ist und darin auf Basis von Unterscheidung und Entscheidung selbst steuert (Esposito 2005, S. 297). Die „Entscheidung“ tritt dabei als Phänomen zu Tage, das Unentscheidbarkeit implizit voraussetzt: „Nur die Fragen, die prinzipiell

unterscheidbar sind, können wir entscheiden“, so von Foerster (1993, S. 153) in seinem Buch „KybernEthik“.

Auf Grundlage der Konzeption und dem Verhalten von „trivialen“ und „nichttrivialen“ Maschinen beschreibt von Foerster (1993) diesen Umstand und zeigt, dass entscheidbare Fragen trivial sind, weil sie schon

entschieden sind bzw. eine Antwort enthalten – und deshalb keiner Entscheidung bedürfen. Erst die Unentscheidbarkeit ermöglicht Wahlmöglichkeit und somit die Freiheit des Menschen – und macht Ethik als Phänomen sichtbar, in der der Mensch für seine Entscheidungen lernend Verantwortung übernehmen muss.

5.3.1 Maschinen: System kausal-logischer Konzeption

Bezugnehmend auf das Phänomen der Gleichzeitigkeit von Unwissenheit und dem empfundenen Gefühl von Wissen schlägt von Foerster (1993, S. 133) vor, eine Epistemologie des Wissens zu entwickeln, die sich der Unwissenheit bewusst ist – gleichsam eines Eisberges, dessen Spitze aus dem Wasser emporragt, welche in einem „schwebenden Zustand“ um den nicht sichtbaren und unter Wasser liegenden Teil seines selbst weiß. Zur Beschreibung zieht von Foerster (1993., S. 135) die erwähnte Turing Maschine (Kap. 5.1) heran – im Konkreten zwei Arten dieser Maschine: Triviale und nichttriviale Maschinen.

Jene logischen Maschinen beschreibt von Foerster (1993, S. 136) ausgehend von „Tatbeständen“, die er A, B, C, und D nennt, die sich auf Basis von „Transformationsregel“ kausal bzw. anagrammatisch verändern35. Eine triviale Maschine ist so konzipiert, dass sie die Tatbestände auf Basis von einer gleichbleibenden Transformationsregel verändert – nichttriviale Maschinen verändern diese ausgehend von mindestens zwei sich abwechselnder Transformationsregeln.

35 Ein Bsp.: A wird zu B, B wird zu D, D wird zu C und C wird zu A

Die bedeutendste Unterscheidung beider Maschinen (für die Formulierung einer „KybernEhtik“) liegt in der Voraussagbarkeit ihres Verhaltens bzw. ihres Ergebnis: triviale Maschinen sind voraussagbar – bei

nichttriviale Maschinen trifft das nicht zu. Tabelle 4 listet weitere Unterschiede auf:

Tabelle 4: Unterscheidung von trivialen und nichttrivialen Maschinen

Triviale Maschine Nichttriviale Maschine

Anfangszustand · determiniert · determiniert

Systemzustand · sind nur zu einem Systemzustand fähig

· sind mindestens zu zwei Systemzuständen fähig

Verhalten · analytisch bestimmbar · analytisch nicht bestimmbar

· konstant · verändert sich

Ergebnis

· voraussagbar · nicht voraussagbar

· vergangenheitsunabhängig · vergangenheitsabhängig Kap. 5.3.2 und 5.3.3 beschreiben beide Formen der Turing Maschinen näher. Dabei wird auf ein Set an möglichen Transformationsregeln zurückgegriffen (Tabelle 5), welche jeweils aus vier Buchstaben beinhaltenden Anagrammen (A, B, C und D) bestehen.

Tabelle 5: Transformationsregeln

01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24

A A A A A A B B B B B B C C C C C C D D D D D D B B C C D D A A C C D D A A B B D D A A B B C C C D B D B C C D A D A C B D A D A B B C A C A B D C D B C B D C D A C A D B D A B A C B C A B A

5.3.2 Triviale Maschinen

Triviale Maschinen verändern einen Tatbestand nach einer vorgegebenen Transformationsregel. Bspw.

beschreibt eine Transformationsregel (Anagramm 10) „B-C-D-A“ und der gewählte Anfangstatbestand C eine Maschine, die folgendes Verhalten zeigen würde: von C zu D, von D zu A, von A zu C, von C zu A usw.

Das Verhalten bzw. das Ergebnis ist demnach für den Beobachter voraussagbar. Er würde zudem anhand der Veränderung der Tatbestände Rückschlüsse auf die zugrundeliegende Transformationsregel machen können und daraus eine Eigenschaft des Systems beschreiben können.

Der Mensch der eine Welt auf Grundlage der Konzeption einer trivialen Maschine wahrnehmen würde, würde diese als stets voraussagbar, weil sich immer auf dieselbe Art und Weise verändernd, beobachten

bzw. beschreiben. Alles wäre gewiss, vor allem aber auch der Mensch, an dem die Welt stets auf gleiche Weise vorüberziehen würde.

Die triviale Maschine beschreibt demnach ein Denken in Ursache und Wirkung eines Phänomens, das Zufälle auszuschließen vermag (Auer 2003). Die Interpretation liegt nahe, die Konzeption der trivialen Maschine als eine „zentrale Stütze des westlichen Denkens“ zu betrachten, so von Foerster (1993, S. 136) –, mit Hilfe dieser, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (oftmals vorschnell) beschrieben bzw. Beobachtung konstituiert wird.

Abbildung 9: Triviale Maschine (tM) mit dem variablen internen Zustand X

Der Computer beruht auf eine triviale Konzeption, wo ein bestimmter Mausklick ein absehbares Ergebnis mit sich bringt: ein Ordner wird geöffnet, das Symbol am Bildschirm verändert sich, der Drucker fängt an zu drucken etc. Einfach ausgedrückt: Ein bestimmter Input führt auf Grundlage einer bestimmten

Programmierung bzw. festgelegten Funktion Y=f(x) zu einem absehbaren Output des Systems (Abbildung 9).

5.3.3 Nichttriviale Maschinen

Nichttriviale Maschinen sind hingegen mit mindestens zwei Funktionen konzeptioniert (Abbildung 10). Diese beschreiben gemeinsam die Transformationsregel auf Basis dieser, das System ausgehend von einem Input, einen konkreten Output generiert.

Abbildung 10: Nichttriviale Maschine (nM) mit den variablen internen Zuständen X und Z

Die im Folgenden beschriebene nichttriviale Maschine ist auf vier Transformationsregeln (Tabelle 6) aufgebaut: (Anagramm 10) „B-C-D-A“, (Anagramm 17) „C-D-A-B“, (Anagramm 19) „D-A-B-C“ und (Anagramm 24) „D-C-B-A“. Sie beschreiben die möglichen Systemzustände der Maschine, in der sich die Tatbestände entsprechend der Transformationsregeln bei jedem Iterationsschritt verändern.

Input tM Output

Y=f(X)

Input nM Output

Y=f(X,Z)

Tabelle 6: Transformationsregeln der nichttrivialen Maschine

10 17 19 24

B C D D C D A C D A B B A B C A

Ausgangssituation ist wieder eine Maschine, dessen Tatbestände mit A, B, C und D beschrieben wird. Im Mittelpunkt der nichttrivialen Maschine steht das „Operationsprogramm“ (Tabelle 7 a)), das die

Transformationsregeln zueinander in Beziehung setzt und die über die Transformationsregeln definierten Systemzustände verändern lässt: Ausgehend von einem Tatbestand (X) und einer Transformationsregel (R) determiniert das Organisationsprogramm den darauffolgenden Iterationsschritt mit dessen Tatbestand (X‘) und die anzuwendende Transformationsregel (R‘). In der jeweiligen Transformationsregel (R bzw. R‘) funktioniert die nichttriviale Maschine wie eine Triviale Maschine, wo die Tatbestände entsprechend der Transformationsregel verändert werden

Tabelle 7: a) Operationsprogramm der nichttrivialen Maschine; b) Veränderung der Tatbestände entsprechend des Operationsprogramms (entsprechend der Iterationsschritte 1., 2., 3. und 4.)

a) b)

R = 10 R = 17 R = 19 R = 24 X‘ R‘ X‘ R‘ X‘ R‘ X‘ R‘

B 10 C 17 D 19 D 24 C 17 D 19 A 24 C 10 D 19 A 24 B 10 B 17 A 24 B 10 C 17 A 19

Beginnend mit einem Anfangstatbestand (willkürlich gewählt) B und der Transformationsregel (Anagramm 10) „B-C-D-A“ würde die Maschine folgendes Verhalten zeigen:

1. von B zu C 2. von C zu D 3. von D zu A 4. von A zu D usw.

Tabelle 7 b) zeigt grafisch bzw. Tabelle 8 zeigt formal wie die Maschine die Tatbestände über die Transformationsregeln bzw. dementsprechend die Systemzustände verändert.

Tabelle 8: Verhalten und Systemzustände der nichttrivialen Maschine Determinismus

Anfangstatbestand (X)

Transformationsregel (R)

Tatbestand (X‘)

Transformationsregel (R‘)

1. X = B R = 10 à X‘ = C R‘ = 17

2. X = C R = 17 à X‘ = D R‘ = 19

3. X = D R = 19 à X‘ = A R‘ = 24

4. X = A R = 24 à X‘ = D

Anhand dieses Beispiels wird ersichtlich, dass sich der jeweilig aktuelle Tatbestand (X‘)

vergangenheitsabhängig (iterativ) aus dem Anfangstatbestand (X) und der Transformationsregel (R) erzeugt.

Bedeutend dabei ist, dass ab einer gewissen Größe das Verhalten bzw. das Ergebnis einer nichttrivialen Maschine – für den Beobachter, der keine Informationen über das Operationsprogramm und den Transformationsregeln besitzt –, nicht bestimmbar bzw. voraussagbar wird. Eine numerische Darstellung vermag dies anschaulich darzustellen:

· Die in diesem Beispiel konzipierte Maschine wäre eine aus 4.294.967.296 Maschinen36, die unter den Voraussetzungen (vier mögliche Tatbestände: A, B, C und D; vier mögliche

Transformationsregeln) die Tatbestandsfolge „B-C-D-A-D-…“ erzeugen würde.

· Eine nichttriviale Maschine, die mit den vier möglichen Tatbeständen A, B, C und D beschrieben wird und über 24 mögliche Transformationsregeln verfügt, könnte 6,3 x 1057 sich unterscheidende Verhalten erzeugen37. Davon würde nur ein Verhalten die Tatbestandsfolge „B-C-D-A-D-…“

erzeugen.

· Und unter der Annahme, dass im Rahmen der Tatbestände A, B, C und D 44=256 mögliche

Transformationsregeln beschrieben werden könnten (also auch den Fall von „Ursache ist Wirkung“

36 Berechnung zur Anzahl unterscheidbarer nichttrivialer Maschinen:

NT(X,Y)=YTX T… mögliche Tatbestände

X… Inputtzustände Y… Outputzustände bei T=4, X=4, Y=4:

N4(4,4)=44x4=4.294.967296

37 N24(4,4)=424x4=6,3x1057

zulässt: wie z.B. „A-A-A-A“ oder „A-A-B-B), gäbe es nur eine von 5x10616 Maschinen38 die jene eine Tatbestandsfolge erzeugen würde.

Es wird ersichtlich, dass die analytische Rekonstruktion einer nichttrivialen Maschine ab einer gewissen Größe „jenseits aller Errechenbarkeit“ liegt, so von Foerster (1993, S. 143) – und schlussfolgert

entsprechend: „Die ganze Welt, ist, so behaupte ich, eine nichttriviale Maschine“ (in Auer et al., 2003).

5.3.4 Unentscheidbarkeit

Folglich bleibt die Realität, gedacht als eine Ökonomik der Information und gedacht als nichttriviale Maschine, für den Menschen kausal unerschließbar – wo sich der prinzipielle „Glaube an den

Kausalitätsnexus“ als „Aberglaube“ erweist, so Ludwig Wittgenstein (2013, S. 60) in seinem Buch „Tractatus logico-philosophicus“.

Folgerichtig muss das „kausale Bewusstsein“ des Menschen die Nichttrivialität bzw. die Nichtkausalität und dementsprechend die Unentscheidbarkeit in Entscheidungen mit einschließen. Das impliziert, dass sich die Vergangenheit und die Zukunft für den Beobachter prinzipiell nicht erschließen kann, weil beide (wenn gedacht) Vorstellungen nichttrivialer kausaler Zusammenhänge sind.

Und eben im Tatbestand der Unentscheidbarkeit wird Entscheidung erst möglich – weil dieser nicht trivial ist und nichts vorgeben kann bzw. noch nichts entschieden ist. Es eröffnet sich vielmehr „durch die Unentscheidbarkeit ein Raum […] in dem man hineinsteigen kann. […] ein Raum der Freiheit, in dem“ der Mensch „nicht durch ein logisches »Muss« gezwungen wird, eine Entscheidung so oder so zu fällen“ (von Foerster, 2014, S. 178). In der daraus entstehenden Wahlmöglichkeit entsteht erst Willensfreiheit39, wo der Mensch sich aus eigenem Entschluss aufklärt – um sich, so wie Emanuel Kant (1784, S. 481) es in seinem Essay „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ nennt, „aus seiner selbst verschuldeten

Unmündigkeit“ befreit.