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Frage 2: In allen Workshops machten den nachhaltigsten Eindruck die vielfältigen, abwechslungsreichen und unterschiedlichen Methoden, die persönlichen Erfahrungen

5.4.8. Interpretation der Ergebnisse auf der Basis der Thesen

fan tutte entstanden ist, wurde festgestellt, dass die Arbeit mit der Szenischen Inter-pretation von Musiktheater die Fähigkeiten der Schüler fördert:

• zu kooperieren,

• zu kommunizieren,

• Verantwortung zu übernehmen,

• selbständig zu arbeiten und

• ihre Kreativität zu entwickeln.

Die Bedeutung, die die Teilnehmer der 9 Workshops des Gesamtprojekts „kon-struiert“ hatten, unterschieden sich den erhobenen Daten zufolge nicht so signifikant, dass These 2 bestätigt werden konnte. Im strengen Sinne ist die These als widerlegt zu betrachten, obgleich die in Kapitel 5.4.2 (Seite 129) erwähnte Beobachtung durchaus berechtigten Grund zur Aufstellung der These gegeben hatte. Allerdings könnte eine Modifikation der These angebracht sein, der zufolge sich die Aussage nicht auf die gesamte Oper, sondern auf interpretatorische Teilaspekte bezieht. Diese eingeschränkte These könnte durch einen Vorgang bei einer szenischen Interpretati-on vInterpretati-on Cosi fan tutte in Finnland bestätigt werden:

Es wurde ein Workshop zur Szenischen Interpretation von Cosi fan tutte an der Savonlinna5 Summer University in Finnland durchgeführt. In diesem Work-shop, der nach Abschluss der Datenerhebung realisiert wurde, kam es zu fol-gender Interpretation: Im ersten Kapitel des Spielkonzepts sollen Männer Vorurteile zeigen, wie „alle Frauen sind“ und Frauen Vorurteile zeigen, wie

„alle Männer sind“. Bei der Präsentation sollten sie die musikalische Phrase

„Ja die Hässlichen, Schönen, die Alten und Jungen, wiederholt es mit mir: So machen’s alle, cosi fan tutte!“ singen (Kosuch 2002, S.10). In allen Workshops in Deutschland zeigten die Frauen, nachdem sie sich als Männer verkleidet hat-ten, eine Version, die die Männer als grölende Fußballfans zeigte. In dem Sa-vonlinna Workshop fehlte diese Version vollständig. Stattdessen traten die Frauen auf und bewegten nur leicht ihre Münder, ohne einen Ton herauszu-bringen oder flüsterten leise Wortfetzen aus dem Text. Alle Teilnehmenden lachten herzlich. Der deutsche Spielleiter war sehr irritiert, glaubte er doch nächst, die Frauen hatten die Aufgabenstellung nicht verstanden und die zu-schauenden Männer lachten deshalb. Es stellte sich aber heraus, dass ein Vorurteil über Männern in Finnland darin besteht, dass Männer immer schwei-gen und den Mund nicht aufbekommen.

These 3:

„Die Arbeit mit dem Konzept der Szenischen Interpretation von Musiktheater ermög-licht Lehrern und Schülern neuartige Lernerfahrungen.“

5 Savonlinna liegt ca. 350 nordöstlich von Helsinki.

Bezogen auf die Workshopteilnehmer bzw. Lehrer deuten die Daten aus der Befra-gung sowie freie Äußerungen einstimmig darauf hin, dass der Workshop neue Erfah-rungen sozialen Lernens und des kreativen Umgangs mit Musik bzw. Opern

ermöglicht hat. Ebenfalls einstimmig wird festgestellt, dass die Arbeit mit dem Kon-zept der Szenischen Interpretation neue inhaltliche Aspekte erschlossen und ein Re-pertoire zahlreicher neuer Methoden bereitgestellt hat. Die Lehrer bestätigten darüber hinaus, dass auch ihre Schüler die kreative Arbeit, das soziale Lernen, die neuen In-halte und Methoden positiv aufgenommen hätten. Insofern ist die These, dass das Konzept der Szenischen Interpretation von Musiktheater auf mehreren Ebenen neuar-tige Lernerfahrungen ermöglicht, bestätigt.

These 4:

Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Bewertung der einzelnen Methoden der Szenischen Interpretation aus der eigenen Erfahrung im Workshop und der Motiva-tion mit diesen Methoden im Unterricht zu arbeiten. Die positive Erfahrung, die ein Teilnehmer mit einer Methode gemacht hat, erzeugt die Bereitschaft die Methode ins eigene Unterrichtsrepertoire zu übernehmen.

Es konnte gezeigt werden, dass ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Be-wertung der einzelnen Methoden der Szenischen Interpretation aus der eigenen Er-fahrung im Workshop und der Motivation mit diesen Methoden im Unterricht zu arbeiten besteht, und dass die positive Erfahrung, die ein Teilnehmer mit einer Me-thode gemacht hat, die Bereitschaft erzeugt, die MeMe-thode ins eigene

Unterrichtsrepertoire zu übernehmen. Diese Bereitschaft alleine genügt jedoch ni wie die Ergebnisse zu These 5 z

cht, eigen.

These 5:

Je höher im Anschluss an den Workshop die Bewertung einzelner Methoden der Sze-nischen Interpretation ist und je höher die Bereitschaft zum Einsatz dieser Methoden, um so höher ist der Grad der Umsetzung und die Wirkung in den Unterricht hinein.

Diese These muss als eindeutig widerlegt angesehen werden. Die Ergebnisse aus Italien zeigen, dass trotz höchster Bewertung und hoher Bereitschaft zum Einsatz der Methoden im Unterricht keine Umsetzung erfolgte. Es wurde in Kapitel 5.4.7.3.3 insbesondere sichtbar, dass auch im Falle, dass tatsächlich mit den Methoden der Szenischen Interpretation von Musiktheater in Unterrichtserprobungen gearbeitet

wurde, die Höhe der Bewertung und der Bereitschaft zur Umsetzung nicht in direkter Korrelation zum Grad der Umsetzung steht.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, was verhindert oder begünstigt den direkten Transfer eines Spielkonzepts in die Schule?

Im Falle von Cosi fan tutte in München ist dokumentiert, woran der Transfer in die Schule im einzelnen scheiterte (siehe 2. Band Kapitel 2.7. Cosi München orange pa-per S. 38). Von 16 Lehrern führten nur 2 eine Schulerprobung durch. Von den 14 weiteren Lehrern gab es auf die Frage nach dem Transfer in telefonischen Interviews folgende Antworten:

1. Vier Grundschullehrer nahmen teil, die aber einen Transfer in die Schule beim Thema Cosi fan tutte gar nicht anvisiert hatten.

2. Zwei Lehrer erhielten nach den Sommerferien entgegen ihrer Erwartung nur Unterstufen Klassen (5. und 6. Klassen).

3. Zwei Lehrer wollten mit Unterstufenklassen mit der Szenischen Interpretati-on zu einer anderen altersgerechten Oper arbeiten, einer davInterpretati-on hatte bereits ein Projekt zu Die Kluge mit großem Erfolg realisiert.

4. Ein Lehrer hatte Prüfungen (Referendariat) und fühlte sich so an den Lehr-plan gebunden und wollte nichts Neues ausprobieren.

5. Ein Lehrer plante eine Szenische Interpretation zu einer Wagneroper, weil diese im Curriculum vorgesehen ist und der Lehrer im Prozess der Verbeam-tung stand.

6. Ein Lehrer wurde in die Administration berufen.

7. Eine Lehrerin verlängerte aus familiären Gründen ihren Mutterschaftsurlaub, plant aber mit der Methode außerhalb der Schule zu arbeiten.

8. Zwei gaben keine Rückmeldung

Nur im Fall 8, in dem es keine Rückmeldung gab, könnte man spekulieren, was dies im Hinblick auf das Konzept der Szenischen Interpretation oder das Spielkonzept zu Cosi fan tutte bedeuten könnte.

In allen anderen 12 Fällen spielen schulische, persönliche oder curriculare Gründe eine Rolle nicht mit dem Spielkonzept zu Cosi fan tutte zu arbeiten. Ein Drittel dieser Lehrer wiederum signalisierte, mit dem Konzept der Szenischen Interpretation von Musiktheater an anderen Opern oder in anderen Kontexten zu arbeiten, oder bereits gearbeitet zu haben.

Dies bedeutet wiederum, dass man aus der direkten Transferrate – 2 von 16 Lehrern führten eine Unterrichtserprobung zu Cosi fan tutte durch - keine unmittelbaren Rückschlüsse auf das Konzept und dessen Akzeptanz ziehen kann.

Das Beispiel Helsinki 1 zeigt jedoch auch, dass eine hohe Bewertung und eine hohe Bereitschaft zum Einsatz dazu führte, dass statt geplanter 12 sogar 16 Unterrichtser-probungen stattfanden. Dies zeigt, dass die Bewertung und die Bereitschaft einen positiven Einfluss auf den Einsatz des Konzepts der Szenischen Interpretation von Musiktheater haben können. Der Einsatz der einzelnen Methoden jedoch hängt dann von anderen Faktoren wie den schulischen Rahmenbedingungen ab. Die hohe Trans-ferrate in Helsinki hat auch institutionelle Hintergründe. Wie in Kapitel 5.4.6.1. zur Institution Oop! beschrieben, verpflichten sich die Lehrer mit der Teilnahme an einer Fortbildung dazu, etwas davon im Unterricht umzusetzen. Dafür wird in der Abwe-senheit des Lehrers ein Ersatzlehrer gestellt, der vom Schulministerium bezahlt wird.

Dies fördert natürlich den Transfer.

These 6:

Bei der konkreten Durchführung einer szenischen Interpretation einer Oper sind Schüler im Gegensatz zum regulären Unterricht kreativer, konzentrierter, aktiver, stärker sozial interaktiv und neugieriger.

Diese These wurde in der vorliegenden Befragung nur indirekt überprüft und bestä-tigt. Allerdings ist mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die Aussagen der Lehrer über Konzentration, Neugierde, Aktivität, Kreativität und sozialer Interak-tion die Tatsachen weitgehend richtig treffen. Der einzige Grund zur Annahme, dass die Lehrer ihre Verhaltensbeobachtung „falsch“ oder „tendenziös“ interpretieren, könnte die „sich selbst erfüllende Prophezeiung“ sein, die in dem Sachverhalt von These 4 begründet liegt: wenn die Lehrer mit dem Konzept der Szenischen Interpre-tation von Musiktheater positive (Selbst-)Erfahrungen gemacht haben, liegt es nahe, alle diesbezüglich bestätigenden Verhaltensäußerungen der Schüler zu bemerken und zu registrieren und widersprechende Verhaltensweisen zu übersehen oder zu ignorie-ren.

These 7:

Durch die handlungsorientierte Arbeit mit dem Konzept der Szenischen Interpretati-on vInterpretati-on Musiktheater verändert sich die RezeptiInterpretati-on der Jugendlichen im Rahmen eines Opernbesuchs und die Fragestellungen, mit der Jugendliche eine Oper „betrachten“

(real im Kontext eines Opernbesuchs und im übertragenen Sinne im Kontext der In-terpretation). Sie sind beim Opernbesuch zum einen emotional beteiligt, zum anderen kritisch gegenüber dem konzeptionellen Rahmen und der Realisierung der Inszenie-rung.

Die Ergebnisse aus dem Fragebogen 3 (siehe Kapitel 5.4.7.3.2) in bezug auf das Interesse der Schüler eine Aufführung zu besuchen, ihrem Verhalten während der Aufführung und die Themen, über die sie im Anschluss an die Vorstellung sprachen, sollen hier im Zusammenhang betrachtet werden.

Die Schüler waren fast alle interessiert eine Aufführung der Oper zu besuchen. Sie waren während der Aufführung ebenfalls fast alle neugierig und konzentriert oder konzentriert. Nach der Aufführung diskutierten sie inhaltliche und künstlerische Fra-gen und übten sogar Kritik an den Kostümen, dem Bühnenbild oder der szenischen Umsetzung6. Eine Gruppe aus Helsinki wollte Cosi fan tutte sogar ausdrücklich ein zweites Mal sehen. Die Kombination dieser drei Ergebnisse lässt es zu These 7 als tendenziell belegt zu betrachten. Man kann sie jedoch nicht als vollständig belegt betrachten, da die Ergebnisse nicht aus direkten Schülerbefragungen oder

-beobachtungen resultieren, sondern sich diese Ergebnisse aus Beobachtungen und Berichte von Lehrern ableiten. Ein weiteres Indiz, die These als gesichert zu betrach-ten, sind Beobachtungen der beteiligten Künstler in der Produktion Das Kind und die Zauberdinge in Helsinki. Nach jeder Vorstellung liefen die Kinder, die mit der Sze-nischen Interpretation von Musiktheater gearbeitet hatten, auf die Bühne, um mit

„ihrem“ Sänger Kontakt aufzunehmen. Eine weitere Beobachtung schildert die Sän-gerin Ulla Reiskio7, Hauptdarstellerin der Figur des Kindes aus der Helsinki Produk-tion Das Kind und die Zauberdinge, die selber an einer Szenischen InterpretaProduk-tion von Musiktheater im Helsinki 1 Workshop teilnahm:

... Im Jahr 2002 produzierten wir „Das Kind und die Zauberdinge“ an der Finnischen National Oper. Es gab ein Programm für Schulen, um die Oper kennen zulernen und etwas über sie zu lernen, das von Markus Kosuch entwickelt wurde.

Unsere Produktion begann damit, dass die Darsteller dieselben Übungen machten, die im Anschluss daran auch die Schüler machen sollten, bevor sie in die Opernvorstel-lung gehen würden. Dies entwickelte sich zu einem sehr fruchtbaren Workshop für uns. Es war auch für uns professionelle Sänger ein guter Weg mit der Arbeit an einer

6Die einzelnen Kommentare und Beobachtungen der Lehrer können nachgelesen werden in den Ein-zelstudien im 2. Band Kapitel 2.7. jeweils orange paper: West Side München S.33; Cosi Helsinki S.

39; Ravel S. 29

7 Zitiert aus der E-mail von Ulla Raiskio vom 29. Sep. 2003

Oper zu beginnen, ganz besonders für die, die das Werk noch nicht kannten. Die Mög-lichkeit mit dem Inhalt der Oper selbst zu spielen und zu improvisieren, bevor der nor-male Probenprozess begann, war sehr inspirierend.

Das erstaunlichste für mich als Darstellerin ereignete sich, wenn die Vorstellung be-gann. Ich sang die Rolle des Kindes, also begann die Vorstellung mit mir alleine auf der Bühne. Ich machte unartige Dinge und sang darüber, wie langweilig es war, Hausaufgaben zu machen. Vom ersten Moment der Vorstellung konnte ich sagen, ob die Zuschauer einen Workshop gemacht hatten oder nicht. Die Reaktionen des an ei-nem Workshop beteiligten Publikum waren sehr offensichtlich – ich konnte hören, dass sie von Anfang an in der Geschichte waren.

Es gab Gelächter und (diskrete aber klare) Kommentare usw. und auch der Applaus am Ende der Vorstellung war länger und lebendiger. Ich war nicht die einzige, die diesen Unterschied bemerkte. Auch meine Kollegen auf der Bühne machten Bemer-kungen darüber.

Für die meisten Menschen ist es zuerst fremd eine Geschichte/ein Stück gesungen zu sehen/ zu hören. Der Workshop hat sehr klar diese Barriere, diese Fremdheit ver-schwinden lassen

Ulla Raiski; Suvannontie 9 B 2; FIN-00510 Helsinki (Übersetzung Markus Kosuch) Die Sängerin beobachtet, dass Kinder in der Vorstellung unterschiedlich intensiv beteiligt sind, was nicht nur ihr, sondern auch den Kollegen auffiel.

Über die Beobachtung der Schüler in der Vorstellung hinaus, gibt dieser Brief auch Aufschluss darüber, dass die Arbeit mit dem Konzept der Szenischen Interpretation von Musiktheater auch für Sänger als sehr fruchtbar erlebt wurde.