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4. Die Szenische Interpretation von Musiktheater im Modell

4.5. Erprobung des Modells „Junge Oper“ in sieben Produktionen (Modell- (Modell-versuchen)

4.5.1. Der gestiefelte Kater von César A. Cui

4.5.1.1. Beschreibung des Werks und Uraufführung

Der gestiefelte Kater ist eine Märchenoper für Kinder in vier Bildern von César A.

Cui (1835 – 1918). Die Geschichte basiert auf dem gleichnamigen Märchen von Charles Perrault. Diese Märchenoper ist die letzte von insgesamt vier Opern für Kin-der von C. A. Cui und wurde am 12. Januar 1916 in Tiflis uraufgeführt. Cui gehörte zu dem sogenannten „Mächtigen Häuflein“, einer Gruppe von fünf jungen russischen Komponisten – Balakirev, Borodin, Cui, Mussorgsky und Rimskij-Korsakov -, die sich in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts zusammen schlossen.

4.5.1.2. Produktionszeitraum in der Jungen Oper der Staatsoper Stuttgart und Besonderheiten der Produktion

Die erste Produktion der Jungen Oper der Staatsoper Stuttgart wurde im Zeitraum 10.

September bis 21. November 1997 realisiert. Die Instrumentierung der Kammerfas-sung wurde vom Komponisten Andreas Breitscheid auf der Grundlage des Klavier-auszugs vorgenommen und berücksichtigte die Spielfähigkeiten der beteiligten Musikschüler. Das Orchester wurde durch vier Streicherinnen der Musikhochschule Stuttgart unterstützt. Es fanden 32 Vorstellungen im Zeitraum vom 21. November

1997 bis 28. April 1998, davon 3 auf dem Festival „Traumspiele“ in Nordrhein-Westfalen statt.

4.5.1.3. Beteiligungsformen der Kinder und Jugendlichen in der Produktion (F1)

In der folgenden Übersicht werden die Bereiche in denen Kinder und Jugendliche in der Produktion mitwirkten, die Anzahl der Beteiligten und die Kooperationspartner der Produktion benannt.

Bereiche Anzahl der beteiligten Jugendlichen

Kooperationspartner (In-stitutionen)

Chor 25 Musikschule Stuttgart

Orchester 28 Musikschulen Stuttgart,

Filderstadt, Ostfildern

Orchester 4 Musikhochschule Stuttgart

Praktikum Maske/ Kostüm 3 2 Realschulen aus dem

Großraum Stuttgart Hospitanzen: Regie,

Pro-jekt

3 Studenten -

Der Chor bestand ausschließlich aus Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 25 Jah-ren.

Die Jugendlichen des Chores waren in den sich an jede Aufführung anschließenden Gesprächen mit dem Publikum genauso beteiligt wie die jungen Solisten und künst-lerischen Mitarbeiter der Produktion.

4.5.1.4. Rolle der Szenischen Interpretation in der Produktion (F2)

Nachdem das Projektmaterial zur Szenischen Interpretation von Der gestiefelte Kater von César A. Cui im Vorfeld der Produktion fertiggestellt worden war, wurden Ele-mente und zentrale Fragestellungen im Theatertraining mit dem Laienchor durchge-führt. Das Training allgemeiner Theatertechniken wie „Präsenz“, „Konzentration“,

„Körperausdruck“ und „Emotion“ standen in dieser Trainingsarbeit im Vordergrund.

Faktisch handelte es sich zunächst um eine Rückführung von Techniken von Boal und Stanislawsik, die in der Szenischen Interpretation von Musiktheater zur Anwen-dung kommen. Kritisch betrachtet könnte man sagen, dass alles, was im Theatertrai-ning stattfindet, nichts substanziell Neues war, weil es aus unterschiedlichsten Theaterkontexten stammte. Im Unterschied zum klassischen Theatertraining

orien-tierte sich das Training am Fünf-Phasen-Modell der Szenische Interpretation von Musiktheater (Kapitel 2.3.) Substanziell neu ist die Integration von Reflexionspro-zessen in die Trainingsarbeit zu nennen. Im Training wurden nicht nur Theatertech-niken geübt, sondern es wurde eine inhaltliche Auseinandersetzung – ein kritisches Denken – initiiert. Diese Form des Theatertrainings fand in den ersten sechs Produk-tionen der Jungen Oper der Staatsoper Stuttgart statt.

4.5.1.5.Abgleich mit den Kriterien A 1, A 2 und A 3 aus Kapitel 4.5.

(A1) Die enge Verknüpfung zwischen Projekt und Produktion lag darin, dass Schüler bereits ab der 3. Produktionswoche Proben besuchen konnten, nachdem sie die Oper szenisch interpretiert hatten. Das Spielkonzept wurde unabhängig von der Inszenie-rung entwickelt. Da die Dramaturgie der Produktion beim Musiktheaterpädagogen lagen, flossen viele „konstruktivistische“ Ideen aus dem Spielkonzept in die Drama-turgie der Produktion ein (nicht umgekehrt).

(A 2) In dieser Produktion konnte man nicht davon sprechen, dass professionelle künstlerische Arbeit und die Perspektiven von Jugendlichen auf das Werk sich durchdringen. Der Produktionsablauf orientierte sich an den Strukturen einer „nor-malen“ Opernproduktion. Inszeniert wurde nach einem Regiekonzept, das klassisch vom Regisseur, dem Dramaturgen, dem Bühnenbildner und der musikalischen Lei-tung entwickelt wurde. Die Proben mit den Jugendlichen wurden zwar alle wie unter 4.5.1.4. beschrieben musiktheaterpädagogisch begleitet und vorbereitet. Die Sicht-weisen der Jugendlichen fand aber keinen Eingang in die Produktion.

(A 3) Kinder und Jugendliche waren wie unter 4.5.1.3. angeführt in vielfältiger Wei-se an der Produktion beteiligt.

4.5.1.6. Ergebnisse, Konfliktlinien, Interpretation (F4)

Wie unter 4.5.1.2. beschrieben wurde die Kammermusikfassung auf der Grundlage des Klavierauszugs der Oper von Andreas Breitscheid eingerichtet. Dabei wurde ab Februar 1997 in der Produktionsvorbereitung eng mit der Musikschule zusammenge-arbeitet, um in der Instrumentierung und im Schwierigkeitsgrad auf die Spieler der Musikschule Rücksicht nehmen zu können. Bei der ersten Probe stellte sich heraus, dass andere Musikschüler im Orchestergraben saßen, als ursprünglich vorgesehen.

Das führte zu Konflikten zwischen den beiden Institutionen Oper und Musikschule.

Hier stießen Produktionsweisen und -erfahrungen einer Musikschule mit denen eines Opernhauses aufeinander.

Kunstproduktion an einer Staatsoper, die im Anschluss an die Produktion für ein öffentliches Publikum spielt, sieht sich einem bestimmten musikalischen und künst-lerischen Niveau verpflichtet, dass sich aus dem Niveau des Opernhauses ableitet.

Um in diesem Spannungsfeld produktiv zu kooperieren, wurde die Instrumentierung einem gehobenen Musikschulniveau angepasst. Die Realität von Produktionen an Musikschulen ist, dass es oft sekundäre Gründe gibt, die das Mitwirken eines Schü-lers verhindern und dass sich die Mitwirkung an einer Musiktheaterproduktion sich nicht ausschließlich am Leistungsprinzip orientiert.

Der Konflikt wurde gelöst, in dem Schüler anderer Musikschulen zur Mitwirkung eingeladen wurden. In der Konsequenz führte dies aber auf Seiten der Oper dazu, dass die Beteiligung von Jugendlichen im Orchester einmalig bleiben sollte. In allen späteren Produktionen wurde dann mit dem Ensemble Zementwerk (Studierende der Musikhochschule Stuttgart) und professionellen Musikern gearbeitet (siehe auch 4.5.1.6.).

Die erste Konfliktlinie der Produktion war folglich das künstlerische Niveau. Diese Konfliktlinie entsteht strukturell durch die in der Konzeption des Modells „Junge Oper“ enthaltenen Ansatz, dass sowohl Laien als auch Profis in einer Musiktheater-produktion auf der Bühne zusammenwirken sollen.

Eine zweite Konfliktlinie entstand durch die im Training initiierte inhaltliche Ausei-nandersetzung mit der Märchenoper. In den Produktionsabläufen einer Opernproduk-tion folgen die Künstler5 der Interpretation des Regieteams, das eine bestimmte Interpretation und Sichtweise verfolgt. Die Künstler stellen ihr Material und Können in den Dienst dieser Interpretation. Die Einführung der Reflexion im Training eröff-nete eine Ebene der Entwicklung von Interpretationsmöglichkeiten. Dies erzeugte Spannungen, die als weiter Konfliktlinie sichtbar wurde: Hier stehen inhaltliche Be-teiligung und Integration der Sichtweisen von Jugendlichen dem Ansatz einer an einer Regiekonzeption orientierten Produktion gegenüber.

5 Es werden hier alle als Künstler bezeichnet, die in der Produktion auf der Bühne beteiligt sind, also auch die jugendlichen Laien, die in den Produktionen mitwirkten.