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3. Die Szenische Interpretation von Musiktheater im Modell

3.2. Veränderung der Zielsetzung der Szenischen Interpretation von

2. Die Spielkonzepte, die inszenierungsunabhängig entwickelt werden und einen Prozess der Konstruktion von Bedeutung fiktionaler Realität initiieren.

3. Der Aufführungsbesuch, an dem Schüler freiwillig teilnehmen.

4. Der Blick hinter die Kulissen und das Gespräch mit Künstlern.

5. Die Ausrichtung der Projekte, die sich ausdrücklich auch an Haupt- und Realschulen richten und nicht speziell für Gymnasien entwickelt sind.

Im Modell "Erlebnisraum Oper" wird nun die Szenische Interpretation von

Musiktheater erstmals in den Dienst einer opernpädagogischen Abteilung als Teil der Dramaturgie eines Opernhauses gestellt.

Motive der opernpädagogischen Arbeit eines Opernhauses mit Schulen liegen in der Regel im Spannungsfeld zwischen Marketingstrategie und allgemeinem

Bildungsauftrag. Ziele sind beim ersten so viele Opernkarten wie möglich zu verkaufen und damit „leere Opernsessel“ möglichst effektiv zu füllen und beim zweiten die langfristige Stärkung der künstlerischen Fächer in der Schule.

Funktionalisiert die Schule mit dem Konzept der Szenischen Interpretation von Musiktheater Werke des Opernrepertoires, die ursprünglich für die Bühne

geschrieben wurden, für die eigenen Zwecke und Ziele (Lebensweltbezug, Lernen in fremden Rollen, etc.), so funktionalisiert die Institution Oper im Modell

"Erlebnisraum Oper" das Konzept der Szenischen Interpretation von Musiktheater mit den Zielen a) einen konkreten Opernbesuch vorzubereiten und b) über den Opernbesuch ein generelles (lebenslanges) Interesse an der Institution Oper und dem Opernrepertoire bei den Schülern zu entwickeln.

Oper

Oper (be-)nutzt das Erfahrungslernen der Szenische Interpretation von Musiktheater um Interesse am Opernrepertoire zu initiieren

Erlebnisraum Oper Schule

Schule (be-)nutzt das Opernrepertoire um Erfahrungslernen durch die Szenische

Interpretation von Musiktheater zu initiieren

Abb. 3-3

In Abbildung 3-3 ist diese gegenseitige „Instrumentalisierung“ nochmals als Kreislauf dargestellt. Inwiefern diese Form der Instrumentalisierung jeweils zum Nutzen der anderen Institution ist, soll hier nicht diskutiert werden (siehe hierzu Kapitel 6.3).

Die Frage nach dem Nutzen muss im Hinblick auf ein schülerorientiertes Lernen so umformuliert werden: Welchen Nutzen haben Schülerinnen und Schüler aus dem Modell "Erlebnisraum Oper" für ihre eigene Schullaufbahn?

Wird durch den Wechsel des Konzepts der Szenischen Interpretation von Musiktheater in die Institution Oper weiterhin ein schülerorientiertes

Erfahrungslernen initiiert, das neue Aspekte des Lernens ermöglicht, oder verkommt das Konzept im Rahmen von "Erlebnisraum Oper" zum reinen Marketinginstrument (siehe hierzu Kapitel 3.4. Thesen zum Erfahrungslernen)?

Das Modell „Erlebnisraum Oper“ wurde im Juni 19961 vom Intendanten der

Staatsoper Stuttgart Klaus Zehelein und der baden-württembergischen Ministerin für Jugend, Kultus und Sport Dr. Annette Schavan vorgestellt. Die Ziele und Motive von Oper bzw. Schule für die Kooperation im Modell „Erlebnisraum Oper“ formulierten die Kultusministerin und der Intendant folgendermaßen:

Annette Schavan:

„Erlebnisraum Oper“ ist der faszinierende Titel einer besonderen Zusammenarbeit der Staatsoper Stuttgart mit dem Ministerium für Kultus, Jugend und Sport. Diese Zusammenarbeit der künstlerischen Kräfte eines Opernhauses mit Schülerinnen und Schülern, bzw. Lehrerinnen und Lehrern ist für mich ein überzeugendes Beispiel für die stärkere Öffnung von Schule zum kulturellen Umfeld. Diese Methode der

szenischen Interpretation von Dramen und Opern geht in ihren Ansätzen und Erfolgen weit über das frühere Betrachten und Kennenlernen von Opern im schulischen

Musikunterricht hinaus. Es handelt sich um einen Weg, wie soziales und

körperorientiertes Lernen, bzw. die Entwicklung der spielerischen Begabung und der kreativen Phantasie der Schülerinnen und Schüler gefördert werden können“ [zitiert nach Kosuch, 1997 a, S.2].

Klaus Zehelein:

Neugierde zu wecken, lustvoll neue Hör- und Sehweisen zu entdecken, Vorgegebenes zu hinterfragen, das sind Momente der Arbeitsweise der Staatsoper Stuttgart. Das neukonzipierte Projekt „Erlebnisraum Oper“ greift diese am Haus geführte

Auseinandersetzung mit historischen und zeitgenössischen Opern auf und setzt sie in musikpädagogische Konzepte um. Das künstlerische Werk selbst steht im Mittelpunkt der Auseinandersetzung und bildet den Rahmen für eine vielschichtige

Entdeckungsreise. Ein zentraler Aspekt ist, dass Jugendliche eine neue Qualität der Wahrnehmung des Musiktheaters erfahren. Die Vorgehensweise der szenischen Interpretation ist dabei parallel zu der professionellen Erarbeitung eines Aufführungskonzepts mit dem Produktionsteam zu sehen. Wir sind an einem neugierigen Publikum interessiert, das sich mit der künstlerischen Form der

musikalischen und szenischen Realisierung der Werke aus neuer, eigenen Erfahrungen heraus kritisch auseinandersetzt“[zitiert nach Kosuch, 1997 a, S.2].

1 Pressekonferenz am 3. Juni 1996 in der Staatsoper Stuttgart. Anschließend Presseartikel in der Stuttgarter Zeitung, Stuttgarter Nachrichten, Canstatter Zeitung, Südwest Presse etc.

Für die Ministerin war das Modell von Interesse, da es sich in die von ihr propagierte Konzeption „Öffnung der Schule“ nach außen einfügte und mit der Szenischen Interpretation von Musiktheater, die für sie wichtigen Aspekte des sozialen und körperorientierten Lernens, sowie die Förderung der spielerischen Begabung und kreative Phantasie erfüllt sind. Damit setzt die Ministerin den Sozial- und

Subjektbezug ins Zentrum ihres Interesses. Der Intendant sieht eine Parallele zwischen der dramaturgischen Arbeit an der Staatsoper und der Arbeit mit der Szenischen Interpretation von Musiktheater und formuliert sein Interesse an einem neugierigen Publikum, das sich aus eigener Erfahrung mit der musikalischen und szenischen Realisierung von Opern auseinandersetzt. Damit setzt er den Kunstbezug ins Zentrum seines Interesses.

Mit dem Satz: „Das neukonzipierte Projekt „Erlebnisraum Oper“ greift diese am Haus geführte Auseinandersetzung mit historischen und zeitgenössischen Opern auf und setzt sie in musikpädagogische Konzepte um“ findet aber strenggenommen bereits eine kreative Umdeutung oder Vereinnahmung statt, denn inhaltlich richtig müsste es heißen: "Erlebnisraum Oper" greift diese am Haus geführte

Auseinandersetzung mit historischen und zeitgenössischen Opern auf und nutzt dabei das bestehende Konzept der Szenischen Interpretation von Musiktheater und

erweitert es um den Kunstbezug.

Diese Positionierung ist im Hinblick auf die von Jürgen Weintz (Weintz, 2003) beschriebenen zentralen Paradigmen der Spiel- und Theaterpädagogik der letzen 30 Jahre interessant. Er beschreibt in seinem Rückblick auf die jüngere Geschichte der Spiel- und Theaterpädagogik eine Akzentverschiebung die – den allgemeine

pädagogischen Trends folgend – eine „Verschiebung vom Sozialbezug in den frühen 70er Jahren zum stärkeren Therapie- bzw. Subjektbezug der 80er Jahre sowie zur Betonung des Kunstbezugs (spätestens) seit Beginn der 90er Jahre“ (Weintz 2003, S.

22) zu Tage fördert. Der Eigenwert des Ästhetischen wird nach Weintz dabei in den letzten Jahren gefordert – also quasi eine Abwendung von der Pädagogik hin zur Eigenständigkeit der Kunst. Die Szenische Interpretation von Musiktheater als Unterrichtskonzept steht eindeutig in ihrer Wurzel im Bereich des Sozial- und Subjektbezugs, wenn gleich ein Kunstbezug über die musikalische und inhaltliche Arbeit mit einem Opernstoff gegeben ist. Der Kunstbezug wird jedoch durch die Einführung der Szenischen Interpretation von Musiktheater in die

opernpädagogische Arbeit eines Opernhauses im Modell "Erlebnisraum Oper"

verstärkt.

Betrachtet man nun das Spannungsfeld von Sozial-, Subjekt- und Kunstbezug im Modell "Erlebnisraum Oper" so stellt sich die Frage, ob es sich um eine

Zielverschiebung handelt, die die Ziele des Erfahrungslernens gefährdet und in Frage stellt, oder ob man hier von einer Zielergänzung oder Zielerweiterung sprechen kann.

Abb. 3-4

Zusammenfassend lassen sich die Ziele der Szenischen Interpretation von Musiktheater im Kontext von "Erlebnisraum Oper" so formulieren:

Ziel der Szenischen Interpretation von Musiktheater im Modell "Erlebnisraum Oper"

ist, einen emotionalen, musikalischen und intellektuellen Zugang zur Kunstform Oper zu ermöglichen, um dann über den Opernbesuch ein möglichst lebenslanges Interesse an dieser Kunstform und der Institution Oper zu wecken.

Diese unterschiedlichen Ziele können ein explosives Spannungsfeld zweier grundlegend gegensätzlicher Institutionen – Oper und Schule – erzeugen. Die Institution Oper ist ein Ort der Kunstproduktion und Schule eine Institution des Lernens (siehe auch Kapitel 6.2).

Um dies Spannungsfeld zu verdeutlichen sollen hier die unterschiedlichen Ziele nochmals einander gegenübergestellt werden:

(1) Ziel der Szenischen Interpretation von Musiktheater als Konzept des handlungsorientierten Unterrichts an allgemeinbildenden Schulen ist die

erfahrungsbezogene Interpretation eines Stücks fiktionaler Realität. Die Aneignung von Wirklichkeit findet durch die Konstruktion von Bedeutung in der vom Spielleiter inszenierten Lernarbeit statt.

Subjektbezug Szenische Interpretation von

Musiktheater im Modell

"Erlebnisraum Oper"

Kunstbezug Sozialbezug

Es ist also ein Lernen am Gegenstand Oper, um in sozialkommunikativer Weise im Prozess der Interpretation eine Bedeutung zu konstruieren und damit zur

Persönlichkeitsbildung beizutragen.

Diese Arbeit dient der Persönlichkeitsentwicklung und führt damit die Schüler zu sich selbst!

(2) Ziel der Szenischen Interpretation von Musiktheater im Modell "Erlebnisraum Oper" im Kontext einer allgemeinen Opernpädagogik ist, Kindern und Jugendlichen, sowie Erwachsenen einen emotionalen, musikalischen und intellektuellen Zugang zur Kunstform Oper zu ermöglichen. Die Szenische Interpretation von Musiktheater dient auf der ersten Ebene der Vorbereitung eines Aufführungsbesuchs des

interpretierten Werks im Opernhaus/Theater und auf der zweiten Ebene dem Zweck, über den Opernbesuch ein möglichst lebenslanges Interesse an dieser Kunstform und der Institution Oper zu wecken.

Diese Arbeit führt zur Auseinandersetzung mit Kunst und damit zur Institution Oper!

Die Frage stellt sich, ob das Modell "Erlebnisraum Oper" einen Zielkonflikt in der Kooperation erzeugt, indem die Ziele der Oper die Ziele der Szenischen

Interpretation von Musiktheater überdecken oder sogar aufheben oder ob die Ziele sich ergänzen.

Wird mit der Überführung der Szenischen Interpretation von Musiktheater in die Institution Oper weiterhin ein Erfahrungslernen initiiert, das lediglich um weitere Ziele ergänzt wird, oder sind die Ziele der Institution Oper so dominant, dass die Szenische Interpretation von Musiktheater lediglich als

Marketinginstrument funktionalisiert wird und andere Ziele damit nicht erreicht werden können?

Diese Frage wird in den Ausführungen zu Thesen des Erfahrungslernens im Kontext des Modells "Erlebnisraum Oper" (Kapitel 3.5.) diskutiert und soll zum Schluss in Kapitel 6.3 nochmals zusammenfassend betrachtet werden.

Bevor nun die Thesen zum Erfahrungslernen erörtert werden, sollen zunächst die konkreten Umsetzungen des Modells "Erlebnisraum Oper" beschrieben werden.

3.3. Spielkonzepte zu „Erlebnisraum Oper“ in der Staatsoper Stuttgart