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3. Die Szenische Interpretation von Musiktheater im Modell

3.1. Struktur und Inhalt des Modells „Erlebnisraum Oper“

Die Struktur und Inhalte des Modells „Erlebnisraum Oper“ sind in Presseartikeln, im Opernjournal der Staatsoper Stuttgart und in internen Papieren dokumentiert (siehe Band 2). In komprimierter Form ist das Modell in der 1997 neu entstandenen Klett-Reihe „Szenische Interpretation von Opern“ Die Liebe zu den drei Orangen von Sergej Prokofjew (Kosuch, 1997 a, S. 4-6) veröffentlicht.

Das Modell "Erlebnisraum Oper" wurde auf Initiative des Intendanten der Staatsoper Stuttgart Klaus Zehelein konzeptionell und inhaltlich von Markus Kosuch entwickelt und umgesetzt.

Das Konzept der Szenischen Interpretation von Musiktheater bildet das methodische Zentrum für eine handlungsorientierte und erfahrungsbezogene opernpädagogische Arbeit eines Opernhauses, in dem es vom Modell "Erlebnisraum Oper" übernommen und erweitert wird.

Im Kern lässt sich das Modell "Erlebnisraum Oper" als Erweiterung des Konzepts der Szenischen Interpretation von Musiktheater beschreiben. Die Arbeit mit der Szenischen Interpretation von Musiktheater im Unterricht oder in

Unterrichtsprojekten wird erweitert durch den Aufführungsbesuch der Oper im Opernhaus, den Blick hinter die Kulissen und das Gespräch mit Künstlern. Darüber hinaus verlagert sich die Initiative für die Arbeit mit der Szenischen Interpretation von Musiktheater von der Institution Schule in die Institution Oper. Damit verändert sich auch die Zielsetzung der Szenischen Interpretation (siehe hierzu Kapitel 3.2.) In Abbildung 3-1 wird die Struktur sichtbar. Das Modell gliedert sich in vier Phasen.

Das Modell "Erlebnisraum Oper"

Phase 4

Blick hinter die Kulissen und Gespräch mit Künstlern

Phase 1

Spielkonzepte werden zu Opern des aktuellen Spielplans entwickelt Entwicklung der Spielkonzepte in Lehrerarbeitskreisen

Fortbildungen zur Szenischen Interpretation von Musiktheater

Schulprojekte zur Szenischen Interpretation im Klassenzimmer oder im Opernhaus –

Durchführung:

Musiktheaterpädagogen des Opernhauses

Phase 2

Szenische Interpretation im Unterricht oder im Schulprojekt – Durchführung: (Musik-)Lehrer Phase 3

Aufführungsbesuch

Abb. 3-1

In Phase 1 des Modells wird ein Spielkonzept zur Szenischen Interpretation einer Oper aus dem Repertoire vom Musiktheaterpädagogen des Opernhauses entwickelt.

Das Spielkonzept wird auf der Grundlage des Textes (Partitur und Libretto)

entwickelt und nicht auf der Basis der jeweiligen Inszenierung und damit der Lesart des Regieteams des Opernhauses. Diese Unabhängigkeit von einer Inszenierung ist für das Modell "Erlebnisraum Oper" konstitutiv (siehe Kapitel 3.2).

In Phase 2 gibt es zwei Wege, wie Schülerinnen und Schüler mit der Szenischen Interpretation arbeiten. Der erste Weg ist die Durchführung einer Szenischen Interpretation durch einen Musiktheaterpädagogen des Opernhauses in Schule oder Opernhaus. Beim zweiten Weg erhalten Lehrer die Möglichkeit im Rahmen einer Fortbildung im Opernhaus, die Arbeitweise der Szenischen Interpretation von

Musiktheater in der Umsetzung eines konkreten Spielkonzepts kennen zu lernen. In dieser Fortbildung arbeiten die Lehrer selbst handlungsorientiert und

erfahrungsbezogenen und lernen das Konzept quasi aus der Schülerperspektive kennen. Im nächsten Schritt dann führen die Lehrer die Szenische Interpretation als Spielleiter mit ihren Schülern selber im Unterricht oder in einem Projekt in der Schule. Phase 2 umfasst immer die Dokumentation der Ergebnisse der Szenischen Interpretation.

Daran schließt sich in Phase 3 der Aufführungsbesuch der Oper an, die szenisch interpretiert wurde. Dieser Aufführungsbesuch ist den Schülern freigestellt. Darauf werden Lehrer ausdrücklich hingewiesen. Die Schüler müssen im Hinblick auf ihrer

„Konstruktionsarbeit“ die Möglichkeit haben, sich dem Gegenstand „Oper“ und dem Thema gegenüber zu verhalten. Sollte die Arbeit keine Neugierde geweckt haben, so sollen die Kinder und Jugendlichen die Möglichkeit haben, einen Aufführungsbesuch abzulehnen. Dies hat zwei Gründe: Zum einen findet Erfahrungslernen unter Zwang niemals statt. Insofern führt ein Aufführungsbesuch unter Zwang immer nur zu Ablehnung und Protest und ist im Sinne von „Erlebnisraum Oper“ sinnlos und kontraproduktiv. Zum anderen dient dies auch dem Schutz des Publikums, das für den Opernabend Eintritt gezahlt hat und nicht von Kindern und Jugendlichen gestört werden will, die gezwungen wurden, die Oper zu besuchen. Die Freiwilligkeit des Aufführungsbesuchs ist konstitutiv für das Modell „Erlebnisraum Oper“, spiegelt sich darin auch der Respekt vor Kindern und Jugendlichen, selber entscheiden zu können, ob sie die Arbeit mit der Szenischen Interpretation neugierig gemacht hat oder nicht. Die Erfahrungen aus dem Projekt zeigen, dass in der Regel über 90 % der an der szenischen Interpretation Beteiligten im Anschluss auch die Opern besuchen möchten (siehe Kapitel 3.4.3).

Darauf folgt in Phase 4 ein „Blick hinter die Kulissen“ und ein Gespräch mit Künstlern aus der Produktion. Dies können Sänger, Musiker oder Künstler aus dem Produktionsteam (Regisseur, Bühnenbildner, musikalischer Leiter oder Dramaturg) sein. Das Gespräch mit den Künstlern und der Blick hinter die Kulissen ist ebenfalls freiwillig.

Die Entwicklung von Spielkonzepten zu Opern des Repertoires kann auch in Lehrerarbeitskreisen oder in Hochschule und Universität in Kooperation mit dem Opernhaus erfolgen. Während die Phasen (1) und (2) integraler Bestandteil der

Szenischen Interpretation von Musiktheater sind, erweitert das Modell „Erlebnisraum Oper“ die Szenische Interpretation von Musiktheater um zwei Aspekte:

Aufführungsbesuch als Teilnahme am kulturellen Geschehen (Phase 3) und Auseinandersetzung mit Kunst und Kunstproduktion (Phase 4).

Umfang und Intensität der „szenischen Interpretation und der

„Projektdokumentation“ (Phase 2) können sehr unterschiedlich ausfallen. In jedem Fall sollten die Grundtechniken der Szenischen Interpretation von Musiktheater wie Einfühlung und die Arbeit an Haltungen (Standbilder bauen und „lesen“)

durchgeführt werden. Hier können im kleinsten Umfang bereits 4 Unterrichtstunden reichen, um bei den Schülern Neugier zu wecken und sie anzuregen, sich eigene Gedanken über die Konfliktverläufe der Oper zu machen. Der Aufführungsbesuch (Phase 3) ermöglicht dann die Konfrontation der eigenen Vorstellungen mit der Interpretation der Oper durch ein künstlerisches Team. Eine ausführlichere szenische Interpretation differenziert und vertieft diesen Prozess und verstärkt den Eigenwert jenseits des Aufführungsbesuchs. In der sich an den Aufführungsbesuch

anschließenden Begegnung mit Künstlern (Phase 4) können die Schüler ihre Erlebnisse anlässlich der Aufführung verarbeiten und einzelne Beobachtungen mit den „Profis“ diskutieren. Die besondere Qualität dieses Verarbeitungsprozesses wird daran deutlich, dass jetzt Schüler mit Künstlern über Rollenarbeit, inhaltliche

Standpunkte und unterschiedliche Interpretationskonzepte sprechen und nicht mehr, wie es sonst bei unvorbereiteten Gesprächen mit Künstlern oft der Fall ist, über Tagesablauf, Gage oder das Lieblingsessen der Künstler.

Das Modell "Erlebnisraum Oper" lässt sich auch als ein institutionelles

Kooperationsprojekt zwischen Oper und Schule interpretieren (siehe Abb. 3-2). Die Institution Oper öffnet sich der Institution Schule und umgekehrt. Von der Oper gehen methodische und opernpädagogische Impulse aus, indem das Modell

konsequent auf die Fortbildung von Lehrern, Referendaren und Studierenden setzt.

Repertoire Opern jenseits der üblichen Lehrplan-Inhalte werden von

Musiktheaterpädagogen der Oper methodisch und didaktisch erschlossen und

ermöglichen so die inhaltliche Vorbereitung der Schüler. An der Staatsoper Stuttgart wurde in den Modellprojekten mit dem Landesinstitut für Erziehung und Unterricht Baden-Württemberg, den Referendarausbildungsseminaren, der Musikhochschule Stuttgart, der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg und der

Landesarbeitsgemeinschaft Theater Pädagogik Baden-Württemberg e.V. kooperiert, um Lehrern, Referendaren und Studierenden aller Schularten insbesondere der Real- und Hauptschule den Zugang zu erleichtern.

Da "Erlebnisraum Oper" ein Modell ist, das von der Institution Oper initiiert wird, gehen die inhaltlichen, künstlerischen und methodisch-didaktischen Impulse vom Opernhaus aus, z.B. in Form von Werkauswahl im Hinblick auf den aktuellen Spielplan.

Institution Oper

„Erlebnisraum Oper“

Landesinstitut für Erziehung und Unterricht Ziel:

- Institutionelle Rahmenbedingungen für Projekte Oper-Schule schaffen

- Kontakt zu und Kooperationen mit

⇒ Schulen

⇒ Lehrerfortbildung (insbesondere Musik)

- Entwicklung von Unterrichtsmaterialien - Kontaktkreis Oper + Schule:

bildungspolitische Konsequenzen erörtern und initiieren

Landesarbeitsgemeinschaft Theater Pädagogik Ziel:

- Kontakt zur „Basis“

- Kooperation mit

⇒ Theaterlehrern und Schultheatergruppen

⇒ freien Theatergruppen

⇒ Institutionen kultureller Jugendbildung

Referendarausbildung Ziel:

⇒ Fortbildung zur Szenischen Interpretation

⇒ Abschlussarbeiten initiieren

Hochschulen Ziel:

- Kontakt zu und Kooperation mit

⇒ Hochschullehrer in Seminaren

⇒ Studierenden

(Musik, Pädagogik, Kulturmanagement) - workshops, Seminare

- Examensarbeiten (Evaluation)

Abb. 3-2

In der Zusammenfassung werden hier nochmals die Aspekte benannt, die für das Modell "Erlebnisraum Oper" konstitutiv sind:

1. Die vier Phasen, Spielkonzeptentwicklung – Lehrerfortbildung und Schülerprojekt – Aufführungsbesuch – Gespräch mit Künstlern und Blick hinter die Kulissen, begründen die Struktur des Modells.

2. Die Spielkonzepte, die inszenierungsunabhängig entwickelt werden und einen Prozess der Konstruktion von Bedeutung fiktionaler Realität initiieren.

3. Der Aufführungsbesuch, an dem Schüler freiwillig teilnehmen.

4. Der Blick hinter die Kulissen und das Gespräch mit Künstlern.

5. Die Ausrichtung der Projekte, die sich ausdrücklich auch an Haupt- und Realschulen richten und nicht speziell für Gymnasien entwickelt sind.