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6 Lernen

6.3 Emotionale Entwicklung

6.3.1 Dimensionen und Entstehung von Emotionen und Gefühle

Erkenntnis aus dem Lernen über die Emotions- und Gefühlswelt des Menschen bedingt sich im Erkennen durch die Sinne in den Formen der Welt durch „Lernen null und I“ – ist Ergebnis eines Erkennens in den Formen des Wissens durch den Verstand und die Vernunft in „Lernen II“ – und der Empfindung von

Emotionen bzw. Gefühle in „Lernen III“. In der Erklärung, wie Emotionen entstehen bzw. sich entwickeln wird zwischen zwei Ansätzen unterschieden73:

· So können sich Emotionen „allmählich“ „aus einem undifferenzierten, unspezifischen

Erregungszustand des Säuglings“ entwickeln und sich im Laufe des Lebens des Menschen weiter ausformen (Stangl 2016a). Dieser Ansatz geht davon aus, dass „die Auslösung von angemessenen Bewältigungshandlungen mittels Emotionen keine angeborene Fähigkeit darstellt“ (Oerter et al.

2008, S. 536).

· Ein anderer Ansatz geht davon aus, dass sogenannte „primäre Emotionen“ als „angeborene neuronale Mechanismen von Geburt an als qualitativ unterschiedliche Erlebnisweisen vorhanden sind“ (Stangl 2016a). Als primäre Emotionen, bezeichnet Birbaumer et al. (2006, S. 690) „Glück-Freude, Trauer, Furcht, Wut, Überraschung und Ekel […]. Ihre Dauer überschreitet selten Sekunden.

Dies ist die Zeit, die maximal für die ununterbrochene Dauer eines Gefühls angegeben und in der gleichzeitig verstärkte physiologische Reaktionen (z.B. Herzratenanstieg) gemessen werden.“

Abgesehen von den sich unterscheidenden Ansätzen zur Erklärung der Entstehung und Entwicklung von Emotionen und Gefühlen lässt sich der folgende Konsens formulieren:

· Alleinig Emotionen führen zu einem im Körper messbaren Ausdruck.

· Emotion und Gefühle bauen auf „genetisch vorgegebene Verbindungen“ zwischen dem

Nervensystem des Menschen und seinem motorischen, vegetativen und hormonellen System auf (Ebd. S. 691). Emotion und Gefühle differenzieren sich dann in Abhängigkeit des sozio-kulturellen Netzwerks bzw. der gemachten Erfahrungen des Menschen aus: Emotionen treten meist als Gefühlsgemisch primärer Emotionen auf.

Die Ausdifferenzierung von Emotionen und Gefühlen beschreiben Albert Newen und Alexandra Zinck (2008a) in „Classifying emotion: a developmental account“. Darin klassifizieren sie Emotionen bzw.

Gefühle im Kontext der funktionalen Entwicklung des Menschen in dessen sozialen Netzwerk und in ihrer Entstehung bzw. Entwicklung (siehe Abbildung 19) nach ansteigender Komplexität in vier Stufen (und gehen in der Herleitung ihres Modells vom Ansatz aus, wonach sich Emotionen und Gefühle allmählich von Geburt an Ausdifferenzieren):

· „Prä-Emotionen“ beschreiben Newen et al. (2008a) als Emotionen, welche als Gefühle

wahrgenommen werden können. Als solche können sie spontan als angenehm oder unangenehm empfunden werden und führen in diesem Sinn zu einem empfundenen Wohlbefinden bzw.

Unbehagen.

· „Basisemotionen“ werden mit Freude, Angst, Ärger und Traurigkeit beschrieben74. Newen et al.

(2008b) bezeichnen diese als „grundlegende Affektprogramme, die unabhängig von der bewussten Reizverarbeitung und auch unabhängig von langsameren kognitiven Prozessen wie Gedanken ablaufen.“: Der Mensch verspürt bspw. Angst noch bevor er wirklich weiß warum. Eine weitere Eigenschaft der Basisemotionen ist jene, dass sich diese unabhängig vom sozio-kulturellen Netzwerk bzw. den gemachten Erfahrungen im Gesichtsausdruck eines Großteils der Menschen auf dieselbe

73 Aaron Ben-Ze’ev (2000, S. xiii-xiv) merkt hierzu in „The Subtlety of Emotions“ treffend an: „Although emotions punctuate almost all the significant events in our lives, the nature, causes, and consequences of the emotions are among the least understood aspects of human experience [...]. But the difficulties in studying emotions begin when we try to organize our commonsense knowledge into a comprehensive conceptual framework.”

74 Mit jener dezidierten Benennung der menschlichen Emotionen nehmen Newen et al. (2008a, S. 11-12) Bezug auf Forschungsarbeiten von Charles Darwin, Paul Ekman und António Damasio – und merken an: „We do not want to insist that there cannot be more basic emotions, although according to our view the best description of the varieties of emotions can be restricted to these suggested four. Compared to Damasio, we are excluding only disgust, which is a borderline case [...]. Ekman includes disgust and surprise.”

Weise ausdrückt und auch verstanden wird (Abbildung 18). „They are short-term, highly stereotypical responses that only involve limited cognitive processing with focus on the actual situation” (Newen et al. 2008a, S. 12)75. Zudem führen diese neben motorischen Veränderungen, auch zu Reaktionen des vegetativen und endokrinen Systems des Menschen (Ebd.). In der

Entstehung von Basisemotionen beschreiben Newen et al. (2008a, S. 12) und Birbaumer et al. (2006, S. 691) pränatale76, wie auch postnatale Einflüsse als äußerst bedeutend (und können bspw. zu Veränderungen oder auch Verstärkung des „normalen“ Gesichtsausdruck führen). Das Erlernen von Basisemotionen kann dementsprechend als vorwiegend unbewusstes Lernen in den Ebenen

„Lernen I und II“ beschrieben werden und findet entsprechend, vorwiegend unbewusst auf der Ebene „Lernen null“ Ausdruck. Auf diese Weise funktionieren Basisemotionen als Teil der Ökologie der Ideen, und regulieren die Wahrnehmung und das Verhalten des Menschen im Kontext konkreter Situationen bzw. Herausforderungen im sozialen Netzwerk (Newen et al. 2008a, S. 12).

Abbildung 18: Gesichtsausdruck

Freude: Angst: Ärger: Traurigkeit:

Quelle: Birbaumer et al. 2006, S. 691

· „Primäre kognitive Emotionen“ sind im Gegensatz zu Basisemotionen Ergebnis einer bewussten Auseinandersetzung mit der Ursache eines Gefühls- bzw. Emotionsreizes und wird

dementsprechend als „cognitively justified emotions“ bezeichnet (Newen et al. 2008a, S. 13). Eine solche Auseinandersetzung schließt eine bewusste Interpretation des „Ich“ mit ein, warum dieses eine Basisemotion empfindet: der Mensch bewertet bewusst eine Situation bspw. als gefährlich oder stuft sie als eine Bedrohung ein. Im Fall empfundener Freude (Basisemotion) könnte der Mensch als primäre kognitive Emotion Zufriedenheit entwickeln, wenn dieser „feststellt, dass alles gemäß seinen Erwartungen verläuft und zudem noch die Sonne scheint“, so Newen et al. (2008b).

Primäre kognitive Emotionen entsprechen so dem Ergebnis einer individuellen Auseinandersetzung des Menschen mit Gefühls- bzw. Emotionsreize im Kontext bereits gesammelter

Situations-Erfahrungen. Sie sind Ergebnis einer bewussten Auseinandersetzung des Menschen in der Ebene

„Lernen II“.

· „Sekundäre kognitive Emotionen“ werden von Newen et al. (2008a, S. 14) als „the stage in which the most complex emotion concepts are exhibited” bezeichnet und beinhält die folgenden prinzipiellen Ursprünge:

75 Diese beschreiben Newen et al. (2008a, S. 12) wie folgt: „danger (leading to fear), separation from positive conditions, e.g. separation from a parent, loss, inadequate self-efficiency (leading to sadness), frustration of expectancies, registration of inhibitions (leading to anger), self-efficiency and social acceptance (producing joy).”

76 Mit dem Wort pränatal werden Vorgänge vor der Geburt beschrieben. So befasst sich bspw. die pränatale

Psychologie (als Zweig der Entwicklungspsychologie) mit „der Erforschung seelischer Vorgänge, Reaktionen und Inhalte vor, während und unmittelbar nach der Geburt“ (Duden 2002, S. 297). Dementsprechend bezieht diese psychische und psychosomatische Faktoren, „die als primäre Umwelt auf den Fötus einwirken, in ihre Forschung ein“ (Ebd.).

- „a cognitive evaluation of a situation”, - „beliefs about concrete social relations”

- und „expectations or hopes concerning the future given the situation.”

Sekundäre kognitive Emotionen sind im diesen Sinn Ergebnis der bewusst, wie unbewusst erzeugten Selbstbezüglichkeit des Menschen zu den Formen der Welt – aus dem sich das „Ich“ des Menschen konstituiert (siehe Kap. 6.1.2 und Kap. 6.1.3): Das „Ich“ des Menschen bedingt sich (ohne „Lernen III“) in einer moralischen Auseinandersetzung mit dessen empfundenen Emotionen und Gefühle – in einer Vorstellung (als Teil der Wirklichkeit des Menschen) auf welche Weise Prä-Emotionen,

Basisemotionen und primäre kognitive Emotionen zu Liebe, Glück, Scham, Eifersucht, Neid, Zorn, Verachtung, Trauer etc. führen dürfen. Sekundäre kognitive Emotionen sind dementsprechend Gegenstand der sprachlichen Interaktion und Entsprechung der vom Mensch empfundenen Möglichkeit zur „kulturellen Einbettung“ von dessen Emotionen und Gefühle in ein soziales Netzwerk (Newen et al. 2008b). Newen et al. (2008a S. 14) beschreiben dies wie folgt:

„Consider the examples of shame and pride. Both are emotional reactions to compliments about an accomplishment. But the reaction the individual is exposed to for, say, playing a music instrument well, differs strongly for Americans and Chinese. American mothers praise their child and encourage their playing, whereas Chinese mothers rather play their children’s accomplishment down and work with shaming techniques and tell them to go and practice some more [...] The responses to these reactions to accomplishments consequently differ as well: American children are more self-confident, show positive self-expression and feel proud, whereas Chinese children do not recognize their achievement and rather feel exposed and ashamed. Where American objectives are oriented towards e.g. independence and personal achievement, instead, Chinese feel proud when they succeed in harmonizing the self with others and in modesty. This is evidence that emotions which are situated within a given socio-cultural context and system of socio-cultural values are strongly dependent on them, and are modulated according to them during the upbringing of the individual.”

Abbildung 19: Klassifikation der Emotionen

Quelle: Newen et al. 2008b