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4. Die Szenische Interpretation von Musiktheater im Modell

4.5. Erprobung des Modells „Junge Oper“ in sieben Produktionen (Modell- (Modell-versuchen)

4.5.4. Der 35. Mai von Violetta Dinescu

4.5.5.6. Ergebnisse, Konfliktlinien, Interpretation (F4)

In dieser Produktion gingen die Einflussmöglichkeiten der Jugendlichen bis in das Werk hinein. Wie oben erwähnt hatten Jugendliche eigene Texte produziert und „ih-re“ Musik im Studio produziert.

Im folgenden soll ein Beispiel beschrieben werden, an dem die zentralen Konfliktli-nien benannt werden, die bei Uraufführung von P.A.G.S.! sichtbar wurden.

In der Produktion P.A.G.S.! wollten die beteiligten Jugendlichen kurz vor der Pre-miere aussteigen oder bezahlt werden. In einer Feedbackrunde, die sich über andert-halb Stunden erstreckte, formulierten die Jugendlichen ihre Frustration über

Produktionsweise, das Stück selbst und die Art wie sie sich behandelt fühlten. Es hatte sich im Laufe der Produktion viel angestaut und das „Schwarze-Brett“, das zur Kommunikation aufgestellt war, reichte als Forum nicht aus. Faszinierend war, dass nach dieser Feedbackrunde niemand aufstand, um zu gehen. Dies nahm der

Opern-pädagoge zum Anlass, die Fragen zu stellen, warum keiner aufstehe, um zu gehen und was die Jugendlichen in der Produktion halte.

Daran schloss sich eine zweiten Feedbackrunde an, in der positive Dinge gesagt und konkrete Lösungsvorschläge von den Jugendlichen gemacht wurden.

Kernpunkt der Kritik war, dass die Jugendlichen sich instrumentalisiert fühlten und wenn sie mit ihren Themen und Wünschen in der Produktion nicht vorkämen, woll-ten sie wie Mitarbeiter bezahlt werden.

Um diese Frustration und die Gefühle zu verstehen, müssen hier ein Konstruktions-fehler der Geschichte der Uraufführung selbst und ein ProduktionsKonstruktions-fehler erwähnt werden. Vor diesem Hintergrund sind dann die Lösung und die Konsequenzen der Lösung zu verstehen.

In der Geschichte P.A.G.S.! (siehe Kapitel 4.5.5.1.) werden Produktionsweisen und – zwänge von Musik thematisiert. Komponist und Texter wollten „Versatzstücke des Alltags von Jugendlichen wie Rock, Rap oder Techno [zitiert] und ... zugleich Dis-tanz durch die Verarbeitung [dieser Musik] durch Kompositionstechniken der Neuen Musik [bewahren]“ (Programmheft zur Produktion P.A.G.S.! S.2).

Das inhaltliche Ziel der Autoren war, die Bedeutung der Musik von Jugendlichen zu

„dekonstruieren“. Dieses Ziel sollte erreicht werden, indem Jugendliche ihre eigene Musik produzieren (und damit konstruieren), die dann vom Komponisten und den live spielenden Musikern (Profi-Musikern) dekonstruiert werden sollte. Dies ist der zentrale Konstruktionsfehler der Produktion und der Geschichte. Wenn Jugendliche ihre eigene Musik produzieren, ist diese hochgradig emotional besetzt und ist einer Infragestellung nicht zugänglich. Jugendliche spielen dann in der Opernproduktion nicht eine fremde Rolle, sondern sie spielen sich selbst. Auf diesen Konstruktions-fehler wurde im Vorfeld der Produktion von Seiten der Opernpädagogik hingewie-sen. Im allgemeinen Produktionsstress der Uraufführung ging dieser Hinweis aber unter. Als die Jugendlichen bemerkten, dass ihre Musik in der Vorstellung „de-konstruiert“ werden sollte, fühlten sie sich gekränkt, nicht ernst genommen und in-strumentalisiert. Auf der anderen Seite sah der Komponist sein Anliegen in Frage gestellt, die Musik der Jugendlichen in seinem Werk lediglich zu zitieren, um sie dann zu dekonstruieren. Dieses Ziel betraf aber den Kern seiner Komposition. Der Komponist wollte daraufhin die Musik der Jugendlichen durch andere ersetzen. Dies wiederum erlebten die Jugendlichen als Zurückweisung und Kränkung. Dass die Ju-gendlichen wiederum um ihre Musik in der Oper kämpften, gab Anlass für den

Komponisten festzustellen, dass sein inhaltliches und musikalisches Anliegen nicht verstanden würde und in der Produktion nicht zum Ausdruck käme. Er wollte aufhin das Werk zurückziehen. Die pragmatische Lösung des Konflikts bestand dar-in, dass die Musik der Jugendlichen Teil der Aufführung blieb und der Komponist das Werk nach der Aufführungsserie zurückzog.

Es werden der Konstruktions- und Produktionsfehler nochmals beschrieben:

Konstruktionsfehler: eine Geschichte wie P.A.G.S! zu erzählen, in der die Produkti-ons- und Rezeptionsweise von Musik kritisch hinterfragt und dekonstruiert werden soll, kann man nicht die Musikstile von Jugendlichen lediglich zitieren und verarbei-ten wollen, wenn diese Musik von den Jugendlichen selbst hergestellt wurde.

Produktionsfehler: So begrüßenswert die Tatsache ist, das Jugendliche in einem Mu-siktheater mit ihren Texten und ihrer Musik vorkommen, in dieser Geschichte hätte diese Arbeitstechnik nicht Teil der Produktionsweise sein dürfen.

Durch das knappe Scheitern der Produktion und den Protest der Jugendlichen wurden hier institutionelle Spannungsfelder deutlich sichtbar, die anders nicht in dieser Schärfe zu erkennen gewesen wären. Diese Spannungsfelder im Detail darzustellen und zu analysieren sprengt den Rahmen dieser Arbeit, die den Fokus auf die Szeni-sche Interpretation von Musiktheater als einer Methode der allgemeinen Opernpäda-gogik zum Thema hat.

Komponist und Librettist

„konstruieren“ das Werk.

“Umsetzung“

Regieteam nimmt das Werk und entwickelt die Inszenierungsidee.

“Umsetzung“

Künstler und Jugendlichen setzen die Inszenierungsidee des Regie-Teams „spielpraktisch“ um Eine Konfliktlinie, die sich in

Zielkonflik-ten, bzw. in unterschiedlichen Motiven der beteiligten Jugendlichen und Künstler zeigten, wird nun skizziert.

Es stehen einander gegenüber:

Uraufführung und Werkkonstruktion unter Beteiligung von Jugendlichen.

In einer Uraufführung konstruiert ein

Kom-ponist und ein Librettist ein Werk, das Abb.4-3

dann inszeniert und künstlerisch umgesetzt werden soll. Die Autoren haben das Interesse, dass ihr Anliegen von einem Regieteam verstanden und in einer Inszenie-rung umgesetzt wird. In der Umsetzung nun wirken Künstler mit, die ihr Können in den Dienst dieser Inszenierung stellen. Eine „hierarchische“ Phasenfolge ist die Kon-sequenz aus diesem Uraufführungsverständnis (siehe Abbildung 4-3).

In einer Werkkonstruktion unter Beteiligung von Jugendlichen entsteht eine „nicht-hierarchische“ Arbeitsweise. Die Beteiligung der Jugendlichen bei der Werkkon-struktion verändert das Werk selbst und setzt einen „Kreislauf“ in Gang

K om ponist und Librettist

„konstruieren“ eine W erk Idee

K ünstler (S änger, M usiker, Jugendliche und R egie,

D ram aturgie) nutzen, verändern und bereichern das M aterial und erzeugen neues.

Es wurden hier diese Arbeitsweisen miteinander vermischt, was zu Konflikten führt, wie sie oben beschrieben wurden. In Kapitel 4.6. wird dies nochmals im Gesamtzu-sammenhang der "Jungen Oper der Staatsoper Stuttgart" diskutiert werden.

Als kurzer Exkurs soll die Intervention der Jugendlichen, die sich in der Drohung, die Produktion zu verlassen oder Geld zu fordern unter handlungstheoretischem Ge-sichtspunkt betrachtet werden. In der Drohung wird deutlich, dass die Motive und die Ziele der Institution Oper den ihren entgegen liefen. Wenn sie in dem System der Oper nur funktionieren sollten, dann wollten sie bezahlt werden, so wie die professi-onellen Künstler auch. Das Ziel „mitzuwirken“ und den Prozess zu beeinflussen hät-te durch das Ziel „Geld verdienen“ ersetzt werden können. Das setzhät-te die Frage auf Seiten der Leitung und Verantwortlichen der Institution Oper in Gang, ihre Ziele und damit letztendlich ihre Motive offen zu legen: Sollen die Jugendlichen ernst genom-men werden oder sollen die Jugendlichen nur mitmachen (vergleiche auch Kapitel 4.2, S.66: Gründe, Jugendliche in den Produktionen nicht zu bezahlen; und Kapitel 4.6 Interpretation)? Interpretation)?